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Verkehrsunfall – Kostenersatz für Innenraumdesinfektion in Werkstatt

Innenraumdesinfektion nach einem Unfall: Muss die Versicherung die Kosten tragen?

Ein Verkehrsunfall kann in vielerlei Hinsicht Unannehmlichkeiten bereiten. Neben dem offensichtlichen Schaden am Fahrzeug, kann die anschließende Reparatur unvorhergesehene Kosten mit sich bringen. Dies wurde in einem Fall ausführlich diskutiert, bei dem es um die Erstattung der Kosten für die Desinfektion des Innenraums in einer Werkstatt ging. Im Fokus stand die Frage, ob der Unfallverursacher bzw. seine Versicherung auch für diese scheinbar unerwarteten Kosten aufkommen muss.

Direkt zum Urteil Az: 12 C 3807/20 springen.

Prinzipien des Schadenersatzes

Laut § 249 Abs. 2 S. 1 BGB sind Ausgaben, die ein vernünftiger Mensch in der Situation des Geschädigten als zweckmäßig und notwendig erachtet, erstattungsfähig. Demnach liegt das Risiko von zusätzlichen Kosten bei der Schadensbeseitigung, die außerhalb der Kontrolle des Geschädigten entstehen, beim Schädiger. Der Geschädigte darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass die in einem Gutachten kalkulierten Arbeiten und das dafür benötigte Material notwendig sind, um den Schaden zu beheben.

Grenzen der Schadensregulierung

Trotz der Prinzipien der Schadensregulierung gibt es Grenzen. Die Reparaturkosten, die von einer Werkstatt in Rechnung gestellt werden, gelten allgemein als aussagekräftiges Indiz für die Notwendigkeit der Reparaturkosten. Das beinhaltet auch Kosten, die entstehen, wenn die Werkstatt unnötige Arbeiten durchführt oder überhöhte Preise oder Arbeitszeiten in Rechnung stellt.

Entscheidung im aktuellen Fall

In dem konkreten Fall stellte das Gericht fest, dass die Kosten für die Innenraumdesinfektion und andere Schutzmaßnahmen gegen COVID-19 erstattungsfähig sind. Der Geschädigte hat das Recht auf Geldersatz, wenn der Ersatzpflichtige, in diesem Fall die Versicherung, die Forderung ernsthaft und endgültig ablehnt. Diese Ablehnung transformiert die Forderung in einen direkten Zahlungsanspruch.

Die abschließende Entscheidung über eventuelle Rückforderungsansprüche ist allerdings nicht Gegenstand dieses Verfahrens und würde in einem separaten Prozess behandelt werden. Die Kostenentscheidung basiert auf § 91 ZPO, wobei die Beklagten gemäß ihrem Hilfsbegehren nicht zu einer Veränderung der Kostenquote führen.

Dieser Fall dient als wichtige Erinnerung, dass Rechtsberatung auf individueller Ebene, die den jeweiligen Einzelfall berücksichtigt, unerlässlich ist. Die aktuelle Rechtslage kann sich durch neue Urteile und Gesetze ändern.


Das vorliegende Urteil

AG Coburg – Az.: 12 C 3807/20 – Urteil vom 16.03.2021

1. Die Beklagte wird verurteilt, an das … zur Rechnungsnummer … einen Betrag in Höhe von 266,91 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 19.01.2021 zu zahlen Zug-um-Zug gegen Abtretung etwaiger Rückgriffsansprüche wegen angeblicher Überzahlung gegen das … anlässlich der Reparatur des klägerischen Fahrzeugs Audi, amtliches Kennzeichner … aufgrund des Unfallschadens vom 05.10.2020, Rechnungsnummer … soweit sie nicht die originären Nacherfüllungsansprüche des Klägers aus dem Werkvertrag betreffen.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 266,91 € festgesetzt.

Gründe

Gemäß § 495a ZPO bestimmt das Gericht das Verfahren nach billigem Ermessen. Innerhalb dieses Entscheidungsrahmens berücksichtigt das Gericht grundsätzlich den gesamten Akteninhalt.

Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf restliche Schadenersatzansprüche aus dem Verkehrsunfall vom 05.10.2020 in Höhe von 266,91 €.

Am 05.10.2020 kam es zwischen dem Kläger und dem bei der Beklagten haftpflichtversicherten Unfallgegner zu einem Verkehrsunfall. Die Haftung der Beklagten ist zwischen den Parteien dem Grunde nach unstreitig. Reparaturkosten sind in Höhe von 3.460,95 € angefallen, auf die die Beklagte 3.194,04 € gezahlt hat. Die Beklagte hat die Verbringungskosten und die Kosten der Corona Schutzmaßnahme gekürzt.

Der Kläger hat einen Anspruch auf Ersatz weiterer Reparaturkosten in Höhe von 266,91 €.

Der Kläger ist aktivlegitimiert. Er muss Zahlung an den Reparaturbetrieb verlangen (Anlage B 1), da der Nachweis der vollständigen Begleichung der Reparaturrechnung nicht erfolgt ist.

Die Reparaturkosten sind in dieser Höhe erstattungsfähig. Hierbei handelte es sich um den erforderlichen Herstellungsaufwand. Nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB sind Aufwendungen ersatzfähig, die ein verständiger wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten durfte.

Den Kenntnis- und Einflussmöglichkeiten des Geschädigten bei der Schadensregulierung sind insofern regelmäßig Grenzen gesetzt, dies vor allem, sobald er den Reparaturauftrag erteilt und das Fahrzeug in die Hände von Fachleuten gibt.

Es würde dem Sinn und Zweck des § 249 Absatz 2 S. 1 BGB widersprechen, wenn der Geschädigte bei Ausübung der Ersetzungsbefugnis im Verhältnis zum ersatzpflichtigen Schädiger mit Mehraufwendungen der Schadensbeseitigung belastet bliebe, deren Entstehung seinem Einfluss entzogen und die ihren Grund darin haben, dass die Schadensbeseitigung in einer fremden, vom Geschädigten nicht mehr kontrollierbaren Einflusssphäre stattfinden muss. Das Werkstattrisiko geht insofern zulasten des Schädigers (AG Norderstedt, Urteil vom 14.09.2012 – 44 C 164/12; LG Köln, Urteil vom 07.05.2014 – 9 S 314/13). Dabei darf ein Geschädigter nach der oben angesprochenen subjektbezogenen Schadensbetrachtung grundsätzlich darauf vertrauen, dass die in dem von ihm eingeholten Sachverständigengutachten kalkulierten Arbeitsschritte und das hierfür benötigten Material zur Schadensbeseitigung erforderlich sind und darf demgemäß – wie hier – einer Werkstatt den Auftrag erteilen, gemäß Gutachten zu reparieren (BGH, NJW, 302, 304; AG Düsseldorf, 21.11.2014 – 37 C 11789/11). Es macht dabei keinen Unterschied, ob die Werkstatt dem Geschädigten unnötige Arbeiten in Rechnung stellt, überhöhte Preise oder Arbeitszeiten in Ansatz bringt oder Arbeiten berechnet, die in dieser Weise nicht ausgeführt worden sind (LG Köln, 07.05.2014, AZ: 9 S 314/13; AG Villingen-Schwenningen, 05.02.2015, AZ: 11 C 507/14; OLG Hamm, 31.01.1995, AZ: 9 U 168/94). Es besteht kein Grund dem Schädiger das Risiko für ein solches Verhalten abzunehmen. Ein Auswahlverschulden der Klägerin ist insoweit nicht zu erkennen. Die durch die Werkstatt in der Reparaturrechnung belegten Aufwendung sind im Allgemeinen ein aussagekräftiges Indiz für die Erforderlichkeit der Reparaturkosten.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sind hier die Verbringungskosten und die Kosten der Corona Schutzmaßnahme ersatzfähig.

Mangels besserer Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten hat der Kläger die Reparaturkosten insoweit für erforderlich halten dürfen. Damit sind insbesondere auch die Verbringungskosten zu erstatten, auch wenn die Beklagte die Verbringung als solche bestreitet (OLG Hamm, 31.01.1995, AZ: 9 U 168/94). Die Reparatur und die Abrechnung sind der Einflußsphäre des Geschädigten entzogen. Es besteht kein Grund, dem Schädiger das Risiko für ein solches Verhalten abzunehmen.

Von daher war auch kein Beweis über die Verbringung zu erheben, da das Werkstattrisiko eben auch Arbeiten umfassen würde, die nicht ausgeführt wurden (LG Köln, 07.05.2014, AZ: 9 S 314/13; AG Villingen-Schwenningen, 05.02.2015, AZ: 11 C 507/14; OLG Hamm, 31.01.1995, AZ: 9 U 168/94).

Die Kosten der Corona Schutzmaßnahme werden bereits im Gutachten ausgewiesen.

Darüber hinaus war die Innenraumdesinfektion aufgrund der aktuellen Situation erforderlich und zudem vorgeschrieben. Zum einen muss das Fahrzeug vor der Reparatur zum Schutz der Werkstattmitarbeiter desinfiziert, zum andren vor der Rückgabe an den Kunden zum Schutz des Kunden. Die Durchführung der Reparatur ist mithin ohne vorangegangen Desinfektion nicht möglich. Damit steht die Desinfektion auch im unmittelbaren Zusammenhang mit der Reparatur.

Dabei kommt es auch nicht darauf an, ob die Rechnung vom Kläger bereits ausgeglichen worden ist oder nicht (AG Kassel, Urteil vom 08.02.2018 – 435 C 4137/17; AG Karlsruhe, Urteil vom 18.11.2008 – 5 C 365/08).

Für den Fall der noch nicht erfolgten Zahlung stand dem Kläger zwar ein Befreiungsanspruch gemäß §§ 249, 257 BGB zu. Dieser Befreiungsanspruch ist gemäß § 250 Satz 2 BGB in einen Geldanspruch übergegangen (AG Karlsruhe, Urteil vom 18.11.2008 – 5 C 365/08).

Danach hat der Geschädigte die Möglichkeit, zu einem Anspruch auf Geldersatz zu gelangen, wenn er dem Ersatzpflichtigen erfolglos eine Frist zur Herstellung, d. h. zur Haftungsfreistellung mit Ablehnungsandrohung setzt. Dem steht es nach Rechtsprechung des BGH gleich, wenn der Schuldner die geforderte Herstellung oder überhaupt jeden Schadensersatz ernsthaft und endgültig verweigert. Dann wandelt sich der Freistellungs- in einen Zahlungsanspruch um, wenn der Geschädigte Geldersatz fordert (BGH, NJW 2004, 1868 ff.). Die Beklagte hat bereits außergerichtlich jegliche Zahlung auf weitere Reparaturkosten ernsthaft und endgültig abgelehnt, so dass es einer Fristsetzung mit Ablehnungsandrohung seitens der Klägerin zur Umwandlung in einen Geldanspruch nicht bedurfte. Die Klägerin kann somit unmittelbar Zahlung verlangen.

Die Beklagte kann soweit sie verurteilt wurde verlangen, dass ihr Zug um Zug etwaige Erstattungsansprüche des Klägers gegen die Reparaturwerkstatt in unbegrenzter Höhe aus dem Reparaturvertrag abgetreten werden.

Eine solche Abtretung schmälert die Rechtsposition des Klägers als Geschädigten nicht und ist nicht davon abhängig, dass etwaige Ansprüche gegen die Reparaturwerkstatt tatsächlich bestehen.

Vielmehr genügt es, dass es möglich erscheint, dass solche Ansprüche vorhanden sind (vgl. LG Saarbrücken, Urteil vom 19.10.2012 – 13 S 38/12). Die Berechtigung eines solchen Anspruchs ist vielmehr dann im Verhältnis zwischen dem Schädiger, hier der Beklagten, und der Reparaturwerkstatt zu klären (AG Kassel, Urteil vom 08.02.2018 – 435 C 4137/17). Voraussetzung des § 255 BGB analog ist nämlich nur, dass der abzutretende Anspruch als möglich erscheint. Dies ist der Fall. Aus diesem Grund ist die Zug um Zug Verurteilung auch nicht auf eine Abtretung in Höhe der Klagesumme beschränkt. Inwieweit die Beklagte ohne Vorbehalt reguliert hat und ob daher über die Klagesumme hinaus Rückforderungsansprüche bestehen, ist im hiesigen Verfahren gerade nicht zu klären. Dies wäre Gegenstand eines etwaigen Folgeprozesses.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Die Verurteilung der Beklagten gemäß ihrem Hilfsbegehren führt dabei nicht zu einer Veränderung der Kostenquote. Denn hierbei handelt es sich nur um einen wertmäßig nicht zu berücksichtigenden Nebenanspruch im Zusammenhang der Schadensregulierung (AG Kassel, Urteil vom 08.02.2018 – 435 C 4137/17).

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.

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