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Aufsichtspflichtverletzung beim Grillanzünden mit Brennspiritus

LG Erfurt, Az.: 10 O 2182/06

Urteil vom 27.12.2007

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kläger tragen die Kosten des Rechtsstreits.

3. Das Urteil ist für die Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

4.Der Streitwert wird festgesetzt

auf 73.453,62 Euro für den Antrag Ziffer 1

auf 50.000,00 Euro für den Antrag Ziffer 2

also auf 123.453,62 Euro insgesamt.

Tatbestand

Die Kläger machen Ausgleichs- und Regressansprüche wegen eines Grillunfalls geltend.

Am 09.06.2003 trafen sich mehrere Jugendliche am Baggersee in …, um den 14. Geburtstag der Beklagten zu 2. mit einem Grillabend zu feiern. Die Beklagte zu 2. brachte zu der Geburtstagsfeier einen Grill und flüssigen Brennspiritus mit.

Der zum damaligen Zeitpunkt noch nicht ganz 17 Jahre alte Kläger zu 2., der nicht zu der Geburtstagsfeier der Beklagten zu 2. gehörte, hielt sich ebenfalls an dem Baggersee in … auf. Der Kläger zu 2. hatte selbst einen Campinggrill mitgebracht und in der Nähe des Grills aufgestellt, den die Beklagte zu 2. benutzte.

Aufsichtspflichtverletzung beim Grillanzünden mit Brennspiritus
Symbolfoto: ingae/Bigstock

Schließlich kam es dazu, dass der Kläger zu 2. den von der Beklagten zu 2. mitgebrachten Brennspiritus benutzte, um damit seinen Grill zu entzünden. Es kam zu einer Stichflamme, die die Spiritusflasche zur Explosion brachte. Der in der Nähe sitzende … erlitt dadurch schwere Brandverletzungen zweiten und dritten Grades im Gesicht, am Hals, am Oberkörper und an den Armen.

Die Klägerin zu 1. ist die private Haftpflichtversicherung des Klägers zu 2..

Die Kläger behaupten, der Kläger zu 2. habe die Beklagte zu 2. gefragt, ob er den von ihr mitgebrachten Brennspiritus benutzen könne, was die Beklagte zu 2. bejaht habe. Der Brennspiritus sei der Beklagten zu 2. von ihrer Mutter, der Beklagten zu 1., zu der Grillfeier mitgegeben worden. Die Kläger behaupten weiter, die Klägerin zu 1. habe auf Grund des Unfallereignisses vom 09.06.2003 bereits beträchtliche Leistungen an den Geschädigten … erbracht.

Die Kläger vertreten die Rechtsauffassung, der Kläger zu 2. sei für die beim Geschädigten … verursachten Schäden nicht allein verantwortlich. Eine Mithaftung der Beklagten zu 1. ergebe sich daraus, dass diese ihrer noch minderjährigen Tochter flüssigen Brennspiritus zu einer Grillparty mitgegeben habe, die ohne Aufsicht eines Erwachsenen durchgeführt worden sei. Eine Mithaftung der Beklagten zu 2. sei deshalb anzunehmen, weil die Beklagte zu 2. den Brennspiritus in der Nähe des Grills deponiert und schließlich dem Kläger zu 2. übergeben habe. Die erforderliche Einsichtsfähigkeit habe die zur damaligen Zeit 14 Jahre alte Beklagte zu 2. bereits gehabt. Da der Haftungsanteil des Klägers zu 2. einerseits und der Beklagten andererseits gleich hoch zu bewerten sei, hätten die Kläger einen Anspruch auf Erstattung von 50 % aller Aufwendungen.

Die Kläger beantragen,

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin zu 1. 73.453,62 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen;

2. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger zu 2. die über den im Antrag zu 1. genannten Betrag hinausgehenden, zukünftigen Aufwendungen wegen der Verletzung von Herrn …, …, …, in Folge des Vorfalles vom 09.06.2003 am Baggersee in … zu 50 % zu erstatten, die er bzw. die Klägerin zu 1. als sein Privat-Haftpflichtversicherer zu erbringen haben.

Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.

Die Beklagten meinen, den Klägern nicht zum Schadensersatz verpflichtet zu sein.

Die Sache wurde mit den Parteien am 17.07.2007 und am 04.12.2007 verhandelt. Auf die Protokolle Blatt 75 bis 78 der Akte und Blatt 105/ 106 der Akte wird Bezug genommen. In der ersten Sitzung am 17.07.2007 wurden der Kläger zu 2. und die beiden Beklagten zu den Geschehnissen vom 09.06.2003 persönlich angehört.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

Ein Schadensersatz- bzw. Regressanspruch der Kläger gegenüber den Beklagten zu 1. und zu 2. nach den §§ 823 Abs.1, 828 Abs.3, 832 Abs.1 BGB besteht nicht. Die Frage, ob der Kläger zu 2. bzw. die Klägerin zu 1. als seine Haftpflichtversicherung für die Folgen des Vorfalls vom 09.06.2003 alleine einstehen muss oder ob ein Mitverschulden des Geschädigten … zu berücksichtigen ist, ist in diesem Rechtsstreit nicht entscheidungserheblich.

Eine Haftung der Beklagten zu 1. nach § 832 Abs.1 BGB setzt eine Verletzung der Aufsichtspflicht durch die Beklagte zu 1. voraus. Das Gericht ist jedoch davon überzeugt, dass eine solche Pflichtverletzung nicht vorlag. Die von den Klägern vertretene Rechtsauffassung, eine Pflichtverletzung liege schon dann vor, wenn Vater oder Mutter einem minderjährigen Kind zu einer Grillveranstaltung Brennspiritus mitgeben, wird vom Gericht nicht geteilt.

Der Bundesgerichtshof hat schon 1976 entschieden:

„Ein 12-jähriger Junge ist nach entsprechender Anleitung durchaus in der Lage, mit Hilfe von Brennspiritus Holzkohle auf einem Grillgerät zu entzünden. Er ist, wenn er altersgerecht entwickelt ist, auch nicht etwa Verhaltensstörungen zeigt, auch dazu imstande, die Gefahren im Umgang mit einer so leicht entzündlichen und explosiven Flüssigkeit wie Brennspiritus nach entsprechender Belehrung zu verstehen und zu beherrschen (BGH, Urteil vom 06.04.1976, NJW 1976, 1684/ 1685).“

Im Ergebnis kam es im Fall des BGH dennoch zu einer Verurteilung der Eltern, weil diese nicht nachweisen konnten, ihrem Sohn die Gefahren im Umgang mit dem Spiritus ausreichend vor Augen geführt zu haben. Der Fall zeigt, dass eine Haftung der Eltern – jedenfalls bei einem zum Unfallzeitpunkt bereits 14 Jahre alten Mädchen – nur dann in Frage kommt, wenn über die Gefährlichkeit der Verwendung von Brennspiritus beim Anzünden eines Grills nicht ausreichend belehrt wurde. Haftungsauslösend ist nicht das Mitgeben von Brennspiritus, sondern die unterlassene Belehrung.

Vorliegend spricht alles dafür, dass in der Familie der Beklagten über die Gefahren von Brennspiritus ausreichend belehrt wurde. Jedenfalls hat die Beklagte zu 2. bei der Geburtstagsfeier am 09.06.2003 ihren eigenen Grill mit Hilfe von Grillanzündern und nicht mit Hilfe von Brennspiritus angezündet. Das hat sie dem Gericht in der Verhandlung am 17.07.2007 glaubhaft geschildert. Ihr war also durchaus bewusst, dass normale Grillanzünder dem Brennspiritus vorzuziehen sind.

Letztlich kommt es auf die Frage, ob in der Familie der Beklagten eine ordentliche Belehrung über die Gefahren von Brennspiritus erfolgt ist, aber nicht einmal an. Denn das Gericht ist davon überzeugt, dass diese Frage keinen Einfluss hatte auf die vorliegend beim Geschädigten … verursachten Verletzungen. Es stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, ob sich an dem Geschehensablauf am 09.06.2003 etwas geändert hätte. Selbst wenn man unterstellt, dass in der Familie der Beklagten eine ordentliche Belehrung über die Gefahren von Brennspiritus nicht erfolgt ist, wäre es völlig weltfremd, davon auszugehen, dass eine ordentliche Belehrung über die Gefahren im Elternhaus dazu geführt hätte, dass die Beklagte zu 2. ihrerseits entweder vor einer Weitergabe des Brennspiritus an den zum Unfallzeitpunkt fast 17 Jahre alten Kläger zu 2. diesen über die Gefahren der Verwendung von Brennspiritus beim Anzünden eines Grills belehrt hätte oder aber sich geweigert hätte, den Brennspiritus an den Kläger zu 2. zu übergeben. Wenn ein 14-jähriges Mädchen beim Grillen von einem fast 3 Jahre älteren Jungen gefragt wird, ob der Brennspiritus benutzt werden dürfe, wird das 14-jährige Mädchen immer zustimmen. Und dieses Verhalten kann dem 14-jährigen Mädchen auch nicht vorgeworfen werden.

Wie bei der Mutter so kann auch bei der Tochter ein etwaiger Vorwurf nicht lauten, es sei Brennspiritus weitergegeben worden (denn das ist nicht verboten), sondern nur, es sei keine ordnungsgemäße Belehrung über die Gefahren erfolgt. Von einem 14-jährigen Mädchen kann aber nicht verlangt werden, einen fast 17-jährigen Jungen über irgendwelche Gefahren zu belehren. Es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass – im Regelfall – die körperliche und geistige Entwicklung des älteren Jugendlichen weiter vorangeschritten ist als die Entwicklung des jüngeren Jugendlichen, so dass der Jüngere den Älteren über die Gefahren des Lebens nicht zu belehren hat.

Im Ergebnis bedeutet das, dass ein Haftung der Beklagten zu 1. gemäß § 832 BGB deshalb ausscheidet, weil die Aufsichtspflicht nicht verletzt wurde. Und selbst wenn man das anders sehen wollte, hätte eine etwaige Verletzung der Aufsichtspflicht – in Form einer unterlassenen Belehrung über die Gefahren von Brennspiritus beim Grillen – nicht kausal zu dem eingetretenen Schaden geführt. Der Kausalverlauf des Geschehens ist durch das dazwischengetretene eigenverantwortliche Handeln des damals fast 17-jährigen Klägers zu 2. unterbrochen worden. Eine Haftung der Beklagten zu 2. gemäß §§ 823, 828 BGB scheidet deshalb aus, weil auf Seiten der Beklagten zu 2. schon keine vorwerfbare rechtswidrige Handlung begangen wurde.

Wenig überzeugend ist die von den Klägern zur Begründung herangezogene Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 30.08.1990, Aktenzeichen 10 U 7/90. Das Gericht ist nicht gewillt, irgendwelche in diesem Urteil geäußerten Rechtsauffassungen auf den vorliegenden Fall zu übertragen. Denn die in diesem Urteil vertretene Meinung, ein Schadensereignis im Rahmen einer rein gesellschaftlichen Veranstaltung innerhalb des Familien- und Bekanntenkreises sei ein Schadensereignis im rechtsfreien Raum, ist abwegig. Einen rechtsfreien Raum gibt es nicht. Zwar fällt die zitierte Aussage in dem Urteil des OLG Düsseldorf im Zusammenhang mit § 831 BGB. Das Urteil bleibt aber widersprüchlich. Wenn es um ein Ereignis im rechtsfreien Raum geht, hätte das OLG Düsseldorf der Klage nicht teilweise stattgegeben dürfen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs.1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 709 Satz 1 ZPO. Der Streitwert war gemäß § 63 Abs.2 GKG durch Beschluss festzusetzen.

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