AG Bremen, Az.: 9 C 416/14, Urteil vom 27.11.2014
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 250,00 zuzüglich Zinsen in Höhe von 5,00%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 20.11.2013 zu bezahlen.
Die Beklagte wird dazu verurteilt, den Kläger von Honoraransprüchen seiner Prozessbevollmächtigten M. Rechtsanwälte in M. für die vorgerichtliche Tätigkeit in Höhe von € 70,20 zzgl. 19% Mwst € 13,34, insgesamt € 83,54 freizustellen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Von der Darstellung des Tatbestands wird gemäß § 313a ZPO abgesehen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet.
Die Beklagte hat die Hauptforderung in Höhe von insgesamt € 250,00 zzgl. Zinsen anerkannt (§ 307 ZPO).
Die Beklagte schuldet dem Kläger Erstattung der im Hinblick auf die vorgerichtliche Geltendmachung des Ausgleichszahlungsanspruchs angefallenen Rechtsanwaltskosten (Art. 12 I 1 Verordnung EG Nr. 261/04 i.V.m. §§ 631, 280 I,257 BGB):
Dem Kläger stand gemäß Art. 7 I a FluggastrechteVO ein Ausgleichsanspruch in Höhe von jeweils 250,00 € zu. Es wurde nicht streitig gestellt, dass der für den Kläger für den 28.10.2013 von D… nach B… gebuchte Flug FR… sein Ziel statt planmäßig am 28.10.2013, 13:30 Uhr erst um 20:05 Uhr erreichte. Eine Verspätung um mehr als 3 Stunden steht nach der zutreffenden Ansicht des Europäischen Gerichtshofs (NJW 2013, 1291) einer Flugannullierung gleich. Entlastungsgründe im Sinne des Art. 5 III FluggastrechteVO trug die insofern darlegungsbelastete Beklagte nicht vor.
Die Beauftragung eines Rechtsanwalts zur vorgerichtlichen Geltendmachung von Ausgleichszahlungsansprüchen stellt sich regelmäßig als zweckdienliche Rechtsverfolgungsmaßnahme dar (ausführlich: AG Bremen, NJW-RR 2014, 1142). Die diesbezüglichen Kosten hat das beklagte Luftfahrtunternehmen durch seine Schlechtleistung zurechenbar veranlasst. Somit sind die Rechtsanwaltsgebühren als Schaden im Sinne der §§ 280I, 249,257 BGB zu bewerten.
Die Beklagte hatte hinreichend Zeit, den am 28.10.2013 fällig gewordenen Anspruch zu erfüllen; die vorgerichtliche Mandatierung – anwaltliches Schreiben vom 03.01.2014 – erfolgte nicht zur Unzeit. Dem Luftfahrtunternehmen ist nach Treu und Glauben allenfalls ein Prüfungs- und Verwaltungs/Erfüllungsfrist von vier Wochen zuzubilligen (vgl. KG Berlin, NJW 2008, 2656; OLG Saarbrücken, MDR 2007, 1190 für Haftpflichtschaden; LG Köln, Schaden-Praxis 2014, 26 für sofortiges Anerkenntnis nach Verkehrsunfall; AG Bremen, Urteil vom 20. Juni 2013 – 9 C 0131/13, 9 C 131/13 -, juris für die Forderungshöhe beziffernde Rechnung).
Der auf Freistellung von den Gebühren gerichtete Schadensersatzanspruch (§ 257 S. 1 BGB) folgt unmittelbar aus § 280 I BGB; auf eine vorangehende Inverzugsetzung kommt es nicht an (AG Bremen, a.a.O.). Im Übrigen wurde die Beklagte vorliegend mit Schreiben der Firma f… GmbH vom 05.11.2013 gemahnt. Die Beklagte befand sich im Zeitpunkt der Mandatierung – nach Ablauf der Prüfungsfrist – also auch im Zahlungsverzug.
Somit sind die erstattungsfähigen Rechtsanwaltsgebühren vorliegend auf Basis eines Streitwerts von 250,00 € zu beziffern. Gemäß dem RVG in der Fassung ab dem 01.08.2013 (§§ 2II, 13,33 RVG i.V.m. VV 2300, 7002) ist die vorgerichtliche Leistung des Klägervertreter mit einer 1,3 Geschäftsgebühr inkl. Auslagenpauschale und Mehrwertsteuer in Höhe von 83,54 € zu vergüten.
Der Erstattungsanspruch entfällt auch nicht unter dem Gesichtspunkt der gegebenenfalls im ausschließlichen Interesse der Klägervertreter erfolgten Gebührenmaximierung (§ 254 BGB bzw. fehlender Zurechnungszusammenhang). Zwar ist anerkannt, dass der Gebührenerstattungsanspruch bei erkennbarer Zahlungsunwilligkeit des Schuldners im Einzelfall entfallen kann (vgl. BGH, ZfSch 2013, 406 m.w.N.; OLG Hamm, NJW-RR 2006, 242; Palandt, 73. A., § 286, Rn. 45 a.E., 46 m.w.N.). Ein solcher Ausnahmefall ist vorliegend jedoch nicht gegeben. Der Umstand, dass die Beklagte vor Beauftragung des Rechtsanwalts bereits vergeblich durch das Inkassobüro f… angemahnt wurde, ist unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des vorliegenden Sachverhalts unbeachtlich; der Kläger war aufgrund der Schadensminderungspflicht nicht gehalten, seinem Prozessbevollmächtigten sogleich einen unbedingten Klageauftrag zu erteilen (a.A. für vergleichbaren Sachverhalt: AG Simmern/Hunsrück, Urteil vom 24.02.2014, 32 C 935/13 n.v.; AG Eilenburg, Urteil vom 08.05.2014, 2 C 315/14, n.v.; AG Lübeck, Urteil vom 05.06.2014, 31 C 929/14, n.v.; AG Geldern, Urteil vom 07.06.2014, 17 C 229/14, n.v.; AG Memmingen, Urteil vom 16.06.2014, 11 C 445/14, n.v.): Zunächst ist festzuhalten, dass allenfalls den Klägervertretern die vorgerichtliche Zahlungsunwilligkeit der Beklagten bekannt gewesen sein könnte. Denn nur die Klägervertreter, nicht aber die Kläger, führen regelmäßig Prozesse gegen die Beklagte und wissen deren Prozessverhalten also einzuschätzen. Ob ein diesbezügliches Sonderwissen den Klägern zuzurechnen wäre (§ 166 BGB), weil die Klägervertreter ihren Mandanten bei ordnungsgemäßer Beratung die sofortige Klageerhebung hätten anraten müssen, kann dahingestellt bleiben. Nach den maßgeblichen „(Gesamt)Umständen des Einzelfalls“ (explizit: BGH a.a.O.) war die (vorgerichtliche) Zahlungsunwilligkeit der Beklagten dem als Verbraucher agierenden Kläger nicht erkennbar:
Die Beklagte trug auch nach richterlichem Hinweis nicht vor, dass sie nach Erhalt des Schreibens der f… GmbH die geltend gemachten Ansprüche kategorisch zurück gewiesen und auf den Klageweg verwiesen hätte. Der Kläger durfte trotz des vergeblichen Anschreibens – auf das von Seiten der Beklagten offenbar überhaupt nicht reagiert wurde – davon ausgehen, dass die vorgerichtliche Beauftragung eines Rechtsanwalts erfolgversprechend sein werde. Denn der Anspruch des Klägers war erkennbar begründet (s.o.). Alle Anspruchsvoraussetzungen lagen in der Sphäre der Beklagten und waren dieser im Zeitpunkt der Anspruchsstellung also bekannt. Insofern irritiert die vorgerichtliche Zahlungsverweigerung, da dieses Verhalten im Widerspruch zum unverzüglichen Anerkenntnis nach Klageerhebung steht. Es soll nicht unterstellt werden, dass die Beklagte begründete Ansprüche in der Erwartung, dass nicht jeder Geschädigte diese tatsächlich auch einklagen wird, stets zurückweist. Der Kläger durfte daher erwarten, dass die erfolgreich auf dem europäischen Markt agierende Beklagte seinen evident berechtigten Anspruch zumindest nach Anwaltsschreiben prüfen und sodann Ausgleichszahlung leisten werde. Die Erstattung der vorgerichtlichen Anwaltskosten schiede nur aus, wenn die Beklagte – zulasten ihrer Außendarstellung – vor Beauftragung des Rechtsanwalts unmissverständlich zum Ausdruck gebracht hätte, dass sie auch auf anwaltliche Mahnschreiben vorgerichtlich keine Zahlungen leisten werde. Eine ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung lag zum Zeitpunkt der Mandatierung also nicht vor.
Dass vorgerichtliche Anwaltskosten nach vorangehender Einschaltung eines Inkassobüros nicht mehr erstattungsfähig seien (so die zitierte Rechtsprechung der o.g. Amtsgerichte) ist nicht zutreffend; der Schuldner schuldet lediglich nicht doppelte Gebührenerstattung. Im Zweifel sind die vorangehenden Inkassokosten nicht erstattungsfähig, weil der Gläubiger sogleich einen Rechtsanwalt hätte beauftragen können (Palandt, 73. A., § 286, Rn. 46 m.w.N.). Vorliegend wurden für die Einschaltung der f… GmbH jedoch keine Kosten geltend gemacht; erst durch das englischsprachige (!) Anschreiben des Dienstleisters an die im Ausland ansässige Adressatin wurde der Zahlungsverzug begründet. Es darf nicht verkannt werden, dass die Ansicht der Beklagten dahin geht, dass vorgerichtliche Anwaltskosten ohne vorangehende Inverzugsetzung nicht erstattungsfähig seien. Lässt der Verbraucher vor Mandatierung die Beklagte mahnen, sollen die nachfolgenden Kosten wegen Verstoßes gegen die Schadensminderungsobliegenheit gleichfalls nicht erstattungsfähig sein. Würde der Verbraucher vor Einschaltung des Inkassobüros bzw. des Rechtsanwalts die Beklagte selbst ergebnislos mahnen, würde die Beklagte sich gleichfalls auf diesen Standpunkt stellen. Nach der Argumentation der Beklagten kann ein schlecht beförderter Fluggast also niemals vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten geltend machen. Gerade gegenüber der Beklagten bedürfen die Fluggäste jedoch professioneller Unterstützung. Schließlich bestimmt die Beklagte in ihren AGB die Geltung irischen Rechts und als Gerichtsstand D… Hierdurch könnten sich anwaltlich nicht vertretene Verbraucher unter Umständen abschrecken lassen.
Im Übrigen trägt die Beklagte prozessual fragwürdig vor: Sie lässt offen, ob ihr ein Schreiben der f… GmbH überhaupt zugegangen ist (§ 130 BGB). Die Beklagte muss jedoch Kenntnis besitzen, ob sie vorprozessual durch die Firma f… zur Zahlung aufgefordert wurde oder nicht; ein Bestreiten mit Nichtwissen ist unzulässig (vgl. § 138 IV ZPO).
Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 91, 713 ZPO.