LG Hamburg, Az.: 309 S 234/97, Urteil vom 13.01.1998
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Hamburg-Altona vom 31.7.1997 – Az. 317 a C 512/96 – wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat die Kosten der Berufung zu tragen.
und beschließt:
Der Streitwert für die Berufung beträgt 2.636,68 DM.
Tatbestand
Der Kläger verlangt Ersatz von Verdienstausfall und Zahlung eines Schmerzensgeldes wegen eines Glatteisunfalles.
Der Kläger ist Wohnungsmieter in einem Mehrfamilienhaus in der Hamburger Innenstadt; der Beklagte ist Nießbrauchsberechtigter. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts, die von der Berufung nicht angegriffen werden, kam der 33-jährige Kläger am 22.12.1995 gegen 18.30 Uhr infolge Eisglätte auf den Außentreppenstufen des Hauses zu Fall. Der Kläger zog sich dadurch eine Prellung im Bereich der Lendenwirbelsäule zu und war arbeitsunfähig krank bis zum 3.3.1996. Die Behandlung erfolgte über seinen Hausarzt mit Massagen, Fangopackungen und Schmerzmitteln.
Am Unfalltag herrschte in Hamburg extremes Glatteis. Dem amtlichen Gutachten des Wetterdienstes zufolge bestanden vormittags Temperaturen um minus 4 Grad C, die gegen Mittag auf etwa minus 2 Grad C, nachmittags auf 0 Grad und ab etwa 19 Uhr auf + 1 Grad C anstiegen. Die Böden waren aufgrund der kalten Vorwitterung ge froren. Um die Mittagszeit setzte ab etwa 11.30 Uhr gefrierender Regen ein, der zunächst von leichter, zwischen etwa 13.30 Uhr und 17.30 Uhr von mäßiger bis starker Intensität war. Anschließend wurde noch bis etwa 20 Uhr leichter gefrierende Regen beobachtet. Im gesamten Hamburger Bereich gefror der um die Mittagszeit einsetzende Regen sofort auf den kalten Böden und verursachte rasch eine kompakte Glatteisdecke. Aufgrund der Niederschlagsintensität verschärfte sich die Glatteissituation zwischen 13.30 und 17.30 Uhr.
Im übrigen wird Von der Darstellung des Tatbestandes abgesehen (§ 543 Abs. 1 ZPO).
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung des Beklagten hat keinen Erfolg. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Amtsgericht ihn wegen schuldhafter Verletzung der Verkehrssicherungspflicht (§ 823 BGB) auf der Basis eines hälftigen Mitverschuldens zur Zahlung von Verdienstausfall und Schmerzensgeld in Höhe von 2.500,– DM verurteilt.
Die Feststellung des Amtsgerichts, daß ihm die Verkehrssicherungspflicht im Bereich der Außentreppe obliege und ihn deshalb bei Glatteis auch die Streupflicht treffe, nimmt der Beklagte hin. Auch das Ergebnis der vom Amtsgericht durchgeführten Beweisaufnahme, wonach der Kläger infolge extremer Glatteisbildung auf der Außentreppe gestürzt und sich die Verletzungen im Lendenwirbelbereich mit den dargestellten Folgen zugezogen habe, ist nicht Gegenstand der Berufung.
Zur Begründung der Berufung wiederholt der Beklagte in allererster Linie seine Auffassung, daß ihm eine schuldhafte Verletzung der Streupflicht deshalb nicht vorgeworfen werden könne, weil zum Unfallzeitpunkt jegliches Streuen angesichts der extremen Wetterlage mit sich immer wieder erneuerndem Glatteis von vornherein aussichtslos und damit unzumutbar gewesen sei.
Dieser Angriff verhilft der Berufung nicht zum Erfolg. Wie das Amtsgericht zutreffend ausgeführt hat, war der Beklagte nicht schon deshalb ohne weiteres von jeglicher Streupflicht freigestellt, weil aufgrund der extremen Glatteisbildung ein Abstreuen der Gehwegtreppen mit abstumpfenden Mitteln nicht durchgängig Erfolg bot. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urt. v. 1.7.1993, III ZR 88/92, VersR 1993, S. 1106) richten sich Inhalt und Umfang der winterlichen Räum- und Streupflicht unter dem Gesichtspunkt der Verkehrssicherung nach den Umständen des Einzelfalls. Art und Wichtigkeit des Verkehrswegs sind dabei ebenso zu berücksichtigen wie seine Gefährlichkeit und die Stärke des zu erwartenden Verkehrs. Die Räum- und Streupflicht besteht nicht uneingeschränkt; sie steht vielmehr unter dem Vorbehalt des Zumutbaren, wenn auch zum Schutze des Fußgängerverkehrs an die Streupflicht strenge Anforderungen zu stellen sind. Der Bundesgerichtshof hat hierzu in der angeführten Entscheidung für den Einzelfall abgeleitet, daß der Sicherungspflichtige grundsätzlich gehalten ist, das Streuen in angemessener Zeit zu wiederholen, wenn das Streugut seine Wirkung verloren hat. Für einen vergleichbaren Fall – Eisglätte infolge gefrierenden Regens – heißt es weiter: „Zwar darf bei nachhaltigem Dauerschneefall oder fortdauerndem eisbildenden Regen das (erneute) Streuen unterbleiben, wenn es bei Einsatz aller vernünftigerweise in Betracht kommenden Mittel wirkungslos wäre; der Pflichtige braucht keine zwecklosen Maßnahmen zu ergreifen. Das bedeutet aber nicht, daß er bei außergewöhnlichen Glätteverhältnissen regelmäßig von der Streupflicht befreit wäre. Vielmehr erfordern gerade solche Verhältnisse besonders intensive Streumaßnahmen, und zwar auch im Hinblick auf die zeitliche Folge. Es genügt insoweit, daß das Streugut die Gefahr des Ausgleitens wenigstens vermindert, mag seine abstumpfende Wirkung auch durch weitere Eisbildung abgeschwächt werden.“
Soweit ersichtlich steht die vom Beklagten angeführte Rechtsprechung des OLG Hamm mit diesen Grundsätzen nicht in Widerspruch; andernfalls wäre ihr nicht zu folgen. In dem vom Beklagten genannten Fall (OLG Hamm, VersR 1982, S. 1081) war es bei Eisregen gut eine Stunde nach dem letzten Abstreuen zu dem Unfall gekommen. Auch in einem neueren Fall (OLG Hamm, VersR 1997, S. 68) geschah der Unfall schon 1/2 Stunde nach Einsetzen des Eisregens. Der Veröffentlichung einer weiteren Entscheidung (OLG Hamm, R+S 1997, S. 285) sind die maßgebenden zeitlichen Zusammenhänge nicht zu entnehmen. Der Bundesgerichtshof hat verschiedentlich die Auffassung gebilligt, daß im Laufe eines Tages nach etwa drei Stunden erneut gestreut werden müsse (BGH, a. a. O.).
Im zu entscheidenden Fall war es nun so, daß die Treppe zuletzt gegen 14.15 Uhr von den Anwohnern mit Speisesalz gestreut worden war; dann war ihnen das Salz ausgegangen. Weiteres Streugut stand ihnen und dem vom Beklagten eingesetzten Hausmeister nicht zur Verfügung. Bis zum Unfall waren also gut 4 Stunden vergangen, in denen vom Beklagen keinerlei Maßnahmen getroffen wurden, um der Glättegefahr zu begegnen. Entgegen der Ansicht des Beklagten war das Streuen der Eingangstreppe nicht zwecklos angesichts der herrschenden Witterungsverhältnisse, sondern zur Erhaltung der Verkehrssicherungspflicht in besonderem Maße erforderlich. Bei derart außergewöhnlichen, selten auftretenden Witterungsverhältnissen hätte der Beklagte nicht „die Hände in den Schoß legen“ dürfen, sondern im Gegenteil außergewöhnliche Anstrengungen zur Gefahrenbeseitigung unternehmen und notfalls sogar im Abstand von wenigen Stunden, jedenfalls vor dem Unfall gegen 18.30 Uhr streuen müssen; in diesem Fall wäre eine gewisse abstumpfende Wirkung in jedem Fall erreicht worden. Das ist von ihm schuldhaft unterlassen worden. Die vom Amtsgericht als Zeugen gehörten Anwohner haben dies bezeichnender Weise ebenso gesehen und ihre letzten Vorräte an Speisesalz zum Streuen verwendet. Immerhin handelte es sich um eine größere Wohnlage mit entsprechendem Personenverkehr; Treppenstufen sind naturgemäß ein besonders gefährlicher Bereich. Für die Bewohner war es zu der Tageszeit trotz Glatteises nicht in jedem Fall zu vermeiden, die vereiste Treppe zu benutzen, etwa um von der Arbeit nach Hause zu gelangen. Daß es im Fall des Klägers anders lag, indem er das Haus verlassen hatte, um für den Familienbesuch etwas zu trinken zu holen, entbindet den Beklagten nicht von der Streupflicht und rechtfertigt jedenfalls kein höheres als das vom Amtsgericht mit 1/2 angesetzten Mitverschulden.
Mit dem Nachlassen des Niederschlages gegen 17.30 Uhr war auch eine gewisse Zäsur eingetreten, die dem Beklagten hätte Veranlassung geben müssen, Streumaßnahmen einzuleiten. Auch unter Berücksichtigung der zuzubilligenden Wartezeit hätte dies bis zum Unfall geschehen können. Den von ihm zu erbringenden Beweis, daß es in diesem Fall nicht zu dem Unfall des Klägers gekommen wäre (vgl. Palandt-Heinrichs, 54. Aufl., Vorbem. v. § 249 BGB, Rdn. 101) kann der Beklagte nicht führen.
Einwände gegen die Höhe des zugesprochenen Verdienstausfalles sind vom Beklagten mit der Berufung nicht mehr erhoben worden. Gegen die Höhe des zuerkannten Schmerzensgeldes wendet er sich nur kurz in pauschaler Weise. Angesichts der festgestellten Beschwerden im Lendenwirbelsäulenbereich und der langen Arbeitsunfähigkeit kann die Höhe des Schmerzensgeldes damit nicht erfolgreich in Frage gestellt werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.