AG Coburg – Az.: 18 C 3552/20 – Urteil vom 30.06.2021
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 768,63 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 31.12.2020 bis 26.01.2021 zu zahlen Zug-um-Zug gegen Abtretung etwaiger Rückgriffsansprüche wegen angeblicher Überzahlung gegen die … anlässlich der Reparatur des klägerischen Fahrzeugs, amtliches Kennzeichnen …, aufgrund des Unfallschadens vom 18.02.2020, Rechnungsnummer …, soweit sie nicht die originären Nacherfüllungsansprüche der Klägerin aus dem Werkvertrag betreffen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für die Klägerin jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 768,63 € festgesetzt.
Tatbestand
Am 18.02.2020 kam es zwischen dem geleasten Fahrzeug der Klägerin und dem bei der Beklagten haftpflichtversicherten Unfallgegner zu einem Verkehrsunfall. Die Haftung der Beklagten sowie die Ermächtigung der Klägerin alle fahrzeugbezogenen Ansprüche geltend zu machen, ist zwischen den Parteien dem Grunde nach unstreitig.
Reparaturkosten sind in Höhe von 5.586,60 € angefallen, auf die die Beklagte 4.817,98 € gezahlt hat. Die Beklagte hat die Kleinersatzteilkosten sowie Kosten für den Aus-/ Einbau der Seitenscheibe hinten links gekürzt und die Kosten für die Sicherheitsmaßnahmen vor der Ofentrocknung, die Probefahrt und der Fahrzeugreinigung nicht erstattet. Mit Schreiben vom 26.01.2021 erklärte die Beklagte die Abtretung etwaiger Schadenersatzansprüche der Klägerin gegen die Reparaturwerkstatt wegen möglicherweise nicht erforderlicher Arbeiten in Höhe des Klagebetrages.
Nachdem eine Erstattung des restlichen Betrages von 768,63 € nicht erfolgte beantragt die Klägerin
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 768,63 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, Klageabweisung
Die Beklagte ist der Auffassung, dass die geltend gemachten Kosten zur Beseitigung des unfallbedingten Schadens nicht erforderlich im Sinne von § 249 BGB und damit nicht erstattungspflichtig sind.
Da die Klägerin der Werkstatt den Auftrag erteilt habe gemäß Gutachten zu reparieren, bestünde auch lediglich ein Anspruch der Reparaturwerkstatt auf Erstattung der im Gutachten prognostizierten Kosten.
Jedenfalls käme lediglich eine Verurteilung Zug-um-Zug gegen Abtretung etwaiger Rückgriffansprüche gegen die Reparaturwerkstatt in Betracht.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Schriftsätze der Parteivertreter verwiesen.
Das Amtsgericht Coburg erließ am 10.06.2021 mit Zustimmung der Parteien den Beschluss, dass ohne mündliche Verhandlung entschieden wird. Als Zeitpunkt, der dem Schluss der mündlichen Verhandlung entspricht und bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden können, wurde der 25.06.2021 bestimmt. Mit gleichem Beschluss wurde Termin zur Verkündung einer Entscheidung bestimmt auf 30.06.2021.
Entscheidungsgründe
Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf restliche Schadenersatzansprüche aus dem Verkehrsunfall vom 18.02.2020 in Höhe von 768,63 €.
Die Reparaturkosten sind in dieser Höhe erstattungsfähig. Hierbei handelte es sich um den erforderlichen Herstellungsaufwand. Nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB sind Aufwendungen ersatzfähig, die ein verständiger wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten durfte. Den Kenntnis- und Einflussmöglichkeiten des Geschädigten bei der Schadensregulierung sind insofern regelmäßig Grenzen gesetzt, dies vor allem, sobald er den Reparaturauftrag erteilt und das Fahrzeug in die Hände von Fachleuten gibt.
Es würde dem Sinn und Zweck des § 249 Absatz 2 S. 1 BGB widersprechen, wenn der Geschädigte bei Ausübung der Ersetzungsbefugnis im Verhältnis zum ersatzpflichtigen Schädiger mit Mehraufwendungen der Schadensbeseitigung belastet bliebe, deren Entstehung seinem Einfluss entzogen und die ihren Grund darin haben, dass die Schadensbeseitigung in einer fremden, vom Geschädigten nicht mehr kontrollierbaren Einflusssphäre stattfinden muss. Das Werkstattrisiko geht insofern zulasten des Schädigers (AG Norderstedt, Urteil vom 14. 9. 2012 – 44 C 164/12; LG Köln, Urteil vom 07.05.2014 – 9 S 314/13). Dabei darf ein Geschädigter nach der oben angesprochenen subjektbezogenen Schadensbetrachtung grundsätzlich darauf vertrauen, dass die in dem von ihm eingeholten Sachverständigengutachten kalkulierten Arbeitsschritte und das hierfür benötigten Material zur Schadensbeseitigung erforderlich sind und darf demgemäß – wie hier – einer Werkstatt den Auftrag erteilen, gemäß Gutachten zu reparieren (BGH, NJW, 302, 304; AG Düsseldorf, 21.11.2014 – 37 C 11789/11). Es macht dabei keinen Unterschied, ob die Werkstatt dem Geschädigten unnötige Arbeiten in Rechnung stellt, überhöhte Preise oder Arbeitszeiten in Ansatz bringt oder Arbeiten berechnet, die in dieser Weise nicht ausgeführt worden sind (LG Köln, 07.05.2014, AZ: 9 S 314/13; AG Villingen-Schwenningen, 05.02.2015, AZ: 11 C 507/14; OLG Hamm, 31.01.1995, AZ: 9 U 168/94). Es besteht kein Grund dem Schädiger das Risiko für ein solches Verhalten abzunehmen. Ein Auswahlverschulden der Klägerin ist insoweit nicht zu erkennen. Die durch die Werkstatt in der Reparaturrechnung belegten Aufwendung sind im Allgemeinen ein aussagekräftiges Indiz für die Erforderlichkeit der Reparaturkosten.
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sind hier die Kosten des Aus-/Einbaus der Seitenscheibe hinten links, die Kosten für die Sicherheitsmaßnahmen vor der Ofentrocknung, die Probefahrt und der Fahrzeugreinigung ersatzfähig.
Mangels besserer Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten hat die Klägerin die Reparaturkosten insoweit für erforderlich halten dürfen. Die Reparatur und die Abrechnung sind der Einflusssphäre des Geschädigten entzogen. Es besteht kein Grund, dem Schädiger das Risiko für ein solches Verhalten abzunehmen. Von daher war auch kein Beweis über die Erforderlichkeit der Kosten für den Aus-/ Einbau der Seitenscheibe, die Sicherheitsmaßnahmen vor der Ofentrocknung, die Probefahrt und der Fahrzeugreinigung zu erheben, da das Werkstattrisiko eben auch Arbeiten umfassen würde, die nicht ausgeführt wurden (LG Köln, 07.05.2014, AZ: 9 S 314/13; AG Villingen-Schwenningen, 05.02.2015, AZ: 11 C 507/14; OLG Hamm, 31.01.1995, AZ: 9 U 168/94).
Der Ansicht der Beklagten wonach ein Anspruch lediglich in Höhe der vom Gutachter prognostizierten Kosten besteht kann nicht gefolgt werden. Der Auftrag gem. Gutachten zu reparieren bezieht sich ganz offensichtlich auf die vom Gutachter als erforderlich festgestellten Arbeiten, nicht jedoch auf die hierfür anfallenden Kosten. Die Kosten stellen – wie benannt – lediglich eine Prognose dar und sind abhängig von der durchführenden Werkstatt und den dortigen Stundensätzen.
Dabei kommt es auch nicht darauf an, ob die Rechnung von der Klägerin bereits ausgeglichen worden ist oder nicht (AG Kassel, Urteil vom 08.02.2018 – 435 C 4137/17; AG Karlsruhe, Urteil vom 18.11.2008 – 5 C 365/08).
Für den Fall der noch nicht erfolgten Zahlung stand der Klägerin zwar ein Befreiungsanspruch gemäß §§ 249, 257 BGB zu. Dieser Befreiungsanspruch ist gemäß § 250 Satz 2 BGB in einen Geldanspruch übergegangen (AG Karlsruhe, Urteil vom 18.11.2008 – 5 C 365/08).
Danach hat der Geschädigte die Möglichkeit, zu einem Anspruch auf Geldersatz zu gelangen, wenn er dem Ersatzpflichtigen erfolglos eine Frist zur Herstellung, d. h. zur Haftungsfreistellung mit Ablehnungsandrohung setzt. Dem steht es nach Rechtsprechung des BGH gleich, wenn der Schuldner die geforderte Herstellung oder überhaupt jeden Schadensersatz ernsthaft und endgültig verweigert. Dann wandelt sich der Freistellungs- in einen Zahlungsanspruch um, wenn der Geschädigte Geldersatz fordert (BGH, NJW 2004, 1868 ff.). Die Beklagte hat spätestens mit Antrag auf Klageabweisung jegliche Zahlung auf weitere Reparaturkosten ernsthaft und endgültig abgelehnt, so dass es einer Fristsetzung mit Ablehnungsandrohung seitens der Klägerin zur Umwandlung in einen Geldanspruch nicht bedurfte. Die Klägerin kann somit unmittelbar Zahlung verlangen.
Die Beklagte kann jedoch verlangen, dass ihr Zug um Zug etwaige Erstattungsansprüche der Klägerin gegen die Reparaturwerkstatt aus dem Reparaturvertrag abgetreten werden.
Eine solche Abtretung schmälert die Rechtsposition der Klägerin als Geschädigte nicht und ist nicht davon abhängig, dass etwaige Ansprüche gegen die Reparaturwerkstatt tatsächlich bestehen. Vielmehr genügt es, dass es möglich erscheint, dass solche Ansprüche vorhanden sind. Die Berechtigung eines solchen Anspruchs ist vielmehr dann im Verhältnis zwischen dem Schädiger, hier der Beklagten, und der Reparaturwerkstatt zu klären (AG Kassel, Urteil vom 08.02.2018 – 435 C 4137/17). Voraussetzung des § 255 BGB analog ist nämlich nur, dass der abzutretende Anspruch als möglich erscheint. Dies ist der Fall.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Die Verurteilung der Beklagten gemäß ihrem Hilfsbegehren führt dabei nicht zu einer Veränderung der Kostenquote. Denn hierbei handelt es sich nur um einen wertmäßig nicht zu berücksichtigenden Nebenanspruch im Zusammenhang der Schadensregulierung (AG Kassel, Urteil vom 08.02.2018 – 435 C 4137/17).
Die Verurteilung zur Zahlung der Nebenforderung gründet sich auf §§ 280 Abs. 2, 286, 288 BGB. Mit der Geltendmachung des Zurückbehaltungsrechts mit Schriftsatz vom 26.01.2021 endete der Verzug.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in den §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.