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Verkehrsunfall zwischen Fahrzeugen auf Parkplatz eines Einkaufszentrums

Unvermeidbarkeit des Unfalls und Betriebsgefahr: Ein Rechtsexkurs durch einen Parkplatzunfall

In einer verwickelten Auseinandersetzung rund um einen Verkehrsunfall auf einem Einkaufszentrum-Parkplatz wurde die Frage der Schuldverteilung und der Begriff der Betriebsgefahr unter die Lupe genommen. Der Kläger und die Beklagte stritten über die Kosten der Fahrzeugschäden und Anwaltsgebühren. Der Kläger ging davon aus, dass die Beklagte den Unfall durch grobe Missachtung der Verkehrsregeln verursacht hatte, während die Beklagte nur teilweise die Schuld akzeptierte.

Direkt zum Urteil Az.: 7 U 146/20 springen.

Überschneidung von Betriebsgefahr und Verkehrsverstößen

Die Auseinandersetzung konzentrierte sich vor allem auf die Frage, ob die Betriebsgefahr des Klägerfahrzeugs hinter den Verkehrsverstößen der Beklagten zurücktreten könne.Laut Gesetz tritt die Betriebsgefahr, also das generelle Risiko, das von einem Fahrzeug ausgeht, nur dann zurück, wenn auf der einen Seite eine nicht erheblich ins Gewicht fallende mitursächliche Betriebsgefahr vorliegt, während auf der anderen Seite ein grobes Verschulden gegeben ist. Im vorliegenden Fall war dies umstritten.

Das Urteil: Ein Balanceakt zwischen Schuldverteilung und Schadenersatz

Obwohl die Beklagte tatsächlich zwei nicht unerhebliche Verkehrsverstöße begangen hatte – das Missachten des Rechtsfahrgebots und die Nichtbeachtung der Pflichten eines Rückwärtsfahrenden – war der Kläger nicht gänzlich von der Schuld freizusprechen. Er hatte den Verkehr in der Parkgasse nur unvollkommen beobachtet. Infolgedessen wurde eine Schuldverteilung von 80:20 zugunsten des Klägers festgelegt.

Wie wirkt sich die Schuldverteilung auf den Schadenersatz aus?

Trotz der festgelegten Schuldverteilung stand dem Kläger ein höherer Schadenersatzanspruch zu, da er seinen Anspruch von fiktivem auf konkreten Schadenersatz umgestellt hatte. Darüber hinaus war das Bestreiten der Beklagten bezüglich der Höhe der tatsächlich angefallenen Reparaturkosten unsubstantiiert, da der Kläger detailliert darlegen konnte, dass die tatsächlichen Kosten höher ausgefallen waren.

Diese Einzelfallentscheidung ist ein perfektes Beispiel dafür, wie komplex die juristischen Auseinandersetzungen nach einem Verkehrsunfall sein können. Sie verdeutlicht auch, wie wichtig eine kompetente rechtliche Beratung ist, die alle Besonderheiten des Einzelfalls berücksichtigt.


Das vorliegende Urteil

Oberlandesgericht Schleswig-Holstein – Az.: 7 U 146/20 – Urteil vom 16.03.2021

Auf die Anschlussberufung des Klägers wird – unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen sowie der Berufung der Beklagten – das am 11.08.2020 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 4. Zivilkammer des Landgerichts Lübeck teilweise geändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 6.244,91 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 4.383,48 €, die Beklagte zu 1) seit dem 16.10.2018, die Beklagte zu 2) seit dem 09.01.2019, und aus weiteren 1.861,434 € seit dem 11.12.2020 zu zahlen sowie den Kläger von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 337,07 € freizuhalten.

2. Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen die Beklagten gesamtschuldnerisch 80 %, der Kläger 20 %; die Kosten des Berufungsrechtszuges werden gegeneinander aufgehoben.

3. Dieses und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.

4. Der Berufungsstreitwert wird auf 4.352,91 € festgesetzt.

Gründe

I.

Verkehrsunfall zwischen Fahrzeugen auf Parkplatz eines Einkaufszentrums
(Symbolfoto: PhotoRK/Shutterstock.com)

Die Parteien streiten mit wechselseitigen Rechtsmitteln um Schadenersatzansprüche des Klägers aufgrund eines Verkehrsunfalls vom 25.08.2018 auf dem Parkplatz eines Einkaufszentrums in der x. straße 20 in R..

Beteiligt an der Kollision waren der Kläger mit seinem PKW Audi A4 Avant, amtl. Kennzeichen RZ-PK 1993 sowie ein von der Beklagten zu 2) geführter, bei der Beklagten zu 1) gegen Haftpflichtschäden versicherter PKW Volvo XC90, amtl. Kennzeichen RZ-VX 55.

Der Kläger beabsichtigte, rückwärts aus einer Parklücke herauszufahren. Er ließ die Beklagte zu 2), die auf Parkplatzsuche war, passieren. Sodann setzte der Kläger sein Fahrzeug in die Parkgasse zurück, während die Beklagte zu 2), nachdem sie keinen freien Parkplatz gefunden hatte, rückwärts die Parkgasse befuhr. Es kam zur Kollision der Fahrzeuge, wobei zweitinstanzlich unstreitig ist, dass das klägerische Fahrzeug zum Zeitpunkt der Kollision stand. Wegen der Örtlichkeiten wird auf das Luftbild Bl. 131 d. A. verwiesen, wegen der Kollisionsstellung der beteiligten Fahrzeuge auf die Prinzipskizze Bl. 139 d. A.

Der Kläger hat erstinstanzlich seinen Schaden auf Gutachtenbasis geltend gemacht in Höhe von insgesamt 5.479,35 €, hat darüber hinaus Feststellung der weitergehenden Schadenersatzpflicht der Beklagten begehrt und Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten.

Das Landgericht hat mit dem angefochtenen Urteil der Klage nach Anhörung von Kläger und Beklagter zu 2) sowie Beweisaufnahme (Zeugenvernehmung, Einholung eines schriftlichen unfallanalytischen Sachverständigengutachtens) vollen Umfangs stattgegeben.

Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, zwar sei der Unfall für den Kläger nicht unabwendbar gewesen, aber die Betriebsgefahr seines Fahrzeugs trete hinter dem groben Verstoß der Beklagten zu 2) gegen § 1 StVO i.V.m. der Wertung aus § 9 Abs. 5 StVO zurück.

Wegen der tatsächlichen Feststellungen im Übrigen wird auf das angefochtene Urteil nebst darin enthaltener Verweisungen Bezug genommen.

Dagegen wenden sich die Beklagten mit der Berufung. Sie vertreten (weiterhin) die Auffassung, dass der Kläger sich einen 30%igen Mitverursachungsanteil zurechnen lassen müsse.

Der Kläger seinerseits macht mit der Anschlussberufung nunmehr nach durchgeführter Reparatur die tatsächlich angefallenen Reparaturkosten sowie seinen Nutzungsausfallschaden geltend.

Wegen der Einzelheiten des zweitinstanzlichen Vorbringens der Parteien wird auf die im Berufungsrechtszug gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Der Senat hat ergänzend den Kläger und die Beklagte zu 2) persönlich gemäß § 141 ZPO – wie aus der Sitzungsniederschrift vom 16.02.2021 (Bl. 258 bis 261 d. A.) ersichtlich – angehört.

II.

Die Berufung der Beklagten hat – jedenfalls im Ergebnis – keinen Erfolg. Die Anschlussberufung des Klägers hingegen hat teilweisen Erfolg.

Zwar haften die Beklagten dem Kläger dem Grunde nach lediglich auf 80 % seines Schadens, gleichwohl steht ihm aufgrund der mit der Anschlussberufung zulässigerweise durchgeführten Umstellung von fiktivem auf konkreten Schadenersatz im Ergebnis ein höherer Anspruch zu, als ihm erstinstanzlich zuerkannt werden konnte und zuerkannt worden ist.

Zutreffend geht das Landgericht davon aus, dass keiner der beteiligten Fahrzeughalter bzw. -führer den Unabwendbarkeitsbeweis i.S.v. § 17 Abs. 3 StVG geführt hat.

In die sodann vorzunehmende Abwägung der Verursachungsbeiträge gemäß § 17 Abs. 1/Abs. 2 StVG sind nur bewiesene, unstreitige oder zugestandene Tatsachen einzustellen, die zudem unfallkausal sein müssen.

Dabei kommt ein vollständiges Zurücktreten der Betriebsgefahr eines der unfallbeteiligten Fahrzeuge in der Regel nur dann in Betracht, wenn auf der einen Seite eine nicht erheblich ins Gewicht fallende mitursächliche Betriebsgefahr vorliegt, während auf der anderen Seite ein grobes Verschulden gegeben ist.

Diesen Ausnahmefall vermag der Senat hier nicht zu erkennen.

Die Beklagte zu 2) hat nach ihren eigenen Angaben, und ohne dass es des Rückgriffs auf den Anscheinsbeweis bedarf, im Rahmen des bei einem Parkplatzunfall einschlägigen § 1 Abs. 2 StVO – wie vom Landgericht ebenfalls zutreffend dargestellt – zwei nicht unerhebliche Verkehrsverstöße begangen; denn sie hat beim Rückwärtsfahren durch die Parkgasse sowohl gegen das Rechtsfahrgebot verstoßen als auch gegen die Kardinalpflichten eines Rückwärtsfahrenden aus § 9 Abs. 5 StVO.

Zutreffend hat das Landgericht darauf hingewiesen, dass gegen den ebenfalls – hier aus einer Parklücke – rückwärts fahrenden Kläger nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH VI ZR 66/16, Urteil v. 11.10.2016; BGH VI ZR 6/15, Urteil v. 15.12.2015) nicht der Anscheinsbeweis spricht, da nach dem Gutachten des Sachverständigen F. feststeht, dass das klägerische Fahrzeug zum Kollisionszeitpunkt stand.

Indes führt dies nicht, schon gar nicht zwingend, zu einer Alleinhaftung der Beklagten. Angesichts der in dem erstinstanzlich eingeholten Sachverständigengutachten sehr sorgfältig aufbereiteten Unfallsituation ist gleichwohl auch dem Kläger der Vorwurf eines Verstoßes gegen § 1 Abs. 2 StVO i.V.m. den Wertungen des § 9 Abs. 5 StVO zu machen.

Aus seiner persönlichen Anhörung vor dem Senat ergibt sich, dass er seinerseits den Verkehr in der Parkgasse nur unvollkommen beobachtet haben kann, denn auch wenn die Beklagte zu 2) dadurch, dass sie ihr rückwärts fahrendes Fahrzeug zur Mitte der Fahrgasse versetzt führte, für den Kläger später erkennbar war, als wenn sie am äußersten rechten Rand der Parkgasse gefahren wäre, hätte der Kläger gleichwohl das Beklagtenfahrzeug frühzeitiger erkennen können und müssen, wenn er die – gerade auf belebten Parkplätzen – erforderliche Aufmerksamkeit aufgebracht hätte. Indes wurde er erst durch seine auf der Rückbank befindliche Ehefrau auf das Beklagtenfahrzeug aufmerksam gemacht. Zur Einhaltung der Sorgfaltspflichten des § 9 Abs. 5 StVO hätte sich der Kläger nötigenfalls einweisen lassen müssen.

Dieser zwar deutlich weniger gewichtige, gleichwohl vorhandene, Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO i.V.m. den sich aus § 9 Abs. 5 StVO ergebenden Wertungen rechtfertigt es nach Auffassung des Senats, dem Kläger jedenfalls einen Mitverursachungsbeitrag von 20 % aufzuerlegen.

Das hat zur Folge, dass ihm bei der nunmehr erfolgten konkreten Schadenabrechnung ein restlicher Schadenersatzanspruch von 6.244,91 € zusteht.

Sein (ersatzfähiger) Gesamtschaden beläuft sich auf 10.704,02 €, nämlich den Betrag aus der Reparaturrechnung von 7.573,80 €, die Wertminderung gemäß Sachverständigengutachten i.H.v. 1.250,00 €, die Kosten für die Einholung des vorgerichtlichen Sachverständigengutachtens von 950,22 € und die allgemeine Kostenpauschale in Verkehrsunfallsachen, die der Senat in ständiger Rechtsprechung mit 20,00 € bemisst. Nach den ergänzenden Erläuterungen im Termin ist auch die geltend gemachte Nutzungsausfallentschädigung mit 910,00 € (13 Tage x 70,00 €) zuzuerkennen.

Soweit die Beklagte die Höhe der tatsächlich angefallenen Reparaturkosten bestritten hat, ist dieses Bestreiten unsubstantiiert. Der Kläger hat im Einzelnen dargelegt, dass und warum die Reparaturkosten tatsächlich höher ausgefallen sind als die vorgerichtlich vom Gutachter geschätzten Kosten. Das ist auch ohne Weiteres anhand der Reparaturrechnung nachvollziehbar.

80 % des ersatzfähigen Schadens ergeben einen Betrag in Höhe von 8.563,22 €. Darauf hat die Beklagte zu 1) vorgerichtlich 2.318,31 € gezahlt, so dass der ausgeurteilte Restbetrag verbleibt.

Dieser ist wie zuerkannt gemäß §§ 286, 291 BGB zu verzinsen.

Freihaltung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten kann der Kläger „an sich“ nach seiner Berechnungsweise lediglich in Höhe von 258,17 € verlangen. Da aber die Berufung der Beklagten nur auf eine „Verminderung“ i.H.v. 337,07 € abstellt, kann das erstinstanzliche Erkenntnis auch nur insoweit geändert werden (§ 308 Abs. 1 ZPO). Eines Hinweises des Senats bedurfte es, da nur eine Nebenforderung betroffen ist, nicht (§ 139 Abs. 2 Satz 1 ZPO).

Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 92 Abs. 1, 91 a Abs. 1, 708 Nr. 10 und 713 ZPO.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.

 

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