Irreführende Kosmetikwerbung beschäftigt die Gerichte: Ein Wirtschaftsverband klagte gegen eine Reformhausbetreiberin, weil diese eine Gesichtscreme mit angeblicher Zellerneuerung durch Ginseng bewarb. Der Vorwurf: Die Versprechungen seien wissenschaftlich nicht haltbar und damit unzulässig. Doch was geschieht, wenn ein Händler lediglich Angaben des Herstellers übernimmt? Muss ein Händler vor der Werbung eigene wissenschaftliche Belege für Herstellerangaben einholen?
Übersicht
- 1 Das Wichtigste in Kürze
- 2 Die Ginseng-Lüge: Wenn Händler für die Werbeversprechen der Hersteller haften – Eine BGH-Analyse
- 2.1 Was war der Auslöser des Rechtsstreits?
- 2.2 Mit welchen Forderungen zog der Verband vor Gericht?
- 2.3 Wie verteidigte sich das Reformhaus?
- 2.4 Wie hat der Bundesgerichtshof den Fall entschieden?
- 2.5 Die Gretchenfrage: Welche Sorgfaltspflicht hat ein Händler wirklich?
- 2.6 Was bedeutet dieses Urteil für die Praxis?
- 3 Die wichtigsten Erkenntnisse
- 4 Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- 4.1 Was macht eine Werbeaussage im rechtlichen Sinne unzulässig oder irreführend?
- 4.2 Wer trägt in der Lieferkette eines Produkts primär die Verantwortung für die Richtigkeit von Produktinformationen und Werbeaussagen?
- 4.3 Welche Sorgfaltspflichten treffen einen Händler, wenn er Werbeaussagen des Herstellers für eigene Marketingzwecke nutzt?
- 4.4 Warum legen nationale Gerichte Rechtsfragen zur Auslegung von EU-Recht dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vor?
- 4.5 Welche praktischen Konsequenzen ergeben sich für Unternehmen aus der Verantwortlichkeit für Produktwerbung?

Das Wichtigste in Kürze
- Ein Wirtschaftsverband klagte gegen eine Reformhausbetreiberin wegen der Werbung für eine Gesichtscreme mit der Aussage „Ginseng fördert die Zellerneuerung und schützt vor freien Radikalen“.
- Der Kläger beanstandete die Werbeaussage als irreführend und wissenschaftlich nicht belegt, was einen Verstoß gegen Art. 20 Abs. 1 der EU-Kosmetik-Verordnung darstelle.
- Das Landgericht hatte die Beklagte zunächst verurteilt, während das Oberlandesgericht die Klage abgewiesen hatte.
- Der Bundesgerichtshof stellte fest, dass die Werbeaussage zur Zellerneuerung durch Ginseng wissenschaftlich nicht hinreichend belegt ist und somit gegen Art. 20 Abs. 1 der EU-Kosmetik-Verordnung verstößt.
- Das Verfahren wurde ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union wurden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt, um die Prüfungspflichten eines Händlers für vom Hersteller übernommene Werbeaussagen und die Anwendbarkeit von EU-Richtlinien zu unlauteren Geschäftspraktiken zu klären.
Die Ginseng-Lüge: Wenn Händler für die Werbeversprechen der Hersteller haften – Eine BGH-Analyse
Ein Werbeprospekt, eine Gesichtscreme und ein verlockendes Versprechen: „Ginseng fördert die Zellerneuerung“. Diese wenigen Worte, gedruckt in einem Angebotsflyer einer deutschen Reformhauskette, lösten einen Rechtsstreit aus, der bis vor den Bundesgerichtshof (BGH) und von dort weiter zum höchsten Gericht Europas führte.
Der Fall entblößt eine fundamentale Frage des modernen Handels: Wer trägt die Verantwortung für die Wahrheit in der Werbung, wenn ein Händler die vollmundigen Aussagen eines Herstellers übernimmt, um den eigenen Verkauf anzukurbeln? Muss der Händler zum wissenschaftlichen Detektiv werden und die Versprechen des Herstellers aufwendig überprüfen, oder darf er sich blind auf dessen Expertise verlassen?
Was war der Auslöser des Rechtsstreits?
Die Geschichte beginnt im November 2020 mit einem Prospekt des Unternehmens „Reformhaus D.“. Darin wurde die Gesichtscreme „A. L. R. Tag & Nachtpflege“ beworben. Im Zentrum der Werbung stand eine prägnante Aussage, die auf der Produktverpackung und in den vom Hersteller zur Verfügung gestellten Werbematerialien zu finden war: „Ginseng fördert die Zellerneuerung und schützt vor freien Radikalen“. Eine solche Behauptung ist für Konsumenten, die nach effektiver Hautpflege suchen, ein starkes Kaufargument.
Doch genau dieses Versprechen rief den Verband Sozialer Wettbewerb e. V. auf den Plan. Als qualifizierter Wirtschaftsverband, dessen Aufgabe es ist, über fairen Wettbewerb zu wachen, hegte der Verband einen entscheidenden Zweifel: Ist die beworbene Wirkung von Ginseng bei äußerlicher Anwendung auf der Haut überhaupt wissenschaftlich belegt? Der Verband sah in der Werbeaussage eine Irreführung der Verbraucher und eine unlautere Geschäftspraxis.
Nachdem eine außergerichtliche Abmahnung vom 17. November 2020 erfolglos blieb, zog der Verband vor Gericht. Er wollte dem Reformhaus verbieten lassen, weiterhin mit diesem spezifischen Wirksamkeitsversprechen für die Creme zu werben. Der Fall nahm seinen Lauf durch die Instanzen, vom Landgericht über das Oberlandesgericht bis hin zum Bundesgerichtshof in Karlsruhe.
Mit welchen Forderungen zog der Verband vor Gericht?
Der Kläger, der Verband Sozialer Wettbewerb e. V., stützte seine Klage auf das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG). Er beantragte ein gerichtliches Verbot, das dem Reformhaus unter Androhung empfindlicher Ordnungsmittel untersagen sollte, die Werbung mit der Aussage zur Zellerneuerung fortzusetzen. Das Kernargument des Verbandes war, dass die Werbeaussage gegen europäisches Recht verstoße, genauer gesagt gegen die EU-Kosmetikverordnung.
Die entscheidende rechtliche Brücke dafür bildet eine spezielle Vorschrift im deutschen Wettbewerbsrecht. Der Verband argumentierte, dass die EU-Kosmetikverordnung eine sogenannte Marktverhaltensregelung darstellt. Ein Verstoß gegen eine solche Regelung gilt automatisch als unlautere Handlung, die von Verbänden und Wettbewerbern abgemahnt und verklagt werden kann. Die Werbung sei somit nicht nur potenziell irreführend, sondern schlicht illegal.
Das Landgericht Düsseldorf gab dem Verband in der ersten Instanz Recht und verurteilte das Reformhaus. Doch das Unternehmen und die Herstellerin der Creme, die dem Verfahren als Streithelferin beigetreten war, legten Berufung ein. Das Oberlandesgericht Düsseldorf kippte das Urteil und wies die Klage ab. Damit war der Weg frei für die Revision zum Bundesgerichtshof, wo der Fall grundsätzlich geklärt werden sollte.
Was ist eine „Marktverhaltensregelung“ im Wettbewerbsrecht?
Eine Marktverhaltensregelung, wie sie in § 3a des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) definiert ist, ist eine gesetzliche Vorschrift, die das Verhalten von Unternehmen am Markt steuern soll. Ihr Ziel ist der Schutz der Marktteilnehmer, also der Verbraucher, Mitbewerber oder anderer Akteure. Die EU-Kosmetikverordnung mit ihren strengen Vorgaben zu Werbeaussagen ist ein klassisches Beispiel. Verstößt ein Unternehmen gegen eine solche Regelung, begeht es einen sogenannten „Rechtsbruch“, der automatisch als unlautere und damit unzulässige Wettbewerbshandlung gilt.
Wie verteidigte sich das Reformhaus?
Die Verteidigungsstrategie des Reformhauses und der unterstützenden Herstellerin basierte auf einer klaren Rollenverteilung in der Lieferkette. Das zentrale Argument lautete: Das Reformhaus ist lediglich ein Händler, der die Ware und die dazugehörigen Werbematerialien vom Hersteller bezogen und unverändert weitergegeben hat. Die primäre und umfassende Verantwortung für die Richtigkeit der Werbeaussagen und die wissenschaftliche Fundierung liege allein bei der Herstellerin.
Juristisch stützte sich diese Argumentation auf den Begriff der „verantwortlichen Person“ aus der EU-Kosmetikverordnung. Nach dieser Verordnung ist es die „verantwortliche Person“ – in der Regel der Hersteller oder derjenige, der das Produkt unter seinem Namen in der EU in Verkehr bringt –, die für die Einhaltung aller Vorschriften geradestehen muss. Das Reformhaus sah sich nicht in dieser Rolle, da es das Produkt weder hergestellt noch unter eigenem Namen verkauft hatte.
Das Oberlandesgericht folgte dieser Sichtweise. Es argumentierte, dass ein „bloßer“ Händler nicht die Pflicht habe, für die Einhaltung der spezifischen Werbevorschriften der Kosmetikverordnung zu sorgen. Seine Pflichten seien in der Verordnung an anderer Stelle geregelt und weniger weitreichend. Nach dieser Logik wäre das Reformhaus aus der Haftung entlassen, weil es sich auf die von der Herstellerin freigegebenen und zur Verfügung gestellten Angaben verlassen durfte.
Wer ist die „verantwortliche Person“ nach der EU-Kosmetikverordnung?
Die „verantwortliche Person“, definiert in Art. 4 der EU-Verordnung (EG) Nr. 1223/2009, ist die zentrale Figur für die Produktsicherheit und Rechtskonformität eines kosmetischen Mittels. Meist ist dies der Hersteller innerhalb der EU, der Importeur oder ein Unternehmen, das ein Produkt unter seinem eigenen Namen vermarktet. Diese Person muss sicherstellen, dass das Produkt sicher ist, eine Produktinformationsdatei führt und insbesondere die Belege für die ausgelobte Wirkung vorhält. Händler gelten nur dann als verantwortliche Person, wenn sie beispielsweise ein Produkt unter ihrer Eigenmarke verkaufen.
Wie hat der Bundesgerichtshof den Fall entschieden?
Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs stand vor einer komplexen Aufgabe. Zunächst bestätigte er die Einschätzung der Vorinstanzen in einem entscheidenden Punkt: Die Werbeaussage „Ginseng fördert die Zellerneuerung“ ist tatsächlich irreführend. Die Richter stellten fest, dass Verbraucher diese Aussage so verstehen, dass die Creme die Bildung neuer Hautzellen anregt. Die vom Unternehmen vorgelegten Belege zeigten jedoch lediglich, dass Ginseng die Durchfeuchtung vorhandener Zellen durch Kollagenbildung verbessern kann – ein wesentlicher Unterschied, der die beworbene Wirkung nicht stützt.
Damit war klar, dass ein Verstoß gegen Artikel 20 der EU-Kosmetikverordnung vorlag. Doch die entscheidende Frage blieb: Muss das Reformhaus als Händler für diesen Verstoß haften? An diesem Punkt vollzog der BGH eine überraschende Wende. Er fällte kein endgültiges Urteil, sondern entschied, das Verfahren auszusetzen und den Fall dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) in Luxemburg vorzulegen.
Die Karlsruher Richter waren der Ansicht, dass die Frage der Händlerhaftung nicht allein nach deutschem Recht entschieden werden kann. Die Antwort hängt von der Auslegung der EU-Kosmetikverordnung ab, die in allen Mitgliedsstaaten einheitlich gelten muss. Um diese Einheitlichkeit sicherzustellen und eine grundlegende Frage des europäischen Verbraucherschutzrechts zu klären, formulierte der BGH zwei präzise Fragen an den EuGH.
Warum stoppt ein deutsches Gericht ein Verfahren und fragt Europa? Das Vorabentscheidungsverfahren
Wenn ein nationales Gericht wie der BGH einen Fall verhandelt, dessen Entscheidung von der Auslegung von EU-Recht abhängt, kann oder muss es das Verfahren unterbrechen. Im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens legt es dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) konkrete Fragen zur Auslegung des betreffenden EU-Gesetzes vor. Die Antwort des EuGH ist für das nationale Gericht bindend und stellt sicher, dass EU-Recht in allen 27 Mitgliedstaaten auf die gleiche Weise verstanden und angewendet wird, was Rechtszersplitterung verhindert.
Die Gretchenfrage: Welche Sorgfaltspflicht hat ein Händler wirklich?
Das Herzstück des BGH-Beschlusses sind die an den EuGH gerichteten Fragen. Sie legen den Finger in die Wunde des modernen Vertriebs und kreisen um die wahre Reichweite der Pflichten eines Händlers. Der BGH widersprach ausdrücklich der Ansicht des Oberlandesgerichts, dass die Pflichten eines Händlers in der Kosmetikverordnung abschließend geregelt seien und keine Prüfung der Werbung umfassten. Vielmehr, so der BGH, treffe jeden Händler eine allgemeine Sorgfaltspflicht.
Die erste und entscheidende Frage an den EuGH lautet sinngemäß: Muss ein Händler, der eine Werbeaussage vom Hersteller übernimmt und sie für seine eigenen geschäftlichen Zwecke in einem Prospekt verwendet, selbst prüfen, ob diese Aussage wissenschaftlich belegt ist? Oder entsteht eine solche Prüfungspflicht nur dann, wenn es konkrete Anhaltspunkte oder „rote Flaggen“ gibt, die auf eine Unrichtigkeit hindeuten? Im vorliegenden Fall gab es keine solchen offensichtlichen Anhaltspunkte; die Herstellerin hatte die Werbung ja freigegeben und sie stand sogar auf der Verpackung.
Der BGH legte die Argumente für beide Seiten dar. Einerseits könnte man argumentieren, dass ein Händler, der aktiv mit einer Aussage wirbt, um seinen eigenen Umsatz zu steigern, auch eine höhere Verantwortung trägt. Andererseits steht dem das Prinzip der abgestuften Verantwortlichkeiten gegenüber, wonach primär der Hersteller für die Konformität zuständig ist und der Händler sich grundsätzlich auf dessen Angaben verlassen können sollte, um den Handel nicht übermäßig zu belasten.
Die zweite Frage an den EuGH zielte darauf ab, das Verhältnis zwischen der speziellen Kosmetikverordnung und der allgemeinen EU-Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken zu klären. Es geht darum, ob die spezifischen Haftungsregeln der Kosmetikverordnung eine Haftung des Händlers nach allgemeinem Wettbewerbsrecht ausschließen oder ob beide Regelwerke nebeneinander anwendbar sind. Die Klärung dieser Fragen durch den EuGH wird weitreichende Konsequenzen für die gesamte Handelsbranche in Europa haben.
Was bedeutet „gebührende Sorgfalt“ für einen Händler?
Der Grundsatz der „gebührenden Sorgfalt“ (due care) und der abgestuften Verantwortlichkeiten ist ein zentrales Prinzip im EU-Produktsicherheitsrecht. Es bedeutet, dass jeder Akteur in der Lieferkette (Hersteller, Importeur, Händler) Pflichten hat, die auf seine jeweilige Rolle zugeschnitten sind. Der Hersteller trägt die Hauptlast und muss die Produktsicherheit und Korrektheit der Werbung von Grund auf sicherstellen. Der Händler muss im Rahmen seiner Tätigkeit mit Sorgfalt handeln, darf aber grundsätzlich auf die Arbeit des Herstellers vertrauen. Die ungeklärte Frage ist, wann diese „gebührende Sorgfalt“ eine aktive, eigene Überprüfungspflicht auslöst.
Was bedeutet dieses Urteil für die Praxis?
Auch wenn die endgültige Entscheidung des EuGH noch aussteht, sendet der Vorlagebeschluss des Bundesgerichtshofs bereits jetzt ein unmissverständliches Signal an Händler und Hersteller. Die Zeiten, in denen sich Händler bedenkenlos hinter den Angaben von Herstellern verstecken konnten, neigen sich dem Ende zu. Der BGH hat deutlich gemacht, dass die Übernahme von Werbeaussagen in eigene Marketingmaterialien eine rechtliche Grauzone mit erheblichem Haftungspotenzial darstellt.
Die Entscheidung unterstreicht die immense Bedeutung von wissenschaftlich fundierten Wirksamkeitsnachweisen im Bereich der Kosmetikwerbung. Werbeaussagen, die nicht durch „hinreichende und überprüfbare Nachweise“ belegt sind, sind nicht nur irreführend, sondern stellen einen klaren Rechtsverstoß dar. Der Fall „Ginseng-Creme“ dient als Lehrstück dafür, wie schnell eine scheinbar harmlose Werbezeile eine Kaskade juristischer Auseinandersetzungen auslösen kann, die die Grundfesten der Verantwortungsverteilung im Handel erschüttern.
Welche Auswirkungen hat der Vorlagebeschluss auf die Rechtssicherheit?
Der Vorlagebeschluss verdeutlicht die rechtliche Unsicherheit bei der Haftungsverteilung zwischen Herstellern und Händlern. Bis zur EuGH-Entscheidung bleibt ungeklärt, inwieweit Händler für übernommene Werbeaussagen haften. Die Entscheidung wird die Sorgfaltspflichten in der gesamten Lieferkette neu definieren.
Der Fall zeigt, dass wissenschaftlich unbelegte Werbeaussagen rechtliche Risiken bergen. Unternehmen müssen ihre Compliance-Strategien überdenken, da die bisherige Praxis des unbedenklichen Vertrauens zwischen Herstellern und Händlern in Frage gestellt wird.
Die EuGH-Entscheidung wird europaweit Standards für die Produktwerbung setzen und die Rechtssicherheit im Binnenmarkt stärken.
Was ist die wichtigste Lehre aus diesem Vorlagebeschluss für Händler?
Händler müssen erkennen, dass sie nicht nur passive Warendurchreicher sind. Sobald sie Herstellerwerbung aktiv für ihre eigenen Vertriebs- und Marketingzwecke nutzen – etwa in Prospekten, Newslettern oder Social-Media-Kampagnen –, begeben sie sich in eine rechtliche Gefahrenzone. Blindes Vertrauen in die Angaben der Hersteller ist riskant. Es ist ratsam, sich vertraglich abzusichern und im Zweifel kritisch zu hinterfragen, insbesondere bei starken, wissenschaftlich anmutenden Wirksamkeitsversprechen.
Worauf sollten Unternehmen nach diesem Urteil achten?
Für Hersteller ist die Botschaft klar: Die primäre Verantwortung für die Rechtmäßigkeit von Produkten und Werbung liegt und bleibt bei ihnen. Sie müssen für jede einzelne Werbeaussage wasserdichte wissenschaftliche Belege vorhalten. Das Bereitstellen von unzureichend belegten Werbematerialien für Handelspartner ist nicht nur rechtlich riskant, sondern kann auch zu empfindlichen Störungen in der gesamten Vertriebskette führen, wenn Händler plötzlich mit Klagen konfrontiert werden und das Vertrauen in die Marke leidet. Eine sorgfältige, transparente und rechtlich einwandfreie Kommunikation ist der Schlüssel zum langfristigen Erfolg.
Die wichtigsten Erkenntnisse
Der BGH hat das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH Fragen zur Auslegung des EU-Rechts vorgelegt, weil die Haftung von Händlern für irreführende Herstellerwerbung im Kosmetikbereich rechtlich ungeklärt ist.
- Abgestufte Verantwortung in der Lieferkette: Das Urteil verdeutlicht, dass nicht alle Marktteilnehmer die gleiche Verantwortung tragen – während der Hersteller als „verantwortliche Person“ primär für die wissenschaftliche Belegung von Werbeaussagen zuständig ist, treffen Händler nur begrenzte Sorgfaltspflichten. Die rechtliche Unsicherheit besteht darin, ob ein Händler die vom Hersteller übernommene Werbung eigenständig auf ihre wissenschaftliche Belegbarkeit prüfen muss oder ob er sich grundsätzlich auf die Herstellerangaben verlassen darf.
- Spezialvorschriften gehen vor allgemeinen Regeln: Das Verfahren zeigt, dass spezielle EU-Produktvorschriften (hier die Kosmetik-Verordnung) Vorrang vor allgemeinen Wettbewerbsregeln haben können. Der BGH stellt zur Klärung, ob die detaillierten Händlerpflichten der Kosmetik-VO abschließend sind oder ob zusätzlich die allgemeinen Regeln gegen unlautere Geschäftspraktiken greifen.
- Irreführende Werbung erfordert wissenschaftliche Belegung: Das Gericht bestätigt, dass Werbeaussagen wie „Ginseng fördert die Zellerneuerung“ nur dann zulässig sind, wenn sie durch hinreichende und überprüfbare wissenschaftliche Nachweise belegt werden können – eine bloße Verbesserung der Hautfeuchtigkeit reicht für eine solche Aussage nicht aus.
Das Urteil unterstreicht die Bedeutung einer einheitlichen EU-weiten Rechtsprechung für komplexe Fragen der Produkthaftung und des Verbraucherschutzes im Binnenmarkt.
Konfrontiert mit einer Werbeaussage, deren wissenschaftliche Belegbarkeit fraglich ist, möchten Sie die Händlerpflichten kennen. Lassen Sie Ihre Situation unverbindlich einschätzen.)
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Was macht eine Werbeaussage im rechtlichen Sinne unzulässig oder irreführend?
Was macht eine Werbeaussage im rechtlichen Sinne unzulässig oder irreführend?
Eine Werbeaussage ist im rechtlichen Sinne unzulässig oder irreführend, wenn sie bei Verbrauchern falsche Vorstellungen über ein Produkt oder dessen Wirkung hervorruft. Dies geschieht insbesondere, wenn die beworbenen Effekte nicht wissenschaftlich belegt sind oder die Aussage nicht der Wahrheit entspricht.
Solche Praktiken verstoßen häufig gegen das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) und spezifische Produktverordnungen, beispielsweise die EU-Kosmetikverordnung. Diese Regelungen dienen dazu, den fairen Wettbewerb zu sichern und Verbraucher vor Täuschung zu schützen. Ein Verstoß gegen eine solche Vorschrift gilt automatisch als unlautere Handlung.
Ein entscheidendes Merkmal einer irreführenden Werbeaussage ist die fehlende wissenschaftliche Belegbarkeit von Wirksamkeits- oder Gesundheitsversprechen. Wenn beispielsweise behauptet wird, ein Produkt fördere die „Zellerneuerung“, aber die vorhandenen Nachweise lediglich eine andere, geringere Wirkung belegen, liegt eine Irreführung vor. Unternehmen, insbesondere Hersteller, sind verpflichtet, für jede Werbeaussage robuste und überprüfbare wissenschaftliche Belege vorzuhalten.
Dies verdeutlicht, dass die Wahrhaftigkeit und Belegbarkeit von Werbeversprechen entscheidend sind, um rechtliche Probleme zu vermeiden und das Vertrauen der Konsumenten zu wahren.
Wer trägt in der Lieferkette eines Produkts primär die Verantwortung für die Richtigkeit von Produktinformationen und Werbeaussagen?
Die primäre Verantwortung für die Richtigkeit von Produktinformationen und Werbeaussagen in der Lieferkette liegt in der Regel beim Hersteller oder der Person, die das Produkt unter eigenem Namen in den Verkehr bringt. Diese wird als „verantwortliche Person“ bezeichnet.
Die „verantwortliche Person“ ist die zentrale Instanz für die Sicherheit und Rechtskonformität eines Produkts. Zu ihren Kernpflichten gehört es, die Produktsicherheit zu gewährleisten, alle gesetzlichen Vorschriften einzuhalten und umfassende Dokumentationen wie eine Produktinformationsdatei zu führen.
Entscheidend ist, dass diese Person sicherstellen muss, dass alle beworbenen Aussagen über das Produkt wissenschaftlich belegt und wahr sind, und die entsprechenden Nachweise dafür bereithält.
Ein Händler übernimmt die Rolle der „verantwortlichen Person“ nur dann, wenn er das Produkt selbst herstellt oder unter seiner eigenen Marke verkauft. Andernfalls darf sich ein Händler grundsätzlich auf die vom Hersteller bereitgestellten Angaben verlassen, muss aber dennoch eine allgemeine „gebührende Sorgfalt“ an den Tag legen.
Welche Sorgfaltspflichten treffen einen Händler, wenn er Werbeaussagen des Herstellers für eigene Marketingzwecke nutzt?
Händler, die Werbeaussagen des Herstellers für ihre eigenen Marketingzwecke nutzen, können zu einer eigenen Prüfung dieser Aussagen verpflichtet sein. Dies steht im Spannungsfeld zum Grundsatz, dass sie sich eigentlich auf die Angaben des Herstellers verlassen dürfen.
Das Gesetz geht grundsätzlich von einer abgestuften Verantwortung aus: Der Hersteller trägt die Hauptlast für die Korrektheit der Werbeaussagen und Händler dürfen sich primär auf diese verlassen. Sobald ein Händler jedoch die Herstellerwerbung aktiv für seine eigenen Verkaufsförderungsmaßnahmen – etwa in Prospekten, Newslettern oder Social-Media-Kampagnen – einsetzt, begeben sie sich in eine rechtliche Grauzone.
Der Bundesgerichtshof hat klargestellt, dass in solchen Fällen eine allgemeine Sorgfaltspflicht für den Händler besteht. Die entscheidende Frage, die derzeit vom höchsten europäischen Gericht geklärt wird, ist jedoch, wie weit diese Pflicht reicht: Muss der Händler jede übernommene Aussage selbst auf ihre wissenschaftliche Belegbarkeit prüfen, oder nur, wenn es konkrete Anhaltspunkte für eine Unrichtigkeit gibt, also „rote Flaggen“ sichtbar werden?
Für Händler bedeutet dies, dass blindes Vertrauen in die Herstellerangaben riskant sein kann. Insbesondere bei starken oder wissenschaftlich anmutenden Werbeversprechen ist es ratsam, kritisch zu hinterfragen oder sich vertraglich abzusichern, um mögliche Haftungsrisiken zu minimieren.
Warum legen nationale Gerichte Rechtsfragen zur Auslegung von EU-Recht dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vor?
Nationale Gerichte legen Rechtsfragen zur Auslegung von EU-Recht dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vor, um eine einheitliche Anwendung in allen EU-Ländern zu gewährleisten. Dieses sogenannte Vorabentscheidungsverfahren ist notwendig, wenn die Entscheidung eines nationalen Falls von einer unklaren EU-Gesetzesauslegung abhängt.
Dieses Verfahren ermöglicht es nationalen Gerichten, wie dem deutschen Bundesgerichtshof im „Ginseng-Fall“, ihre Verhandlung zu unterbrechen und konkrete Fragen zur Bedeutung eines EU-Gesetzes an den EuGH zu richten. Dies ist besonders wichtig, wenn das nationale Urteil direkt von der korrekten Auslegung des EU-Rechts abhängt.
Das Hauptziel dieser Vorgehensweise ist es, sicherzustellen, dass EU-Recht in allen 27 Mitgliedstaaten auf die exakt gleiche Weise verstanden und angewendet wird. Dadurch wird vermieden, dass unterschiedliche nationale Auslegungen zu einer Zersplitterung des Rechts führen und somit gleiche Sachverhalte in verschiedenen Ländern unterschiedlich beurteilt werden.
Die vom EuGH gegebene Antwort ist für das nationale Gericht, das die Frage gestellt hat, bindend. Darüber hinaus dient diese Auslegung als wegweisende Orientierung für alle anderen nationalen Gerichte in der gesamten EU, die mit ähnlichen Rechtsfragen konfrontiert sind.
Welche praktischen Konsequenzen ergeben sich für Unternehmen aus der Verantwortlichkeit für Produktwerbung?
Für Unternehmen, sowohl Hersteller als auch Händler, bedeutet die Verantwortlichkeit für Produktwerbung, dass sie strenge Pflichten bei der Sicherstellung der Wahrheit und wissenschaftlichen Belegbarkeit von Werbeaussagen haben. Händler können sich nicht mehr bedenkenlos auf Hersteller verlassen, und Hersteller müssen ihre Angaben lückenlos beweisen.
Hersteller tragen die primäre Verantwortung und müssen jede einzelne Werbeaussage mit soliden, wissenschaftlichen Nachweisen untermauern. Das Bereitstellen von unzureichend belegten Werbematerialien für Handelspartner ist nicht nur rechtlich riskant, sondern kann auch zu Störungen in der gesamten Vertriebskette führen, wenn Händler plötzlich mit Klagen konfrontiert werden.
Händler wiederum können nicht mehr als passive „Warendurchreicher“ agieren. Sobald sie Herstellerwerbung aktiv für ihre eigenen Vertriebs- und Marketingzwecke nutzen, etwa in Prospekten oder Online-Kampagnen, begeben sie sich in eine rechtliche Gefahrenzone. Ein blindes Vertrauen in die Aussagen des Herstellers ist riskant, insbesondere bei starken Wirksamkeitsversprechen, die wissenschaftlich klingen.
Insgesamt ist eine sorgfältige Prüfung von Werbeaussagen, eine klare Kommunikation innerhalb der Lieferkette und bei Bedarf vertragliche Absicherung entscheidend, um Haftungsrisiken zu minimieren.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.