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Anscheinsbeweis beim Fahrstreifenwechsel: 100 % Haftung für den Spurwechsler

Nach einem Spurwechsel-Unfall auf der A14 zwischen einem Mercedes und einem VW stand Aussage gegen Aussage, was den Anscheinsbeweis beim Fahrstreifenwechsel auf den Plan rief. Obwohl beide Fahrer ihre Unschuld beteuerten, führte die Pflichtverletzung dazu, dass eine Versicherung den Schaden komplett tragen muss.

Zum vorliegenden Urteil Az.: 4 O 224/24 | Schlüsselerkenntnis | FAQ  | Glossar  | Kontakt

Das Wichtigste in Kürze

  • Gericht: Landgericht Halle (Saale)
  • Datum: 10.10.2024
  • Aktenzeichen: 4 O 224/24
  • Verfahren: Zivilsachen
  • Rechtsbereiche: Verkehrsrecht, Haftungsrecht, Versicherungsrecht

  • Das Problem: Zwei Fahrzeuge kollidierten auf der Autobahn, wobei die Klägerin behauptete, der Fahrer des gegnerischen Wagens habe beim Spurwechsel die Vorfahrt missachtet. Die gegnerische Versicherung bestritt, dass überhaupt ein Spurwechsel stattgefunden habe, und wies die Schuld der Klägerin zu.
  • Die Rechtsfrage: Muss die Versicherung den vollen Schaden ersetzen, wenn der Unfall in engem Zusammenhang mit einem Fahrstreifenwechsel des versicherten Fahrzeugs steht?
  • Die Antwort: Ja, die Versicherung muss den Schaden zu 100 % ersetzen. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der Spurwechsel des versicherten Fahrzeugs ursächlich für den Unfall war und die Versicherung die Schuldvermutung nicht widerlegen konnte.
  • Die Bedeutung: Bei Unfällen, die unmittelbar mit einem Fahrstreifenwechsel zusammenhängen, spricht eine starke Vermutung dafür, dass der Spurwechsler seine Sorgfaltspflicht verletzt hat. Diese Vermutung ist nur schwer zu entkräften.

Der Fall vor Gericht


Was passiert, wenn nach einem Spurwechsel-Unfall zwei völlig gegensätzliche Geschichten aufeinandertreffen?

Zwei Autos kollidieren auf der Bundesautobahn 14. Der Mercedes GLE einer Leasingnehmerin ist rechts stark beschädigt. Die Fahrerin des Mercedes erzählt eine klare Geschichte: Der andere Wagen, ein Volkswagen Sharan, zog von der rechten auf die linke Spur, um zu überholen – und übersah dabei ihr Fahrzeug.

Der Auffahrunfall nach dem Spurwechsel: Die 100 % Haftung des Fahrers ist durch den Anscheinsbeweis kaum zu widerlegen.
Widersprüchliche Unfallberichte: Der Anscheinsbeweis entscheidet über die Haftungsfrage. | Symbolbild: KI

Der Fahrer des VW erzählt eine ganz andere Version: Er sei schon länger auf der linken Spur gewesen, als der Mercedes versuchte, sich riskant an ihm vorbeizudrängen. Als die Haftpflichtversicherung des VW die Zahlung verweigerte, landete der Fall vor dem Landgericht Halle. Die Richter standen vor der klassischen Situation zweier unvereinbarer Darstellungen. Um solche Fälle zu lösen, greifen Gerichte auf ein mächtiges logisches Werkzeug zurück: den Anscheinsbeweis.

Womit argumentierte die Versicherung, um eine Zahlung abzuwehren?

Die Haftpflichtversicherung übernahm die Geschichte ihres Klienten. Ihre Darstellung malte das Bild eines aggressiven Fahrverhaltens aufseiten des Mercedes. Der VW sei auf der linken Spur gefahren. Der schnellere Mercedes habe sich von hinten genähert und den Fahrer des VW bedrängt. Schließlich habe der Mercedes-Fahrer versucht, sich mit hohem Tempo an einer zu engen Stelle vorbeizupressen. Der Zusammenstoß war die unausweichliche Folge dieses riskanten Manövers. Ein Fahrstreifenwechsel des VW im direkten Unfallzusammenhang habe nicht stattgefunden. Mit dieser Version der Ereignisse wollte die Versicherung die alleinige Schuld dem Fahrer des Mercedes zuweisen. Die Pflicht zur Zahlung von Schadensersatz aus der allgemeinen Halterhaftung (§ 7 StVG) oder der Versicherungspflicht (§ 115 VVG) sollte damit entfallen.

Wie entwirrte das Gericht die widersprüchlichen Erzählungen?

Das Gericht konzentrierte sich auf einen kritischen Punkt: Fand der Unfall in einem engen zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit einem Spurwechsel des VW statt? Die Antwort darauf fand sich in den Akten und Zeugenaussagen. Der Fahrer des VW hatte direkt nach dem Unfall gegenüber der Polizei selbst angegeben, dass die Kollision beim Wechsel von der rechten auf die linke Spur geschah. Diese erste Aussage wog schwer.

Damit aktivierte das Gericht den sogenannten Anscheinsbeweis. Diese juristische Regel besagt: Ereignet sich ein Unfall unmittelbar nach einem Fahrstreifenwechsel, spricht der erste Anschein erdrückend dafür, dass der Spurwechsler einen Fehler gemacht hat. Die Straßenverkehrs-Ordnung legt dem Spurwechsler eine besondere Sicherungsverantwortung auf (§ 5 Abs. 4 StVO). Er muss eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausschließen. Die Beweislast kehrt sich durch den Anscheinsbeweis quasi um. Nicht die Mercedes-Fahrerin musste die Schuld des VW-Fahrers beweisen. Die Versicherung des VW musste den gegen sie sprechenden Anschein erschüttern und beweisen, dass ihr Fahrer keine Schuld trug.

Warum scheiterte die Verteidigungsstrategie der Versicherung?

Der Versuch, den Anscheinsbeweis zu entkräften, scheiterte an der mangelnden Glaubwürdigkeit der vorgetragenen Geschichte. Das Gericht zerlegte die Version des VW-Fahrers Punkt für Punkt. Die Richter hielten sein im Prozess geschildertes Manöver für faktisch nicht nachvollziehbar und ohne erkennbares Motiv. Ein Fahrer, der erst mehrfach blockiert wird, dann stark beschleunigt, um sich in eine winzige Lücke zu zwängen, verhält sich irrational – das Gericht nannte ein solches Verhalten „selbstmörderisch“.

Zusätzliche Fakten stützten diese Einschätzung. Weder die Unfallakte noch andere Zeugen bestätigten die Geschichte eines riskanten Überholversuchs des Mercedes. Eine Mitfahrerin im Klägerfahrzeug konnte sich nicht an eine starke Beschleunigung erinnern, die für ein solches Manöver nötig gewesen wäre. Das Gericht berücksichtigte auch das Eigeninteresse des VW-Fahrers, der durch eine für ihn günstige Aussage höhere Versicherungsbeiträge vermeiden wollte. Seine ursprüngliche, ehrliche Aussage bei der Polizei passte hingegen perfekt zum Schadensbild und zum Anscheinsbeweis. Der Versicherung gelang es nicht, eine plausible alternative Unfallursache darzulegen. Der Anscheinsbeweis blieb unerschüttert. Das Gericht stellte fest, dass die Pflichtverletzung beim Überholvorgang allein beim Fahrer des VW lag. Die Allgemeine Betriebsgefahr des Mercedes trat hinter diesem groben Verkehrsverstoß vollständig zurück. Die Versicherung muss den Schaden zu 100 Prozent ersetzen.

Die Urteilslogik

Bei Kollisionen, die unmittelbar auf einen Fahrstreifenwechsel folgen, kehrt der Anscheinsbeweis die Beweislast um und erzwingt eine strikte Rechenschaft vom Spurwechsler.

  • Der Spurwechsler trägt die Gefährdungslast: Wer den Fahrstreifen wechselt, muss jegliche Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausschließen und trägt die alleinige Verantwortung, wenn der Unfall im unmittelbaren zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit diesem Manöver steht.
  • Anscheinsbeweis erschüttern erfordert Plausibilität: Um den gegen ihn sprechenden Anscheinsbeweis zu entkräften, muss der Unfallverursacher eine in sich schlüssige und plausible alternative Unfallursache darlegen; eine bloße Schutzbehauptung, die ein irrationales oder „selbstmörderisches“ Fahrverhalten des Gegners konstruiert, reicht dafür nicht aus.
  • Die ursprüngliche Aussage gewinnt an Gewicht: Die erste, unmittelbar nach dem Ereignis gegenüber den Ermittlungsbehörden getroffene Aussage des Unfallbeteiligten wiegt in der gerichtlichen Beweiswürdigung schwerer als spätere, strategisch angepasste Prozessbehauptungen.

Diese strenge Sorgfaltspflicht führt dazu, dass der Betriebsgefahr des Geschädigtenfahrzeugs kein Raum bleibt und die Haftung des Verursachers regelmäßig 100 Prozent des Schadens umfasst.


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Bestreitet die gegnerische Versicherung Ihre Haftungsansprüche nach einem Fahrstreifenwechsel-Unfall? Kontaktieren Sie uns für eine erste rechtliche Einschätzung Ihrer Situation.


Experten Kommentar

Viele Mandanten glauben, sie könnten eine unvorteilhafte erste Aussage nach einem Unfall später vor Gericht einfach korrigieren – dieses Urteil zeigt auf harte Weise, warum das fast immer scheitert. Wer als Spurwechsler zuerst die Kollision eingesteht und dann versucht, den erdrückenden Anscheinsbeweis beim Fahrstreifenwechsel mit einer nachträglich konstruierten Story zu erschüttern, hat vor Gericht keine Chance. Das Gericht hat die an den Haaren herbeigezogene Verteidigungsstrategie konsequent zerlegt und klargestellt: Die Sorgfaltspflicht beim Fahrstreifenwechsel ist so hoch, dass nur eine wasserdichte alternative Unfallursache die 100 Prozent Haftung abwenden kann. Das ist eine klare Ansage, dass die Wahrheit, auch wenn sie schmerzt, vor Gericht oft die bessere Strategie ist.


Häufig gestellte Fragen (FAQ)

Wer trägt die Schuld, wenn der Unfall unmittelbar nach meinem Spurwechsel passiert?

Ereignet sich eine Kollision in engem zeitlichem und räumlichem Zusammenhang mit Ihrem Spurwechsel, liegt die Beweislast sofort bei Ihnen. Der Unfallgegner muss Ihre Schuld nicht erst nachweisen. Die Justiz aktiviert in diesen Fällen den sogenannten Anscheinsbeweis, der die Gerichte standardmäßig davon ausgehen lässt, dass Sie Ihre besondere Sicherungsverantwortung verletzt haben.

Beim Wechsel eines Fahrstreifens fordert Paragraph 5 Absatz 4 StVO von Ihnen, eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer auszuschließen. Diese Pflichtverletzung wird juristisch als so gravierend eingestuft, dass der erste Anschein erdrückend gegen den Spurwechsler spricht. Der Anscheinsbeweis kehrt die Beweislast um. Sie müssen nun beweisen, dass Sie den Unfall nicht verschuldeten oder dass die Kollision durch einen konkreten Fehler des Gegners verursacht wurde.

Selbst wenn der Unfallgegner beispielsweise schneller als erlaubt fuhr, tritt die allgemeine Betriebsgefahr seines Fahrzeugs in der Regel vollständig zurück, solange er keinen nachweisbaren, kausalen Verkehrsverstoß begangen hat. Konkret: Gelingt Ihnen der Nachweis der Schuldlosigkeit nicht, tragen Sie die volle Haftung für den Schaden. Die Gerichte gehen davon aus, dass die Hauptursache für den Unfall bei Ihrem fehlerhaften Überholvorgang lag.

Sichern Sie sofort jede Dokumentation Ihrer eigenen Erstbefragung bei der Polizei, um den kritischen zeitlichen Kontext des Spurwechsels präzise festzustellen.


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Bekomme ich 100% Schadenersatz, wenn der Anscheinsbeweis gegen den Spurwechsler spricht?

Ja, der erfolgreiche Anscheinsbeweis gegen den Spurwechsler führt in aller Regel zur vollständigen Entschädigung. Die Gerichte bejahen in diesen Fällen fast immer 100 Prozent Schadenersatz für den Geschädigten. Die schwere Pflichtverletzung beim Spurwechsel überwiegt die allgemeine Betriebsgefahr Ihres unfallfreien Fahrzeugs so stark, dass diese vollständig zurücktritt.

Diese juristische Entscheidung basiert auf der klaren Zuweisung der Schuld. Die Verletzung der besonderen Sorgfaltspflicht beim Fahrstreifenwechsel nach § 5 Abs. 4 StVO werten Richter als groben Verkehrsverstoß. Dieser grobe Verstoß ist so gravierend, dass er die verschuldensunabhängige Halterhaftung gemäß § 7 StVG, die jedes am Verkehr beteiligte Fahrzeug trifft, vollständig verdrängt. Damit muss die gegnerische Haftpflichtversicherung den Schaden ohne Abzüge tragen.

Praktisch bedeutet das: Solange Ihnen als Geschädigtem kein eigener, konkreter Verstoß nachgewiesen werden kann, steht Ihnen die volle Summe zu. Dies verhindert, dass Versicherungen versuchen, eine Teilschuld (oft 20 oder 30 Prozent) basierend auf der fadenscheinigen Begründung der allgemeinen Betriebsgefahr geltend zu machen. Eine Mithaftung entsteht lediglich dann, wenn Sie beispielsweise stark überhöhte Geschwindigkeit fuhren und dieser Faktor kausal für den Unfall war.

Fordern Sie von der gegnerischen Haftpflichtversicherung die volle Erstattung (100 Prozent) unter Verweis darauf, dass die Betriebsgefahr Ihres Wagens hinter dem groben Verkehrsverstoß zurückgetreten ist.


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Wie widerlege ich den Anscheinsbeweis, wenn ich als Spurwechsler verklagt werde?

Wenn der Anscheinsbeweis aktiviert ist, kehrt sich die Beweislast um, was für Sie als Spurwechsler eine große Herausforderung darstellt. Juristisch gesehen genügt es nicht, den Unfallhergang lediglich zu bestreiten. Sie widerlegen den Anscheinsbeweis ausschließlich, indem Sie dem Gericht eine plausible alternative Unfallursache präsentieren und nachweisen. Diese Alternative muss konkret belegbar aufzeigen, dass der Unfall aufgrund eines Fehlers des Gegners und nicht durch Ihren Spurwechsel verursacht wurde.

Die Regel: Gerichte verlangen eine faktisch nachvollziehbare Alternativ-Darstellung. Diese muss das Schadensereignis erklären, ohne Ihre fehlerhafte Sorgfaltspflichtverletzung als kausale Ursache anzunehmen. Der Anscheinsbeweis gilt erst als erschüttert, wenn die Richter eine ernsthafte Möglichkeit sehen, dass die Kollision auf ein atypisches Verhalten des Gegners zurückzuführen ist. Allgemeine Behauptungen über überhöhte Geschwindigkeit des Gegenfahrzeugs reichen hierfür ohne zusätzliche Stützbeweise kaum aus.

Konkret: Die Verteidigungsstrategie scheitert oft, wenn Sie dem Gegner ein irrationales Manöver unterstellen. Wenn etwa behauptet wird, der andere Fahrer habe stark beschleunigt, um sich in eine zu kleine Lücke zu zwängen, muss dies durch konkrete Beweise wie Zeugenaussagen oder Gutachten gestützt werden. Richter hielten in einem Fall vor dem Landgericht Halle ein geschildertes Manöver als faktisch nicht nachvollziehbar und ohne erkennbares Motiv.

Stellen Sie eine lückenlose Dokumentation aller möglichen Beweise zusammen, die den Unfall kausal mit einem beweisbaren Geschwindigkeits- oder Abstandsverstoß des Gegners in Verbindung setzen.


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Warum ist meine erste Aussage bei der Polizei nach dem Spurwechsel so entscheidend?

Ihre erste Aussage nach einem Unfall, besonders wenn sie bei der Polizei protokolliert wird, gilt als wichtiger Glaubwürdigkeitstest vor Gericht. Die Justiz betrachtet diese spontane Schilderung als unverfälscht, da sie noch nicht durch juristische Beratung optimiert wurde. Bestätigen Sie hierin den engen zeitlichen Zusammenhang des Spurwechsels, aktivieren Sie damit den Anscheinsbeweis de facto selbst und unwiderruflich.

Richter messen der Erstbefragung ein hohes Gewicht bei, weil diese oft noch unter Schock und ohne die dominanten Bedenken hinsichtlich drohender Versicherungsfolgen getätigt wird. Weil dieses Protokoll die ehrlichste Momentaufnahme darstellt, dient es als Referenzpunkt für alle späteren Versionen des Unfallhergangs. Das Gericht nutzt diesen spontanen Bericht, um präzise festzustellen, ob die juristische Regel des Anscheinsbeweises greift und die Beweislast umkehrt.

Weicht Ihre spätere, anwaltlich unterstützte Darstellung im Prozess von der ursprünglichen Schilderung ab, werten die Richter dies fast immer als taktisches Manöver. Sie unterstellen, dass Sie versuchen, die Schuld abzuwälzen, um höhere Versicherungsbeiträge zu vermeiden. Konkret: Der Fahrer des VW im Fall vor dem Landgericht Halle verlor den Prozess, weil seine erste Aussage den Spurwechsel als Unfallursache bestätigte. Diese spontane Bestätigung wog schwerer als seine spätere, widersprüchliche Version.

Fordern Sie über Ihren Anwalt umgehend Einsicht in das polizeiliche Protokoll Ihrer ersten Aussage, um den genauen Wortlaut für Ihre Verteidigungsstrategie zu kennen.


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Was passiert, wenn ich meine Unfall-Version im Prozess nachträglich ändere?

Eine nachträgliche Änderung Ihrer Unfall-Version führt vor Gericht fast immer zu einem totalen Glaubwürdigkeitsverlust. Richter werten dies typischerweise als klaren Versuch, aus monetärem Eigeninteresse die Wahrheit zu verschleiern. Die erste, spontane Schilderung gilt als ehrlicher und wird stärker gewichtet als eine später juristisch optimierte Darstellung. Die Justiz geht davon aus, dass Sie durch juristische Beratung oder eigene Überlegungen versuchen, die Beweislast zu Ihren Gunsten zu verschieben, um zum Beispiel höhere Versicherungsbeiträge zu vermeiden.

Das Gericht prüft intensiv das Motiv hinter der Änderung. In Unfallprozessen liegt fast immer ein Eigeninteresse vor, etwa um Schadensersatzpflichten oder höhere Beiträge zu vermeiden. Steht die neue Version im klaren Gegensatz zur ersten Schilderung, sinkt Ihre Glaubwürdigkeit rapide. Selbst wenn die neue Darstellung theoretisch plausibel klingt, kann sie den gegen Sie sprechenden Anscheinsbeweis wegen der mangelnden Verlässlichkeit nicht entkräften. Die Richter müssen feststellen, dass eine ernsthafte Möglichkeit einer alternativen Unfallursache besteht.

Im Fall eines Spurwechsel-Unfalls, bei dem der Anscheinsbeweis gegen den Spurwechsler spricht, führt diese Strategie selten zum Erfolg. Konkret: Ein VW-Fahrer hatte nach dem Unfall bei der Polizei zuerst den Spurwechsel bestätigt, änderte seine Geschichte aber später im Prozess. Das Gericht lehnte die neue Version entschieden ab, weil es das im Prozess geschilderte Manöver für unplausibel hielt. Die Richter berücksichtigten explizit das Eigeninteresse des Fahrers, der durch die geänderte Aussage höhere Versicherungsbeiträge verhindern wollte.

Prüfen Sie vor jeder Aussage im Prozess kritisch, ob Ihre geänderte Schilderung logisch und motivisch konsistent ist und durch das Schadensbild gestützt wird.


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Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.


Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt

Allgemeine Betriebsgefahr

Die Allgemeine Betriebsgefahr beschreibt das abstrakte Gefahrenpotenzial, das von jedem in Betrieb genommenen Kraftfahrzeug ausgeht – selbst wenn der Fahrer fehlerfrei fährt.
Das deutsche Haftungsrecht (§ 7 StVG) stellt sicher, dass man für Schäden, die durch den Betrieb eines Fahrzeugs entstehen, grundsätzlich haftet, da dies eine verschuldensunabhängige Halterhaftung darstellt.

Beispiel: Im vorliegenden Fall trat die allgemeine Betriebsgefahr des Mercedes GLE hinter dem groben Verkehrsverstoß des VW-Fahrers vollständig zurück.

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Anscheinsbeweis

Der Anscheinsbeweis ist ein juristisches Hilfsmittel, das Gerichten ermöglicht, bei typischen Unfallmustern die Schuldvermutung aufgrund der Lebenserfahrung zu ziehen.
Dieses logische Werkzeug soll die Beweisführung in standardisierten Fällen, wie etwa Auffahrunfällen oder Spurwechseln, erleichtern und beschleunigen, indem es den ersten Anschein einer Pflichtverletzung festlegt.

Beispiel: Da der Unfall in engem zeitlichem und räumlichem Zusammenhang mit dem Fahrstreifenwechsel des VW geschah, aktivierte das Landgericht Halle den Anscheinsbeweis gegen den Spurwechsler.

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Beweislast

Die Beweislast legt fest, welche Partei in einem Zivilprozess die Verpflichtung hat, bestimmte Tatsachen zu belegen, um daraus positive Konsequenzen für sich abzuleiten.
Diese entscheidende Regel schafft klare Verhältnisse und verhindert, dass Gerichtsverfahren enden, ohne dass die notwendigen Fakten zur Urteilsfindung geklärt werden konnten.

Beispiel: Durch die Umkehrung der Beweislast musste im Fall vor dem Landgericht nicht die Geschädigte die Schuld des VW-Fahrers beweisen, sondern die beklagte Versicherung musste dessen Unschuld belegen.

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Glaubwürdigkeitsverlust

Ein Glaubwürdigkeitsverlust tritt ein, wenn eine Partei ihre Darstellung des Unfallhergangs nachträglich ändert, wodurch die Richter ihr Zeugenstatement als unglaubwürdig einstufen.
Richter müssen die Wahrheitspflicht der Parteien beurteilen; widersprüchliche Aussagen untergraben die richterliche Überzeugung von der Sachdarstellung und werden als taktisches Manöver gewertet.

Beispiel: Weil der VW-Fahrer seine spontane Aussage bei der Polizei im Prozess zugunsten einer für ihn günstigeren Version änderte, führte dies zu einem totalen Glaubwürdigkeitsverlust seiner späteren Schilderung.

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Grober Verkehrsverstoß

Juristen bezeichnen als Groben Verkehrsverstoß eine besonders schwerwiegende Pflichtverletzung der Straßenverkehrs-Ordnung, die typischerweise auf mangelnder Sorgfalt oder Rücksichtnahme beruht.
Das Gesetz stuft diese schwerwiegenden Fehler härter ein, weil sie regelmäßig die Hauptursache für schwere Unfälle darstellen und die allgemeine Betriebsgefahr anderer Fahrzeuge überwiegen sollen.

Beispiel: Die Verletzung der besonderen Sorgfaltspflicht beim Fahrstreifenwechsel nach Paragraph 5 Absatz 4 StVO wertete das Gericht im vorliegenden Fall als groben Verkehrsverstoß des VW-Fahrers.

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Das vorliegende Urteil


LG Halle (Saale) – Az.: 4 O 224/24 – Urteil vom 10.10.2024


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