Ein Autofahrer forderte nach einem Verkehrsunfall die volle fiktive Abrechnung nach Verkehrsunfall, obwohl er seinen erheblich beschädigten Wagen nur provisorisch reparierte. Die Versicherung weigerte sich zu zahlen, doch der Geschädigte legte einen überraschend simplen Beleg für die Wiederherstellung der Verkehrssicherheit vor.
Übersicht
- 1 Das Wichtigste in Kürze
- 2 Wann zahlt die Versicherung fiktive Reparaturkosten?
- 3 Wie hoch darf die fiktive Abrechnung sein?
- 4 Reicht der TÜV als Nachweis der Reparatur?
- 5 Welche Reparaturbelege verlangt die Versicherung?
- 6 Die Urteilslogik
- 7 Benötigen Sie Hilfe?
- 8 Experten Kommentar
- 9 Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- 9.1 Wann bekomme ich die vollen fiktiven Reparaturkosten, wenn mein Auto alt ist?
- 9.2 Muss ich der Versicherung Rechnungen vorlegen, wenn ich meinen Unfallschaden selbst repariere?
- 9.3 Reicht eine bestandene TÜV-Prüfung als Nachweis für eine verkehrssichere Reparatur aus?
- 9.4 Was tun, wenn die Versicherung meine provisorische Eigenreparatur nicht akzeptiert?
- 9.5 Wie weise ich mein Integritätsinteresse nach, um mehr Geld als den Wiederbeschaffungsaufwand zu erhalten?
- 10 Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- 11 Das vorliegende Urteil
Zum vorliegenden Urteil Az.: 13 S 88/23 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Landgericht Saarbrücken
- Datum: 20.06.2024
- Aktenzeichen: 13 S 88/23
- Verfahren: Berufungsverfahren
- Rechtsbereiche: Verkehrsrecht, Schadensersatzrecht
- Das Problem: Nach einem Auffahrunfall stritten sich der Geschädigte und die Kfz-Versicherung über die Höhe des Schadensersatzes. Die Versicherung wollte nur den geringeren Wiederbeschaffungsaufwand zahlen. Der Kläger forderte die vollständigen fiktiven Reparaturkosten.
- Die Rechtsfrage: Muss die Versicherung die kompletten geschätzten Reparaturkosten bezahlen, wenn das Fahrzeug zwar alt ist, aber nach dem Unfall wieder verkehrssicher gemacht und weiter genutzt wird?
- Die Antwort: Ja. Das Gericht sprach dem Kläger die vollen geforderten fiktiven Reparaturkosten zu. Der Nachweis der Wiederherstellung der Verkehrssicherheit, bestätigt durch ein gerichtliches Gutachten und bestandenen TÜV, war ausreichend.
- Die Bedeutung: Geschädigte können die vollen fiktiven Reparaturkosten abrechnen, auch wenn sie nur provisorisch reparieren. Eine erfolgreiche Hauptuntersuchung ist ein starker Beweis dafür, dass die notwendige Verkehrssicherheit wiederhergestellt wurde.
Wann zahlt die Versicherung fiktive Reparaturkosten?
Es ist der klassische Albtraum an der Ampel, der sich am 28. Juli 2021 in Saarbrücken abspielte und schließlich vor dem Landgericht landete. Ein Autofahrer stand mit seinem Pkw hinter einem Lkw. Als die Ampel auf Grün sprang und der Lkw zunächst anfuhr, stoppte er plötzlich und rollte – so die Überzeugung des Gerichts – rückwärts auf den stehenden Wagen auf. Der Blechschaden war da, doch der eigentliche Konflikt entzündete sich an den Zahlen.

Der Gutachter kalkulierte die Netto-Reparaturkosten auf exakt 3.101,68 Euro. Der Wiederbeschaffungswert, also der Preis für ein vergleichbares Auto, lag bei 3.900,00 Euro. Zieht man davon den Restwert des Unfallwagens (ca. 2.400 Euro) ab, verblieb ein reiner Wiederbeschaffungsaufwand von rund 1.400 Euro. Hier prallten zwei Welten aufeinander: Der geschädigte Autofahrer wollte die fiktiven Reparaturkosten von über 3.000 Euro erstattet bekommen, ohne eine Werkstattrechnung vorzulegen. Die Versicherung der Gegenseite hingegen wollte nur die Differenz zum Totalschaden zahlen, also die rund 1.400 Euro. Es ging um die Frage, ob eine provisorische Eigenreparatur und eine frische TÜV-Plakette ausreichen, um der Versicherung mehr Geld zu entlocken, als diese freiwillig zahlen will.
Wie hoch darf die fiktive Abrechnung sein?
Um diesen Streit zu verstehen, muss man tief in das Schadensrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches (§ 249 BGB) eintauchen. Grundsätzlich gilt: Wer ein Auto beschädigt, muss den Zustand wiederherstellen, der ohne den Unfall bestünde. Der Geschädigte hat dabei die Wahl, ob er das Auto reparieren lässt oder sich den dafür nötigen Geldbetrag auszahlen lässt – die sogenannte Fiktive Abrechnung.
Doch der Bundesgerichtshof (BGH) hat hierfür ein komplexes Stufenmodell entwickelt, um Bereicherung zu verhindern. Der vorliegende Fall betraf die sogenannte „Stufe 2“. Diese greift, wenn die Reparaturkosten zwar höher sind als der reine Wiederbeschaffungsaufwand (Differenz zwischen Fahrzeugwert und Restwert), aber noch unter dem Wiederbeschaffungswert liegen. In dieser Konstellation darf der Geschädigte die höheren Reparaturkosten nur dann fiktiv abrechnen, wenn er ein besonderes „Integritätsinteresse“ nachweist. Das bedeutet vereinfacht gesagt: Er muss beweisen, dass ihm genau dieses Auto wichtig ist und er es nicht nur billig abstoßen will. Normalerweise gelingt dieser Nachweis, indem man das Auto sechs Monate weiterfährt und verkehrssicher repariert. Doch was genau „verkehrssicher repariert“ bedeutet, wenn man keine Werkstattrechnung hat, war der Kern dieses Rechtsstreits vor dem Landgericht Saarbrücken (Az. 13 S 88/23).
Reicht der TÜV als Nachweis der Reparatur?
Die 13. Zivilkammer des Landgerichts Saarbrücken musste am 20. Juni 2024 entscheiden, ob der Autofahrer Anspruch auf die vollen Netto-Reparaturkosten in Höhe von 3.101,68 Euro sowie restliche Sachverständigenkosten hatte. Die Versicherung hatte bereits einen Teilbetrag auf Basis des Totalschadens gezahlt, weigerte sich aber, die Differenz von 2.824,29 Euro zu begleichen. Ihre Argumentation stützte sich darauf, dass der Kläger keine detaillierten Rechnungen über Ersatzteile oder Werkstattarbeiten vorgelegt hatte.
Muss man Werkstattrechnungen vorlegen?
Die Versicherung berief sich auf eine strenge Rechtsprechung, wonach bei Eigenreparaturen oft Belege für Ersatzteilkäufe gefordert werden, um „Schrottreparaturen“ auszuschließen. Das Landgericht folgte dieser Argumentation jedoch nicht. Es stellte klar, dass Rechnungen nicht der einzige Weg sind, um eine fachgerechte Instandsetzung zu beweisen. Der entscheidende Punkt ist nicht, wer geschraubt hat oder wie teuer die Teile waren, sondern ob das Ergebnis verkehrssicher ist. Im konkreten Fall war das Fahrzeug nämlich während des laufenden Prozesses für eine Begutachtung verfügbar. Ein Gerichtssachverständiger hatte das Auto untersucht und festgestellt, dass der Scheinwerfer zwar nur provisorisch befestigt war und dies handwerklich keine „befriedigende“ Reparatur darstellte, das Fahrzeug aber dennoch technisch nicht als verkehrsunsicher einzustufen war.
Beweist eine neue Plakette die Verkehrssicherheit?
Das stärkste Argument lieferte der Kläger jedoch mit einem amtlichen Dokument. Er legte vor, dass das Fahrzeug am 26. Juli 2023 – also lange nach dem Unfall – die Hauptuntersuchung (HU) ohne Beanstandungen bestanden hatte. Das Gericht wertete dies als den entscheidenden „Game Changer“. Wenn ein amtlich anerkannter Prüfer dem Fahrzeug die Plakette zuteilt und damit die Verkehrssicherheit bescheinigt, und zusätzlich der Gerichtsgutachter bestätigt, dass keine Gefahr vom Fahrzeug ausgeht, ist das Integritätsinteresse des Geschädigten ausreichend belegt. Damit war der Nachweis erbracht, dass das Auto nicht nur als Wrack weiterverkauft, sondern tatsächlich weitergenutzt und in einen sicheren Zustand versetzt wurde.
Darf die Reparatur provisorisch sein?
Ein weiterer interessanter Aspekt des Urteils ist der Umgang mit der Qualität der Reparatur. Die Versicherung monierte, dass die Reparatur teilweise nur behelfsmäßig ausgeführt wurde. Das Gericht stellte jedoch klar, dass es für die fiktive Abrechnung in dieser Preisklasse („Stufe 2“) nicht darauf ankommt, ob das Auto optisch wie neu aussieht oder ob jeder Handgriff nach Herstellervorgabe erfolgte. Entscheidend ist einzig und allein die Wiederherstellung der Verkehrssicherheit nach § 249 Abs. 2 BGB. Da der Kläger das Auto behalten und verkehrssicher gemacht hatte, stand ihm der volle Betrag der geschätzten Reparaturkosten zu, solange dieser den Wiederbeschaffungswert nicht überstieg.
Welche Reparaturbelege verlangt die Versicherung?
Das Urteil des Landgerichts Saarbrücken stärkt die Position von Geschädigten, die ihr Auto nach einem Unfall in Eigenregie reparieren. Es stellt klar, dass für die Auszahlung der fiktiven Reparaturkosten (bis zur Höhe des Wiederbeschaffungswertes) keine lückenlose Dokumentation von Ersatzteilkäufen oder Werkstattrechnungen zwingend erforderlich ist.
Wenn das Fahrzeug einem Sachverständigen vorgeführt werden kann und dieser – oder eine erfolgreiche Hauptuntersuchung (TÜV) – bestätigt, dass die Verkehrssicherheit wiederhergestellt ist, gilt das Integritätsinteresse als nachgewiesen. Die Versicherung muss dann die im Gutachten kalkulierten Netto-Reparaturkosten zahlen, auch wenn die tatsächliche Reparatur günstiger oder provisorischer Natur war. Im vorliegenden Fall musste die Versicherung somit nicht nur die restlichen 2.824,29 Euro Schadenersatz leisten, sondern auch die vorgerichtlichen Anwaltskosten des Klägers in Höhe von 367,23 Euro sowie die Zinsen tragen. Eine Revision zum Bundesgerichtshof wurde nicht zugelassen.
Die Urteilslogik
Geschädigte sichern den Anspruch auf volle Nettoreparaturkosten auch ohne Werkstattrechnung, sobald sie ihr Integritätsinteresse am Fahrzeug hinreichend belegen.
- Integritätsinteresse rechtfertigt höhere Kosten: Geschädigte dürfen Reparaturkosten fiktiv abrechnen, die den reinen Wiederbeschaffungsaufwand übersteigen, sofern sie ihr besonderes Interesse am Erhalt des beschädigten Fahrzeugs nachweisen.
- Nachweis der Verkehrssicherheit entbindet von Rechnungen: Für die Auszahlung fiktiver Kosten entfällt die Pflicht, detaillierte Ersatzteilbelege oder Werkstattrechnungen vorzulegen, wenn der Nachweis der Verkehrssicherheit auf anderem Wege erbracht wird.
- Amtliche Prüfung bestätigt Reparaturpflicht: Eine erfolgreich bestandene Hauptuntersuchung (TÜV) gilt als ausreichender Beweis, dass der Geschädigte die erforderlichen Maßnahmen zur Wiederherstellung der Verkehrssicherheit getroffen hat, selbst wenn die Reparatur nur provisorisch erfolgte.
Das Gesetz schützt die Entscheidungsfreiheit des Geschädigten, indem es die Wiederherstellung der Verkehrssicherheit höher bewertet als die formelle Dokumentation der Instandsetzung.
Benötigen Sie Hilfe?
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Experten Kommentar
Wer nach einem Unfall sein Auto liebgewonnen hat, steht schnell vor dem Dilemma, wie er die notwendige „Integritätsinteresse“ beweist, um die vollen fiktiven Reparaturkosten zu bekommen. Dieses Urteil liefert Geschädigten eine klare rote Linie: Der amtliche Nachweis der Verkehrssicherheit zählt mehr als penibel gesammelte Werkstattrechnungen. Konkret bedeutet das, dass eine erfolgreich bestandene Hauptuntersuchung den entscheidenden Beleg dafür liefert, dass das Fahrzeug weitergenutzt wird. Die Versicherung kann sich dann nicht mehr darauf berufen, dass die Eigenreparatur provisorisch oder nicht „fachgerecht“ war, solange die Sicherheit gewährleistet ist. Das schafft erheblichen Spielraum für Autofahrer, die ihre Schäden selbst günstig beheben und trotzdem den vollen Schadenersatzanspruch geltend machen wollen.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Wann bekomme ich die vollen fiktiven Reparaturkosten, wenn mein Auto alt ist?
Sie erhalten die vollen fiktiven Netto-Reparaturkosten, auch wenn Ihr älteres Auto fast ein wirtschaftlicher Totalschaden ist, solange Sie ein besonderes Integritätsinteresse nachweisen. Dies gelingt, wenn die Reparaturkosten den Wiederbeschaffungswert nicht übersteigen. Sie müssen das beschädigte Fahrzeug verkehrssicher instand setzen und es danach mindestens sechs Monate weiter nutzen.
Entscheidend ist, dass Ihr Schadenfall in die sogenannte Stufe 2 des BGH-Modells fällt. Das bedeutet, die geschätzten Reparaturkosten müssen höher sein als der reine Wiederbeschaffungsaufwand, aber die Obergrenze des Wiederbeschaffungswerts noch nicht erreichen. Wenn diese Konstellation zutrifft, erkennt die Versicherung die höhere Auszahlung an. Sie honoriert damit Ihr persönliches Interesse, an Ihrem vertrauten Wagen festzuhalten, anstatt ihn abzustoßen.
Um dieses Integritätsinteresse zu belegen, müssen Sie das Fahrzeug instand setzen lassen oder selbst reparieren. Die wichtigste Anforderung lautet: Sie müssen das reparierte Auto nachweislich über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten nach dem Unfall weiterfahren. Zusätzlich muss die Wiederherstellung der Verkehrssicherheit des Wagens belegt werden, idealerweise durch eine erfolgreiche Hauptuntersuchung (TÜV).
Führen Sie sofort einen Abgleich der drei Schlüsselwerte (Netto-Reparaturkosten, Wiederbeschaffungswert und Restwert) aus Ihrem Gutachten durch, um Ihre Anspruchsgrundlage zu prüfen.
Muss ich der Versicherung Rechnungen vorlegen, wenn ich meinen Unfallschaden selbst repariere?
Nein, Sie müssen der Versicherung nicht zwingend detaillierte Werkstatt- oder Ersatzteilrechnungen vorlegen, wenn Sie sich für die fiktive Abrechnung entscheiden und die Reparatur in Eigenregie durchführen. Für die Schadenregulierung ist nicht primär entscheidend, wie viel Geld Sie tatsächlich ausgegeben haben. Wichtiger ist der objektive Nachweis, dass das Fahrzeug nach dem Unfall wieder verkehrssicher ist. Das Landgericht Saarbrücken bestätigte diese Sichtweise, indem es feststellte, dass Rechnungen nicht der einzige Beweisweg für eine fachgerechte Instandsetzung sind.
Versicherer fordern Kaufbelege, um auszuschließen, dass Sie das Fahrzeug nur unzureichend reparieren, um die Differenz zu kassieren. Dieser juristischen Argumentation müssen Sie nicht folgen. Die rechtliche Grundlage (§ 249 Abs. 2 BGB) konzentriert sich darauf, den Zustand vor dem Schaden wiederherzustellen. Der entscheidende Punkt ist daher der Nachweis der Wiederherstellung der Verkehrssicherheit, selbst wenn die Reparatur optisch provisorisch erfolgte oder Sie gebrauchte Teile nutzten.
Nehmen wir an, Sie reparieren den Wagen mit Teilen aus dem Zubehörhandel. Fehlen Ihnen die Originalbelege, können Sie diese Lücke durch amtliche Dokumente schließen. Eine erfolgreich bestandene Hauptuntersuchung (TÜV oder Dekra) bescheinigt die Wiederherstellung der Sicherheit und belegt Ihr Integritätsinteresse am Erhalt des Fahrzeugs. Eine aktuelle TÜV-Plakette kann somit die Forderungen der Versicherung nach Rechnungen entkräften.
Notieren Sie alle selbst durchgeführten Arbeiten detailliert nach Datum und Uhrzeit und speichern Sie alle Kaufbelege für sicherheitsrelevante Ersatzteile.
Reicht eine bestandene TÜV-Prüfung als Nachweis für eine verkehrssichere Reparatur aus?
Ja, eine erfolgreich bestandene Hauptuntersuchung (HU/TÜV) ist der stärkste Beweis, den Sie der Versicherung vorlegen können. Dieses amtliche Dokument bestätigt die Wiederherstellung der Verkehrssicherheit Ihres Fahrzeugs nach dem Unfall. Die frische Plakette ist juristisch ein entscheidender Vorteil, denn sie belegt objektiv Ihr Integritätsinteresse am Fahrzeug.
Versicherungen fordern oft detaillierte Rechnungen oder Belege, um eine unzureichende Instandsetzung oder eine sogenannte „Schrottreparatur“ auszuschließen. Der amtliche TÜV-Bericht übertrumpft diese Forderung jedoch wirkungsvoll. Er widerlegt die Argumentation der Versicherung, dass die Reparatur unzureichend war, da ein anerkannter Prüfer die Fahrtüchtigkeit des Wagens bestätigt hat. Die Plakette stellt klar, dass von Ihrem Auto keine Gefahr mehr ausgeht, unabhängig von der gewählten Reparaturmethode.
Gerichte betrachten die neue Prüfplakette als einen „Game Changer“ bei der fiktiven Abrechnung. Dadurch weisen Sie nach, dass Sie das Auto tatsächlich weitergenutzt und verkehrssicher instand gesetzt haben. Dieser Nachweis sichert Ihnen den vollen Anspruch auf die Netto-Reparaturkosten, selbst wenn Sie die Instandsetzung provisorisch oder mithilfe von Gebrauchtteilen durchgeführt haben. Die Plakette belegt die Einhaltung der gesetzlichen Anforderung an die Verkehrssicherheit.
Lassen Sie das Fahrzeug umgehend nach Abschluss der Reparatur von einem amtlich anerkannten Sachverständigen begutachten und reichen Sie das Prüfprotokoll sofort bei der Versicherung ein.
Was tun, wenn die Versicherung meine provisorische Eigenreparatur nicht akzeptiert?
Die Ablehnung Ihrer Ansprüche aufgrund mangelnder handwerklicher Perfektion ist juristisch nicht haltbar. Für die fiktive Abrechnung sind ästhetische Mängel oder provisorische Befestigungen unerheblich. Entscheidend ist einzig und allein die Wiederherstellung der Verkehrssicherheit des Fahrzeugs. Die Versicherung kann die Zahlung nicht verweigern, solange das Auto fahrtüchtig und sicher ist.
Ihr Anspruch auf Schadenersatz basiert auf § 249 Absatz 2 BGB. Dieses Gesetz verlangt die Wiederherstellung des Zustands vor dem Unfall. Bei der fiktiven Abrechnung muss das beschädigte Fahrzeug lediglich in einen sicheren Zustand versetzt werden. Dies bedeutet nicht, dass Sie Originalteile verwenden oder nach Herstellervorgaben reparieren müssen. Die Monierung, die Reparatur sei „handwerklich keine befriedigende Reparatur,“ sollten Sie daher energisch zurückweisen und auf die rechtliche Grundlage verweisen.
Das Landgericht Saarbrücken (Az. 13 S 88/23) stärkt die Position von Geschädigten. Das Gericht stellte fest, dass selbst ein nur provisorisch befestigter Scheinwerfer die Auszahlung der Reparaturkosten nicht verhindert, solange keine Gefahr vom Fahrzeug ausgeht. Das Ziel ist lediglich die sichere Weiternutzung, nicht der Neuzustand. Wenn Sie die Verkehrssicherheit durch eine bestandene Hauptuntersuchung oder ein Sachverständigengutachten nachweisen, muss die Versicherung die fiktiven Kosten auszahlen.
Fordern Sie die Versicherung schriftlich zur Zahlung auf und berufen Sie sich dabei ausdrücklich auf das Urteil des LG Saarbrücken, um Ihren Anspruch juristisch durchzusetzen.
Wie weise ich mein Integritätsinteresse nach, um mehr Geld als den Wiederbeschaffungsaufwand zu erhalten?
Das Integritätsinteresse ist der Schlüssel, um die vollen fiktiven Reparaturkosten abzurechnen, auch wenn diese den Wiederbeschaffungsaufwand übersteigen. Diesen besonderen Anspruch belegen Sie durch eine Kombination aus langfristiger Nutzung und dem Nachweis der Verkehrssicherheit. Nur so kontern Sie erfolgreich die Argumentation der Versicherung, nur den niedrigeren Totalschadenbetrag zu zahlen, wenn die Reparaturkosten noch unter dem Wiederbeschaffungswert liegen.
Die Gerichte fordern diesen Nachweis, um zu verhindern, dass Geschädigte das Geld kassieren und den Unfallwagen sofort billig weiterverkaufen. Sie müssen beweisen, dass Sie eine ernsthafte Reparaturbereitschaft besitzen und das Auto nicht nur abstoßen möchten. Das zentrale Element ist die lückenlose Weiternutzung des instand gesetzten Fahrzeugs über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten nach der erfolgten Instandsetzung. Wer das Auto innerhalb dieser Frist verkauft oder stilllegt, verliert den Anspruch auf die höheren Reparaturkosten.
Neben der zeitlichen Nutzung müssen Sie die Wiederherstellung der Verkehrssicherheit objektiv belegen. Der stärkste Beweis hierfür ist eine erfolgreich bestandene Hauptuntersuchung (HU/TÜV), die Sie nach der Reparatur durchführen lassen. Dieses amtliche Dokument bescheinigt die Wiederherstellung der Verkehrssicherheit und widerlegt die oft gehörte Behauptung einer unzureichenden „Schrottreparatur“. Achten Sie unbedingt darauf, dass Ihre fiktiven Reparaturkosten den Wiederbeschaffungswert des Wagens nicht überschreiten.
Beginnen Sie sofort mit der Dokumentation der durchgehenden Nutzung, indem Sie Belege wie Tankquittungen oder Mautbelege über den sechsmonatigen Zeitraum sammeln.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Fiktive Abrechnung
Juristen nennen das fiktive Abrechnen die Methode, bei der ein Geschädigter den erforderlichen Geldbetrag für die Reparatur von der Versicherung verlangt, ohne tatsächlich eine Werkstattrechnung vorzulegen. Das Gesetz (§ 249 BGB) gibt dem Geschädigten das Wahlrecht, ob er das Auto reparieren lässt oder sich das Geld auszahlen lässt; dies dient der schnellen Schadenregulierung und der Wahrung der Dispositionsfreiheit.
Beispiel: Obwohl der Kläger seinen Wagen in Eigenregie instand setzte, wählte er die fiktive Abrechnung, um die im Gutachten kalkulierten Netto-Reparaturkosten von 3.101,68 Euro zu erhalten.
Integritätsinteresse
Das Integritätsinteresse beschreibt das besondere, schützenswerte persönliche Interesse eines Geschädigten, sein verunfalltes Fahrzeug trotz hoher Reparaturkosten zu behalten und weiterzunutzen. Dieser Nachweis ist notwendig, um bei bestimmten Konstellationen des Totalschadens (BGH-Stufe 2) zu verhindern, dass der Geschädigte die Reparaturkosten kassiert, das Auto als Wrack abstößt und sich damit ungerechtfertigt bereichert.
Beispiel: Der Kläger wies sein Integritätsinteresse nach, indem er das reparierte Fahrzeug nach dem Unfall für über sechs Monate behielt und mithilfe der neuen TÜV-Plakette dessen Verkehrssicherheit belegte.
Restwert
Beim Restwert handelt es sich um den Verkaufserlös, den der geschädigte Pkw im unreparierten Zustand am regionalen Markt für einen angemessenen Zeitraum noch erzielen könnte. Der Restwert ist eine zentrale Kennziffer bei einem Totalschaden, da er vom Wiederbeschaffungswert abgezogen wird, um den tatsächlich zu ersetzenden Schaden zu berechnen.
Beispiel: Im Fall Saarbrücken lag der ermittelte Restwert des Unfallwagens bei 2.400 Euro, weshalb die gegnerische Versicherung diesen Betrag vom Wiederbeschaffungswert abziehen wollte.
Verkehrssicherheit
Die Verkehrssicherheit eines Fahrzeugs ist die juristische Mindestanforderung, die besagt, dass das Auto nach einer Reparatur keine Gefahr für Insassen oder andere Verkehrsteilnehmer darstellen darf. Dieses Kriterium ist entscheidend, besonders bei provisorischen Eigenreparaturen, da Gerichte nur dann die Auszahlung fiktiver Kosten oberhalb des Wiederbeschaffungsaufwands erlauben, wenn die sichere Weiternutzung nachgewiesen ist.
Beispiel: Das Landgericht Saarbrücken akzeptierte die provisorische Reparatur des Scheinwerfers, da die erfolgreich bestandene Hauptuntersuchung die Wiederherstellung der Verkehrssicherheit eindeutig bewiesen hatte.
Wiederbeschaffungsaufwand
Der Wiederbeschaffungsaufwand ist die rechnerisch ermittelte Summe, die ein Geschädigter tatsächlich aufbringen muss, um ein gleichwertiges Ersatzfahrzeug zu erwerben. Um den Wiederbeschaffungsaufwand zu ermitteln, ziehen Sachverständige den Restwert des verunfallten Autos vom Wiederbeschaffungswert ab; er stellt den kleinstmöglichen Schadenersatzbetrag dar, wenn es zum wirtschaftlichen Totalschaden kommt.
Beispiel: Die Versicherung argumentierte, dass sie nur den reinen Wiederbeschaffungsaufwand von rund 1.400 Euro zahlen müsse, weil dieser Wert deutlich geringer war als die geltend gemachten Netto-Reparaturkosten.
Wiederbeschaffungswert
Der Wiederbeschaffungswert ist der Betrag, den der Geschädigte im Moment des Unfalls hätte aufwenden müssen, um ein gleichwertiges, unfallfreies Fahrzeug zu kaufen. Dieser Wert dient als Obergrenze des Schadenersatzes im deutschen Schadenrecht, da die Versicherung nicht mehr zahlen muss, als das Fahrzeug vor dem Unfall wert war.
Beispiel: Da die fiktiven Reparaturkosten von 3.101,68 Euro unter dem Wiederbeschaffungswert von 3.900,00 Euro lagen, konnte der Kläger die höhere Summe verlangen, sofern er sein Integritätsinteresse nachwies.
Das vorliegende Urteil
LG Saarbrücken – Az.: 13 S 88/23 – Urteil vom 20.06.2024
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