Übersicht
- 1 Das Wichtigste in Kürze
- 2 Der Fall vor Gericht
- 2.1 Wer muss für einen Millionenschaden an einem Neubau geradestehen?
- 2.2 Warum konnten die Kläger die drei Firmen nicht einfach verklagen?
- 2.3 Welchen Ausweg sahen die Kläger aus diesem juristischen Dilemma?
- 2.4 Warum lehnte das Gericht den Antrag ab, obwohl alle Beteiligten einverstanden waren?
- 2.5 Wie begründete das Gericht, dass es bereits einen zuständigen Ort gab?
- 2.6 Was bedeutet die Entscheidung für die klagenden Parteien?
- 3 Die Schlüsselerkenntnisse
- 4 Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- 4.1 Welche Bedeutung hat der Ort der Leistungserbringung für die gerichtliche Zuständigkeit in Vertragsstreitigkeiten?
- 4.2 Unter welchen Umständen kann ein Gericht die Zuständigkeit für einen Rechtsstreit bestimmen?
- 4.3 Wie wird die gerichtliche Zuständigkeit bestimmt, wenn mehrere Personen an einem Schaden beteiligt sind?
- 4.4 Warum ist es entscheidend, den korrekten Gerichtsstand vor einer Klage sorgfältig zu prüfen?
- 4.5 Gilt der Gerichtsstand des Erfüllungsortes auch für gesetzliche Ansprüche, die aus einem Vertrag hervorgehen?
- 5 Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- 6 Wichtige Rechtsgrundlagen
- 7 Das vorliegende Urteil
Urteil Az.: 102 AR 55/25 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Zum vorliegendenDas Wichtigste in Kürze
- Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
- Datum: 23.06.2025
- Aktenzeichen: 102 AR 55/25
- Verfahren: Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Gerichts
- Rechtsbereiche: Zivilprozessrecht (Gerichtszuständigkeit), Baurecht (Mängelhaftung), Schuldrecht (Gesamtschuldnerausgleich)
Beteiligte Parteien:
- Kläger: Ein Versicherungsunternehmen und ein Architekturbüro. Sie wollten mehrere Bauunternehmen wegen Mängeln an einem Bauprojekt verklagen und beantragten, das Landgericht Augsburg als zuständiges Gericht festlegen zu lassen.
- Beklagte: Drei Bauunternehmen, die am Bauprojekt beteiligt waren. Sie stimmten dem Landgericht Augsburg als zuständigem Gericht zu.
Worum ging es genau?
- Sachverhalt: Klägerinnen wollen drei Bauunternehmen wegen Mängeln an einem Bauprojekt verklagen. Eine Klägerin wurde bereits vom Bauherrn wegen Mängeln zur Zahlung verurteilt. Die Klägerinnen beantragten die gerichtliche Festlegung eines zuständigen Gerichts.
Welche Rechtsfrage war entscheidend?
- Kernfrage: Muss ein Gericht festlegen, welches Gericht für eine Klage zuständig ist, wenn mehrere Baufirmen verklagt werden, die ihren Sitz an verschiedenen Orten haben, aber alle am selben Bauvorhaben beteiligt waren?
Wie hat das Gericht entschieden?
- Antrag zurückgewiesen: Das Gericht hat den Antrag der Klägerinnen abgelehnt, ein bestimmtes Gericht als zuständig festzulegen.
- Kernaussagen der Begründung:
- Ein Gericht muss nur dann ein zuständiges Gericht bestimmen, wenn es keinen einzigen Ort gibt, an dem alle Beklagten gemeinsam verklagt werden können.
- Für Klagen wegen Baumängeln ist der Ort des Bauvorhabens (hier Augsburg) in der Regel der gemeinsame zuständige Gerichtsstand, auch wenn es um Ausgleichsansprüche zwischen den beteiligten Baufirmen geht.
- Daher konnten die Klägerinnen die Beklagten direkt am Landgericht Augsburg verklagen, ohne dass eine Gerichtsstandsbestimmung notwendig war.
- Folgen für die Beklagte:
- Die Beklagten können nun vor dem Landgericht Augsburg verklagt werden, was sie selbst bevorzugten.
Der Fall vor Gericht
Wer muss für einen Millionenschaden an einem Neubau geradestehen?
Die Geschichte beginnt mit einem Desaster. Nach der Fertigstellung eines aufwendigen Bauvorhabens in Augsburg – dem „Umbau und Erweiterung der …“ – traten gravierende Mängel zutage. Für das verantwortliche Architekturbüro hatte dies bittere Folgen: Es wurde von seinem Auftraggeber, dem Bauherrn, verklagt und Rechtskräftig zur Zahlung von über 1,7 Millionen Euro Schadensersatz verurteilt. Doch das Architekturbüro war überzeugt, nicht allein die Verantwortung zu tragen. Es hatte für Teilleistungen andere Firmen beauftragt: ein weiteres Architekturbüro für die Bauüberwachung, eine Firma für den Einbau der Fenster und ein drittes Unternehmen für die Fassadenkonstruktion.

Gemeinsam mit seiner Berufshaftpflichtversicherung, die einen Teil des Schadens bereits beglichen hatte, wollte das Architekturbüro diese drei Firmen nun zur Rechenschaft ziehen. Sie sollten sich an den Kosten beteiligen, da ihre Fehler nach Ansicht der Kläger ursächlich für die Mängel waren. Der Plan war, alle drei in einem einzigen Prozess zu verklagen. Doch hier stießen sie auf ein unerwartetes juristisches Hindernis, das den Fall vor das Bayerische Oberste Landesgericht brachte, bevor die eigentliche Klage überhaupt eingereicht war.
Warum konnten die Kläger die drei Firmen nicht einfach verklagen?
Das Problem lag in den Grundregeln der deutschen Zivilprozessordnung. Grundsätzlich muss eine Klage bei dem Gericht eingereicht werden, das für den Beklagten zuständig ist. Dies ist in der Regel der sogenannte allgemeine Gerichtsstand, also das Gericht am Wohn- oder Firmensitz des Beklagten.
Hier waren aber drei Firmen die Zielscheibe der Klage. Das unterbeauftragte Architekturbüro hatte seinen Sitz in Augsburg. Die beiden anderen Firmen, der Fensterbauer und das Fassadenbauunternehmen, waren jedoch in anderen Gerichtsbezirken ansässig. Eine einfache Klage am Heimatgericht des einen wäre für die beiden anderen unzuständig gewesen. Mehrere getrennte Prozesse wollte man aus Kostengründen und wegen der Gefahr widersprüchlicher Urteile unbedingt vermeiden. Die Kläger standen vor einem Dilemma: Es schien keinen einzigen Ort zu geben, an dem sie alle drei Beklagten gemeinsam rechtmäßig verklagen konnten.
Welchen Ausweg sahen die Kläger aus diesem juristischen Dilemma?
Für genau solche Fälle sieht das Gesetz einen Rettungsanker vor: den Antrag auf Bestimmung des zuständigen Gerichts nach § 36 der Zivilprozessordnung. Dies ist eine Art juristischer Joker. Wenn mehrere Personen verklagt werden sollen, die an unterschiedlichen Orten zu Hause sind, und es keinen gemeinsamen Gerichtsstand gibt, kann ein übergeordnetes Gericht angerufen werden. Dieses bestimmt dann, welches Gericht den Fall verhandeln soll.
Genau das taten das Architekturbüro und seine Versicherung. Sie stellten beim Oberlandesgericht München einen Antrag, das Landgericht Augsburg als zuständiges Gericht für ihre Klage festzulegen. Ihre Argumente waren naheliegend und pragmatisch:
- Das Bauvorhaben selbst befindet sich in Augsburg.
- Das Landgericht Augsburg war bereits intensiv mit dem Fall befasst, da dort die Vorprozesse zwischen dem Bauherrn und dem Architekturbüro stattgefunden hatten.
- Eine Verhandlung in Augsburg wäre für die Beweisaufnahme, etwa durch eine Besichtigung des Gebäudes, am einfachsten.
Zur Überraschung aller Beteiligten schien der Plan aufzugehen. Alle drei zukünftigen Beklagten stimmten dem Antrag zu. Sie erklärten sich ausdrücklich damit einverstanden, in Augsburg verklagt zu werden. Der Fall schien klar: Alle Parteien wollten den Prozess in Augsburg führen. Doch das Verfahren landete zur endgültigen Entscheidung beim Bayerischen Obersten Landesgericht – und dieses sah die Sache völlig anders.
Warum lehnte das Gericht den Antrag ab, obwohl alle Beteiligten einverstanden waren?
Die Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts war ein juristischer Paukenschlag: Der Antrag wurde zurückgewiesen. Das Gericht bestimmte keinen Gerichtsstand, weil es dazu keinen Anlass sah. Diese auf den ersten Blick widersinnige Entscheidung folgte einer glasklaren Logik.
Die Richter stellten klar, dass ein Antrag auf Gerichtsstandsbestimmung nur dann notwendig und zulässig ist, wenn eine echte Lücke besteht – also wenn es nach dem Gesetz tatsächlich keinen gemeinsamen Ort gibt, an dem alle Beklagten verklagt werden können. Die Bestimmung durch ein höheres Gericht ist die absolute Ausnahme, nicht die Regel. Der Zweck dieses Verfahrens ist es, ein Problem zu lösen. Gibt es aber gar kein Problem, weil bereits ein zuständiges Gericht existiert, läuft der Antrag ins Leere.
Das Gericht argumentierte, dass die Kläger und auch die Beklagten einen entscheidenden Punkt übersehen hatten: Es gab bereits einen gemeinsamen Gerichtsstand für alle drei Firmen in Augsburg. Der Antrag war somit schlicht überflüssig.
Wie begründete das Gericht, dass es bereits einen zuständigen Ort gab?
Die Richter stützten ihre gesamte Argumentation auf eine zentrale Vorschrift: den besonderen Gerichtsstand des Erfüllungsortes (§ 29 ZPO). Diese Regel besagt, dass für Streitigkeiten aus einem Vertrag auch das Gericht an dem Ort zuständig ist, an dem die streitige Verpflichtung zu erfüllen war.
Ein Alltagsvergleich veranschaulicht dies: Wer einen Handwerker bestellt, um in seiner Münchner Wohnung das Bad zu fliesen, kann ihn bei Mängeln vor dem Gericht in München verklagen – selbst wenn der Handwerker seine Firma in Hamburg hat. Der Erfüllungsort seiner Arbeit war die Wohnung in München.
Bei Bauverträgen, so das Gericht, ist dieser Erfüllungsort praktisch immer der Ort des Bauwerks. Dort werden die Leistungen erbracht, dort werden sie abgenommen und dort müssen Mängel beseitigt werden. Für die Klagen des Bauherrn gegen den Fensterbauer und den Fassadenbauer wäre der Gerichtsstand des Erfüllungsortes also zweifellos Augsburg gewesen. Doch hier lag der juristische Knackpunkt des Falles.
Warum gilt der Ort des Bauwerks auch für den Streit unter den Baufirmen?
Die Kläger waren ja nicht der Bauherr. Sie klagten als Haupt-Architekturbüro gegen ihre Subunternehmer. Ihre Ansprüche stützten sie unter anderem auf den sogenannten Gesamtschuldnerausgleich. Dieses Rechtsinstitut regelt, wie sich mehrere Schädiger die Last teilen. Wenn mehrere für denselben Schaden haften, kann der Geschädigte sich einen von ihnen aussuchen und die volle Summe fordern. Dieser eine muss dann intern bei den anderen Mitschuldnern anteilig Rückzahlung verlangen.
Dieser interne Ausgleich ist aber kein direkter vertraglicher Anspruch, sondern ein gesetzlicher. Die Kläger gingen daher davon aus, dass die Regel des Erfüllungsortes hier nicht anwendbar sei. Das Bayerische Oberste Landesgericht widersprach dem vehement.
Es führte aus, dass die Ansprüche zwar auf dem Gesetz basieren, ihre Wurzel aber untrennbar in den ursprünglichen Bauverträgen mit dem Bauherrn liegt. Alle drei Beklagten hatten sich vertraglich verpflichtet, am Bauvorhaben in Augsburg zu arbeiten. Sie mussten sich von vornherein darauf einstellen, wegen Mängeln an diesem spezifischen Ort belangt zu werden. Für sie macht es keinen wesentlichen Unterschied, ob die Klage vom Bauherrn direkt kommt oder von einem anderen beteiligten Unternehmen, das für den gemeinsamen Schaden bereits bezahlt hat.
Die Ortsbezogenheit ist in beiden Fällen dieselbe:
- Der Schwerpunkt der Leistung lag für alle in Augsburg.
- Eine Beweisaufnahme (z.B. durch Gutachter) ist am Ort des Bauwerks am einfachsten und kostengünstigsten.
- Es entspricht der prozessualen Gerechtigkeit, dass ein Unternehmen, das sich vom Bauherrn am Ort des Bauwerks verklagen lassen muss, seinerseits auch die anderen Verantwortlichen an ebendiesem Ort in Regress nehmen kann.
Was bedeutet die Entscheidung für die klagenden Parteien?
Das Gericht kam zu dem klaren Ergebnis: Da das Landgericht Augsburg aufgrund des Erfüllungsortes für alle drei Beklagten zuständig ist, fehlt die Grundvoraussetzung für eine gerichtliche Zuständigkeitsbestimmung. Der Antrag war somit unbegründet und musste zurückgewiesen werden.
Für das Architekturbüro und seine Versicherung war dies keine Niederlage, sondern vielmehr eine Belehrung. Das Gericht hatte ihnen nicht den Weg nach Augsburg versperrt, sondern ihnen aufgezeigt, dass die Tür dorthin bereits von Anfang an offenstand. Sie hatten einen komplizierten Umweg über einen Antrag versucht, obwohl der direkte Weg – die einfache Klageerhebung beim Landgericht Augsburg – die ganze Zeit verfügbar war. Sie können ihre Klage nun genau dort einreichen, wo sie es von Anfang an wollten, nur eben nicht aufgrund einer gerichtlichen Bestimmung, sondern weil das Gesetz es so vorsieht.
Die Schlüsselerkenntnisse
Die gerichtliche Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 ZPO greift nur dann ein, wenn das Gesetz tatsächlich keinen gemeinsamen Gerichtsstand für alle Beklagten vorsieht.
- Erfüllungsort bestimmt auch Regressansprüche: Der Gerichtsstand des Erfüllungsortes gilt nicht nur für direkte Vertragsstreitigkeiten, sondern auch für gesetzliche Ausgleichsansprüche zwischen Baubeteiligten, wenn diese auf denselben ursprünglichen Bauvertrag zurückgehen.
- Ortsbezug bleibt bei Gesamtschuldnerausgleich erhalten: Wer sich vertraglich verpflichtet hat, Bauleistungen an einem bestimmten Ort zu erbringen, muss dort auch von anderen Baubeteiligten wegen Regressansprüchen verklagt werden können – unabhängig davon, ob diese Ansprüche direkt aus dem Vertrag oder aus gesetzlichen Ausgleichsregeln stammen.
- Einverständnis aller Parteien heilt keine fehlende Zuständigkeitslücke: Selbst wenn alle Beteiligten zustimmen, kann ein übergeordnetes Gericht keine Zuständigkeit bestimmen, solange bereits ein gesetzlich zuständiges Gericht existiert.
Prozessuale Sonderwege erübrigen sich, wenn das reguläre Zuständigkeitsrecht bereits eine praktikable Lösung bereithält.
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Unsere Einordnung aus der Praxis
Ehrlich gesagt, Fälle wie dieser sind eine willkommene Klärung für alle, die in komplexen Bauprozessen stecken! Das Bayerische Oberste Landesgericht hat hier klargestellt: Egal ob Bauherr oder Subunternehmer, der Ort des Bauwerks ist die prozessuale Heimat für nahezu alle Streitigkeiten, auch wenn es um Regress untereinander geht. Das ist nicht nur eine enorme Vereinfachung für die Beweisführung, sondern erspart künftig manch umständlichen Umweg und sorgt für eine sinnvolle Bündelung komplexer Schadenersatzklagen. Für uns bedeutet das: Blick auf die Baustelle, nicht nur auf den Firmensitz!
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Welche Bedeutung hat der Ort der Leistungserbringung für die gerichtliche Zuständigkeit in Vertragsstreitigkeiten?
Der Ort, an dem eine vertraglich vereinbarte Leistung erbracht wurde oder werden sollte, ist für die gerichtliche Zuständigkeit in Vertragsstreitigkeiten sehr wichtig. Dieser Ort wird als „Erfüllungsort“ bezeichnet und schafft einen besonderen Gerichtsstand.
Stell dir vor, du beauftragst einen Handwerker aus einer weit entfernten Stadt, um dein Badezimmer in München zu fliesen. Wenn es später Probleme mit seiner Arbeit gibt, kannst du ihn wegen der Mängel vor dem Gericht in München verklagen. Der Erfüllungsort seiner Leistung war deine Wohnung in München, auch wenn seine Firma woanders sitzt.
Dieser besondere Gerichtsstand des Erfüllungsortes besteht neben dem allgemeinen Gerichtsstand, der sich normalerweise am Wohn- oder Firmensitz des verklagten Vertragspartners befindet. Der Grund dafür ist praktisch: Am Ort der Leistungserbringung lassen sich Beweise, wie zum Beispiel ein Bauwerk, am einfachsten begutachten. Auch Sachverständige oder beteiligte Parteien haben es leichter, dorthin zu gelangen.
Diese Regel sorgt dafür, dass rechtliche Auseinandersetzungen aus Verträgen dort behandelt werden können, wo der Sachverhalt am greifbarsten und die Beweisaufnahme am effizientesten ist.
Unter welchen Umständen kann ein Gericht die Zuständigkeit für einen Rechtsstreit bestimmen?
Ein Gericht kann die Zuständigkeit für einen Rechtsstreit nur in sehr seltenen Ausnahmefällen selbst bestimmen. Dies passiert ausschließlich dann, wenn es nach den gesetzlichen Regeln tatsächlich keinen einzigen zuständigen Gerichtsstand für den Fall gibt.
Stell dir vor, du hast ein Problem, für das es keine vorgegebene Lösung in deiner Anleitung gibt. Erst wenn alle Standardwege nicht zum Ziel führen, rufst du einen Spezialisten, der dann eine maßgeschneiderte Lösung für dich erfindet. Genauso verhält es sich mit der gerichtlichen Zuständigkeitsbestimmung: Sie ist der „Spezialist“, der nur bei einer echten „Lücke“ im Gesetz eingreift.
Dieser besondere Weg (§ 36 der Zivilprozessordnung) dient nicht dazu, ein bereits bestehendes zuständiges Gericht nach Belieben auszuwählen oder zu verlagern, nur weil es für die Beteiligten bequemer erscheint. Wie im Fall des Bauvorhabens in Augsburg deutlich wurde, lehnte das Gericht den Antrag ab, gerade weil bereits ein gemeinsamer Gerichtsstand – der Ort des Bauwerks – für alle Beteiligten existierte. Die Richter sahen keinen Anlass für eine Bestimmung, da kein Problem im Sinne einer fehlenden Zuständigkeit vorlag.
Dieses Verfahren stellt sicher, dass ein Rechtsstreit überhaupt geführt werden kann, wenn er sonst mangels gesetzlich bestimmter Zuständigkeit nicht vor Gericht gebracht werden könnte.
Wie wird die gerichtliche Zuständigkeit bestimmt, wenn mehrere Personen an einem Schaden beteiligt sind?
Wenn mehrere Personen an einem Schaden beteiligt sind, verklagt man sie grundsätzlich vor dem Gericht ihres eigenen Wohn- oder Firmensitzes. Möchte man alle gemeinsam vor Gericht ziehen, sucht man nach einem Gerichtsstand, der für alle passt.
Stellen Sie sich vor, Sie bestellen für Ihre Wohnung in München einen Fliesenleger aus Hamburg. Wenn seine Arbeit Mängel hat, verklagen Sie ihn in München, denn dort erbrachte er seine Leistung.
Normalerweise muss jeder Beteiligte am sogenannten allgemeinen Gerichtsstand, also seinem Wohn- oder Firmensitz, verklagt werden. Dies wird schwierig, wenn wie im Fall des Bauvorhabens in Augsburg die beteiligten Firmen an unterschiedlichen Orten ansässig sind und man alle in einem einzigen Prozess verklagen möchte, um Kosten und widersprüchliche Urteile zu vermeiden. Hier kann ein besonderer Gerichtsstand greifen, wie der des Erfüllungsortes. Bei Bauvorhaben ist dies fast immer der Ort, an dem das Gebäude steht und die Leistungen erbracht wurden. So können auch Firmen, die zwar in unterschiedlichen Städten ihren Sitz haben, gemeinsam am Ort des Bauwerks verklagt werden, selbst wenn es um interne Ausgleichsansprüche geht. Nur wenn es tatsächlich keinen solchen gemeinsamen Gerichtsstand gibt, kann ein höheres Gericht ausnahmsweise einen zuständigen Gerichtsstand bestimmen.
Dieses Vorgehen sorgt dafür, dass Prozesse effizient ablaufen und einheitliche Entscheidungen getroffen werden können, da alle wichtigen Informationen und Beweismittel am selben Ort sind.
Warum ist es entscheidend, den korrekten Gerichtsstand vor einer Klage sorgfältig zu prüfen?
Bevor Sie eine Klage einreichen, ist es entscheidend, den korrekten Gerichtsstand sorgfältig zu prüfen, um unnötige Umwege und Verzögerungen zu vermeiden. Eine fehlerhafte Annahme des zuständigen Gerichts kann dazu führen, dass Ihre Anträge abgewiesen werden, selbst wenn alle Parteien einverstanden sind.
Stellen Sie sich vor, Sie wollen mit dem Auto von A nach B fahren. Es gibt einen direkten Weg, den Sie aber übersehen und stattdessen einen komplizierten Umweg mit vielen Kreuzungen und Sackgassen wählen. Das Gericht fungiert hier wie ein Verkehrslotse, der Sie darauf hinweist, dass der direkte Weg die ganze Zeit offen war.
Der Fall zeigt, dass die Wahl des zuständigen Gerichts oft komplexer ist. Es gibt nicht nur den Wohn- oder Firmensitz des Beklagten (den allgemeinen Gerichtsstand), sondern auch besondere Regeln, wie den Ort, an dem eine Leistung erbracht wurde (den Erfüllungsort). Bei Bauvorhaben ist dies zum Beispiel immer der Ort des Bauwerks. Wenn Sie solche besonderen Gerichtsstände übersehen, riskieren Sie, unnötige und zeitraubende Verfahren einzuleiten. Sie versuchen dann, einen Gerichtsstand gerichtlich bestimmen zu lassen, obwohl das Gesetz bereits einen klaren und direkten Weg vorschreibt.
Diese genaue Prüfung hilft Ihnen, unnötige Kosten und Zeitverluste zu vermeiden, sodass Ihr Anliegen effizient und direkt beim passenden Gericht landen kann.
Gilt der Gerichtsstand des Erfüllungsortes auch für gesetzliche Ansprüche, die aus einem Vertrag hervorgehen?
Ja, der Gerichtsstand des Erfüllungsortes kann auch für Ansprüche gelten, die nicht direkt aus einem Vertrag, sondern aus dem Gesetz entstehen. Dies ist der Fall, wenn der gesetzliche Anspruch seine Ursache in einer ursprünglichen vertraglichen Verpflichtung hat, die an einem bestimmten Ort erfüllt werden sollte.
Stell dir vor, ein Team arbeitet an einem gemeinsamen Projekt an einem bestimmten Ort. Selbst wenn später ein interner Streit über die Aufteilung der Verantwortung entsteht, der nicht direkt im ursprünglichen Vertrag steht, bleibt dieser Ort der zentrale Bezugspunkt für die Klärung.
Gerichte argumentieren, dass solche gesetzlichen Ansprüche ihre Wurzel untrennbar in den ursprünglichen Verträgen haben, die eine Leistung an einem festen Ort vorsahen. Für Unternehmen, die an einem Bauvorhaben beteiligt waren, macht es dabei keinen wesentlichen Unterschied, ob die Klage vom Bauherrn direkt kommt oder von einem anderen beteiligten Unternehmen, das für einen gemeinsamen Schaden bereits bezahlt hat. Alle Beteiligten mussten sich von Anfang an darauf einstellen, wegen Mängeln an diesem spezifischen Ort belangt zu werden.
Diese Auslegung sorgt für eine effiziente Beweisführung und prozessuale Gerechtigkeit, da der Ort des Geschehens der logische Bezugspunkt für alle damit verbundenen Streitigkeiten bleibt.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Allgemeiner Gerichtsstand
Ein allgemeiner Gerichtsstand ist das Gericht am Wohn- oder Firmensitz des Beklagten, das normalerweise für Klagen gegen diese Person zuständig ist. Diese Grundregel der Zivilprozessordnung sorgt dafür, dass jeder weiß, wo er verklagt werden kann. Der Gedanke dahinter ist fair: Niemand soll überrascht werden, wenn er an einem völlig unerwarteten Ort vor Gericht zitiert wird.
Beispiel: Im Augsburger Baufall waren die drei verklagten Firmen an unterschiedlichen Orten ansässig – das unterbeauftragte Architekturbüro in Augsburg, die anderen beiden Unternehmen in anderen Gerichtsbezirken. Nach dem allgemeinen Gerichtsstand hätte jede Firma nur an ihrem jeweiligen Firmensitz verklagt werden können.
Besonderer Gerichtsstand des Erfüllungsortes
Ein besonderer Gerichtsstand des Erfüllungsortes bedeutet, dass Sie jemanden auch dort verklagen können, wo er seine vertragliche Leistung erbringen sollte. Diese Regel gibt Ihnen eine zusätzliche Option neben dem normalen Gerichtsstand am Wohnort des Beklagten. Der Sinn liegt darin, dass am Ort der Leistungserbringung oft die besten Beweise zu finden sind und Sachverständige den Sachverhalt direkt begutachten können.
Beispiel: Das Bayerische Oberste Landesgericht argumentierte, dass alle drei Baufirmen in Augsburg verklagt werden konnten, weil sie dort ihre Leistungen am Bauwerk erbracht hatten. Der Erfüllungsort war für alle derselbe – das Bauvorhaben in Augsburg.
Gesamtschuldnerausgleich
Der Gesamtschuldnerausgleich regelt, wie sich mehrere Verursacher eines Schadens die Kosten untereinander aufteilen. Wenn mehrere Personen für denselben Schaden verantwortlich sind, kann der Geschädigte einen von ihnen für den kompletten Betrag belangen. Dieser eine kann dann von den anderen Mitverursachern anteilig Geld zurückfordern. Das System verhindert, dass ein Geschädigter leer ausgeht, nur weil ein Verursacher nicht zahlen kann.
Beispiel: Das Architekturbüro war bereits zur Zahlung von über 1,7 Millionen Euro verurteilt worden und wollte nun die drei anderen Firmen über den Gesamtschuldnerausgleich zur Kostenbeteiligung zwingen, da deren Fehler ebenfalls zu den Baumängeln beigetragen hätten.
Rechtskräftig
Ein Urteil ist rechtskräftig, wenn es endgültig ist und nicht mehr angefochten werden kann. Ab diesem Zeitpunkt steht das Ergebnis unwiderruflich fest und muss vollstreckt werden. Die Rechtskraft verhindert, dass derselbe Streit immer wieder neu aufgerollt wird und schafft Rechtssicherheit für alle Beteiligten.
Beispiel: Das Architekturbüro war bereits rechtskräftig zur Zahlung von über 1,7 Millionen Euro Schadensersatz verurteilt worden, als es die drei anderen Firmen verklagen wollte. Das bedeutete, dass an dieser Zahlungsverpflichtung nichts mehr zu rütteln war.
Zuständigkeit
Die Zuständigkeit bestimmt, welches Gericht einen bestimmten Rechtsstreit verhandeln darf. Diese Regeln sorgen für Ordnung im Gerichtssystem und stellen sicher, dass nicht jedes beliebige Gericht jeden Fall bearbeiten muss. Ohne klare Zuständigkeitsregeln würde Chaos herrschen und niemand wüsste, wo er seine Rechte durchsetzen kann.
Beispiel: Die Kläger standen vor dem Problem, dass es scheinbar keinen einzigen Ort gab, an dem sie alle drei Beklagten gemeinsam rechtmäßig verklagen konnten, da diese in verschiedenen Gerichtsbezirken ansässig waren. Das Gericht klärte jedoch, dass das Landgericht Augsburg für alle zuständig war.
Wichtige Rechtsgrundlagen
- Besonderer Gerichtsstand des Erfüllungsortes (§ 29 ZPO)
- KERNAUSSAGE: Für Streitigkeiten aus einem Vertrag ist auch das Gericht am Ort zuständig, an dem die vertragliche Leistung erbracht werden sollte.
- → Bedeutung im vorliegenden Fall: Dieses Gesetz war der zentrale Punkt der Gerichtsentscheidung, weil es das Landgericht Augsburg als den bereits zuständigen Gerichtsstand für alle beteiligten Firmen festlegte, da die Bauleistungen und die Mangelbeseitigung direkt am Bauvorhaben in Augsburg erfolgen sollten.
- Antrag auf Bestimmung des zuständigen Gerichts (§ 36 ZPO)
- KERNAUSSAGE: Wenn mehrere Parteien in einem Fall verklagt werden sollen und es nach dem Gesetz keinen gemeinsamen Gerichtsstand gibt, kann ein übergeordnetes Gericht den zuständigen Ort für den Prozess festlegen.
- → Bedeutung im vorliegenden Fall: Die Kläger versuchten, diesen juristischen Rettungsanker zu nutzen, um die Klage in Augsburg führen zu können; das Gericht lehnte den Antrag jedoch ab, weil es entgegen der Annahme der Kläger bereits einen gemeinsamen Gerichtsstand gab.
- Allgemeiner Gerichtsstand (Wohn- oder Firmensitz)
- KERNAUSSAGE: Grundsätzlich muss eine Klage bei dem Gericht eingereicht werden, das für den Beklagten zuständig ist, was in der Regel der Ort seines Wohnsitzes oder Firmensitzes ist.
- → Bedeutung im vorliegenden Fall: Dieses Grundprinzip führte zum Dilemma der Kläger, da die beteiligten Baufirmen in unterschiedlichen Gerichtsbezirken ansässig waren und dies zunächst den Anschein erweckte, es gäbe keinen gemeinsamen Ort für eine einzige Klage.
- Gesamtschuldnerausgleich (§ 426 BGB)
- KERNAUSSAGE: Wenn mehrere Personen für denselben Schaden haften, kann derjenige, der den Schaden bereits beglichen hat, von den anderen Mitschuldnern einen anteiligen Rückgriff verlangen.
- → Bedeutung im vorliegenden Fall: Dies war die rechtliche Grundlage für die Forderung des Haupt-Architekturbüros an die Subunternehmer, und das Gericht betonte, dass diese Ansprüche trotz ihrer gesetzlichen Natur untrennbar mit den ursprünglichen Bauverträgen am Erfüllungsort verbunden sind.
Das vorliegende Urteil
BayObLG – Az.: 102 AR 55/25 – Beschluss vom 23.06.2025
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