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Verkehrsunfall – Stundenlohn bei Schätzung eines Haushaltsführungsschadens

LG Darmstadt, Az.: 1 O 296/11, Urteil vom 06.11.2015

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.543,12 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 12.03.2011 aus 1.399,13 EUR sowie aus weiteren 1.143,99 EUR seit dem 08.02.2012 zu zahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt der Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 10.000 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 12.03.2011 zu zahlen.

3. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin von den vorgerichtlichen rechtsanwaltlichen Kosten der Rechtsanwälte … in Höhe von 1034,11 € freizustellen.

4. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche materiellen und immateriellen Schäden, letztere soweit sie nach der letzten mündlichen Verhandlung entstehen, aus dem Unfall vom 10.01.2011 gegen 17.00 Uhr auf der Autobahn … in Höhe des … Kreuzes bei Kilometer 182, 6 zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.

4.a. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

5. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin 54 &, die Beklagte 46 %.

6. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

7. Der Streitwert wird wie folgt festgesetzt:

bis zum 26.01.2012 28.802,00 EUR

ab dem 27.01.2012 32.414,07 EUR.

Tatbestand

Verkehrsunfall - Stundenlohn bei Schätzung eines Haushaltsführungsschadens
Symbolfoto: Von Antonio Guillem / Shutterstock.com

Die Klägerin verlangt Ersatz materiellen sowie immateriellen Schadens aus einem Verkehrsunfall, der sich am 10.01.2011 gegen 17.00 Uhr auf der Autobahn … in Höhe des … Kreuzes ereignet hat. Hinsichtlich eingetretener Sachschäden ist bereits eine Regulierung durch die Beklagte erfolgt. Die Klägerin befuhr mit ihrem Pkw VW Golf IV Variant TDI, 74 KW, 1896 ccm, amtl. Kz. … die Autobahn auf dem gesonderten rechten Fahrstreifen, der im Feierabendverkehr die an sich dreispurige Autobahn … um eine weitere gesonderte vierte Fahrspur erweitert. Auf der Fahrspur links neben ihr fuhr das bei der Beklagten versicherte Fahrzeug, ein Lkw-Sattelzug, amtl. Kz. …

Der Fahrer des Sattelzugs beabsichtigte einen Spurwechsel von seiner Fahrspur auf die Spur, auf der sich die Klägerin befand und übersah hierbei das Fahrzeug der Klägerin. Es kam zu einem Anstoß des bei der Beklagten versicherten Lkw-Sattelzugs vorne rechts mit dem Fahrzeug der Klägerin vorne links. Durch den Anstoß wurde der Pkw der Klägerin über alle vier Fahrspuren bis zur Mittelleitplanke (Betonschutzwand) bewegt. Insoweit behauptet die Klägerin streitig, sie sei gegen die Betonschutzwand geprallt und sei auf dem Weg dorthin in eine Schleuderbewegung mit Drehung geraten; es ist zudem streitig, ob es zu einem lauten Knall gekommen ist.

Der Klägerin ist nicht erinnerlich, ob es zu einem Anstoß ihres Kopfes oder anderer Körperteile mit Teilen des Fahrzeuginnenraums gekommen ist.

Prellungen, Gurtmarken oder sonstige objektivierbare Anzeichen für einen Anstoß der Klägerin gegen feste Fahrzeugstrukturen im Innenraum wurden nicht festgestellt.

Für die Klägerin handelte es sich um einen Wegeunfall, so dass die Berufsgenossenschaft Leistungen an die Klägerin erbrachte.

Das nicht mehr fahrbereite Fahrzeug wurde in der Zeit vom 10.01.2011 bis einschließlich 19.01.2011 repariert.

Am 11.01.2011 begab die Klägerin sich in die ärztliche Behandlung der Asklepios-Kliniken in … Dort wurde zunächst eine HWS-Distorsion diagnostiziert. In der Folge kam es zu weiteren persönlichen Vorstellungen der Klägerin in der Asklepios-Klinik. Dort wurden neben der Diagnose einer HWS-Distorsion in der Folge ein posttraumatischer Tinnitus sowie eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert. Insoweit wird auch auf das ärztliche Gutachten des … vom 10.08.2011 (Anlage B 1, B 1 A, Blatt 67, 90 d. A.) Bezug genommen, das … auf Anfrage der Beklagten an diese übersandte; und das von der Beklagten als Anlage vorgelegt wurde. Danach bemerkte die Klägerin einen Tag nach dem Unfallereignis einen linksseitigen Tinnitus, Schwindelprobleme sowie Schmerzen im Bereich der Halswirbelsäule. Es wurden keine Schwellung; keine Hämatomverfärbung und keine neurologischen Defizite festgestellt. Das Drehen des Kopfes nach links wurde als eingeschränkt festgestellt, die sonstige Beweglichkeit als gut. Eine Röntgenaufnahme der Halswirbelsäule in zwei Ebenen zeigte keinen Hinweis auf eine Fraktur. Der Klägerin wurde Physiotherapie und Krankengymnastik verordnet.

Unter dem 01.02.2011 begab sich die Klägerin im Hinblick auf Tinnitus-Geräusche im linken Ohr in die Behandlung der Zeugin … die durchblutungsfördernde Tabletten verschrieb. Sie wurde zum Neurologen, Herrn … nach … überwiesen, der sie am 16.02. 2011 untersuchte. In seinem Bericht vom 18.02.2011 (Anlage K 2, Blatt 36 d. A.) lautet seine vorläufige Diagnose „ängstlich depressiv, gefärbte Belastungsstörung im Sinne einer posttraumatischen Belastungsstörung nach Autounfall“. In einem weiteren Bericht vom 17.05.2011 (Anlage B 2) an die Beklagte wird angegeben, die Klägerin sei stimmungslabil, klage über vielgestaltige körperliche Beschwerden sowie über eine quälende innere Unruhe. Sie wirke störanfällig, dünnhäutig und antriebsgehemmt. Es liege eine ängstlich depressiv gefärbte Belastungsstörung im Sinne einer posttraumatischen Belastungsstörung nach Autounfall vor. Empfohlen wurden antidepressive Präparate sowie psychotherapeutische Behandlungsmaßnahmen (Anlage B 2 – Blatt 70 d. A.).

Auch begab die Klägerin sich erstmalig unter dem 08.03.2011 in Behandlung der Psychologin, … . Die Klägerin hat eine psychotherapeutische Stellungnahme vom 15.08.2011 als Anlage K 7, Bl. 85 d.A., der Psychologin … zu den Akten gereicht.

Auf Anforderung der Berufsgenossenschaft erstellte der HNO-Facharzt … mit Datum vom 04.04.2011 einen Befundbericht (vgl. Anlage K 3, Blatt 38 ff. d. A.).

Dieser stellt fest, dass sich eine linksseitige 6-kHz-Senke geringer Ausprägung mit begleitendem Tinnitus objektivieren lasse. Als Ursache könne die abgelaufene HWS-Distorsion in Frage kommen. Der laute Knall im Rahmen des Unfallereignisses sei bei Fahrzeuginsassen allerdings nur selten in der Lage, Hörschäden auszulösen, eine Airbag-Explosion habe nicht stattgefunden, eine Kopfanprall sei nicht erinnerlich. Ggf. sei ein Zusammenhangsgutachten zu veranlassen. Die Symptomatik solle im Rahmen der Therapie der posttraumatischen Belastungsstörung behandelt und verarbeitet werden. Auf das Gutachten wird vollumfänglich Bezug genommen.

Im Auftrag der Berufsgenossenschaft wurde außerdem das Gutachten des Neurologen und Psychiaters … vom 29.03.2012 (Blatt 122 ff. d.A.) eingeholt, der die Diagnose posttraumatische Belastungsstörung, Tinnitus links, Polyneuropathie (vgl. Gutachten Blatt 131 d. A.) stellte. Auf das Gutachten wird vollumfänglich Bezug genommen. Ein weiteres auf Veranlassung der Berufsgenossenschaft eingeholte Gutachten erstellte der Dipl.-Psychologe … mit Datum vom 07.06.2012 (Anlage K 12, Blatt 165 ff. d. A.).

Er stellt ein sensibles Karpaltunnelsyndrom dar, das jedoch nicht als unfallabhängig zu sehen sei (Anlage K 12, Seite 4, BI. 18 d.A.).

Auf Seite 5 des Gutachtens (Blatt 169 d. A), wird in psychiatrischer Hinsicht eine depressive Anpassungsstörung festgestellt, eine posttraumatische Belastungsstörung, wie initial diagnostiziert, bestehe jetzt nicht mehr. Eine Psychotherapie sei sinnvoll, auch die Medikation mit Citalopram solle weiter durchgeführt werden.

Die Klägerin hat weitere Befundberichte des … vom 28.06.2012 (Anlage K 13, Blatt 170 d. A.) sowie des … vom 29.06.2012 (Anlage K 14, Blatt 172 ff. d. A.) vorgelegt, wonach degenerative HWS-Veränderungen im Abschnitt HW 4-7 sowie Bandscheibenprolabierungen in den Segmenten C4, C5 und C5/C6 festgestellt wurden.

Vom Unfalltag bis zum 19.06.2011 war die Klägerin krank geschrieben. Sie legt eine ärztliche Bescheinigung des Zeugen … vom 03.08.2011 (Anlage K 8, Blatt 96 d. A.) vor, wonach sie in dieser Zeit nicht in der Lage war, ihren Haushalt in vollem Umfang zu führen. Ab dem 20.06.2011 erfolgte sodann eine stufenweise Wiedereingliederung in das Arbeitsleben bis zum 03.08.2011; danach nahm dann die Klägerin ihre Berufstätigkeit zu 100 % wieder auf. Während dieses Zeitraums der eingeschränkten Arbeitsfähigkeit erhielt die Klägerin Verletztengeld.

Unstreitig erfolgte vier Jahre vor dem streitgegenständliche Unfall eine ambulante Psychotherapie, die nach vier Terminen abgebrochen wurde. Auslöser waren diverse Konfliktsituationen im betrieblichen und häuslichen Bereich. Im Weiteren ist unstreitig, dass die Klägerin im November 2011 einen weiteren Beinahe-Unfall erlitt.

Die Klägerin behauptet, sie habe – ursächlich durch den streitgegenständlichen Unfall herbeigeführt – ein Halswirbelschleudertrauma, einen Tinnitus sowie eine posttraumatisch Belastungsstörung erlitten. Sie sei rotierend gegen die Mittelleitplanke geschleudert; es habe einen heftigen Anstoß gegen die Betonleitplanke gegeben und einen lauten Knall. Sie habe Todesangst verspürt.

Der Unfall sei auch ursächlich für das bei der Klägerin festgestellte Karpaltunnelsyndrom, sowie den in der berufsgenossenschaftlichen. Unfallklinik durch … (Bericht Anlage 5 13, Blatt 170 d. A. sowie … (Bericht Anlage K 14, Blatt 172 ff. d. A) festgestellten degenerativen Veränderungen der Halswirbelsäule sowie der Bandscheibenprolabierung. Die Klägerin behauptet, in der Folge des Unfalls leide sie an Hals-, Nacken- und Schulterbeschwerden; seit dem streitgegenständlichen Unfall leide sie unter Antriebslosigkeit, dauerhafter Müdigkeit, dauerhaften körperlichen Beschwerden, Kopfschmerzen, Tinnitus und einem posttraumatischen Belastungssyndrom. Die Linksdrehung des Kopfes sei schmerzhaft eingeschränkt. Sie habe Ziehen und Schmerzen im ganzen Körper. Auch längere Belastungen beim Hochschauen oder Überkopfarbeiten seien nicht möglich. Am Arbeitsplatz sei durch die Anschaffung eines neuen Monitors der klägerischen Probleme Rechnung getragen worden. Die therapeutische Behandlung der Klägerin sei nach wie vor nicht abgeschlossen. Spät- und Folgeschäden könnten nicht ausgeschlossen werden.

Die Klägerin verlangt ein Schmerzensgeld, das sie mit 25.000,00 EUR beziffert.

Darüber hinaus macht sie einen Verdienstausfallschaden in Höhe von 984,19 EUR geltend, gemäß ihrem Vortrag auf Seite 4 der Klageschrift vom 26.07.201, sowie Seite 4 der Klageerweiterungsschrift vom 26.01.2012.

Weiterhin verlangt die Klägerin eine Erstattung für angefallene Fahrtkosten für unfallbedingt gefahrene 1.298,80 Kilometer gemäß Aufstellung (Anlage K 9, Blatt 34 ff. d. A.), und zwar in Höhe von 129,88 EUR. Insoweit hält die Klägerin die Erstattung von 0,20 EUR pro gefahrenen Kilometer durch die Berufsgenossenschaft für nicht ausreichend und ist der Auffassung, ihr stehe ein Anspruch von 0,30 EUR pro gefahrenen Kilometer zu. Die Beklagte bestreitet insoweit die Aktivlegitimation im Hinblick auf § 116 SGB X.

Des Weiteren verlangt die Klägerin Nutzungsausfallentschädigung für den Zeitraum der Reparatur ihres Fahrzeugs vom 10.01.2011 bis zum 19.01.2011 in Höhe von 38,00 EUR täglich, insgesamt 380,00 €. Insoweit ist unstreitig, dass das Fahrzeug der Klägerin fast 10 Jahre alt ist; die Beklagte bestreitet im Hinblick auf die klägerseits vorgetragenen Beschwerden nach dem Unfall eine konkrete Nutzungsmöglichkeit durch die Klägerin sowie den Vortrag der Klägerin, wonach das Fahrzeug auch von weiteren Familienmitgliedern genutzt wird.

Die Klägerin verlangt weiter, geltend gemacht mit Klageerweiterungsschriftsatz vom 26.01.2012; Ersatz eines ihr entstandenen Haushaltsführungsschadens für den Zeitraum vom. 10.01.2011 bis zum 19.06.2011. Insoweit ist unstreitig, dass sie mit zwei erwachsenen Töchtern, die eine davon studierend, in einem Haus lebt. Nach bestrittenem Vortrag der Klägerin ist die ältere Tochter zu 50 % schwerbehindert und nicht zur Hausarbeit in der Lage. Die Klägerin trägt insoweit vor, dass für die verschiedenen Arbeiten im Haushalt 18 Stunden in der Woche anfallen und verlangt fiktiv den Stundensatz von 10, 00 EUR für eine ansonsten einzustellende Ersatzkraft. Sie trägt vor, vor dem Unfall den Haushalt vollumfänglich alleine geführt zu haben.

Die Beklagte bestreitet insoweit die vollständige 100 %-ige Minderung der Haushaltsführungsfähigkeit durch die Klägerin in diesem Zeitraum und wendet darüber hinaus die fehlende Aktivlegitimation der Klägerin im Hinblick auf Leistungen nach § 42 SGB VII ein, mit der Folge des Anspruchsübergangs auf die Berufsgenossenschaft. Zudem bestreitet die Beklagte die Angemessenheit eines fiktiven Stundenlohns von 10,00 EUR und die Größe der Wohnung.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 12.01.2011 wurde die Beklagte unter Fristsetzung auf den 28.01.2011 zur Bestätigung ihrer Eintrittspflicht dem Grunde nach aufgefordert und mit weiterem Schreiben vom 21.03.2011 unter Fristsetzung auf den 30.03.2011 zur Regulierung angemahnt. Es erfolgte jedoch keine weitere Regulierung.

Die Klägerin beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 1.494,07 EUR nebst fünf Prozentpunkten Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 12.03.2011 sowie ein angemessenes Schmerzensgeld nebst fünf Prozentpunkten Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 12.03.2011 zuzahlen sowie die Klägerin von vorgerichtlichen rechtsanwaltlichen Kosten der Rechtsanwälte … in Höhe von 1.633,87 EUR nebst fünf Prozentpunkten Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 12.03.2011 freizustellen;

2. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin weitere 3.420,00 EUR nebst fünf Prozentpunkten Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Zustellung der Klageerweiterung zu zahlen;

3. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche materiellen und immateriellen Schäden, letztere soweit sie nach der letzten mündlichen Verhandlung entstehen, aus dem Unfall vom 10.01.2011 gegen 17.00 Uhr auf der Autobahn … Höhe des … Kreuzes bei Kilometer 182,6 zu bezahlen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte bestreitet, dass das streitgegenständliche Unfallgeschehen zu einem Halswirbelschleudertrauma bei der Klägerin geführt hat. Die Erstdiagnosen der Asklepios-Klinik in …, bei der sich die Klägerin zudem erst am Tage nach dem Unfall eingefunden habe, beruhten ausschließlich auf der Wiedergabe der Behauptungen der Klägerin. Eine irgendwie geartete Objektivierung gebe es nicht. Es fehle an jedweder Feststellung, die auf eine unfallbedingte Primärverletzung hindeute. Zudem seien die erfolgten Berührungskontakte bei dem streitgegenständlichen Unfall so gering gewesen, dass es zu keiner Geschwindigkeitsänderung gekommen sei, die geeignet gewesen wäre, ein Halswirbelschleudertrauma hervorzurufen. Die Feststellungen eines Druckschmerzes im Nackenbereich sowie eingeschränkter Beweglichkeit des Kopfes bei Drehung nach links seien wertlos. Es handle es sich um Allerwelts-Beschwerden. Zu berücksichtigen sei auch, dass diese Feststellungen des Arztes in der Situation des Arztes als Therapeut und nicht als Gutachter getätigt wurden. Seine Aufgabe sei es nicht, Ursachen für behauptete Beschwerden des Patienten zu finden, sondern diese zu lindern. Insoweit könnten die ärztlichen Atteste zum Nachweis einer HWS-Verletzung keinen Beweiswert besitzen. Genauso bestreitet die Beklagte auch einen durch den Unfall bei der Klägerin verursachten Tinnitus sowie eine posttraumatische Belastungsstörung, die Krankheitswert besitzt. Die Beklagte bestreitet die von der Klägerin beschriebenen Beschwerden, wie auch deren Unfallursächlichkeit, sowie, dass die erhaltene Physiotherapie und Krankengymnastik, deren Umfang bestritten wird, durch das streitgegenständlichen Unfallgeschehen bedingt waren.

Das Gericht hat Beweis erhoben, durch Vernehmung der Zeugen … sowie … Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der Sitzung vorn 12.10.2012 (Blatt. 179 ff. d. A.) Bezug genommen; sowie durch Einholung schriftlicher Sachverständigengutachten gemäß Beweisbeschluss vom 14.12.2012 (Blatt 206 ff. d. A.).

Insoweit wird auf das zur Akte gereichte Interdisziplinäre Gutachten der Sachverständigen … als technischem Gutachter sowie dem Sachverständigen … als medizinischem Gutachter vom 27.09.2013 sowie auf deren mündliche Erläuterung ihrer Gutachtens in der Sitzung vom 04.09.2015 (vgl. Protokoll Blatt 371 ff. d.. A.) Bezug genommen. Ebenfalls wird Bezug genommen auf das Hals-Nasen-Ohrenärztliche Fachgutachten des … vom 04.06.20 14 (Blatt 267 ff. d. A.), sowie auf das neurologische Gutachten … des … vom 15.11.2014 (Blatt 294 ff. d A.), ergänzt durch Gutachten vom 10.02.2015 (Blatt 323 ff. d. A.), sowie deren mündliche Erläuterungen ihrer Gutachten in der Sitzung vom 11.09.2015 (vgl. Protokoll Blatt 385 ff. a. A.).

Entscheidungsgründe

Die Klägerin kann von der .Beklagten aus §§ 7 Abs. 1 StVG, 249, 253 Abs. 1 BGB, 115 VVG Ersatz weiteren, bislang nicht ausgeglichenen materiellen Schadens sowie ein angemessenes Schmerzensgeld verlangen.

Nach Würdigung aller Gesamtumstände und dem Ergebnis der Beweisaufnahme konnte sich das Gericht nicht die nach § 286 ZPO erforderliche volle Überzeugung im Sinne einer persönlichen Gewissheit, welche den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (vgl. BGH, NJW 1970, 946) davon verschaffen, dass der streitgegenständliche Unfall bei der Klägerin zu einer Primärverletzung der Halswirbelsäule oder einem Tinnitus geführt hat. Jedoch ist das Gericht nach diesem Beweismaß davon überzeugt, dass der Unfall bei der Klägerin als Primärschaden eine krankhafte posttraumatische Belastungsstörung hervorgerufen hat, die sich mittlerweile, zum Schluss der mündlichen Verhandlung, als eine depressive Anpassungsstörung darstellt und die in der Folge zu einem Tinnitus und Bewegungsschmerz im Hals-, Wirbelsäulenbereich geführt hat.

Zwar wurde am Tag nach dem Unfallereignis bei der Erstbehandlung in der Asklepios-Klinik … eine HWS-Distorsion diagnostiziert, auch hat der Zeuge …, der die Klägerin sodann jedenfalls bei dem ersten Nachschautermin am 24.01.2011 persönlich untersuchte, nach seinen Angaben im Rahmen der Zeugenvernehmung erklärt, er hab nach Angaben der Patientin sich notiert: „HWS-Beschwerden mit Ausstrahlung vorwiegend nach links, Empfindungsstörungen bei Linksdrehung des Kopfes.“ Objektiv sei eine Verspannung der HWS-Muskultur, also Nackenmuskulatur bei Kopfdeklination und ziehende Schmerzen im HWS-Bereich festgestellt worden Der Zeuge hat beschrieben, wie bei den weiteren nachfolgenden Vorstellungsterminen sodann weitere Beschwerden im Sinne einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie eines Tinnitus mit Schlafstörungen und neurologisch depressiver Symptomatik hinzukamen. Der Zeuge hat erklärt, dass, er sich im Wesentlichen auf die subjektiven Angaben der Klägerin gestützt hat. Er hat aber auch geschildert, Verspannungen und Muskelhartspann festgestellt zu haben; eine solche Verspannung wurde allerdings nicht im ersten Durchgangsbericht beschrieben. Vielmehr hat der Zeuge erstmals diese Problematik in seinem Nachschaubericht am 24.01.2011 beschrieben. Es ergibt sich danach, dass objektiv fassbare Befunde zu einer HWS-Distorsion am Tag der Erstvorstellung nicht vorliegen und die getroffene Diagnose insoweit jedenfalls zunächst – wie bei der Diagnose einer HWS-Distorsion auch nicht unüblich – auf den subjektiven Angaben der Klägerin beruht. So hat der ebenfalls beauftragte orthopädische medizinische Sachverständige … im Rahmen seiner Anhörung in der Sitzung vom 04.09.2015 (vgl. Protokoll Seite 5, Blatt 375 d. A.) angegeben, objektiv nachweisbar sei eine HWS-Distorsion nur durch zwei Dinge, nämlich indem entweder direkt nach dem Unfall eine Gewebeprobe genommen wird, in der sich bei einer strukturellen Veränderung der Halswirbelsäule Flüssigkeit ansammelt oder indem man ein sehr gut hochauflösendes MRT anfertigt, auf dem diese Flüssigkeit auch erkannt werden kann. Für das Gericht nachvollziehbar erklärte der gerichtlich bestellte medizinische Sachverständige, der vom Zeugen … festgestellte Muskelhartspann sowie die Beeinträchtigung der Beweglichkeit des Kopfes könnten jedenfalls im Grundsatz auch unabhängig von Unfallereignissen festgestellt werden. Er hat insoweit in seinem Gutachten vom 27.09.2013 ausgeführt, dass Schmerzen im Bereich der Halswirbelsäule, Druckschmerz im Bereich der unteren Halswirbelsäule und im Nackenbereich ohne äußere Verletzungszeichen oder neurologische Defizite mit einer Bewegungseinschränkung des Kopfes nach links ohne Nachweis einer knöchernen Verletzung in der Bildgebung sowie die von der Klägerin vorgetragenen Nackenschmerzen aus orthopädischer Sicht im Wesentlich unspezifisch sind, d. h. sie können sowohl bei unfallabhängigen als auch bei unfallunabhängigen Erkrankungen der Halswirbelsäule auftreten.

Auch wenn vorliegend zu bedenken ist, dass die Klägerin bereits einen Tag nach dem Unfallereignis ihre Beschwerden schilderte, stellen sich die Beschwerden der Klägerin vorliegend jedoch als besonders vielschichtig und in ihren Abhängigkeiten voneinander unklar dar, dies im Hinblick auf die ebenfalls diagnostizierte posttraumatische Belastungsstörung sowie einen Tinnitus. Auf die von ihm erstellte Bescheinigung vom 03.08.2011 angesprochen, wonach die Klägerin nicht in der Lage war, ihren Haushalt in vollem Umfang zu führen, erklärte der Zeuge … auf die Frage des Gerichts, ob dies auch auf bewegungstechnische Mängel zurückzuführen war, dass es im Wesentlichen darum gegangen sei, dass die Klägerin aufgrund ihrer psychischen Belastungssituation dazu nicht in der Lage war. Er könne nicht sagen, ob es z. B. Schwierigkeiten beim Überkopfarbeiten gegeben habe, was aber möglicherweise durch die Verspannungen der Fall gewesen könnte. Der Zeuge beschrieb jedoch, dass „Kern“ die posttraumatische Belastungsstörung gewesen sei. „ … aber auch das HWS, das ja sehr lange bestand und schon zu größeren Schwierigkeiten führte.“ Hierzu hat der gerichtlich beauftragte orthopädisch medizinische Sachverständige … in seiner Anhörung in der Sitzung vom 04.09.2015 angegeben; dass auch das psychologische Profil einer Person als ein Element angesehen werden könne für die Frage, ob nach einem Ereignis Beschwerden geschildert werden, unabhängig davon, ob diese eigentlich möglich sind oder nicht. Der Verlauf der Beschwerden im vorliegenden Fall über Jahre hinweg als gleichbleibend sei untypisch dafür, dass gerade ein bestimmtes Ereignis diese Beschwerden ausgelöst haben könnte.

Bereits vor diesem Hintergrund verbleiben für das Gericht Zweifel an der ursächlichen primären Herbeiführung einer Distorsion durch den Unfall.

Zudem ist eine Verletzung der Halswirbelsäule im vorliegenden Fall aber auch aus medizinischer Sicht mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen.

Auch wenn eine HWS-Verletzung bei geringen Geschwindigkeitsänderungen nicht generell ausgeschlossen ist (BGH, VersR 2003, 474), so ist jedoch im vorliegenden Fall nach den Feststellungen des medizinischen Sachverständigen, der die individuelle Konstitution der Klägerin zugrunde legt, eine entsprechende Verletzung mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen.

Der im Rahmen des Zusammenhangsgutachtens beauftragte orthopädische medizinische Gutachter … hat in seinem Gutachten vom 27.09.2013 im Einzelnen für das Gericht nachvollziehbar dargelegt, dass er bei der vom technischen Gutachter … errechneten kollisionsbedingten Beschleunigung aus medizinischer Sicht eine strukturelle Verletzung im Bereich der Halswirbelsäule im Sinne einer HWS-Distorsion mit hoher Wahrscheinlichkeit ausschließt. Dabei hat sich der Sachverständige in seinem Gutachten, wie sodann im Rahmen seiner mündlichen Anhörung in der Sitzung vom 04.09.2015, mit Einwänden der Klägerin auseinandergesetzt und diese nach Dafürhalten des Gerichts überzeugend entkräftet. Er hat die vom technischen Sachverständigen ermittelte biomechanische Insassenbelastung aus medizinischer Sicht der individuellen Belastbarkeit der Klägerin gegenüber gestellt. Soweit bei der Klägerin individuell von degenerativen Vorschäden im Bereich der Wirbelsäule auszugehen ist, hat er dargelegt dass die Frage, ob eine so verschleißbedingt veränderte Halswirbelsäule verletzungsanfälliger ist, kontrovers diskutiert wird. Im Einzelfall seien das Ausmaß des Verschleißes, die Art der zur Diskussion stehenden HWS-Verletzung sowie sonstige individuellen Gegebenheiten und auch die Höhe der biomechanischen Belastung in die Beurteilung mit einzubeziehen. Zusammengefasst ergebe sich für ihn vorliegend aus orthopädischer Sicht kein überzeugender Hinweis für eine erhöhte Verletzungsanfälligkeit der Halswirbelsäule bei der Klägerin zum Unfallzeitpunkt.

Soweit die Klägerin sich gegen die im medizinischen Gutachten zugrunde liegenden Feststellungen des technischen Gutachters … wendet, hat dieser in seiner mündlichen Anhörung die Einwände der Klägerin aufgegriffen und überzeugend entkräftet. Insbesondere hat er dargelegt, dass bei den errechneten Belastungen weder die Geschwindigkeit noch das Gewicht der Fahrzeuge eine Rolle spielt, da mangels vorliegender weiterer Parameter die Berechnungen anhand des Vergleichs von an vergleichbaren Fahrzeugen sichtbar werdenden Beschädigungen vorgenommen wurde. Der Sachverständige … hat zudem weitere Ausführungen zur Feststellung der Anstoßstelle des Erstkontakts gemacht und überzeugend dargelegt, dass der Erstkontakt, sowie in seinem Gutachten dargestellt, zwischen dem Reifen des Sattelzuges und der Stoßstange des Kläger-Fahrzeugs erfolgte, und dass ein Erstkontakt an der Tür im Hinblick auf die Winkelverhältnisse ausgeschlossen ist. Auch hinsichtlich des Einwandes zum angenommenen Kollisionswinkel hat er erklärt, dass ein größerer als der von ihm angenommene Winkel praktisch nur möglich wäre, wenn das klägerische Fahrzeug bereits eine schräge Position hatte, also bereits außer Kontrolle geraten wäre, als es zum Anstoß kam.

Es steht auch nicht fest, dass die Klägerin mit dem Kopf den Innenraum ihres Fahrzeugs berührt hätte.

Dass die Klägerin mit dem Kopf innerhalb der Fahrzeugkabine angestoßen ist, konnte sie jedenfalls selbst nicht angeben, vielmehr hat sie wiederholt – insbesondere im Rahmen der Untersuchung des HNO-Facharztes … (vgl. Seite 4 des Gutachtens vom 04.04.2011, Blatt 41 d. A.), wie nach dem Gutachten des … vom 29.03.2011 (Blatt 131 d. A.) angegeben, sich an einen solchen Kopfstoß nicht zu erinnern. Objektiv wurde bei der Erstuntersuchung in der Asklepios-Klinik auch ausweislich des ärztlichen Gutachtens vom 10.08.2011 (Seite 1: Blatt 90 d. A., S. 2 Bl. 68 d. A.) keine Schwellung und keine Hämatomverfärbung festgestellt.

In seinem technischen Gutachten vom 27.09.2013 hat der Sachverständige … zunächst erklärt (dort Seite 5), eine weitere Kollision mit der Betonschutzwand könne weder den Schadenslichtbildern noch der beigefügten Reparaturkalkulation entnommen werden. Auf den schriftsätzlichen Einwand der Klägerin, es sei sehr wohl eine Kollision mit der Betonschutzwand erfolgt; auch sei es zu einem Anstoß des Kopfes gekommen, hat der Sachverständige in seiner mündlichen Anhörung Stellung genommen.

Er hat im Rahmen seiner mündlichen Anhörung in der Sitzung vom 04.09.2015 unter Übergabe von Anlagen zum mündlichen Gutachten geschildert, dass jedenfalls theoretisch plausibel für eine Kollision mit einer Betonschutzplanke die Kratzer, die man auf dem Detail der Anlage B 9, der Anlage des mündlichen Gutachtens vom 04.09.2015 erkennt, zugeordnet werden könnten. Er hat sodann für das Gericht nachvollziehbar unter Verweis auf seine Berechnungen in der Anlage ausgeführt, dass es sich hierbei dann ebenfalls lediglich um geringe Belastungen handelt, die auch nicht zwingend einen Kopfstoß zur Folge haben müssen.

Vor diesem Gesamthintergrund, insbesondere der zeitnahen Schilderung von Beschwerden am Tag nach dem Unfall und der Feststellung von Verspannungen am 24.1.2011 durch den Zeugen … sowie bestehender Unsicherheiten aufgrund nur geringer Anknüpfungspunkte für die Berechnung der Kollisionsgeschwindigkeit hält es das Gericht zwar durchaus für möglich, dass der streitgegenständliche Verkehrsunfall bei der Klägerin eine HWS-Distorsion verursacht hat; eine Überzeugung von der kausalen Herbeiführung, die dem Beweismaß des § 287 ZPO entspricht, kann sich das Gericht jedoch gerade im Hinblick auf die vielschichtigen Beschwerden der Klägerin, die nachvollziehbaren Ausführungen der gerichtlich bestellten Sachverständigen und auch dem Inhalt der Zeugenaussagen im Ergebnis nicht bilden.

Weiterhin hat das Gutachten des orthopädisch medizinischen Sachverständigen … zudem auf Seite 40 ff. überzeugend dargelegt, das die von der Klägerin nunmehr nach einer kernspintomographischen Untersuchung; 1 1/2 Jahre nach dem Unfall festgestellte degenerative Veränderung der Wirbelsäule sowie Bandscheibenvorwölbung mit Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht Unfallfolgen sind. Soweit die Klägerin zudem auf ein ebenfalls im Rahmen der neurologischen Untersuchung der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik im Juni 2012 festgestelltes Karpaltunnelsyndrom als durch den Unfall verursacht verweist, heißt es bereits in der zum Beweis benannten ärztlichen Stellungnahme des … vom 07.06.2012 (Anlage K 12, Blatt 168 d. A.), dass dieses Karpaltunnelsyndrom als nicht unfallabhängig anzusehen ist. Nur weil die Klägerin vor dem streitgegenständlichen Unfall im Bereich der Arme beschwerdefrei war, bedeutet dies nicht, dass alle von ihr geschilderten Beschwerden als primär durch den Unfall herbeigeführt angesehen werden können. Zudem hat das orthopädische medizinische Gutachten des … vom 27.9.2013 bis auf eine geringe Beeinträchtigung der groben Kraft der linken Hand nach Beweglichkeitsprüfung von Hand-, Finger- und Daumengelenken keine Einschränkung in der Beweglichkeit ergeben (vgl. S. 13 ff. des Gutachtens …).

Gerade vor dem Hintergrund der nicht bewiesenen Primärverletzung einer HWS-Distorsion gibt es keine weiteren Anhaltspunkte dafür, dass das 1 1/2 Jahre nach dem Unfallereignis festgestellte Karpaltunnelsyndrom einen kausal durch das Unfallereignis herbeigeführten Primärschaden darstellt.

Auch die Verursachung eines Tinnitus als Primärschaden des Unfalls ist nicht nachgewiesen.

Der Sachverständige … hat nach eingehenden Untersuchungen der Klägerin einen subjektiv beschriebenen Tinnitus links, der Kategorie 2 – 3 festgestellt. Er hat jedoch überzeugend dargestellt, dass die Zurückführung eines Tinnitus auf ein ursächliche Ereignis immer des Nachweises einer vorhandenen Schädigung bedarf. In 90 % der Fälle liege dieser Schaden in der Beeinträchtigung der Hörfähigkeit, die man auch feststellen könne. Eine solche Hörschädigung hat der Sachverständige jedoch nicht festgestellt, weshalb er zu dem Ergebnis kommt, dass nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit angenommen werden könne, dass der Tinnitus seine Ursache in dem Unfallereignis hat. In seiner mündlichen Anhörung in der Sitzung vom 11.09.2015 hat der Sachverständige erläutert, dass eine Hörschädigung eine Zerstörung von Haarzeilen bedeutet, die sich nicht regenerieren können. Seine Untersuchungen hätten jedoch festgestellt, dass diese Haarzellen bei der Klägerin nicht geschädigt sind. Ein Tinnitus könne mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nur dann auf ein HWS-Schleudertrauma oder auch ein Knalltrauma zurückgeführt werden, wenn gleichzeitig, weitere pathologische Befunde am Hör- oder Gleichgewichtsorgan aufgetreten sind. Auch der Sachverständige … geht davon aus, dass es zu keinem Anschlagtrauma des Schädels an der Fahrzeugkarosserie gekommen ist, evtl. aber zu einem Knall.

Auf Frage des Gerichts hat der Sachverständige erklärt, dass es auch psychische Ursachen, wie beispielsweise eine posttraumatische Belastungsstörung für einen Tinnitus geben kann. Solche Ursachen seien eher selten. Eine objektive Feststellung, ob eine solche Belastungsstörung Ursache für einen Tinnitus sei, sei nicht möglich. Von einem Tinnitus als Primärschaden aufgrund konkreten Unfallereignisses kann sich das Gericht danach jedenfalls nicht überzeugen.

Hingegen ist das Gericht nach den Gesamtumständen und dem Ergebnis der Beweisaufnahme im vorliegenden Fall davon überzeugt (§ 286 ZPO), dass der streitgegenständliche Unfall bei der Beklagten als Primärschaden ein posttraumatisches Belastungssyndrom mit Krankheitswert verursacht hat, das mittlerweile übergegangen ist in eine depressive Anpassungsstörung.

Der Sachverständige … hat sowohl die zu den Akten gereichten ärztlichen Unterlagen, wie auch eine eigene Untersuchung der Klägerin zur Grundlage seines Gutachtens gemacht. Dabei hat er zur Bestimmung des Vorliegens einer krankhaften posttraumatischen Belastungsstörung die diagnostischen Kriterien der DSM IV (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, deutsche Fassung von 1996) zugrunde gelegt. Das Gericht hält die Angabe des Sachverständigen, wonach er die Ursächlichkeit des Unfallereignisses für die posttraumatische Belastungsstörung insbesondere damit begründet, dass die Klägerin vor diesem Ereignis entsprechende Beschwerden nie gehabt hat, und zudem diese Diagnose von zahlreichen Ärzten mehrfach, darunter zwei Ärzten für Neurologie und Psychiatrie bestätigt wurden, annimmt. Insoweit kann auf die umfassenden zu den Akten gereichten ärztlichen Stellungnahmen und Gutachten auch Bezug genommen werden. In einer mündlichen Anhörung vom 11.09.2015 hat der Sachverständige zudem zur Überzeugung des Gerichts nachvollziehbar und zutreffend begründet, dass er auch den streitgegenständlichen Unfall als ein ausreichend belastendes Ereignis bewertet, das eine posttraumatische Belastungsstörung hervorrufen kann. Er hat insoweit insbesondere geschildert, dass die Klägerin den Verkehr auf sich zukommen sah und daher durchaus Todesangst verspüren konnte. Auch ist zu bedenken, dass sich das Fahrzeug der Klägerin jedenfalls über 4 Spuren quer über eine Autobahn bewegte und es sich nicht um eine einfache Streifenkollision in einem beherrschbaren Verkehrszusammenhang handelte. Der Sachverständige hat zudem weiter Bezug genommen auf die europäischen Diagnosekriterien für psychische Störungen, nach ICD-10, dort die Ziffer F43.1.. Bereits der Zeuge … der zeitlich die ersten Untersuchungen der Klägerin vorgenommen hat, hat in seiner Vernehmung angegeben, dass Kern der Beschwerden der Klägerin die posttraumatische Belastungsstörung war. Der Sachverständige … hat sich für das Gericht ebenfalls nachvollziehbar die Darlegungen des … in seinem Gutachten vom 07.06.2012 (Anlage K 12, Blatt 165 ff. d. A) zu Eigen gemacht und geht nach einem Zeitraum von 12-15 Monaten des Vorliegens einer posttraumatischen Belastungsstörung zum jetzigen Zeitpunkt noch vom Vorliegen einer depressiven Anpassungsstörung aus. Insoweit verweist er darauf, dass eine solche Anpassungsstörung auch unter Zugrundelegung von Ziffer F43. 2. ICD 10 nicht nach sechs Monaten grundsätzlich erledigt ist, sondern vielmehr längerfristig andauern kann.

Der Sachverständige hat zudem in einer ergänzenden Stellungnahme vom 10.02.2015 (Blatt 323 ff, d. A.) ausgeführt, dass der Beinahe-Unfall vom 10.01.2011 während der Zeit der posttraumatischen Belastungsstörung keine Relevanz für seine Feststellungen hat.

Dies hat er in seiner mündlichen Anhörung vom 11.09.2015 insoweit bestätigt, als er angibt, dass ohne die vorhergehende Belastungsreaktion die neue Herbeirufung der Ängste so nicht erfolgt wäre. Selbst wenn die Beschwerden durch ein solches weiteres Ereignis intensiviert werden, so ändert des jedenfalls nichts daran, dass kausal im Sinne einer Mitursächlichkeit dafür die ursprünglich eingetretene posttraumatische Belastungsstörung war.

Der Erstschädiger haftet insoweit für den durch den Zweitunfall eingetretenen Schaden, wenn die Erstverletzung die Schadensanfälligkeit geschaffen oder wesentlich erhöht hat (vgl. BGH NJW 2002, 504).

Auch eine vor 8-10 Jahren durchgeführte Psychotherapie bei der Klägerin aus Anlass von Problemen am Arbeitsplatz sowie im Zusammenhang mit dem Tod ihres Ehemannes hat der Sachverständige für nicht ausschlaggebend im Zusammenhang mit seinen Feststellungen erachtet.

Soweit die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vom 11.09.2015 beantragt hat, ein weiteres psychiatrisches Gutachten zur Frage der Anpassungsstörung bzw. posttraumatischen Belastungsstörung einzuholen, sieht das Gericht hierzu keinen Anlass. Insoweit ist zwar zutreffend, dass es sich bei dem vom Gericht bestellten Sachverständigen … nicht um einen Psychiater sondern einen Nervenarzt handelt. Dies war der Beklagten jedoch bereits bei dessen Bestellung bekannt, als sie nach Mitteilung des Gerichts vom 24.07.2014 (vgl. BI. 281 Rückseite d. A.) wonach … als neurologischer Gutachter beauftragt werden sollte, mitteilte, dass insoweit keine Bedenken bestünden. Aus dem Gutachten selbst und der Behandlung des Themas ergeben sich aber jedenfalls keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass dem gerichtlich bestellten Gutachter die Kompetenz zur Feststellung einer kausal herbeigeführten posttraumatischen Belastungsstörung bzw, einer depressiven Anpassungsstörung fehlen. Insoweit hat das Gericht keinen Zweifel daran, dass … als ehemaliger Chefarzt der Klinik für Neurologie am Klinikum Frankfurt eine Bewertung der ihm vorliegenden Stellungnahmen und Gutachten von Neurologen und Psychiatern vornehmen kann, sowie eine eigene Bewertung abgeben kann.

Zudem hat der Sachverständige … auf Frage des Beklagtenvertreters in der Sitzung vom 11.09.2015 geschildert, dass er in Anschluss an seine Tätigkeit als Chefarzt der Neurologischen Klinik gerade auf dem Gebiet der Feststellungen von posttraumatischen Belastungsstörungen tätig war. Er schilderte, 30-40 amerikanische Soldaten, die aus dem Irak-Krieg zurückgekehrt waren, im Auftrag der amerikanischen Armee auf posttraumatische Belastungsstörungen untersucht und begutachtet zu haben.

Als Folgeschäden haben sich bei der Klägerin zur Überzeugung des Gerichts, hervorgerufen durch den eingetreten Primärschaden, ein Tinnitus sowie Schmerzen und Beweglichkeitseinschränkungen eingestellt.. Dafür, dass diese von der Klägerin erstmals nach dem Unfallereignis geschilderten und sodann über Jahre fortbestehenden Beschwerden unfallabhängig sind, spricht zur Überzeugung des Gerichts jedenfalls eine überwiegende Wahrscheinlichkeit(§ 287 ZPO).

Der gerichtliche bestellte Sachverständige für Hals- Nasen und Ohrenheilkunde, … hat nachentsprechender Untersuchung der Klägerin einen Tinnitus links der Kategorie 2 – 3 festgestellt, lediglich die kausale Herbeiführung durch das konkrete Unfallereignis konnte er nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit feststellen. In seiner mündlichen Anhörung vom 11.09.2015 hat er angegeben, dass aber eine posttraumatische Belastungsstörung sehr wohl Ursache für einen Tinnitus sein kann, was allerdings objektiv nicht feststellbar sei. Auch bereits der erstbehandelnde Arzt und Zeuge … gab in seiner Vernehmung – ungefragt – an, beim Tinnitus bestehe immer die Schwierigkeit irgendwelche organischen Beeinträchtigungen verantwortlich zu machen bzw. zu finden und festzustellen. Er erklärte dann weiter: „Außer der Reihe“ möchte er vielleicht mal sagen, dass es durchaus möglich sein könne, dass die Belastungsstörung auch den Tinnitus verursacht habe. Nachdem jedoch vorliegend die Klägerin entsprechend Beschwerden erstmals unmittelbar nach dem Unfall geschildert hat und insoweit auch zeitnah bereits durch den HNO-Facharzt der… ein linksseitiger Tinnitus festgestellt wurde (vgl. Befundbericht vom 04.04.2011, Anlage K 3, Blatt .38 ff. d A) und unstreitig bei der Klägerin zuvor keine entsprechenden Beschwerden vorgelegen haben, ist jedenfalls mit einer weit überwiegenden Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass dieser Schaden durch den beim Unfall eingetretenen Primärschaden verursacht wurde und nicht unfallunabhängig ist. Es ist auch in keiner Weise ersichtlich, dass die von der Klägerin geschilderten Beschwerden insoweit Ausdruck eines Begehrungsverhaltens sind; dies bestätigt auch der durch das Gericht gewonnene persönliche Eindruck von der Klägerin in den durchgeführten mündlichen Verhandlungen.

Gleiches gilt zur Überzeugung des Gerichts auch für die objektiv von Beginn an durch die Klägerin geschilderten sowie bereits durch den Zeugen … festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen in der Halswirbelsäule, wegen der die Klägerin wiederholt Krankengymnastik und Physiotherapie in Anspruch nahm. Auch der vom Gericht bestellte orthopädische medizinische Sachverständige … stellte entsprechende Funktionsbeeinträchtigungen fest. Neben dem Umstand, dass die Klägerin vor dem streitgegenständlichen Unfall entsprechende Beschwerden nicht aufwies und bereits unmittelbar nach dem Unfall entsprechende Feststellungen erfolgten, hat zudem auch der Sachverständige … in seinem Gutachten vom 27.09.2013, in dem er mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen hat, dass die Klägerin bei dem Verkehrsunfall jedenfalls eine strukturelle Verletzung im Bereich der Halswirbelsäule im Sinne einer HWS-Distorsion erlitten hat, auf Seite 53 seines Gutachtens ausgeführt, dass als Erklärungsansätze für die Angabe von Beschwerden wie bei der Klägerin, nach Verkehrsunfällen, bei denen eine HWS-Distorsion mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann, durchaus vorbestehende, anlagebedingte oder auch verschleißbedingte HWS-assoziierte Beschwerden von der Ebene des Unbewussten in die Ebene des Bewussten gehoben werden können oder die Beschwerdeangaben auch aus einer psychosomatischen Verletzung bei der Verarbeitung einer unfallbestimmten Stresssituation resultieren können.

Solche verschleißbedingten degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule liegen aber bei der Klägerin zweifellos vor.

Auch vor diesem Gesamthintergrund ist das Gericht jedenfalls davon überzeugt, dass die durch das Unfallereignis eingetretene posttraumatische Belastungsstörung die beschriebenen Beschwerden zur Folge hatte. Mit dem Ergebnis des medizinisch neurologischen Gutachters … der sich insbesondere auch auf die vorliegenden vorangegangenen ärztlichen Untersuchungsbefunde stützt, ist davon auszugehen; dass die posttraumatische Belastungsstörung nach 12 – 15 Monaten abgeklungen war und nunmehr in eine depressive Anpassungsstörung übergegangen ist.

Mit der posttraumatischen Belastungsstörung und dessen Folgeschäden einhergehend kam es bei der Klägerin nachvollziehbar zu Kopfschmerzen, Schwindel, Bewegungsschmerzen, Konzentrationsschwierigkeiten und auch zu Schlafstörungen, die sie immer wieder schlüssig gegenüber den untersuchenden Ärzten und schließlich auch im Rahmen. ihrer Anhörung in der mündlichen Verhandlung geschildert hat.

Die Klägerin war aufgrund dieser Symptome durch den Zeugen … (wie sich aus dessen Vernehmung sowie aus den Nachschauberichten, Blatt 144-148 d. A. ergibt) zu 100 % arbeitsunfähig krankgeschrieben vom 10.01.2011 bis zum 19.06.2011. In diesem Zeitraum war sie dabei nicht in der Lage, ihren Haushalt im vollen Umfang zu führen. Im Zeitraum zwischen dem 20.06.2011 und dem 03.08.2011 konnte lediglich eine zeitlich gestaffelte Wiedereingliederung in das Berufsleben stattfinden.

Die Klägerin befand sich über 3 ½ Jahre hinweg in psychotherapeutischen Behandlung bei der Psychologin … Der medizinisch neurologische Sachverständige … gab in seiner Anhörung am 11.09.2015 an, eine Fortführung der Psychotherapie sei durchaus sinnvoll. Es könne dazu beitragen, dass die nunmehr noch vorliegende depressive Anpassungsstörung verschwindet.

Im Hinblick auf den durch das Unfallereignis kausal verursachten Primärschaden und der beschriebenen Folgeschäden ist der Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld zu gewähren, wobei das geschilderte Ausmaß der konkreten Beeinträchtigungen für die Bemessung in erster Linie ausschlaggebend ist. Hingegen spielt die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgelds gerade im vorliegenden Fall, dem lediglich eine fahrlässige Herbeiführung eines Verkehrsunfalls zugrunde liegt, keine wesentliche Rolle. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die ursprünglich eingetretene posttraumatische Belastungsstörung nach 12-15 Monaten abgeklungen ist und nunmehr in eine depressive Anpassungsstörung übergegangen ist, bei der es sich nach Angaben des Sachverständigen … um eine graduelle Abstufung im Hinblick. auf die posttraumatische Belastungsstörung handelt.

Diese Anpassungsstörung liegt nach den gutachterlichen Feststellungen auch heute noch vor. Bereits in seinem Gutachten vom 15.11.2014, hat der Sachverständige … angegeben, dass nicht genau vorhersehbar sei, wie lang eine depressive Anpassungsstörung anhalten wird. Er empfehle daher nach Ablauf von zwei Jahren eine erneute Begutachtung durch einen Neurologen bzw. Psychiater. Dies hat er in seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung vom 11.09.2015 bestätigt.

Dass die noch vorliegende depressive Anpassungsstörung jedenfalls nicht reversibel ist, kann nicht angenommen werden. Der beauftragte Gutachter hat jedoch nachvollziehbar unter Hinweis auf Ziffer F43.2 der Diagnosekriterien nach ICD 10 auch angegeben, dass eine solche Anpassungsstörung auch nicht generell nach einem bestimmten Zeitraum als erledigt angesehen werden kann.

Damit steht zum derzeitigen Zeitpunkt noch nicht fest, ob es sich bei der vorliegenden Anpassungsstörung mit dem als Folge eingetretenen Tinnitus um einen Dauerschaden handelt:

Vor diesem Gesamthintergrund hält das Gericht ein Schmerzensgeld in Höhe von 10.000,00 EUR für angemessen. Das Gericht orientiert sich insoweit auch an vergleichbaren Fällen, wie sie bei „Hacks/Wellner/Hacker —Schmerzensgeldbeträge 2013″ dargestellt sind. Insoweit verweist das Gericht im oberen Bereich auf die lfd. Nr. 2009, einem Fall, in dem aufgrund eines ärztlichen Behandlungsfehlers eine posttraumatische Belastungsstörung mit depressiven Symptomen hervorgerufen wurde und ein Schmerzensgeld in Höhe von 15.000,00 EUR zugesprochen wurde, aber auch auf in Einzelheiten abweichende Fälle, in denen Schmerzensgelder in Höhe von 7.500,00 EUR (lfd. 1987) sowie 10.000,00 EUR (vgl. lfd. Nr. 1995) gewährt wurden. Vorliegend hält das Gericht im Hinblick auf die dargestellten eingetretenen Beeinträchtigungen ein Schmerzensgeld in Höhe von 10.000,00 EUR für angemessen.

Neben einem angemessenen Schmerzensgeld kann die Klägerin weiterhin Ersatz des nachfolgenden ihr entstandenen materiellen Schadens verlangen:

Der Klägerin steht ein Anspruch auf Verdienstausfallschaden in Höhe der geltend gemachten 984,19 EUR zu. Bereits in der Klageschrift vom 26.07.2011 hatte die Klägerin für die Zeit vom 22.02.2011 bis Ende Juni 2011 einen Verdienstausfallschaden in Höhe der Differenz zwischen ihrem Gehaltsanspruch und von der Berufsgenossenschaft geleistetem Verletzungsgeld geltend gemacht. Hinsichtlich der Zahlungen hat sie auf die Anlage K 7 und K 8 Bezug genommen, greifbare Einwendungen hiergegen sind beklagtenseits nicht vorgebracht worden. Gleiches gilt, soweit die Klägerin mit Klageerweiterungsschrift vom 26.01.2012 weiteren Verdienstausfallschaden für den Zeitraum Juli 2011 bis 03.08.2011 geltend gemacht hat – nunmehr einen Gesamtverdienstausfallschaden in Höhe von 984,19 EUR. Soweit die Beklagte die zugrunde gelegten Zahlen pauschal bestreitet, hat die Klägerin durch Vorlage der Anlage K 9 (Blatt 97 d. A.) die Höhe des erhaltenen Verletztengeldes nachgewiesen. Bereits aus der Anlage K 8 ergibt sich das ab dem 01.04.2011 vereinbarte monatliche Bruttogehalt in Höhe von 3.211,41 EUR. Die Klägerin hat insoweit bei ihrer Berechnung lediglich den Netto-Betrag zugrunde gelegt.

Da lediglich die beschriebene Differenz geltend gemacht wird, bestehen auch im Hinblick auf § 116 SGB X keine Zweifel an der Aktivlegitimation der Klägerin.

Soweit die Klägerin einen weiteren Differenzschaden in Höhe von 129,88 EUR damit begründet, dass die Berufsgenossenschaft ihr im Rahmen der Fahrtkostenerstattung lediglich 0,20 EUR pro gefahrenen Kilometer zugebilligt hat; sie aber einen Anspruch auf 0,30 EUR pro gefahrenen Kilometer habe, weshalb ihr ein weiterer Anspruch in Höhe von 129,88 EUR zustehe, hält das Gericht im Rahmen einer Schätzung nach § 287 ZPO hinsichtlich der entstandenen Kosten einen Rückgriff auf § 5 Abs. 2 Ziff. 1 WEG für angemessen, wonach 0,25 EUR pro gefahrenen Kilometer anzusetzen sind. Insoweit ergibt sich vorliegend für die Klägerin ein weiterer erstattungsfähiger Schaden in Höhe von 64,94 EUR.

Hinsichtlich der geforderten Nutzungsausfallentschädigung für den Zeitraum der Reparatur ihres Pkws vom 10.01.2011 bis 19.01.2011 kann die Klägerin 350,00 € verlangen. Die Klägerin hat jedenfalls keine erheblichen körperlichen Verletzungen erlitten; die Nutzungsmöglichkeit eines Pkw wurde durch die festgestellten Beeinträchtigungen jedenfalls nicht ausgeschlossen. Nachdem das klägerische Fahrzeug am 29.06.2001 erst zugelassen wurde und sich der Unfall am 10.01.2011 ereignet hat, ist jedoch im Rahmen der Bemessung der Höhe des Anspruchs eine Eingruppierung nicht in die Gruppe D sondern in die Gruppe C mit einem Tagessatz von 35,00 EUR vorzunehmen, so dass ein Anspruch in Höhe 350,00 EUR besteht (vgl. Grüneberg-Palandt, BGB 74. Auflage, § 249 Rn 44; Sanden/Völtz, Schadensrecht, 9. Aufl., S. 146).

Die Klägerin kann weiterhin im Grundsatz Ersatz ihres Haushaltsführungsschadens für den Zeitraum vom 10.01.2011 bis zum 19.06.2011 verlangen. Auch wenn ein Haushaltsführungsschaden im Zusammenhang mit dem Vorliegen einer posttraumatische Belastungsstörung als Primärschaden eines Verkehrsunfalls zurückhaltend zuzusprechen ist, so steht jedoch im vorliegenden Fall fest, dass die Klägerin im maßgeblichen Zeitraum, auch ausweislich der Bestätigung des Zeugen … nicht in der Lage war, ihren Haushalt in vollem Umfang zu führen. Dies hat der Zeuge … im Rahmen seiner Vernehmung vom 12.10.2012 damit begründet, dass im Wesentlichen aufgrund der psychischen Belastungssituation sie zur Haushaltsführung nicht in der Lage war. Zudem war die Klägerin in diesem Zeitraum zu 100 % arbeitsunfähig und krankgeschrieben.

Das Gericht schätzt den Haushaltsführungsschaden für die Klägerin für diesen Zeitraum auf 1.143,99 EUR im Sinne insoweit eingetretener vermehrter Bedürfnisse.

Der Schätzung liegen folgende Überlegungen zugrunde:

Der klägerseits geltend gemachte Haushaltsführungsschaden stellt sich als Erwerbstätigkeitsschaden dar, soweit die Klägerin zugunsten von unterhaltsberechtigten Familienangehörigen den Haushalt führt. Nach eigenem Vortrag der Klägerin leben in ihrem Haushalt aber eine zu 50 % schwerbehinderte Tochter, für die sich eine Unterhaltspflicht nach § 1601 BGB ergibt, sowie eine studierende Tochter, der die Klägerin zum Unterhalt nach § 1601 BGB, zu dem auch der Ausbildungsunterhalt nach § 1610 BGB zählt, verpflichtet ist Hinsichtlich ihrer eingeschränkten Erwerbsfähigkeit hat die Klägerin aber unstreitig Leistungen der Berufsgenossenschaft für die geltend gemachte Zeit in Höhe von 8.258,81 EUR erhalten (vgl. Berechnung in der Klageschrift, Blatt 4 d. A.). Insoweit besteht Kongruenz mit diesen Leistungen (vgl. BGH, Urteil vom 04.12.1984, Az: VI ZR 117/83, NJW 85 735; Plagemann in Geigel, Der Haftpflichtprozesse, 26. Auflage, Kapitel 30, Rn. 25) und ist der Anspruch daher gemäß § 116 SGB X auf die leistende Berufsgenossenschaft übergegangen. Das Verletztengeld dient gerade dem Ausgleich, die Arbeitskraft nutzen zu können, ohne jedoch auf die Berufstätigkeit beschränkt zu sein. (vgl. Pardey in Geigel, Der Haftpflichtprozess, 26. Aufl. Kapitel 4, Rn 1041). Insoweit greift daher der Einwand der Beklagten hinsichtlich der fehlenden Aktivlegitimation der Klägerin, die, nachdem der Forderungsübergang nach. § 116 SGB X bereits im Zeitpunkt der Anspruchsentstehung erfolgt, allein beim Leistungsträger liegt (vgl. BGH, NJW 2004, 3324, abgedruckt beck-online, dort Ziffer II, 2a).

Lediglich im Umfang von 1/2 des eingetretenen Haushaltsführungsschaden liegt daher ein Schaden im Sinne vermehrter Bedürfnisse der Klägerin selbst vor. Das Gericht folgt insoweit der Rechtsprechung des BGH, wonach vorliegend nach Kopfteilen gequotelt werden kann (vgI. BGH VersR 1985, 356).

Im Hinblick auf einen Anspruchsübergang nach 116 SGB X, der bereits zum Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses eintritt (vgl. BGH, st. Rspr., zuletzt NJW 2011, 2357) fehlt es insoweit auch nicht an der Aktivlegitimation der Klägerin. Es spricht bereits viel dafür, dass eine Kongruenz vermehrter Bedürfnisse mit Leistungen nach §§ 42 SGB VII, 54 SGB IX, wie sie die Beklagte für möglich hält, nur dann gegeben ist, wenn es sich um fortlaufende und nicht lediglich um vorübergehende Bedürfnisse handelt (vgl. Küppersbusch, Ersatzansprüche bei Personenschäden, 10. Auflage, Rn 602 „vermehre Bedürfnisse“).

Vorliegend hat aber zudem die Berufsgenossenschaft für den geltend gemachten Zeitraum tatsächlich keine Leistungen erbracht. Auch ist Voraussetzung für einen Anspruchsübergang, das überhaupt die Möglichkeit besteht, dass die … entsprechende Leistungen nach § 42 SGB VII, 54 SGB IX erbringen kann. Dies ist hier aber nicht der Fall: Eine Haushaltshilfe wird nach vorgenannten Vorschriften – grundsätzlich als Sachleistung – nur geleistet, wenn die Weiterführung des Haushalts durch den Leistungsempfänger nicht möglich ist, und zwar gerade wegen der Ausführung erbrachter Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben oder zur medizinischen Rehabilitation (vgl. § 54 SGB IX) oder zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft (vgl. § 42 SGB VII) (vgl. Schütze in Hauck/Noftz, SGB IX, Stand 12/ 03, § 54 SGB IX, abgedruckt in Juris, dort Rn 3 u. 4.).

Vorliegend wird der Haushalsführungsschaden aber nicht wegen der Ausführung entsprechender Leistungen geltend gemacht, sondern weil die Klägerin sich zu einer entsprechenden Haushaltsführung aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage sah.

Weiterhin bedeutet eine 100 %-ige Minderung der Erwerbsfähigkeit zwar nicht gleichzeitig auch eine 100 %-ige Einschränkung in der Haushaltsführung und dürfte die haushaltsspezifische Minderung der Fähigkeiten im Haushalt – evtl. auch nur organisatorisch – zu arbeiten, in der Regel unterhalb dieser Einschränkung liegen; vorliegend hat die Klägerin jedoch lediglich 18 Stunden pro Woche als erforderlichen auszugleichenden Umfang ihrer Haushaltsführungen zugrunde gelegt. Im Rahmen der Schätzung nach § 287 ZPO hält das Gericht einen Ausgleich in diesem Umfang aber für zutreffend. Insoweit bezieht sich das Gericht auch auf die von Pardey dargelegte Regulierungstabelle (in: „Der Haushaltsführungsschaden, 8. Auflage“ dort Seite 23) wonach für einen 1-Personen-Haushalt ein pauschaler Zeitansatz von 19 Stunden pro Woche zugrunde gelegt wird, bei einem 3-Personen-Haushalt aber bereits in solcher von 40 Stunden pro Woche. Unstreitig hat die Klägerin aber mit ihren beiden gemeinsamen Kindern im Haushalt gelebt. Unabhängig von der von Beklagtenseite bestrittenen Größe und Ausstattung der Wohnung hält das Gericht daher im Wege der Schätzung grundsätzlich die Erforderlichkeit der klägerseits lediglich angesetzten 18 Stunden pro Woche für gegeben. Nachdem die Klägerin keine Ersatzkraft eingestellt hat, ist auf den Netto-Lohn abzustellen, den eine Arbeitskraft nach regionalen Durchschnittssätzen erhalten würde. Diesen nimmt das Gericht mit 6,69 EUR für das Jahr 2011 an und bezieht sich insoweit auf die Berechnungen von Nickel/Schwab in SVR 2014, 17, wie sie auch dargestellt sind bei Nickel/Schwab: in Himmelreich/Halm/Staab, Handbuch der Schadens-Kfz-Regulierung, 3. Auflage, Kapital 18 Rn 39 ff., hier insbesondere Rn. 47 (vgl. insoweit auch OLG Frankfurt, Beschuss vom 29.10.2008, Az. 22 W 64/08, abgedruckt in Juris, dort Rn 4). Es kann von einer einfachen Tätigkeit der Vergütungsgruppe 2 ausgegangen werden; multipliziert mit 18 Wochenstunden ergibt dies wöchentlich 120,42 EUR, multipliziert mit dem maßgeblichen Zeitraum von 19 Wochen, einen Befrag von 2.287,98 EUR. Da die Klägerin jedoch nach ihrem Kopfteil als vermehrte Bedürfnisse lediglich die Hälfte dieses Schadens verlangen kann (s.o.), ergibt sich ein Betrag von 1.143,99 EUR.

Weiterhin ist auch der Feststellungsantrag der Klägerin nach § 256 ZPO zulässig- und begründet. Der Sachverständige … hat nachvollziehbar unter Hinweis auf die Diagnosekriterien nach ICD 101 dort Ziffer F43.2, erklärt, dass die weitere Entwicklung. hinsichtlich der depressiven Anpassungsstörung, derzeit noch nicht vorausgesagt werden kann; dass vielmehr eine weitere Untersuchung nach zwei Jahren sinnvoll erscheint. Es sei eher ungewöhnlich, wenn sich die Beschwerden verschlimmern, es sei aber nicht ausgeschlossen, dass auch eine weitere schwere Depression folge, wovon er aber bei der Klägerin bislang nicht ausgehe.

Damit können aber derzeit weitere Spät- oder Dauerschäden nicht ausgeschlossen werden, so dass bereits aus diesem Grunde der Feststellungsantrag hinsichtlich weiterer etwaiger materieller und immaterieller Schäden begründet ist.

Die Klägerin kann Verzugszinsen ab dem von ihr verlangten Zeitpunkt verlangen, nachdem sie die Beklagte mit Schreiben vom 12.01.2011 unter Fristsetzung bis zum 28.01.2011 zur Erklärung ihrer Eintrittspflicht dem Grunde nach aufgefordert hat und hierauf keine entsprechende Reaktion erfolgte. Vor diesem Hintergrund war eine weitere genaue Bezifferung des Schadens mit einer erneuten Fristsetzung zur Begründung des Verzugs nicht erforderlich(§§ 286, 288 Abs. 1 BGB). Der Haushaltsführungsschaden wurde mit Klageerweiterungsschrift vom 26.01.2012 geltend gemacht, der der Beklagten am 07.02.2012 zugestellt wurde, so dass Verzugszinsen aus einem Betrag von 1143,99 € ab dem 08.02.2012 zu zahlen sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.

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