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Anforderungen an Verbraucherhinweis gemäß § 286 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 BGB

Medizinische Notwendigkeit trifft auf Debatte der Kodierungsrichtlinien: Die Schicksale der Hauptdiagnose Bronchitis

Das kürzlich veröffentlichte Urteil des Amtsgerichts Stuttgart (Az.: 3 C 4990/18) vom 1. September 2020 wirft wichtige Fragen bezüglich der medizinischen Notwendigkeit stationärer Behandlungen und der Einhaltung der Kodierungsrichtlinien im medizinischen Abrechnungsprozess auf. Der Beklagte, ein Patient, der sich einer stationären Behandlung unterzogen hatte, wurde von der klagenden medizinischen Einrichtung auf Zahlung der Behandlungskosten verklagt. Der Kern des Konflikts bestand darin, dass der Beklagte die medizinische Notwendigkeit der stationären Behandlung in Frage stellte und behauptete, die Abrechnung der Klägerin sei ungültig, da sie zu Unrecht auf der Bronchitis (J20.8) als Hauptdiagnose basiere.

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Streitpunkt: Die Hauptdiagnose

Die Kodierungsrichtlinien spielen eine wichtige Rolle bei der Bestimmung, welche Diagnose als Hauptdiagnose für die Abrechnung verwendet werden soll. In diesem Fall behauptete der Beklagte, dass die Bronchitis fälschlicherweise als Hauptdiagnose für die Abrechnung verwendet wurde. Dies führte zu einer eingehenden Untersuchung der medizinischen Dokumentation und zu einer gerichtlichen Anhörung eines Sachverständigen, um zu bestimmen, ob die Verwendung von Bronchitis als Hauptdiagnose korrekt war.

Medizinische Notwendigkeit und Abrechnungsrichtlinien

Das Gericht stützte sich auf die überzeugenden Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen, um zu dem Schluss zu kommen, dass die stationäre Behandlung des Beklagten tatsächlich medizinisch notwendig war. Darüber hinaus wurde festgestellt, dass die Klägerin zu Recht auf Grundlage der Bronchitis als Hauptdiagnose abgerechnet hatte. Die Notwendigkeit für eine stationäre Behandlung wurde durch persistierende Symptome trotz adäquater Medikation, mögliche Komplikationen und die Notwendigkeit einer angemessenen Überwachung des Patienten nach einer Operation in den späten Abendstunden bestätigt.

Verzögerung der Zahlung und Verzug

Ein weiteres zentrales Element dieses Falles war die Frage des Zahlungsverzugs. Das Gericht kam zu dem Schluss, dass der Beklagte nicht automatisch in Verzug geraten war, da der Hinweis auf den automatischen Verzugseintritt in der Rechnung der Klägerin nicht ausreichend hervorgehoben wurde. Stattdessen wurde festgestellt, dass der Verzug mit der Hauptforderung erst aufgrund einer Mahnung eintrat, die nach der ursprünglichen Rechnung ausgestellt wurde.

Entscheidung des Gerichts

Abschließend entschied das Gericht zugunsten der klagenden medizinischen Einrichtung, dass der Beklagte verpflichtet ist, die Behandlungskosten sowie die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten zu tragen. Diese Entscheidung unterstreicht die Bedeutung einer sorgfältigen Prüfung der medizinischen Notwendigkeit und der Einhaltung der Kodierungsrichtlinien im medizinischen Abrechnungsprozess. Sie betont außerdem die Notwendigkeit einer klaren und deutlich hervorgehobenen Verzugsregelung in der medizinischen Rechnungsstellung.


Das vorliegende Urteil

AG Stuttgart – Az.: 3 C 4990/18 – Urteil vom 01.09.2020

1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin EUR 2.445,57 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz daraus seit dem 17.05.2018 sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von EUR 281,30 nebst Zinsen daraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.10.2018 zu bezahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Streitwert: 2.445,57 €

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Verpflichtung des Beklagten, weitere Behandlungskosten für eine stationäre Behandlung seines Sohnes zu bezahlen.

Der Sohn des Beklagten (in der Folge auch: „S.“) befand sich im Zeitraum vom 17.08.2016 bis zum 18.08.2016 in stationärer Behandlung im Klinikum S., da auf Grund einer persistierenden obstruktiven Bronchitis zunächst der Verdacht auf eine Fremdkörperaspiration bestand. Im Zuge der deshalb am 17.08.2016 durchgeführten diagnostischen Tracheobronchoskopie wurde eine Adenotomie vorgenommen. Mit Schreiben vom 07.09.2016 (Anl. K1, Bl. 14 f. d.A.) stellte die Klägerin dem Beklagten für die Behandlung einen Betrag in Höhe von 3.490,57€ in Rechnung. Darauf leistete die Streithelferin, der private Krankenversicherer des Beklagten, der dem Rechtsstreit auf dessen Seite beigetreten ist, eine Teilzahlung in Höhe von 1.045,00 € (Anl. BLD 2, Bl. 35 d.A.). Weitere Zahlungen leistete der Beklagte weder auf die Mahnung vom 14.05.2018 (Anl. K 2, Bl. 16 d.A.) noch auf eine vorgerichtliche Zahlungsaufforderung der Klägervertreter vom 21.06.2018.

Die Klägerin behauptet, die stationäre Behandlung von S. sei medizinisch notwendig gewesen. Sie macht weiter geltend, dass die Abrechnung korrekt und unter zutreffender Anwendung der einschlägigen Kodierrichtlinien erfolgt sei.

Die Klägerin, welche die Klage mit Schriftsatz vom 25.09.2018 (Bl. 10 f. d.A.) noch vor Eingang der Mahnakten beim Streitgericht (26.10.2018) gegenüber dem Mahngericht um 1.045 € zurückgenommen hat, beantragt im streitigen Verfahren,

den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 2.445,57 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 10.10.2016 sowie vorgerichtlich entstandene Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 413,64 € jeweils nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozesspunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Der Beklagte bestreitet, dass eine stationäre Behandlung medizinisch notwendig war und macht geltend, dass die Abrechnung der Klägerin gegen die Kodierrichtlinien verstoße, weil sie zu Unrecht auf der Bronchitis (J20.8) als Hauptdiagnose basiere.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und die zu den Akten gereichten Unterlagen Bezug genommen. Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens nebst zweier Ergänzungen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten vom 15.07.2019 (Bl. 178 ff. d.A.) sowie auf die Ergänzungsgutachten vom 03.11.2019 (Bl. 219 d.A.) und vom 09.04.2020 (Bl. 235 d.A.) Bezug genommen. Mit Zustimmung beider Parteien und der Streithelferin (Bl. 237, 238, 246 d.A.) hat das Gericht gem. § 128 Abs. 2 ZPO im schriftlichen Verfahren entschieden.

Entscheidungsgründe

I.

Die Klage ist zulässig, insbesondere ist das AG Stuttgart sachlich und örtlich zuständig (§§ 23 Nr. 1 GVG, 29 ZPO – vgl. BGH, NJW 2012, 860 Rn. 12 ff) und im Wesentlichen begründet. Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Zahlung weiterer EUR 2.445,57 gem. §§ 611, 612, 630a Abs. 1 BGB i.V.m. § 17 Abs. 1 Satz 1 KHG.

Nach den überzeugenden und zuletzt unangegriffenen Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen, auf welche das Gericht Bezug nimmt und denen es sich vollumfänglich anschließt, steht für das Gericht fest (§ 286 ZPO), dass die stationäre Behandlung des S. medizinisch notwendig war und die Abrechnung der Klägerin (Anl. K 1, Bl. 14 d.A.) inhaltlich korrekt ist. Die medizinische Notwendigkeit der stationären Behandlung ergibt sich daraus, dass die Symptome trotz adäquater Medikation persistierten, dass Komplikationen möglich waren und nicht zuletzt daraus, dass sich eine adäquate Überwachung des Patienten auf Grund des späten Operationszeitpunktes bis in die späten Abendstunden hätte erstrecken müssen. Auf Grund der Darlegungen des Sachverständigen steht weiter fest, dass die Klägerin zu Recht auf Grundlage der Bronchitis als Hauptdiagnose abgerechnet hat, und dass auch die Abrechnung an sich nicht zu beanstanden ist. Weitere Einwendungen gegen die Richtigkeit der Abrechnung wurden zuletzt nicht erhoben und sind auch nicht ersichtlich.

II.

Die Zinsentscheidung folgt aus §§ 291, 288 BGB. Der von der Klägerin begehrte Zinsbeginn auf Grundlage des § 286 Abs. 3 BGB war ihr allerdings nicht zuzusprechen, weil der Beklagte auf den Verzugsbeginn nicht im Sinne von § 286 Abs. 3 Satz 1 BGB „besonders hingewiesen“ wurde. Der in der Rechnung enthaltene Hinweis ist ist zwar inhaltlich nicht zu beanstanden, da er im Kern den Gesetzestext wiedergibt. Der Hinweis wird aber dem insoweit zu beachtenden Deutlichkeitsgebot (vgl. dazu MünchKomm-BGB/Ernst, 8. Aufl., § 286 Rn. 91; Staudinger/Feldmann, BGB, Neubearb. 2019, § 286 Rn. 112) nicht gerecht, weil er nicht – wie danach geboten (vgl. Palandt/Grüneberg, 78. Aufl., Art. 246 EGBGB Rn. 14; BGH, NJW 2009, 3020 juris Rn. 24 jew. mwN) – drucktechnisch deutlich hervorgehoben ist. Der Hinweis findet sich vielmehr in einem zwar fettgedruckten, aber gegenüber dem übrigen Rechnungstext kleiner gehaltenen Fließtext, der weitere Hinweise enthält, neben welchen der Hinweis auf den automatischen Verzugseintritt untergeht. Verzug mit der Hauptforderung trat folglich erst auf Grund der Mahnung vom 14.05.2018 (Anl. K 2, Bl. 16 d.A.).

Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten, deren tatsächliche Grundlage der Beklagte allenfalls unsubstantiiert bestritten hat (§ 138 Abs. 3 ZPO), waren nur aus einem Gegenstandswert zuzusprechen, der dem Obsiegen in der Hauptsache entsprach (BGH, VersR 2018, 237 Rn. 7). Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, da das Unterliegen der Klägerin auch bei Berücksichtigung der überhöhten Forderung im Mahnverfahren (§§ 269 Abs. 3, § 696 Abs. 1 Satz 5, § 281 Abs. 3 Satz 1 ZPO; vgl. dazu OLGR Dresden 2007, 207 juris Rn. 4) und dem Teilunterliegen hinsichtlich der Nebenforderungen (vgl. BGH, NVwZ 2014, 967 juris Rn. 20; BGH, NJW 1988, 2173 juris Rn. 28) geringfügig war. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO.

 

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