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Halter- und Fahrerhaftung bei Begegnungsunfall

Oberlandesgericht Thüringen – Az.: 5 U 103/17 – Urteil vom 24.04.2018

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Meiningen vom 24.01.2017, Az. (14) 2 O 37/15, abgeändert und die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Parteien streiten um die Zahlung von materiellem Schadensersatz und Schmerzensgeld nach einem Verkehrsunfall, der sich als Begegnungsunfall in einer Kurve ereignet hat. Wegen des Sachverhalts wird gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf die Feststellungen im Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen.

Das Landgericht hat nach Verwertung des im gegen den Kläger eingeleiteten Bußgeldverfahren eingeholten Sachverständigengutachtens die Beklagten unter Zugrundelegung einer Haftungsquote von 33 % aus der Betriebsgefahr des LKW zur Zahlung von materiellem Schadensersatz in Höhe von 1.986,49 € bei Nichtberücksichtigung von Nutzungsausfall sowie zur Zahlung von Schmerzensgeld in Höhe von 700,00 € und des Weiteren zur Erstattung außergerichtlicher Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 179,27 € verurteilt. Zur Begründung hat das Erstgericht im Wesentlichen ausgeführt, dass auf Grundlage des Gutachtens des Sachverständigen Weisheit feststehe, dass der Kläger mit seinem PKW bei der Kollision mit dem beklagtenseitigen LKW leicht über die Fahrbahnmitte hinaus auf die vom entgegen kommenden LKW befahrene Fahrbahnhälfte geraten sein müsse. Entweder habe nach der Vermutung des Sachverständigen ein Fahrfehler des Klägers oder die von ihm gefahrene Geschwindigkeit zum geringfügigen Abkommen auf die linke Fahrbahnhälfte geführt. Auf Beklagtenseite sei ein Fahrfehler nicht zu erkennen. Allerdings sei die erhöhte Betriebsgefahr des LKW mit 33 % zu berücksichtigen. Die zugesprochenen Schadenspositionen des materiellen Schadensersatzes sind allesamt unstreitig gewesen. Zum Schmerzensgeld hat das Erstgericht ausgeführt, dass bei der Bemessung die unfallbedingt erlittenen Verletzungen und das eigene Mitverschulden des Klägers berücksichtigt worden seien.

Gegen dieses den Beklagten am 30.01.2017 zugestellte Urteil haben sie mit einem am 10.02.2017 beim Thüringer Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit einem am 02.03.2017 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz begründet.

Die Beklagten verfolgen mit der Berufung nach wie vor die vollumfängliche Abweisung der Klage. Es sei nicht überzeugend, den Beklagten einen Haftungsanteil von 33 % zuzuweisen, nur weil sich der LKW ordnungsgemäß auf seiner Fahrbahn befunden habe und es nicht habe vermeiden können, zum Unfallzeitpunkt an einer anderen Örtlichkeit zu sein. Unter Berücksichtigung der weiteren Feststellung des Erstgerichts, dass bei dem Beklagten zu 1 ein Fahrfehler nicht zu erkennen sei, könne dies nicht richtig sein. Dies würde gleichsam bedeuten, dass sich jeder LKW- oder Busfahrer, der an einem Unfall beteiligt ist, von Gesetzes wegen eine Mithaftung von 33 % anrechnen lassen müsste. Die alleinige Ursache für den Unfall habe der Kläger gesetzt, indem er entweder durch einen Fahrfehler oder die tatsächlich von ihm gefahrene Geschwindigkeit auf die linke Fahrbahnseite abgekommen ist. Es sei außerdem zu berücksichtigen, dass nach den Ausführungen des Sachverständigen der LKW mit einer Breite von 2,5 m nahezu die gesamte Fahrbahnbreite von 3 m ausgefüllt hatte. Damit könne dem Beklagten zu 1 nach Meinung der Beklagten auch nicht angelastet werden, er sei mit zu geringem Abstand zur Fahrbahnmitte gefahren. Auch das zugesprochene Schmerzensgeld sei für die Beklagten nicht zu akzeptieren. Das Erstgericht verweise nur pauschal auf die unfallbedingten Verletzungen. Es mangele im Urteil an einer entsprechenden Begründung zur Höhe des Schmerzensgeldes. Die Verletzungen seien durch den Kläger kausal schuldhaft alle selbst herbeigeführt worden.

Die Beklagten beantragen, das Urteil des Landgerichts Meiningen vom 24.01.2017, Az. (14) 2 O 37/15, abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Es sei nicht zu beanstanden, zu Lasten der Beklagten eine Haftung aus Betriebsgefahr mit einem Anteil von 33 % anzusetzen. Unter Zugrundelegung des Maßstabs von § 7 Abs. 2 StVG sei ein reaktionsloses Verhalten ohne auszuweichen oder abzubremsen bei einem entgegen kommenden Fahrzeug, welches nur leicht die Mittellinie ohne nachgewiesene überhöhte Geschwindigkeit überfährt, kein unabwendbares Ereignis. In einem leichten Überfahren der Mittellinie sei kein gravierender Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot zu sehen. Damit sei im Begegnungsverkehr immer zu rechnen. Selbst bei Annahme eines sich verkehrsgerecht verhaltenden LKW sei die diesem innewohnende Betriebsgefahr haftungsmindernd zu berücksichtigen. Bei Zugrundelegung der Verletzungen des Klägers mit den von ihm dargelegten weiteren Folgen sei das zugesprochene Schmerzensgeld von 700,00 € noch eher zu gering bemessen.

II.

Die Berufung der Beklagten ist gemäß § 511 ZPO statthaft und gemäß §§ 517, 519, 520 ZPO zulässig.

Die Berufung ist begründet und führt zur Abänderung des erstinstanzlichen Urteils. Die Klage ist insgesamt abzuweisen.

Entgegen der Auffassung des Erstgerichts ist zu Lasten der Beklagten wegen der dem Kläger aus dem Unfall vom 11.06.2014 erwachsenen materiellen und immateriellen Schäden auf Grundlage von §§ 7, 17 StVG i. V. m. § 18 StVG hinsichtlich des Beklagten zu 1 und i. V. m. § 115 Abs. 1 Satz 1 VVG hinsichtlich der Beklagten zu 3 kein Haftungsanteil zu berücksichtigen.

Die Betriebsgefahr des beklagtenseitigen LKW tritt bei Abwägung der wechselseitigen Verursachungsbeiträge am streitgegenständlichen Unfallereignis hinter das straßenverkehrsordnungswidrige Verhalten des Klägers zurück.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme durch Verwertung des im Bußgeldverfahren eingeholten Sachverständigengutachtens – diesbezüglich kann den Ausführungen des Erstgerichts noch gefolgt werden – steht fest, dass nicht der beklagtenseitige LKW in die Fahrspur des Klägers, sondern der Kläger mit seinem Fahrzeug leicht über die Fahrbahnmitte hinaus in die vom LKW befahrene Fahrspur geraten ist. Hierin liegt eindeutig ein Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot des § 2 Abs. 2 StVO. Hinzu kommt, dass der Kläger entgegen § 41 Abs. 1 StVO i. V. m. Zeichen 295 der Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO das angeordnete Verbot, die durchgehende Fahrstreifenbegrenzung auch nicht teilweise zu überfahren, missachtet hat.

Dem gegenüber hat der Beklagte zu 1 mit dem von ihm geführten LKW keinen Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung begangen. Insbesondere trifft ihn kein Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot des § 2 Abs. 2 StVO. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. Urteil vom 20.02.1990, Az. VI ZR 124/89, abgedruckt in NJW 1990, 1850; Urteil vom 09.07.1996, Az. VI ZR 299/95, abgedruckt in NJW 1996, 3003 – je zitiert nach juris) ist das Rechtsfahrgebot nicht starr. Was „möglichst weit rechts“ ist, hängt von der Örtlichkeit, der Fahrbahnart und –beschaffenheit, der Fahrgeschwindigkeit, den Sichtverhältnissen, dem Gegenverkehr und anderen Umständen ab. Dabei hat der Kraftfahrer einen gewissen Beurteilungsspielraum, solange er sich so weit rechts hält, wie es im konkreten Fall im Straßenverkehr „vernünftig“ ist. Dies lässt sich nicht abstrakt, sondern nur nach der konkreten Verkehrssituation beurteilen. Der Beurteilungsspielraum entfällt dann, wenn die Strecke unübersichtlich ist. In diesen Fällen muss der Fahrer die äußerste rechte Fahrbahnseite einhalten, weil die Gefahr besteht, dass die Unübersichtlichkeit der Strecke ein rechtzeitiges Ausweichen nach rechts vor einem plötzlich auftauchenden Hindernis nicht mehr zulässt.

Nach den Lichtbildern aus dem Gutachten des Sachverständigen Weisheit ist von einer langgezogenen Kurve auszugehen. Eine unübersichtliche Strecke liegt nicht vor. Unter Berücksichtigung der sachverständigen Feststellungen, dass der LKW 2,5 m breit und die von ihm befahrene Fahrbahn 3 m breit gewesen ist, hatte der Beklagte zu 1 im Weiteren mit dem von ihm gefahrenen LKW kaum Spielraum nach rechts oder links, maximal jeweils 25 cm. Nach den Feststellungen des Sachverständigen Weisheit waren die auf dem Lichtbild auf S. 3 unten seines Gutachtens ersichtlichen Walkspuren, die der Sachverständige unter Berücksichtigung der Spurbreite des LKW zweifelsfrei dessen linken Rad zuordnen konnte, 20 cm von der Leitlinie entfernt. Damit bietet sich kein Anhalt für einen Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot.

Ohne dass es darauf ankommt, inwieweit es sich bei dem streitgegenständlichen Unfall für den Beklagten zu 1 um ein unabwendbares Ereignis im Sinne von § 17 Abs. 3 StVG gehandelt hat, entspricht es in der hier gegebenen Konstellation der Billigkeit, die Betriebsgefahr des beklagtenseitigen LKW als nicht erheblich ins Gewicht fallend und gegenüber dem Verursachungsbeitrag des Klägers am Unfallereignis als zurücktretend zu beurteilen. Es entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. u. a. Urteil vom 20.02.1990, Az. VI ZR 124/89, a. a. O.), dass es der Billigkeit entsprechen kann, gegenüber einem grob leichtfertig handelnden Schädiger eine nicht erheblich ins Gewicht fallende mitursächliche Betriebsgefahr bei der Abwägung außer Betracht zu lassen. Es hat – wie im vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall – keinen verkehrsbedingten Grund für den Kläger gegeben, in die Fahrbahn des LKW zu geraten. Allein das Fahrverhalten des Klägers hat hierzu beigetragen, ohne dass es darauf ankommt, ob nun ein Fahrfehler des Klägers oder eine über der Kollisionsgeschwindigkeit liegende tatsächlich höhere Geschwindigkeit des klägerischen Fahrzeugs ursächlich gewesen ist. Soweit der Kläger darauf abstellt, dass der LKW doch in Anbetracht des herannahenden Klägers noch weiter nach rechts hätte ausweichen können, ist dem nicht zu folgen. Die Fahrbahn ist in Würdigung der im Sachverständigengutachten abgebildeten Lichtbilder in Fahrtrichtung des LKW mit einer Leitplanke begrenzt. Erst kurz vor dem Kreuzungsbereich endet diese Leitplanke. Die Kollision hat sich, was sich sehr eindrücklich aus der Crash-Skizze 2 auf S. 9 unten des Gutachtens ergibt, am Anfang des Kreuzungsbereichs zugetragen. In Annäherung des klägerischen Fahrzeugs hat sich damit der LKW in jedem Fall noch in einem Fahrbahnbereich befunden, der mit einer Leitplanke versehen war. Von daher konnte vom Beklagten zu 1 ein Ausweichen nach rechts nicht verlangt werden. Auch im Übrigen wäre ein weiteres Ausweichen nach rechts für den LKW mit der Gefahr verbunden gewesen, sich hierdurch ins Bankett zu begeben. Dass hierdurch eine Gefährdungslage für LKW und Gegenverkehr geschaffen worden wäre, braucht sicher nicht weiter vertieft zu werden. Schließlich wäre in Anbetracht des Kollisionsortes auch ein Ausweichen direkt in den Kreuzungsbereich hinein nicht möglich gewesen. Im Weiteren ist zu berücksichtigen, dass die Kollisionsgeschwindigkeit für den LKW vom Sachverständigen mit 50 km/h festgestellt worden ist. Damit war der LKW auf der für ihn leicht bergab führenden Strecke schon entsprechend langsam unterwegs.

Hinsichtlich des Beklagten zu 1 als Fahrzeugführer gilt im Übrigen, dass dessen Haftung für die dem Kläger unfallbedingt entstandenen Schäden bereits gemäß § 18 Abs. 1 Satz 2 StVG entfällt. Hiernach ist die Ersatzpflicht des Fahrzeugführers ausgeschlossen, wenn der Schaden nicht durch ein Verschulden des Führers verursacht wird. Maßgebend ist die Sorgfalt eines ordentlichen Kraftfahrers. Er hat die verkehrserforderliche Sorgfalt einzuhalten, mit der er gewöhnliche Verkehrslagen hätte meistern können. Verkehrsrichtiges Verhalten schließt eine Haftung nach § 18 StVG aus. (vgl. Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl. 2017, § 18 StVG Rn. 4 mit Rspr.nachweisen) Wie sich ein Idealfahrer in der konkreten Situation verhalten hätte, ist nicht Maßstab für den Haftungsausschluss nach § 18 Abs. 1 Satz 2 StVG. Aus den obigen Ausführungen folgt, dass der Beklagte zu 1 die verkehrserforderliche Sorgfalt eingehalten hat, mithin kein Verschulden des Beklagten zu 1 vorliegt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.

 

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