Am Dienstag dem 7. März gab der höchste EU-Gerichtshof (EuGH) sein Urteil bekannt: EU-Staaten müssen Asylsuchenden kein Visum ausstellen. Da kein entsprechendes Gesetz der Europäischen Union vorhanden sei, obliege es den Botschaften der EU-Staaten, Einreisevisa nach nationalem Recht auszustellen. Eine Aufnahmepflicht bestehe also laut EuGH nicht.
Überraschenderweise widerspricht dieses Urteil der Ansicht von Generalanwalt Mengozzi. Die Einschätzung ist zwar für die Richter nicht von zwingender Bedeutung, allerdings schlossen sich die Richter in vergangenen Fällen der Beurteilung des Generalanwalts an. Dieser hatte Anfang Februar seine Schlussanträge vorgelegt und meinte, EU-Staaten müssen nachweislich Verfolgte aufnehmen. Diese Pflicht leitete er aus der Grundrechtecharta der Europäischen Union ab.
Die EU-Staaten fürchteten bereits die Konsequenzen von Paolo Mengozzis Antrag. Die Ansuchen für humanitäre Visa von vermeintlich Verfolgten müssten ansonsten von den jeweiligen Botschaften in den EU-Staaten selbst überprüft werden. Der Vorteil humanitärer Visa läge hierbei darin, dass es für Menschen, die tatsächlich vor Gewalt und Verfolgung fliehen, einen sicheren und vor allem legalen Weg nach Europa gäbe. Somit hätten sie sich auch außerhalb der Europäischen Union auf die Grundrechtecharta und die Menschenrechtskonvention der EU berufen können.
Das sagte Generalanwalt Paolo Mengozzi dazu
Laut den Schlussanträgen des Generalanwalts seien EU-Mitgliedsstaaten ausdrücklich dazu verpflichtet, humanitäre Visa auszustellen, wenn Asylsuchende sich in Gefahr befinden, ihnen Folter droht oder sie einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt sind. Dabei spiele es keine Rolle, ob die Betroffenen in irgendeiner Weise mit dem Mitgliedstaat in Verbindung stehen oder nicht. Zu dem Verfahren nahmen 14 Länder, darunter auch Deutschland, Stellung. Seit langem fordern Menschenrechtsvertreter, sowie das Europäische Parlament, dass es Flüchtlingen mithilfe des humanitären Visums möglich gemacht werde, risikolos in die EU einzureisen.
Durch die Einrichtung legaler und sicherer Fluchtwege könne die illegale Migration, wie etwa durch Schleusen über das Mittelmeer, eingedämmt werden. Momentan gibt es für Flüchtlinge aus Syrien keinen Weg, legal einzureisen. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) schlägt ebenfalls humanitäre Visa als alternierende Einreisemöglichkeit vor. Dadurch sollen Flüchtlinge von gefährlichen Fluchtrouten abgehalten werden. Dazu wäre allerdings eine koordinierte Zusammenarbeit zwischen den EU-Staaten notwendig. Mehr als 180.000 Menschen kamen im vergangenen Jahr über den zentralen Mittelmeerweg nach Europa, tausende weitere ertranken, weil die überfüllten, meist nicht seetüchtigen Boote kenterten.
Was das sogenannte „humanitäre Visum“ umfasst
Laut § 22 FPG „Visum aus humanitären Gründen“ kann im Rahmen des geltenden Rechts aus humanitären Gründen, also demnach, wenn das Leben betreffender Personen im Heimatland ernsthaft durch Verfolgung oder dergleichen gefährdet ist, ein Visum erteilt werden.
Kein Asyl trotz Verfolgung
Konkret wurde der aktuelle Fall durch eine christlich-orthodoxe Flüchtlingsfamilie aus Aleppo (Syrien) ins Rollen gebracht. Die Eltern mit ihren drei Kindern stellten im Oktober bei der belgischen Botschaft in Beirut (Libanon) Anträge für 90-tägige Visa, um in Belgien einreisen und dort um Asyl ansuchen zu können. Aus Glaubensgründen drohte der Familie Gefahr verfolgt zu werden, der Familienvater gab an, bereits von einer bewaffneten Gruppe entführt und gefoltert worden zu sein, wo er schließlich gegen Lösegeld freigelassen wurde. Der Antrag wurde jedoch abgelehnt; Belgien sei nicht zur Aufnahme aller Verfolgten verpflichtet.
Anspruch für Hunderttausende
Tatsächlich hätte eine Entscheidung für die humanitäre Visa Europa überfordert. Zu viele Menschen hätten damit ein begründetes Einreiserecht. Hätte der Europäische Gerichtshof anders entschieden, wären die Schleusen nach Europa jedem offen gestanden. Europäische Botschaften und Konsulate wären von hunderttausenden Visumanträgen überschwemmt worden und eine sinnvolle Bearbeitung aller Anfragen wäre hiermit auszuschließen gewesen.
Damit bleibt jedoch die Praxis, welche bereits seit Jahren von Menschenrechtsorganisationen kritisiert wird, weiterhin erhalten. Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien haben damit kaum eine Möglichkeit gesetzmäßig in den EU-Raum einzureisen. Diese Tatsache begünstigt weiterhin die kriminellen Geschäfte der Schlepper, welche ihr Geld an Menschen Verdienen, die auf der Flucht vor Terror, Folter oder auch staatlicher Verfolgung sind. Die einzigen Alternativen bleiben hierbei die offiziellen Flüchtlingskontingente, wie auch das EU-eigene Umsiedlungsprogramm. Auch die Flucht in ein UN-Flüchtlingslager in Krisengebietsnähe, etwa im Nachbarland, wäre möglich. Laut Europareferent Karl Kopp sei dieses Urteil ein trauriger Tag für den Flüchtlingsschutz, zugleich sei es ein Feiertag für Festungsbauer und die Industrie der Schlepper.