AG Bremen – Az.: 19 C 543/19 – Urteil vom 22.09.2020
1. Die Klage wird als derzeit unbegründet abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin bleibt vorbehalten, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der Beklagten Entschädigung nach der Fluggastrechteverordnung.
Die Klägerin war am 27.06.2019 unter der Buchungsnummer XYZ auf die von der Beklagten und ihrer Codeshare Partner A. K. Airlines durchzuführenden Flüge XYZ, XYZ, XYZ von Bangalore über Paris und Amsterdam nach Bremen gebucht. Der Flug von Bangalore nach Paris wurde unstreitig verspätet durchgeführt. Zwischen den Parteien steht nicht im Streit, dass der Klägerin ein Anspruch auf Entschädigung in Höhe von 600,00 Euro zusteht.
Die Klägerin trat mit Abtretungserklärung vom 29.07.2019 (Anlage B1, Bl. 17 d.A.) ihre Ansprüche ab an die A. Ltd.
Unter Vorlage der Abtretungserklärung zeigte die A. Ltd. der Beklagten die Abtretung der Forderung an.
Mit Schriftsatz vom 15.07.2020 gab der Klägervertreter unter Beifügung einer Vollmacht der A. Ltd. vom 25.09.2014 eine Verzichtserklärung im Namen der A. Ltd. ab.
Die Klägerin ist der Ansicht, ihre Abtretung an die A. Ltd. sei gem. § 134 BGB nichtig, da diese gegen § 2 Rechtsdienstleistungsgesetzes (RDG) verstoße. Auch ändere die Vorschrift des § 409 BGB nichts an der gegebenen materiellen Rechtslage. Die Klägerin sei unverändert Inhaberin der Forderung und somit aktivlegitimiert.
Die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 600,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 26.09.2019 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte stellt unstreitig, dass der Flug XYZ von Bangalore nach Paris am 27.06.2019 lediglich verspätet durchgeführt werden konnte. Die Klägerin sei jedoch nicht aktivlegitimiert, da sie ihre Ansprüche am 29.07.2019 wirksam an das Inkassounternehmen A. abgetreten habe. Aus § 409 BGB ergebe sich, dass die Klägerin die Abtretung auch im Fall von deren Unwirksamkeit gegen sich gelten lassen müsse.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, jedoch derzeit insgesamt unbegründet.
Denn die Beklagte kann nach der vorherigen Abtretung der streitgegenständlichen Forderung durch die Klägerin an die A. Ltd. der Klägerin jedenfalls ein Zurückbehaltungsrecht entgegenhalten.
Soweit die Klägerin ins Feld führt, die Abtretung sei jedenfalls nach § 134 BGB i.V.m. § 2 Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) nichtig, so bedarf dies letztlich vorliegend keiner Entscheidung.
Die besseren Gründe dürften indes dafürsprechen, die Abtretung als wirksam anzusehen.

Denn jedenfalls soweit es um die außergerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen nach der sog. Fluggastrechteverordnung, Verordnung Nr. 261/2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen, geht, also Ansprüchen, die ihren Ursprung unmittelbar einer europäischen Verordnung verdanken, steht der von der Klägerin gewünschten Rechtsfolge der Nichtigkeit höherrangiges Recht entgegen.
Auch das RDG ist zur Gewährleistung der praktischen Wirksamkeit des Europarechts unionsrechtskonform auszulegen. Erfordert das Gebot der Effizienz und praktischen Wirksamkeit des Unionsrechts die Schaffung eines diesen Erfordernissen genügenden Rechtsdurchsetzungsrahmens, so müssen auch die begleitenden Maßnahmen, wie eine Anspruchsabtretung an einen entsprechenden Rechtsdienstleister, zivilrechtlich zulässig und wirksam sein (vgl. hierzu Hoch/Hendricks, VuR 2020, 254 mwN). Die naheliegende Frage, ob es der Klägerin in der vorliegenden Konstellation ohnehin nach § 242 BGB verwehrt ist, sich auf die Nichtigkeit der Abtretung zu berufen, kann somit dahingestellt bleiben.
Der Beklagten steht auch bei unterstellter Unwirksamkeit der Abtretung jedenfalls ein Zurückbehaltungsrecht gegen den geltend gemachten Klaganspruch zu.
Denn die Klägerin hat die streitgegenständliche Forderung unter dem 29.07.2019 an die A Ltd. abgetreten (Anlage B1) und die A. hat diese Abtretung der Beklagten schriftlich angezeigt. Dies ist unstreitig. Lediglich die Wirksamkeit dieser Abtretung steht zwischen den Parteien im Streit.
Zeigt der Gläubiger, hier die Klägerin, dem Schuldner, hier die Beklagte, an, dass er die Forderung abgetreten habe, so muss er dem Schuldner gegenüber die angezeigte Abtretung gegen sich gelten lassen, auch wenn sie nicht erfolgt oder nicht wirksam ist, § 409 Abs. 1 Satz 1 BGB.
Denn auch bei unterstellter Unwirksamkeit der Abtretung zugunsten der Klägerin kann die Beklagte dem Klaganspruch jedenfalls ein Zurückbehaltungsrecht entgegenhalten.
Entgegen der Auffassung der Klägerin ist es im Falle der schriftlichen Anzeige der Abtretung nicht erforderlich, dass die Klägerin selbst die Anzeige an die Beklagte übermittelt hat.
Dieses Erfordernis könnte allein dann relevant sein, wenn bereits nach dem Inhalt der Abtretungsanzeige selbst Unklarheiten bestünden, ob diese Erklärung von der Zedentin stamme (vgl. BGH NJW 1987, 1703). Dies ist vorliegend indes nicht der Fall.
Soweit daher in der Kommentarliteratur (vgl. etwa BeckOGK/Lieder, 1.3.2020, BGB § 409 Rn. 23) die Voraussetzung angeführt wird, der Zedent müsse die Abtretungsanzeige an den Schuldner abgegeben haben, so ist dies nicht in der Weise zu verstehen, dass der Zedent zwingend selbst die Erklärung persönlich auf direktem Weg an den Schuldner zu übermitteln habe. Alleinige Voraussetzung ist, dass die Erklärung unzweifelhaft vom Zedenten abgegeben worden ist, was vorliegend unstreitig der Fall ist.
Da die Anwendung von § 409 BGB eine in Wahrheit nicht erfolgte oder unwirksame Abtretung voraussetzt (vgl. MüKoBGB/Roth/Kieninger, 8. Aufl. 2019, BGB § 409 Rn. 11; Palandt/Grüneberg, BGB, 79. Aufl. 2020, § 409, Rn. 3), kann die Frage, ob die Abtretung – so die Klägerin – nichtig ist oder nicht im Ergebnis dahingestellt bleiben.
Denn unterstellt man zugunsten der Klägerin eine Nichtigkeit der Abtretung, so bliebe zwar die Klägerin Inhaberin der Forderung, jedoch stünde der Beklagten in diesem Fall ein Zurückbehaltungsrecht sui generis zu (vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 79. Aufl. 2020, § 409, Rn. 4).
Dieses Zurückbehaltungsrecht hat nach überwiegender Auffassung auch der Schuldner, der die Unwirksamkeit der Abtretung positiv kennt (MüKoBGB/Roth/Kieninger, 8. Aufl. 2019, BGB § 409, Rn. 12 mwN). Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Anzeige schriftlich angezeigt wurde (MüKoBGB/Roth/Kieninger, aaO), was vorliegend der Fall ist.
Dieses Ergebnis ist auch interessensgerecht: Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb die Beklagte mit der Rechtsunsicherheit, die aufgrund der Abtretung der Klägerin offensichtlich entstanden ist, belastet werden soll. Es ist vielmehr Sache der Klägerin, durch Zustimmung oder Verzichtserklärung der Berechtigten bzw. Scheinberechtigten die entstandene Unsicherheit zu beseitigen (vgl. § 409 Abs. 2 BGB) und auf diese Weise für die Beklagte Sicherheit zu schaffen, dass an die wahre Anspruchsinhaberin mit Erfüllungswirkung geleistet werden kann.
Zwar hat der Klägervertreter im Schriftsatz vom 15.07.2020 unter Beifügung einer Vollmacht der A. Ltd. vom 25.09.2014 eine Verzichtserklärung im Namen der A. Ltd. abgegeben. Aus dieser Vollmacht geht indes nicht hervor, dass der Klägervertreter von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit worden ist. Nach § 181 BGB ist eine Erklärung, die ein Vertreter durch gleichzeitiges Handeln im Namen der Vertretenen, hier im Namen der Prozessvollmacht der Klägerin, sowie als Vertreter eines Dritten, hier der A. Ltd. aufgrund der Vollmacht vom 25.09.2014, abgibt, schwebend unwirksam. Somit ist die Verzichtserklärung des Klägervertreters jedenfalls schwebend unwirksam analog § 177 BGB (vgl. dazu Palandt/Ellenberger, BGB, 79. Aufl. 2020, § 181, Rn. 15 mwN).
Darüber hinaus dürfte eine solche Mehrfachvertretung auch mit den berufsrechtlichen Pflichten eines Rechtsanwalts (§ 43a Abs. 4 BRAO) kollidieren. Denn dem Rechtsanwalt ist die Vertretung widerstreitender Interessen untersagt (dazu jüngst BGH NJW 2019, 1147).
Somit spricht viel dafür, dass die Erklärung im Namen der A. Ltd. auch nach § 134 BGB i.V.m. § 43a Abs. 4 BRAO nichtig ist. Dies bedarf indes vorliegend ebensowenig einer Entscheidung wie die Frage, ob durch die Abgabe der Erklärung des Klägervertreters zugleich der Tatbestand des § 356 StGB verwirklicht worden ist. Hierzu wäre eine nähere Sachaufklärung, insbesondere zum subjektiven Tatbestand, erforderlich, die im Rahmen dieses Verfahrens unterbleiben kann.
Unstreitig ist auch, dass die Ansprüche der Klägerin von der A. Ltd. auch nicht an diese zurückabgetreten worden sind, so dass die Klage daher insgesamt als derzeit unbegründet mit der Kostenfolge des § 91 ZPO abzuweisen war.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Die Berufung wird zugelassen gem. § 511 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1, Nr. 2 ZPO.
Nach § 511 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 ZPO ist die Berufung dann zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert. Dies erscheint der Fall zu sein, da die maßgeblichen Rechtsfragen zur Wirksamkeit der Abtretungen bzw. der Verzichtserklärung innerhalb des Amtsgerichts Bremen unterschiedlich beurteilt worden sind. Auch die von den Parteivertretern übersandten Entscheidungen aus anderen Gerichtsbezirken deuten insgesamt auf eine uneinheitliche Rechtsprechung auch in anderen Landgerichtsbezirken hin.