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Räum- und Streupflicht der öffentlichen Hand für Straßen und Wege

Das Oberlandesgericht Celle hat in seinem Urteil Az.: 14 U 105/23 entschieden, dass die Klage abgewiesen wird und die Berufung der Klägerin zurückgewiesen wird. Die Klägerin muss die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen tragen. Das Gericht fand, dass die beklagte Partei ihre Streupflicht nicht verletzt hat, da sie die ihr obliegende Sorge für die Sicherheit des Straßenverkehrs, insbesondere die Räum- und Streupflicht bei Schnee und Eis, im Rahmen des Zumutbaren und unter Berücksichtigung der gegebenen Umstände erfüllt hat. Die Entscheidung berücksichtigt die Priorisierung bei der Streupflicht, die Notwendigkeit eines angemessenen Zeitraums zur Reaktion auf Wetteränderungen und die Abwägung der praktischen Durchführbarkeit der Räum- und Streupflicht.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 14 U 105/23 >>>

✔ Das Wichtigste in Kürze

  1. Das Gericht wies die Klage ab und entschied, dass die beklagte Partei ihre Streupflicht nicht verletzt hat.
  2. Die Streupflicht der öffentlichen Hand unterliegt praktischen und rechtlichen Einschränkungen, die von den Umständen des Einzelfalls abhängen.
  3. Die Priorisierung bestimmter Wege bei der Streuung ist zulässig und erforderlich, basierend auf deren Verkehrsbedeutung und Gefährlichkeit.
  4. Ein angemessener Zeitraum zur Reaktion auf Wetteränderungen ist der öffentlichen Hand zu gewähren, bevor die Streupflicht einsetzt.
  5. Die Klägerin konnte nicht beweisen, dass die beklagte Partei ihre Streupflicht verletzt hat.
  6. Ein Mitverschulden der Klägerin wurde diskutiert, aber aufgrund der Entscheidung gegen den Anspruch nicht weiter verfolgt.
  7. Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen wurden der Klägerin auferlegt.
  8. Die Revision wurde nicht zugelassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat.

Winterdienst auf öffentlichen Wegen: Pflichten und Herausforderungen

Die Räum- und Streupflicht auf öffentlichen Straßen und Wegen obliegt in Deutschland grundsätzlich den Gemeinden. Diese Aufgabe ist jedoch nicht immer einfach zu bewältigen. Denn die Pflicht unterliegt gewissen Einschränkungen und kann in bestimmten Fällen auch auf Eigentümer oder Mieter übertragen werden.

Im Winter sind Gehwege, Fahrbahnen und Fußgängerüberwege regelmäßig zu räumen und zu streuen, um die Sicherheit der Verkehrsteilnehmer zu gewährleisten. Besonders für Fußgänger und Radfahrer ist es wichtig, dass die Gehwege frei von Eis und Schnee sind, um Stürze und Unfälle zu vermeiden. Doch die Witterungsbedingungen im Winter können die Räum- und Streupflicht zu einer großen Herausforderung machen. Dichter Schneefall, Schneeverwehungen und anhaltendes Eis können die Arbeiten erschweren und verzögern. Darüber hinaus müssen die Gemeinden auch Prioritäten setzen und die wichtigsten Wege zuerst räumen. Welche rechtlichen Herausforderungen sich dabei ergeben und wie die Verantwortlichen ihrer Pflicht gerecht werden, soll im folgenden Urteil näher beleuchtet werden.

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Sicherheit gewährleisten: Räum- und Streupflicht
Räum- und Streupflicht sind wichtige Aufgaben der öffentlichen Hand, um die Sicherheit auf Straßen und Wegen zu gewährleisten, besonders bei winterlichen Bedingungen. (Symbolfoto: Doksya /Shutterstock.com)

Im Zentrum des Rechtsstreits vor dem Oberlandesgericht Celle stand die Frage, ob die öffentliche Hand, vertreten durch die Beklagte, ihrer Räum- und Streupflicht auf Straßen und Wegen nachgekommen ist, insbesondere im Hinblick auf die Sicherheit der Verkehrsteilnehmer bei winterlichen Bedingungen. Die Klägerin vertrat die Auffassung, dass die Beklagte diese Pflichten verletzt habe, was zu einem Unfall geführt hat, bei dem sie Schaden erlitt. Die Beklagte hingegen argumentierte, ihre Streupflicht im Rahmen der gesetzlichen Anforderungen und der praktischen Möglichkeiten erfüllt zu haben.

Die Räum- und Streupflicht im rechtlichen Kontext

Die rechtliche Grundlage der Räum- und Streupflicht ist in verschiedenen gesetzlichen Bestimmungen verankert und dient dem Schutz der Verkehrsteilnehmer vor Gefahren, die von Schnee und Eis auf Straßen und Wegen ausgehen. Im speziellen Fall sind die relevanten Gesetze das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) und das Straßengesetz für Niedersachsen (NStrG), welche die Verpflichtungen der öffentlichen Hand definieren. Die Pflicht zur Sicherung der Verkehrswege bei Winterglätte ist somit eine Amtspflicht, deren Umfang sich nach den jeweiligen Umständen richtet und unter dem Vorbehalt des Zumutbaren steht.

Priorisierung als Schlüssel zum Verständnis der Streupflicht

Ein wesentlicher Aspekt dieses Falles war die Frage der Priorisierung bei der Erfüllung der Räum- und Streupflicht. Das Gericht stellte fest, dass die öffentliche Hand berechtigt ist, aufgrund begrenzter Ressourcen eine Priorisierung vorzunehmen. Diese Priorisierung muss sich an objektiven Kriterien wie der Verkehrsbedeutung und Gefährlichkeit der Wege orientieren. Im vorliegenden Fall wurde die Streupflicht der Beklagten als erfüllt angesehen, da die belebten und verkehrsreichen Punkte priorisiert behandelt wurden und somit der Schutz der Verkehrsteilnehmer im Rahmen des Möglichen gewährleistet war.

Beweislast und die Rolle der Beweisführung

Ein weiterer entscheidender Punkt in der Urteilsfindung war die Beweislast. Das Gericht machte deutlich, dass der Kläger die Beweislast für das Vorliegen einer Pflichtverletzung und den daraus resultierenden Schaden trägt. Dies umfasst den Nachweis, dass eine gefährliche Glätte bestand, welche eine Streupflicht auslösen würde, sowie den Nachweis, dass die Beklagte dieser Pflicht nicht nachgekommen ist. Im vorliegenden Fall konnte die Klägerin diese Beweise nicht erbringen, was maßgeblich zur Abweisung der Klage beitrug.

Gerichtsentscheidung und ihre Begründung

Das Oberlandesgericht Celle entschied, die Berufung der Beklagten zuzulassen und das erstinstanzliche Urteil abzuändern, indem die Klage abgewiesen wurde. Die Entscheidung beruhte auf der Bewertung, dass die Beklagte ihre Räum- und Streupflicht nicht verletzt hat. Die Begründung des Gerichts stützte sich auf die ausreichende Erfüllung der Pflichten unter Berücksichtigung der zumutbaren Priorisierung und der konkreten Umstände am Tag des Unfalls. Ferner wurde festgestellt, dass die Klägerin die erforderlichen Beweise für eine Pflichtverletzung nicht vorlegen konnte.

Das Urteil des Oberlandesgerichts Celle verdeutlicht die Bedeutung der Priorisierung bei der Erfüllung der winterlichen Räum- und Streupflicht durch die öffentliche Hand und stellt klar, dass die Beweislast für eine Pflichtverletzung bei der klägerischen Partei liegt.

✔ FAQ: Wichtige Fragen kurz erklärt

Welche Pflichten hat die öffentliche Hand bezüglich der Sicherheit auf Straßen und Wegen bei Schnee und Eis?

Die Pflichten der öffentlichen Hand bezüglich der Sicherheit auf Straßen und Wegen bei Schnee und Eis sind vielschichtig und variieren je nach Bundesland, Gemeinde und spezifischer Situation. Generell sind die Bundesländer, Landkreise, kreisfreien Städte und Gemeinden für den Winterdienst auf den Straßen zuständig. Sie müssen tätig werden, sobald die Wetterlage Schnee und Glatteis bringt. Die Gemeinden können diese Aufgabe entweder selbst erledigen oder auf private Unternehmen übertragen.

Innerhalb geschlossener Ortslagen sind die Gemeinden zum Winterdienst verpflichtet, wobei die genauen Vorschriften und Umfänge des Winterdienstes durch lokale Satzungen geregelt werden können. Die Räum- und Streupflicht besteht in der Regel für gefährliche Stellen wie wichtige Durchgangsstraßen, Fußgängerwege und öffentliche Parkplätze. Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass nicht alle Straßen und Wege immer geräumt und gestreut sind.

Die Bayerische Straßenbauverwaltung beispielsweise unternimmt alle Anstrengungen, um die Verkehrssicherheit durch einen optimierten Winterdienst zu gewährleisten. Der Räum- und Streudienst wird größtenteils freiwillig erbracht, ist aber für die Mobilität und das gesamtwirtschaftliche Interesse unverzichtbar. Es wird der Grundsatz verfolgt, so viel Salz wie nötig und so wenig wie möglich zu verwenden.

Außerhalb geschlossener Ortslagen besteht bei Schnee- und Eisglätte eine Streupflicht nur bei besonders gefährlichen Straßenstellen. Der Winterdienst ist hier eine freiwillige Leistung des Straßenbaulastträgers.

Die Kommunen sind nicht dazu verpflichtet, jeden Weg und jede Straße zu räumen, können dies aber von Eigentümern im Umfeld ihres Eigentums verlangen. Die Verkehrssicherungspflicht wird in vielen Fällen auf die öffentlichen Wege vor dem Eigentum ausgeweitet.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die öffentliche Hand eine wesentliche Rolle bei der Gewährleistung der Sicherheit auf Straßen und Wegen bei winterlichen Verhältnissen spielt. Die genauen Pflichten und der Umfang des Winterdienstes können jedoch je nach lokalen Vorschriften und Gegebenheiten variieren.

Unter welchen Bedingungen darf die öffentliche Hand bei der Streupflicht Prioritäten setzen?

Die öffentliche Hand darf bei der Streupflicht Prioritäten setzen, um die Verkehrssicherheit auch bei Schnee und Eis gewährleisten zu können. Die Priorisierung der Maßnahmen ist notwendig, da es in der Praxis unmöglich ist, alle Straßen und Wege gleichzeitig zu räumen und zu streuen. Die Prioritätensetzung erfolgt auf der Grundlage von Kriterien wie Verkehrswichtigkeit und Gefährlichkeit der Straßenabschnitte. Jede Gemeinde sollte einen eigenen Kriterienkatalog mit örtlichem Bezug und einen Einsatzplan aufstellen, der die priorisierte Reihenfolge der zu räumenden und zu streuenden Straßen widerspiegelt.

Innerorts sind die Gemeinden verpflichtet, vorrangig die Straßen winterdienstlich zu behandeln, die verkehrswichtig und gefährlich sind. Dabei können Verantwortliche folgende Prioritäten setzen:

  • Priorität 1: Hauptverkehrsstraßen, innerörtliche Verbindungsstraßen mit öffentlichem Personennahverkehr, Straßen mit dichtem Baumbestand.
  • Priorität 2: Wohnsammelstraßen (zentrale Straßen in Wohngebieten).
  • Priorität 3: Nebenstraßen, die bedarfsweise bei drohender Unbefahrbarkeit geräumt werden.

Die Prioritäten für den Winterdienst auf Bundesautobahnen und Bundesstraßen liegen insbesondere bei Strecken, die für den Berufsverkehr wichtig sind, sowie bei Straßen mit Steigungen und solchen, auf denen Busse fahren. Bei Straßen außerhalb von Ortschaften besteht eine Streupflicht nur bei besonders gefährlichen Stellen, und der Winterdienst ist hier eine freiwillige Leistung des Straßenbaulastträgers.

Die Kommunen sind berechtigt, ihre Räum- und Streupflicht ganz oder teilweise vertraglich auf private Unternehmen zu übertragen. Dabei müssen sie besonders sorgfältig vorgehen und die ordnungsgemäße Durchführung überwachen und kontrollieren.

§ Wichtige Gesetze und Paragraphen in diesem Urteil

  • § 839 BGB (Haftung bei Amtspflichtverletzung): Erklärt die Voraussetzungen, unter denen ein Beamter oder eine Körperschaft des öffentlichen Rechts für Schäden haftet, die durch die Verletzung einer ihm obliegenden Amtspflicht entstanden sind. Im Kontext des Urteils relevant für die Frage, ob die öffentliche Hand ihrer Streupflicht nachgekommen ist.
  • § 253 BGB (Immaterieller Schaden): Regelt den Ersatz immaterieller Schäden, also Schäden, die nicht Vermögensschäden sind, wie z.B. Schmerzensgeld. Im vorliegenden Fall für die Bewertung von Ansprüchen der Klägerin bei Verletzungen relevant.
  • Art. 34 GG (Haftung für Amtspflichtverletzung): Bestimmt, dass bei Amtspflichtverletzungen durch einen Amtsträger der Staat oder die Körperschaft haftet, dem der Amtsträger angehört. Verbindet sich mit § 839 BGB zur Grundlage der Haftungsfrage.
  • § 256 ZPO (Feststellungsklage): Ermöglicht eine Klage auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses. Im Urteil relevant für die formale Klageführung und die Feststellung, ob eine Pflichtverletzung vorliegt.
  • § 10 Abs. 1 NStrG (Niedersächsisches Straßengesetz): Legt die Pflichten der Straßenbaulastträger zur Unterhaltung der Straßen in Niedersachsen fest, einschließlich der Verkehrssicherungspflicht. Direkt bezogen auf die Pflichten der Beklagten zur Räum- und Streupflicht.
  • § 52 Abs. 1 Nr. 3c NStrG: Spezifiziert die Verpflichtungen für Winterdienste auf Straßen in Niedersachsen und bildet die rechtliche Grundlage für die Räum- und Streupflicht, die im Mittelpunkt des Urteils steht.

Diese Paragraphen und Artikel bilden die rechtliche Grundlage zur Beurteilung der Räum- und Streupflicht der öffentlichen Hand und waren zentral für die Entscheidungsfindung im vorliegenden Fall.


Das vorliegende Urteil

OLG Celle – Az.: 14 U 105/23 – Urteil vom 07.02.2024

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 6. Juli 2023 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 5. Zivilkammer des Landgerichts Verden – 5 O 25/22 – abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert des Berufungsverfahrens beträgt 5.226,50 €.

Gründe

(gem. §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 S. 1 ZPO)

I.

Die Berufungen beider Parteien sind zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben und begründet worden. In der Sache hat nur die Berufung der Beklagten Erfolg. Ansprüche der Klägerin bestehen nicht. Im Einzelnen:

1. Die Klägerin hat keinen Anspruch gem. § 839 Abs. 1, § 253 BGB; Art. 34 GG; § 256 Abs. 1 ZPO. Die Beklagte hat die ihr obliegende Streupflicht nicht verletzt.

a) Grundsätzlich hat die Beklagte gem. § 10 Abs. 1; § 52 Abs. 1 Nr. 3c NStrG die Verkehrsteilnehmer vor den von der Straße ausgehenden und bei ihrer zweckgerechten Benutzung drohenden Gefahren zu schützen. Dazu gehört, dass die Beklagte dafür Sorge trägt, dass u.a. Gehwege eine möglichst gefahrlose Benutzung zulassen und somit bei Glätte gestreut sind.

Die Pflicht der öffentlichen Hand, Straßen und Wege bei Schnee und Eis zu räumen und zu bestreuen, kann sich sowohl aus der Pflicht zur polizeimäßigen Reinigung, die in Niedersachsen in § 52 des Straßengesetzes (NStrG) geregelt ist, als auch aus der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht ergeben. Zwischen diesen Pflichten braucht vorliegend nicht unterschieden zu werden, da sie, soweit es – wie hier – um die Sorge für die Sicherheit des Straßenverkehrs geht, deckungsgleich sind (vgl. BGH, Urteil vom 5. April 1990 – III ZR 4/89 –, Rn. 14, juris; BGH, Urteil vom 11. Juni 1992 – III ZR 134/91 –, BGHZ 118, 368-374, Rn. 10; BGH, Urteil vom 21. November 1996 – III ZR 28/96 – VersR 1997, 311, 312) und in Niedersachsen nicht nur die Aufgabe der polizeimäßigen Reinigung, sondern auch die der Verkehrssicherungspflicht gemäß § 10 Abs. 1 NStrG als Amtspflicht in Ausübung öffentlicher Gewalt ausgestaltet ist.

b) Diese Verpflichtung unterliegt indes sowohl rechtlichen als auch praktischen Einschränkungen.

aa) Inhalt und Umfang der winterlichen Räum- und Streupflicht richten sich nach den Umständen des Einzelfalls. Art und Wichtigkeit des Verkehrsweges sind dabei ebenso zu berücksichtigen wie seine Gefährlichkeit und die Stärke des zu erwartenden Verkehrs. Die Räum- und Streupflicht besteht daher nicht uneingeschränkt. Sie steht vielmehr unter dem Vorbehalt des Zumutbaren, wobei es auch auf die Leistungsfähigkeit des Sicherungspflichtigen ankommt (BGH, Beschluss vom 20. Oktober 1994 – III ZR 60/94 –, Rn. 7, juris).

Entsteht eine Glätte erst im Laufe des Tages, muss dem Pflichtigen ein angemessener Zeitraum zur Verfügung stehen, um die erforderlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der Glätte einzuleiten. Der Pflichtige braucht aber keine zwecklosen Maßnahmen zu ergreifen. Dichter Schneefall kann sehr bald alle Streumittel so weit bedecken, dass sie wirkungslos werden; in solchen Fällen wird dem Verpflichteten wiederum eine angemessene Frist gewährt, bis er nach Beendigung eines solchen dichten Schneefalls mit dem Streuen beginnen muss (BGH, Urteil vom 22. November 1965 – III ZR 32/65 –, Rn. 31, juris). Andererseits befreit auch anhaltender oder drehender Schneefall nicht unter allen Umständen von der Streupflicht (BGH, Urteil vom 22. November 1965 – III ZR 32/65 –, Rn. 31, juris; umfassend hierzu: Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 28. August 2023 – 2 U 1/23 –, Rn. 31 mwN, juris). Die Streupflicht besteht unverzüglich, d.h. im Rahmen einer gewissen Zeitspanne nach Beendigung des Schneefalls (OLG Düsseldorf, Urteil vom 20. März 1998 – 22 U 154/97 –; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 28. August 2023 – 2 U 1/23 –, beide zitiert nach juris).

Für Fußgänger müssen die Gehwege, soweit auf ihnen ein nicht unbedeutender Verkehr stattfindet, sowie die belebten, über die Fahrbahn führenden unentbehrlichen Fußgängerüberwege bestreut werden (BGH, Beschluss vom 20. Oktober 1994 – III ZR 60/94; BGH, Urteil vom 9. Oktober 2003 – III ZR 8/03 –, Rn. 4 – 5, juris).

bb) Grundsätzlich muss der Verletzte alle Tatsachen beweisen, aus denen sich sein Anspruch ergibt, also hier alle Umstände, aus denen eine Streupflicht erwächst und sich eine schuldhafte Verletzung dieser Pflicht ergibt. Er muss z.B. nachweisen, dass eine solche Glätte herrschte, die ein Bestreuen zur Beseitigung der für diese Örtlichkeit bestehenden Gefahren nötig machte; er muss nachweisen, dass es sich um eine solche Stelle handelte, bei der überhaupt eine Streupflicht besteht; er muss auch beweisen, dass er infolge dieser Glätte eine Verletzung erlitten hat. Er muss auch bei Streit darüber, ob die zeitlichen Grenzen der Streupflicht beachtet sind, den Sachverhalt dartun, der ergibt, dass zur Zeit des Unfalls bereits oder noch eine Streupflicht bestand, also unter Umständen die genaue Uhrzeit des Unfalls dartun oder die Überschreitung der angemessenen Zeit nach Auftreten der Glätte im Verlaufe eines Tages (BGH, Urteil vom 22. November 1965 – III ZR 32/65 –, Rn. 32, juris).

c) Nach den vorgenannten Maßstäben hat die Beklagte ihrer Räum- und Streupflicht genügt.

aa) Soweit die Klägerin bestritten hat, dass die Beklagte die maßgebliche Unfallstelle überhaupt gestreut habe, ist der Senat nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO an die Beweiswürdigung des Erstgerichts gebunden, wenn keine konkreten Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der Beweiswürdigung vorgetragen werden. Die Klägerin zeigt keine derartigen konkreten Anhaltspunkte auf.

Nach den Feststellungen des Landgerichts hat der Zeuge B. die Unfallstelle gegen 17:00-17:30h gestreut. Er habe dabei seinen Streuplan (vgl. Bl. 43) abgearbeitet, der mit der „L.- W.straße“ endete. Seinen Streudienst habe er an diesem Tag um 18:30h beendet.

Da eine gleichzeitige Räumung und Sicherung aller betroffenen Straßen und Wege der Beklagten – von dieser unbestritten vorgetragen (vgl. Schriftsatz vom 26.09.2023, Seite 4, Bl. 239 d.A.) – weder personell und technisch möglich noch von Rechts wegen zu verlangen wäre, ist es auch nicht zu beanstanden und nach den vorgenannten Maßgaben des Bundesgerichtshofs – im Gegenteil – sogar erforderlich, dass die Beklagte bei ihrer Streupflicht Prioritäten setzt.

Der Pflichtige hat insoweit belebte, über Fahrbahnen führende Fußgängerwege vorrangig vor unbedeutenden Nebenstraßen zu sichern (vgl. BGH, aaO).

Mit ihrem Streuplan (vgl. Bl. 43 d.A.) hat die Beklagte eine solche Priorisierung vorgenommen. Die Beklagte hat dort belebte und verkehrsreiche Punkte vor unbedeutenderen Straßen priorisiert (vgl. Post-H.straße, Busbahnhof, Grundschule vor W.straße). Es ist auch weder von der Klägerin behauptet noch ansonsten ersichtlich, dass diese Priorisierung ermessensfehlerhaft wäre.

Sie entspricht vielmehr den vom Bundesgerichtshof aufgestellten Maßstäben, nach denen unbedeutende Nebenstraßen nachrangig zu sichern seien. Bei der W.straße handelt es sich um eine solche Straße – zumindest im Vergleich mit den vorrangig zu räumenden Straßen. Die W.straße führt durch ein Wohngebiet und es besteht dort, zumindest am Unfalltag, einem Sonntag, kein bedeutender erheblicher Fußgängerverkehr (vgl. Lichtbilder, unstreitiger Vortrag, vgl. Schriftsatz vom 26.9.2023, Bl. 239). Soweit der Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung betont, dass das streitgegenständliche Stück der W.straße eine stark befahrene Ausfallstraße darstelle, kommt es für den vorliegenden Fall nicht auf den Kraftfahrzeugverkehr, sondern auf den dortigen Fußgängerverkehr an, der eine andere Priorisierung zwingend erforderlich machen müsste. Tatsachen für eine solche sind von der beweisbelasteten Klägerin nicht dargetan (s.o.).

Dass die Klägerin zunächst eine Metallabsperrung durchqueren musste, worauf der Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hingewiesen hat, ändert die rechtliche Bewertung nicht. Zum einen ist die Klägerin erst nach dem Passieren der Metallabsperrung gestürzt, wie sich ihrer eigenen Zeichnung entnehmen lässt (Lichtbild mit handschriftlichen Eintragungen der Klägerin, Anlage zum Schriftsatz vom 29.09.2022, Bl. 124 d.A). Zum anderen ändert die Metallabsperrung nicht die zu Recht von der Beklagten vorgenommene Priorisierung, die den Unfallort nachrangig bewertet.

bb) Es ist ferner nicht zu beanstanden, dass die Beklagte erst gegen Mittag, mit nachlassendem Schneefall, mit den Räumarbeiten begonnen hat und nicht – wie von der Klägerin gefordert – bereits in den Morgenstunden.

Es hatte nach den eigenen Angaben der Klägerin in den Morgenstunden sehr viel geschneit („tüchtig geschneit“). Erst gegen Mittag sei der Schnee weniger geworden, es seien ca. 10 cm Schnee auf dem Gehweg gewesen (Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 1.9.2022, Seite 1, Bl. 101 f). Die Beklagte durfte insoweit ein Nachlassen des Schneefalls abwarten (s.o.).

2. Es kommt daher nicht mehr darauf an, dass der Klägerin jedenfalls ein Mitverschulden an dem Unfall anzulasten gewesen wäre, weil sie erkannt hat, dass die Unfallstelle nicht geräumt war und sich sehenden Auges in die Gefahr begeben und damit das Risiko einer Selbstgefährdung in Kauf genommen hat (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 20.03.1998, 22 U 154/97, VersR 2000, 63 f.; OLG München, Urteil vom 30.01.2003, 19 U 4246/02, VersR 2003, 518; Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, Beschluss vom 21. August 2013 – 3 W 20/13 –, Rn. 4, juris).

3. Mangels Anspruchs in der Hauptsache besteht auch kein Anspruch in Bezug auf die weiteren Nebenforderungen.

III.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713, 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.

IV.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und der Senat nicht von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes oder eines anderen Oberlandesgerichts abweicht, so dass auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern, § 543 ZPO.

V.

Die Festsetzung des Streitwertes für das Berufungsverfahren beruht auf §§ 3, 5 ZPO, § 47 Abs. 1 GKG.

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