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Sturzunfall eines Fahrradfahrers auf Eisfläche

OLG Stuttgart – Az.: 4 U 164/15 – Urteil vom 11.05.2016

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Rottweil vom 5.10.2015 (1 O 42/14) abgeändert:

a. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 20.113,37 € nebst Zinsen in Höhe von 4 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 28.03.2014 zu bezahlen.

b. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, sämtliche materiellen und immateriellen Schadenspositionen auszugleichen, die dem Kläger aufgrund seines Radunfalls vom 07.03.2012 auf der P.straße in R. entstanden sind und künftig entstehen werden, soweit Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.

c. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.029,35 € zu bezahlen.

d. Die darüber hinausgehende Klage wird abgewiesen.

2. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

3. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 8,3 %, die Beklagte 91,7 %.

4. Das Urteil des Senats und – im Umfang der Zurückweisung der Berufung – auch das Urteil des Landgerichts Rottweil sind vorläufig vollstreckbar. Die Parteien können die Vollstreckung der jeweiligen Gegnerseite gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Gegner vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

5. Die Revision wird nicht zugelassen.

Streitwert des Berufungsverfahrens: bis 25.000,00 € (§ 45 Abs. 1 GKG)

Gründe

I.

1. Der Kläger verlangt materiellen Schadensersatz, Schmerzensgeld und Feststellung der Ersatzpflicht aus Verletzung von Verkehrssicherungspflichten.

Der Kläger fuhr am 07.03.2012 gegen 07:30 Uhr mit dem Fahrrad von N. in Richtung R. auf der P.straße am Ortseingang von R.. Im Bereich der Eisenbahnbrücke auf dem der Beklagten gehörenden Grundstück stürzte er, wobei er erhebliche Verletzungen erlitt. Eine ursprünglich erhobene Klage gegen die Stadt R. wurde abgewiesen (LG Rottweil; 1 O 114/12; Senat 4 U 163/13). Hier hatte der Kläger der Beklagten noch mit der Berufungsbegründung vom 23.08.2013 den Streit verkündet.

Zwischen den Parteien besteht Streit, ob

  • die sogenannte Interventionswirkung (§§ 68, 74 ZPO) eingetreten ist,
  • die unter dem Bereich der Brücke behauptete Eisfläche durch eine Tropftülle unter der Brücke verursacht wurde,
  • insoweit § 836 BGB anwendbar ist.

2. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.

Sturzunfall eines Fahrradfahrers auf Eisfläche
(Symbolfoto: Kekyalyaynen/Shutterstock.com)

a. Eine Bindungswirkung nach §§ 68, 74 Abs. 1 ZPO sei nicht eingetreten, weil die Beklagte auf den Vorprozess keinen Einfluss nehmen und nicht mehr vortragen konnte. Die mit der Berufungsbegründung erklärte Streitverkündung sei am 29.08.2013 zugestellt worden. Bereits mit Beschluss vom 28.08.2013 habe der Senat die Absicht mitgeteilt, die Berufung zurückzuweisen.

b. Die Beklagte sei für die Brücke und den darunter verlaufenden Weg verkehrssicherungspflichtig, denn das Grundstück stehe in ihrem Eigentum und die Ableitung des Wassers durch die Tropftülle beruhe mittelbar auf menschlichem Wirken.

c. Der Kläger habe jedoch nicht den notwendigen Nachweis einer schuldhaften Verkehrssicherungspflichtverletzung führen können. Mit den aus den Akten ersichtlichen Umständen und den vom Kläger nachgewiesenen Tatsachen sei nicht feststellbar, dass die konkrete Gefahr – Bildung einer Eisfläche auf nahezu der gesamten Wegbreite – für die Beklagte erkennbar und voraussehbar war.

d. Die bloße Einordnung als Radtourenweg wegen des stattfindenden Personen- und Fahrzeugverkehrs führe zwar nicht zu einer Entlastung, weshalb in gewissen zeitlichen Abständen eine Kontrolle des Bauwerks erforderlich gewesen sei. Die konkret verwirklichte Gefahr der Bildung einer Eisfläche sei aber nicht erkennbar gewesen, weil

– es in der Vergangenheit keine gleichgelagerten oder ähnlichen Vorfälle gegeben habe, die zur Kenntnis der Beklagten gelangt wären,

– wegen des relativ starken Quergefälles des Weges (3,5 – 4%) nicht ohne weiteres mit einer Eisflächenbildung zu rechnen gewesen sei,

– der Umstand des vom Zeugen We. geschilderten ganzjährigen Wasseraustritts keine Feststellung erlaube, ob und inwieweit dies für die Beklagte erkennbar gewesen sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und zu den Feststellungen des Landgerichts wird auf das Urteil des Landgerichts Rottweil vom 05.10.2015 (Az. 1 O 42/14) Bezug genommen (Blatt 185 – 196; § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).

3. Die Berufung des Klägers will weiter eine Verurteilung im erstinstanzlich beantragten Umfang erreichen.

a. Das Landgericht habe rechtsfehlerhaft eine Bindungswirkung verneint. Angesichts der am 29.08.2013 zugestellten Streitverkündung habe die Beklagte bis zum 19.09.2013 beitreten und vortragen können.

b. Das Landgericht habe zwar richtig festgestellt, dass die Beklagte zur Verkehrssicherung verpflichtet war, jedoch rechtsfehlerhaft eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht verneint.

Das Landgericht habe zu Unrecht und ohne die erforderliche Begründung eine entsprechende Anwendung von § 836 Abs. 1 Satz 2 BGB verneint. Diese rechtfertige sich vor dem Hintergrund, dass die schadensstiftende Ursache aus der Sphäre des Grundstücksbesitzers stamme und die Verschuldensvermutung auch für Bauwerke gelten müsse.

Zudem sei zu Unrecht ein Verschulden der Beklagten verneint worden. Die Beweisaufnahme habe bestätigt, dass es sich um einen entsprechend frequentierten Radtourenweg handle. Da die Beklagte weder zur Querneigung des Gehwegs noch zu Kontrollen des Bauwerks vorgetragen habe, könnten diese Gesichtspunkte nicht berücksichtigt werden.

Das Landgericht sei pflichtwidrig dem Beweisantritt im Schriftsatz vom 28.09.2015 nicht nachgegangen. Bis zu diesem Zeitpunkt sei der Kläger davon ausgegangen, dass es sich um ein Rohr zur Ableitung des Oberflächenwassers handelt. Bei einer Ableitung des unter die Abdichtung gelangten Wassers wäre eine regelmäßige Kontrolle – zumal bei Berücksichtigung des Alters des Bauwerks – erst Recht zwingend erforderlich gewesen.

Die Beklagte habe ihre Kontroll- und Überwachungspflichten gröblichst verletzt.

4. Der Kläger beantragt (Blatt 226/227):

Das Urteil des Landgerichts Rottweil vom 05.10.2015 (1 O 42/14) wird abgeändert: Die Beklagte wird verurteilt,

a. an den Kläger 2.162,79 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen,

b. an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen,

c. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, sämtliche materiellen und immateriellen Schadenspositionen auszugleichen, die dem Kläger aufgrund seines Radunfalls vom 07.03.2012 auf der P.straße in R. entstanden sind und künftig entstehen werden, soweit diese nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind,

d. an den Kläger außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.029,35 € zu bezahlen.

5. Die Beklagte beantragt (Blatt 222):

Die Berufung wird zurückgewiesen.

6. Die Berufungserwiderung der Beklagten verteidigt das landgerichtliche Urteil.

a. Eine Bindungswirkung gemäß § 68 Abs. 3 ZPO sei nicht eingetreten. Angesichts der Zustellung am 29.08.2013 habe wegen des Hinweisbeschlusses vom 28.08.2013 keine Möglichkeit mehr bestanden, auf den Vorprozess Einfluss zu nehmen, insbesondere Verteidigungsmittel vorzutragen.

b. Eine Verkehrssicherungspflichtverletzung liege nicht vor.

Der Kläger habe schon nicht den Nachweis geführt, dass sich die behauptete Eisfläche durch aus einer Öffnung im Brückenbereich heraustropfendes Wasser gebildet habe. Dies sei und bleibe bestritten.

§ 836 BGB sei zu Recht nicht angewandt worden, da schon die dafür erforderlichen Tatsachen nicht vorgelegen hätten. Der Kläger habe nicht bewiesen, dass die Ursache für die Eisfläche durch Wasser von der Brücke gesetzt worden sei.

Der Zeuge Gr. habe keine tatsächlichen Feststellungen zur Entwässerung des Brückenbogens getroffen, da er weder den Aufbau der Brücke noch konkret die streitgegenständliche Tropftülle untersucht habe. Die Aussagen hätten sich außerhalb des Beweisthemas bewegt, weshalb die Beklagte sich diese nicht zu Eigen gemacht habe. Es sei bestritten worden, dass Wasser im Brückenbereich vorhanden gewesen sei. Wenn, wäre dieses dort gefroren und hätte nicht auf den Weg tropfen können.

Die Entwässerung mittels Tropftülle über den Weg mit Querneigung und die fehlenden Vorfälle in der Vergangenheit bewirkten ein Fehlen der für eine Sorgfaltspflichtverletzung erforderlichen Erkennbarkeit.

c. Im Schriftsatz vom 27.04.2016 hat die Beklagte noch geltend gemacht, dass sich der Kläger in freier Landschaft bewegt habe, weshalb sie für die dortigen naturtypischen Gefahren nicht hafte. Die Landesbauordnung sei nicht anwendbar, sondern die Bahnanlagen müssten nur den anerkannten Regeln der Technik entsprechen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird insoweit auf den Schriftsatz vom 27.04.2016 Bezug genommen (Blatt 249 – 258).

7. Wegen des weiteren Vortrags der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst der dazu vorgelegten Anlagen Bezug genommen. Hinsichtlich des Vortrags in der mündlichen Verhandlung wird außerdem auf das Protokoll der Sitzung vom 06.04.2016 verwiesen. Die Beklagte hat einen am 06.04.2016 abgeschlossenen Abfindungsvergleich mit Schriftsatz vom 27.04.2016 widerrufen (Blatt 257).

Die Akte 1 O 114/12 des Landgerichts Rottweil war beigezogen.

II.

Die Berufung ist zulässig, sie wurde insbesondere innerhalb der vorgegebenen Fristen ordnungsgemäß eingelegt und begründet. Die Berufung hat jedoch nur zum Teil Erfolg. Der Kläger kann sich zwar nicht auf eine Interventionswirkung berufen und kann keine Fahrtkosten ersetzt verlangen, wegen der festzustellenden schuldhaften Verkehrssicherungspflichtverletzung hat er jedoch unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens von ⅓ Anspruch auf Schmerzensgeld und auf Ersatz seines restlichen materiellen Schadens (Radlerhose, Helm, Ehering).

1. Das Landgericht hat mit zutreffenden Erwägungen ausgeführt, dass die Interventionswirkung der Streitverkündung in den Verfahren 1 O 114/12 (LG Rottweil) und 4 U 163/13 (OLG Stuttgart) nicht mehr eintreten konnte (§§ 74 Abs. 1, 68 ZPO).

a. Die Bindungswirkung umfasst nicht nur die im Urteilstenor eines Vorprozesses ausgesprochene Rechtsfolge oder eine darin getroffene Feststellung, sondern auch die den Ausspruch tragenden tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen in den Entscheidungsgründen (BGHZ 103, 275 [278] = NJW 1988 [1378 [1379]; BGHZ 85, 252 [255] = NJW 1983, 820). Der Richter des Folgeprozesses ist danach an alle tatsächlichen und rechtlichen Umstände gebunden, auf denen das Urteil des Vorprozesses beruht (BGH VersR 1985, 568 [569]).

Die Interventionswirkung und damit die Bindung des Richters des Folgeprozesses entfällt, wenn der Nebenintervenient erfolgreich die Einrede mangelhafter Prozessführung durch die Hauptpartei geltend machen kann (§ 68 ZPO, 2. Halbsatz). Die Bindungswirkung nach §§ 68, 74 Abs. 1 ZPO tritt deshalb nicht ein, soweit der Streitverkündungsgegner oder Nebenintervenient nach § 67 ZPO gehindert war, auf den Verlauf des Vorprozesses Einfluss zu nehmen. Konnte er dort auch im Falle seines Beitritts seinen eigenen Standpunkt nicht (mehr) zur Geltung bringen, so ist für eine Bindungswirkung kein Raum (BGH VersR 2006, 1707 [1708 Rn. 13] = NJW-RR 2006, 648). Bei einer Streitverkündung erst in der Rechtsmittelinstanz ist der Streitverkündete nicht gehindert, im Folgeprozess noch Einwendungen geltend zu machen, die in der Rechtsmittelinstanz ausgeschlossen waren (Zöller/Vollkommer, ZPO, 31. Aufl. 2016, § 68 Rn. 11).

b. Die mit dem damaligen Berufungsbegründungsschriftsatz vom 23.08.2013 ausgesprochene Streitverkündung wurde der Beklagten am 29.08.2013 zugestellt (Blatt 117 der Akten LG Rottweil 1 O 114/12; Senat 4 U 163/13). Der Senat hat mit Beschluss vom 28.08.2013 darauf hingewiesen, dass er beabsichtigt, die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil jedenfalls kein Verschulden der Mitarbeiter der Beklagten festgestellt werden könne. Die endgültige Zurückweisung erfolgte mit Beschluss vom 19.09.2013.

Die jetzige Beklagte konnte schon allein wegen der zeitlichen Abläufe im Rechtsmittelverfahren des Vorprozesses keinen Einfluss mehr auf den Verlauf dieses Prozesses nehmen, denn der Senat hatte schon vor der Zustellung der Streitverkündung darauf hingewiesen, dass er eine Zurückweisung der Berufung beabsichtigt. Im Übrigen konnte die Beklagte wegen der erst im Berufungsverfahren erfolgten Streitverkündung auch in tatsächlicher Hinsicht keine Einwendungen mehr geltend machen (§ 531 ZPO). Sie war deshalb nicht gehindert, den Sachverhalt sowohl in rechtlicher, als auch in tatsächlicher Hinsicht anders zu bewerten und insbesondere Unfallhergang, Unfallursache, insbesondere die Ursächlichkeit des Rohres zu bestreiten.

2. Die Beklagte haftet gemäß § 823 Abs. 1 BGB für die schweren Verletzungen des Klägers, weil sich infolge des aus dem Rohr in der Brücke ausgetretenen Wassers auf dem P.weg eine großflächige Eisplatte gebildet hat, auf der der Kläger zu Fall gekommen ist.

a. Die Beklagte trifft als Eigentümerin des Grundstücks und der Brücke (von der Beklagten zugestanden auf Blatt 73) eine Verkehrssicherungspflicht für die Brücke und den Weg. Aus § 823 Abs. 1 BGB ergibt sich grundsätzlich für jeden, der in seinem Verantwortungsbereich eine Gefahr für Dritte schafft oder andauern lässt, die Verpflichtung, die ihm zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst abzuwenden. Dazu ist es nicht einmal erforderlich, dass er selbst für das Entstehen der Gefahr etwas kann; ein Grundstückseigentümer oder -besitzer kann auch zur Beseitigung eines gefährlichen Zustandes verpflichtet sein, den Dritte geschaffen haben, selbst wenn diesen eine vorsätzliche Gefährdung vorzuwerfen ist (BGH NJW 1985, 1773 [1774]).

Die Brücke und die Bahnlinie wurden durch die Beklagte betrieben, weshalb diese verpflichtet ist, davon ausgehende Gefahren auszuräumen. Dies gilt auch für den darunter befindlichen Weg, zumal dieser unstreitig im Eigentum der Beklagten steht.

Soweit die Beklagte vorgetragen hat, der Weg sei nicht zur Benutzung freigegeben worden (Blatt 73, 76, 94), führt dieses ebenfalls nicht zu einer anderen Bewertung. Es ist zwar allgemein anerkannt, dass der Verkehrspflichtige durch Zugangsbeschränkungen den Kreis der berechtigten Nutzer einschränken kann, die vorgelegten Lichtbilder zeigen jedoch einen ausgewiesenen Fahrradweg ohne Benutzungsbeschränkungen (z.B. entsprechende Verbotsschilder). Die in erster Instanz vernommenen Zeugen haben eine entsprechende regelmäßige Nutzung des Weges ebenfalls bestätigt.

Der Zeuge We. hat ausgesagt,  „Ich weiß nicht, ob der Weg zu einem durchgehenden Radweg gehört. Er ist aber zur Ortschaft N. hin als Radweg ausgeschildert. (Blatt 151). … Der Weg, um den es hier geht, wird auch von Schülern benutzt, die von N. nach R. in die Schule fahren. Darüber hinaus sind mir ja auch immer wieder Pendler entgegengekommen. Dies war regelmäßig täglich der Fall. Es ist auch so, dass es für Radfahrer, die nach Rottweil wollen, eigentlich keine verkehrssichere Alternative zur Benutzung dieses Weges gibt (Blatt 152).“

Der Zeuge Gr. hat bestätigt,  „Es handelt sich um einen Feldweg. Offiziell als Radweg ausgewiesen ist dieser Weg nicht. Es handelt sich vielmehr um einen sogenannten Radroutenweg. Wie mir bekundet wurde, wird dieser Weg auch entsprechend von Fußgängern und Radfahrern frequentiert. (Blatt 176).“

Irgendwelche Absperrungen, Zugangsbeschränkungen oder Verbotsschilder sind dort nicht vorhanden, weshalb die Beklagte angesichts des dort eröffneten und auch von ihr zugelassenen Verkehrs für die von ihrem Grundstück und ihrem Bauwerk ausgehenden Gefahren haftet.

b. Die Beklagte hat durch die Entwässerung der Brücke auf den Weg gegen die sie treffende Verpflichtung verstoßen, Gefahren und Schäden von anderen abzuwenden, denn infolgedessen konnte sich auf diesem Weg eine großflächige Eisplatte bilden, auf der der Kläger mit seinem Fahrrad zu Fall gekommen ist.

aa. Der (Straßen-) Verkehrssicherungspflichtige muss die notwendigen Maßnahmen zur Herbeiführung und Erhaltung eines für den Straßenbenutzer hinreichend sicheren Straßenzustands treffen. Grundsätzlich muss sich der Straßenbenutzer allerdings den gegebenen Straßenverhältnissen anpassen und die Straße so hinnehmen, wie sie sich ihm erkennbar darbietet. Der Straßenverkehrssicherungspflichtige muss jedoch in geeigneter und zumutbarer Weise alle, aber grundsätzlich auch nur diejenigen Gefahren ausräumen und erforderlichenfalls vor ihnen warnen, die für den Benutzer, der die erforderliche Sorgfalt walten lässt, nicht oder nicht rechtzeitig erkennbar sind und auf die er sich nicht oder nicht rechtzeitig einzurichten vermag (BGH VersR 2014, 1349 Rn. 15; BGH VersR 2012, 1434 = DAR 2012, 572 Rn. 11 f.; BGH NJW 1980, 2193 [2194]; BGH VersR 1979, 1055; BGH NJW 1979, 2043 [2044]).

Für die Entwässerung von Brücken gilt generell, dass das Oberflächenwasser und sich im Brückenkörper bildendes Wasser so abgeführt werden muss, dass das Bauwerk weder verunreinigt wird, noch (insbesondere tausalzhaltiges) Wasser auf ungeschützte Konstruktionsteile einwirken kann. Dies ergibt sich aus § 33 Abs. 2 LBO, der verlangt, dass Anlagen zur Beseitigung von Niederschlagswasser (dazu gehört auch die Entwässerung einer Brücke) betriebssicher sein müssen (§ 33 Abs. 1 Satz 1 LBO). Diese sind so herzustellen, dass keine Gefahren oder erheblichen Nachteile entstehen (§ 33 Abs. 2 Satz 2 LBO). Bezüglich der Entwässerungsanlagen für Gebäude und Grundstücke verlangt die DIN 1986-100, Ausgabe 02-2002 im Abs. 9.1, dass Regenwasser nur dann direkt auf das Grundstück abgeleitet werden darf, wenn Dritte hierdurch nicht beeinträchtigt werden. Die Richtlinien der Bundesanstalt für Straßenwesen geben vor, dass schon die bloße Tropfentwässerung nicht über Verkehrsflächen erfolgen darf (Planungshinweise der Bundesanstalt für Straßenwesen vom Januar 2007 unter Was 11). Insoweit sind Berechnungen der voraussichtlich anfallenden Wassermengen erforderlich. Die auf/in der Brücke befindlichen Sammelleitungen müssen auf kürzestem Wege an sogenannte Fallleitungen angeschlossen werden, die technischen Regelwerke sehen keine Entsorgung des Wassers ins Freie vor (vergleiche (Holst/Holst, Brücken aus Stahlbeton und Spannbeton – Entwurf, Konstruktion und Berechnung, 6. Aufl. 2014, S. 796 ff.).

Die Muster für eine Entwässerung sehen die Anbringung entsprechender Fallrohre vor (z.B. Holst/Holst, a.a.O., S. 797; WAS 11), wie sie nun auch, allerdings nachträglich, vorhanden sind.

………………

Der Senat kann deshalb der Meinung des Zeugen Gr. nicht folgen, der ausgesagt hat, es sei üblich, dass derartiges Wasser direkt auf die darunter liegende Fahrbahn entwässert wird (Blatt 177). Der Zeuge ist zwar Bauingenieur, er hat jedoch die Brücke nie selbst untersucht oder näher kontrolliert, weshalb er keine eigenen Wahrnehmungen zur Art des abgeführten Wassers und der insoweit notwendigen Wasserabführung machen kann. Nur letzteres wäre Gegenstand der Beweiserhebung durch Zeugenvernehmung gewesen. Zudem hat der Zeuge selbst seine Aussage relativiert,

„Ich kann aus meiner jetzigen Erfahrung in der Brückensanierung beim Regierungspräsidium angeben, dass es durchaus tatsächlich so in der Praxis auch vorkommt. Ob es jetzt tatsächlich Standard ist oder tatsächlich generell so vorkommt, kann ich allerdings nicht sagen. Eine entsprechende DIN-Vorschrift oder dergleichen ist mir nicht bekannt. Dies liegt aber auch daran, dass ich nicht mit der Planung von derartigen Brückenbauwerken befasst bin (Blatt 178),“

wollte sich insoweit also ersichtlich nicht endgültig festlegen. Seine „Meinung“ ist daher für den Senat auch in fachlicher Hinsicht nicht relevant.

Selbst wenn man mit der Beklagten wegen der Vorgaben der EBO nicht auf die einschlägigen Normen der LBO und die DIN 1986-100, Ausgabe 02-2002 abstellt, ergibt sich keine geänderte Betrachtung. Die Beklagte hat selbst ausdrücklich eingeräumt, dass die Bahnanlagen den anerkannten Regeln der Technik entsprechen müssen (Blatt 256). Ausweislich der obigen Darstellung ist aber nach den anerkannten Regeln der Technik gerade keine Entwässerung ins Freie vorgesehen, dies insbesondere dann, wenn sich darunter ein Weg oder gar eine Straße befinden (s.o. und Holst/Holst, Brücken aus Stahlbeton und Spannbeton – Entwurf, Konstruktion und Berechnung, 6. Aufl. 2014, S. 796 ff.). Letzten Endes definieren sowohl LBO, die DIN 1986-100 als auch die weiteren technischen Regelwerke insoweit einen einheitlichen technischen Standard. Ansonsten würde das – nicht nachvollziehbare – Ergebnis entstehen, dass sich die Beklagte trotz der aus ihrem Eigentum an Brücke und Weg folgenden Pflichtigkeit auf ein für sie geltendes Sonderrecht mit anderen Maßstäben berufen könnte.

Zu den in den Planungshinweisen der Bundesanstalt für Straßenwesen vom Januar 2007 und zu den Ausführungen in der Fachliteraturstelle von Holst/Holst (aaO) hat die Beklagte nicht weiter Stellung genommen. Der Senat hat noch vor der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, auf der Grundlage dieser daraus zu gewinnenden Erkenntnisse eine Verkehrssicherungspflichtverletzung annehmen zu können (vgl. die Verfügung des Vorsitzenden vom 24.3.2016, Blatt 240 f). Der Senat verfügt daher über die damit vermittelte erforderliche Sachkunde. sodass es einer Beweiserhebung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht bedarf. Die Anwendbarkeit der o.a. Planungshinweise und der Erkenntnisse aus der zitierten Fachliteratur ist mangels weiterer Ausführungen der Beklagten hierzu unstreitig.

bb. Es ist zudem offenkundig, dass die vor dem Unfall erfolgte Entwässerung der Brücke über den Fahrradweg ein erhebliches Gefahrenpotential begründet hat, weil das sich auf dem Weg sammelnde Wasser dort gefrieren und eine Gefahrenstelle begründen konnte, zumal der Weg ausweislich der vorgelegten Lichtbilder erhebliche Unebenheiten aufweist. Die direkt auf den Gehweg erfolgende Entwässerung entsprach nach den obigen Ausführungen nicht den maßgeblichen Vorgaben und Regelwerken und stellte darüber hinaus einen schuldhaft verkehrspflichtwidrigen Zustand dar, weil damit von Menschenhand geschaffene Gefahren für die Nutzer des Weges begründet worden sind, und zwar gerade auch in Zeiten, in denen der Wegenutzer – wie im vorliegenden Fall – mangels Niederschlags nicht mit gerade dadurch bewirkten Gefahren rechnen musste.

Ausweislich der in diesem Verfahren vorgelegten Lichtbilder und der Lichtbilddokumentation des Zeugen Gr. im Verfahren gegen die Stadt R. (1 O 114/12; 4 U 163/13) befindet sich die Brückenentwässerung über dem Weg in einer Kurve, weshalb die Gefahrenstelle zudem nicht rechtzeitig erkennbar ist und sich ein dort fahrender Fahrradfahrer darauf auch nicht rechtzeitig einrichten kann. Die schlechte Erkennbarkeit wird neben der Kurvenführung noch durch die rechts von der Fahrbahn befindliche Böschung und die Brücke selbst begünstigt, die beide dafür sorgen, dass gerade der Fahrbahnabschnitt, auf dem der Unfall geschehen ist, im Schatten liegt und deshalb bei einer Annäherung nicht ohne Weiteres erkennbar ist.

Dies kann der Senat schon allein aufgrund der vorgelegten Lichtbilder beurteilen, welche die tatsächliche Situation der Unfallstelle umfassend und anschaulich wiedergeben. Diese Bilder zeichnen ein exaktes und aussagekräftiges Bild von der Örtlichkeit. Von den Parteien ist auch nicht geltend gemacht worden, dass insoweit Unzulänglichkeiten bestehen. Nach ständiger Rechtsprechung kommt in einem solchen Fall anstelle einer Ortsbesichtigung auch die Verwertung der Lichtbilder in Betracht (BGH NJW-RR 1987, 1237 [1238]; OLG Köln NZV 1994, 279; Zöller-Heßler, ZPO, 31. Aufl. 2016, § 371 Rn. 4; siehe auch Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2009, § 244 Rn. 19 m.w.N. in Fn. 78).

Die schlechte und unzureichende Erkennbarkeit wurde auch durch den Zeugen Fr. We. bestätigt, der dazu ausgesagt hat, „Die Eisfläche befand sich direkt unter der Brücke. An dieser Stelle ist es auch ganzjährig zumindest feucht. Wenn man den Weg aus meiner Fahrtrichtung befährt, dann steigt der Weg dort etwas an. Gefährlicher ist es für diejenigen Personen, die – wie Herr G. – aus der Gegenrichtung kommen. Für diese ist diese Gefahrenstelle nicht so gut einsehbar, weil sich davor eine Kurve befindet. (Blatt 151).“

Die vorgelegten Lichtbilder haben die Richtigkeit dieser Aussage bestätigt.

cc. Soweit die Beklagte den Unfallhergang, das Vorhandensein von Glatteis und den Sturz auf der Eisfläche mit Nichtwissen bestritten hat (Blatt 73, 95), steht dieser gemäß § 314 ZPO, jedenfalls aber nach § 529 ZPO fest.

Das Landgericht hat im unstreitigen Teil des Tatbestands festgehalten, „Der Kläger befuhr am 07.03.2012 gegen 7:30 Uhr mit dem Fahrrad den unter der Eisenbahnbrücke hindurchführenden Weg von N. kommend in Richtung R.. Im Bereich der Eisenbahnbrücke stürzte der Kläger und zog sich erhebliche Verletzungen zu.“ weshalb schon gemäß § 314 ZPO feststeht, dass der Kläger dort gestürzt ist. Der Tatbestand liefert gem. § 314 Satz 1 ZPO Beweis für das mündliche Parteivorbringen, welcher nur durch das Sitzungsprotokoll entkräftet werden kann (§ 314 Satz 2 ZPO). Daraus folgt, dass vorher eingereichte Schriftsätze durch den Tatbestand, der für das Vorbringen am Schluss der mündlichen Verhandlung Beweis erbringt, überholt sind. Bei einem Widerspruch zwischen ausdrücklichen tatbestandlichen Feststellungen und in Bezug genommenen Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze geht der Tatbestand vor (BGH NJW 1999, 1339; BGH NJW-RR 2007, 1434 Rn. 11, jeweils mit zahlreichen weiteren Nachweisen; BGH NJW-RR 2008, 1566 Rn. 15).

Im Übrigen hat der Zeuge Fr. We. in seiner Vernehmung vor dem Landgericht bestätigt, dass er den Kläger an der Unfallstelle vorgefunden hat und sich dort eine größere Eisfläche befand:

„Ich näherte mich dann der Unfallstelle. Ich sah Herrn G., den ich damals allerdings namentlich noch nicht kannte. Er befand sich rechts neben der Fahrbahn, praktisch sich wieder aufrappelnd. Er wies deutliche Blutspuren im Gesicht auf. ….. (Blatt 150). Als ich mich der Unfallstelle näherte, sah ich eine ca. zwei bis drei Meter große Eisfläche. Diese Eisfläche bedeckte zumindest nahezu die gesamte Fahrbahnbreite. Ich kann nicht sagen, ob links und rechts am Rand noch vielleicht 20 cm frei war. Zumindest befand sich die Eisfläche in dem Bereich, den man üblicherweise mit dem Fahrrad befährt. Für mich war der Unfallhergang eigentlich klar. (Blatt 151). …. Die Eisfläche befand sich direkt unter der Brücke. An dieser Stelle ist es auch ganzjährig zumindest feucht. Wenn man den Weg aus meiner Fahrtrichtung befährt, dann steigt der Weg dort etwas an. Gefährlicher ist es für diejenigen Personen, die – wie Herr G. – aus der Gegenrichtung kommen. Für diese ist diese Gefahrenstelle nicht so gut einsehbar, weil sich davor eine Kurve befindet. Das Wasser tropft immer aus derselben Stelle. (Blatt 151).“

Die Beklagte hat nach der Vernehmung des Zeugen zwar pauschal dessen Glaubhaftigkeit in Frage gestellt (Blatt 156), aber nichts vorgetragen, was die Richtigkeit dieser Aussage in Frage stellt oder Zweifel im Sinne des § 529 ZPO begründen könnte. Es wurde nur ausgeführt, es könne physikalisch nicht sein, dass dort Wasser herabtropfte, die Aussage des Zeugen und dessen Wahrnehmungen sind hierdurch jedoch nicht in Frage gestellt. Die Lichtbilddokumentation des Zeugen Gr. und die Lichtbilder des Klägers belegen vielmehr ohne weiteres, dass sich unter der Brücke Unebenheiten befinden, weshalb das Wasser (trotz des grundsätzlich vorhandenen Quergefälles) nicht ablaufen konnte, sondern sich dort Pfützen gebildet hatten. Die Möglichkeit einer Pfützenbildung hat der Zeuge Gr. ausdrücklich bestätigt (Blatt 177). Angesichts der Jahres- und Tageszeit und der (vorsichtigen) Aussage des Zeugen We. zu den Temperaturen sowie der konkreten Schattenlage ist das Vorhandensein einer größeren Eisfläche ohne weiteres nachvollziehbar und plausibel. Hiervon ist auch das Landgericht ausgegangen, ohne dass dies im Berufungsverfahren in Frage gestellt worden ist.

Jedenfalls danach steht für den Senat gemäß § 529 ZPO fest, dass der Kläger auf der Eisfläche unter der Brücke zu Fall gekommen ist.

dd. Die Annahme einer Verkehrssicherungspflichtverletzung knüpft insoweit nicht an die Verletzung von Räum- und Streupflichten an, die angesichts der Lage und Nutzung des Weges nur durch Radfahrer, Fußgänger und als Zufahrt zur Saline zweifelhaft sein könnte. Haftungsauslösend ist vielmehr die von Anfang an fehlerhafte, jedenfalls aber gefährliche Konstruktion der Entwässerung der Brücke direkt auf einen Fahrradweg, der zudem durch seinen Charakter als Feldweg mit entsprechenden Unebenheiten eine Pfützenbildung zuließ (wie dies auch vom Zeugen Gr. bestätigt wurde; Blatt 177).

ee. Die Beklagte kann sich insoweit auch nicht darauf berufen, dass sich eine naturtypische Gefahr im Außenbereich verwirklicht hat und eine Haftung deshalb ausgeschlossen ist. Zunächst begegnet schon die Sichtweise der Beklagten erheblichen Bedenken, dass die Brücke im Außenbereich anzusiedeln ist, denn diese befindet sich in unmittelbarer Nähe einer zusammenhängenden Bebauung. Diese Frage kann aber offen bleiben, denn es handelt sich nicht um die Verwirklichung einer naturtypischen Gefahr, sondern die Gefahr wurde erst durch die Konstruktion des Wasserablaufs an der Brücke begründet, beruht also auf einem menschlichen Eingriff in die Natur. Die Gefahr wurde durch den konstruierten Ablauf begründet, weshalb das dort ausgetretene Wasser keine naturtypischen Einwirkungen darstellt, sondern eine von Menschenhand geschaffene Gefahr.

3. Die Verkehrssicherungspflichtverletzung (gefahrenträchtiges Ableiten von Wasser aus der Brücke auf den darunter verlaufenden Weg) war für die Rechtsgutverletzung (Körperverletzung des Klägers) ursächlich.

a. Diese Feststellung beruht zunächst und im Wesentlichen auf den Angaben des Zeugen We., der ausgeführt hat:

„Wenn man davon ausgeht, dass die Temperaturen so niedrig waren, dass Wasser bzw. Feuchtigkeit auf der Fahrbahn gefriert, dann weiß man, dass sich dort an dieser Stelle eine Eisfläche befinden kann. Dies deshalb, weil von der dort befindlichen Eisenbahnbrücke praktisch ganzjährig Wasser tropft. Die Eisfläche befand sich direkt unter der Brücke. An dieser Stelle ist es auch ganzjährig zumindest feucht. Wenn man den Weg aus meiner Fahrtrichtung befährt, dann steigt der Weg dort etwas an. Gefährlicher ist es für diejenigen Personen, die – wie Herr Gr. – aus der Gegenrichtung kommen. Für diese ist diese Gefahrenstelle nicht so gut einsehbar, weil sich davor eine Kurve befindet. Das Wasser tropft immer aus derselben Stelle. Ob sich allerdings genau an dieser Stelle ein Ablaufrohr oder dergleichen befindet, kann ich nicht sagen (Blatt 151). ….

Ich weiß, dass regelmäßig Wasser aus der Brücke getropft hat. Dies irgendwo im Bereich der Mauer. Ich habe mir aber nie die Mühe gemacht, dort abzusteigen und dies näher zu untersuchen. Deshalb kann ich auch nicht angeben, dass Wasser dort aus einem Ablaufrohr tropfte. Am Unfalltag, also am 07.03.2012, habe ich nicht speziell darauf geachtet, ob dort Wasser getropft hat. Ich war gedanklich mehr damit beschäftigt, wie es Herrn G. geht……

Für mich war auch klar, woher die Feuchtigkeit auf dem Weg kommt. Dies resultiert aus meinem regelmäßigen Beobachtungen, dass es dort aus der Mauer tropft. Wenn man derartige regelmäßige Beobachtungen macht, dann braucht man diese Beobachtungen nicht jeden Tag oder – wie damals – an diesem Unfalltag zu wiederholen. Nur nebenbei: Wenn man dort als Radfahrer regelmäßig fährt, dann fährt man eigentlich schon einen leichten Bogen, um nicht von einem Wassertropfen getroffen zu werden (Blatt 152).“

Der Zeuge hat zwar lediglich bestätigt, dass es an der fraglichen Stelle unter der Brücke regelmäßig zu Feuchtigkeitsbildung gekommen ist und sich bezüglich der Ursächlichkeit des Ablaufrohres sehr zurückhaltend geäußert. Die Aussage des Zeugen wird jedoch durch die im vorliegenden und im vorangegangenen Rechtsstreit jeweils vorgelegten Lichtbilder bestätigt. Danach befindet sich das Ablaufrohr direkt über der feuchten Stelle. Diese ist jeweils auf den Lichtbildern zu sehen. Wenn sich bei einem ansonsten trockenen Weg – so die Aussage des Klägers und des Zeugen We. und die Belege auf der Lichtbilddokumentation des Zeugen Gr. – eine Feuchtigkeitsstelle direkt und senkrecht unter einem Ablaufrohr befindet und in der Vergangenheit – so die Angabe des Zeugen We. – wiederholt und an genau derselben Stelle anzutreffen war, spricht alles dafür, dass als Ursache dieser Feuchtigkeitsstelle nur das früher vorhandene Ablaufrohr in Betracht kommt. Zudem hat auch der Zeuge Gr. ausgeführt:

„Aus meiner nunmehrigen Tätigkeit beim Regierungspräsidium kann ich mitteilen, dass ein Brückenbauwerk, wie das vorliegende, eine sogenannte Tropftülle benötigt, um das Wasser abzuleiten. Es ist auch üblich, dass derartiges Wasser direkt auf die darunter liegende Fahrbahn entwässert wird. Mit dieser Tropftülle wird dasjenige Wasser abgeleitet, welches sich unter der Abdichtung gegebenenfalls sammelt“ (Blatt 177).

Auch wenn der Zeuge Gr. das konkrete Brückenbauwerk mit seiner ehedem vorhandenen Tropftülle vor dem Unfall des Klägers nicht wahrgenommen hatte, wird aus seiner Aussage doch deutlich, dass es sogar üblich war, dass Wasser aus einer solchen Ableitung auf den darunter liegenden Weg geleitet wird. Warum das gerade im vorliegenden Fall trotz genau über dem Weg befindlicher Abtropftülle dann nicht der Fall gewesen sein soll, erschließt sich dem Senat nicht. Da letztlich auch das Landgericht auf Grund der für glaubhaft gehaltenen Angaben jedenfalls des Zeugen Gr. davon ausgegangen ist, dass Wasser aus der Abdichtung der Brücke auf den Weg tropfte (LGU S. 8, I. Ziffer 2. aE), bedurfte es keiner erneuten Vernehmung der Zeugen We. und Gr. durch den Senat.

Die Beklagte hat auch insoweit bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Senat keine Anknüpfungstatsachen vorgetragen, die diesen Ablauf in Frage stellen oder widerlegen könnten.

Soweit die Beklagte in dem nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 27.4.2016 (Blatt 249 ff) darauf hingewiesen hat, dass Wasser aus der neben dem Weg befindlichen Böschung ausgetreten sein könnte, mag dies zwar zutreffen. Das auf Blatt 63 in der Akte 1 O 114/12 des Landgerichts Rottweil befindliche Lichtbild vom 29.1.2012 belegt nachdrücklich, dass direkt unter der damals noch vorhandenen, nach unten offenen Abtropftülle Feuchtigkeit auf dem ansonsten trockenen Weg vorhanden war, die ersichtlich nicht von der neben dem Weg stammenden Böschung stammte.

b. Soweit die Beklagte vorgetragen hat, dass entsprechende Vorgänge schon aus physikalischen Gründen auszuschließen seien, kann der Senat dem nicht folgen. Das Gegenteil ist der Fall. Es liegt auf der Hand und ist allgemeinkundig, dass Wasser innerhalb eines Bauwerks wegen des dort vorhandenen (Wärme-) Schutzes durch das Bauwerk weniger schnell gefriert als Oberflächenwasser, das – zumal auf einem gegebenenfalls durchgefrorenen Boden und in der konkreten durch Brücke und Böschung bedingten Schattenlage – jedoch zu Eisbildung führen kann. Deshalb ist es ohne weiteres einleuchtend und zu erwarten, dass bei einer solchen Entwässerungslösung auch bei Minustemperaturen Wasser austritt und dann auf dem Boden zu einer Eisfläche gefrieren kann.

4. Die von der Beklagten ebenfalls bestrittenen Verletzungen sind mit den vorgelegten Arztberichten und der Aussage des Zeugen We. bewiesen. Der Zeuge We. hatte den Kläger am 07.03.2012 mit deutlichen Blutspuren im Gesicht festgestellt, der Arztbrief der BG Klinik Tübingen vom 09.03.2012 (K 3 im Verfahren 1 O 114/12) hat dazu folgende (Primär-) Verletzungen festgehalten:

  • eine zweifache Unterkieferfraktur (Capitulumfraktur links, Corpusfraktur rechts; Blatt 16 im Verfahren 1 O 114/12),
  • Zahnfrakturen und der teilweise beziehungsweise komplette Verlust der Zähne 13, 14 und schließlich 24 (Blatt 5, Blatt 16 im Verfahren 1 O 114/12),
  • Platzwunden an der Unterlippe paramedian rechts und mental rechts (Blatt 16 im Verfahren 1 O 114/12),
  • multiple Platz- und Schürfwunden (Blatt 16 im Verfahren 1 O 114/12),
  • Bluterguss am linken Trommelfell (Blatt 16 im Verfahren 1 O 114/12).

Der Kläger wurde vom 07.03.2012 – 12.03.2012 in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik Tübingen stationär behandelt. Die Frakturen wurden fixiert – über drei Wochen in unterschiedlicher Intensität (Blatt 15-17 im Verfahren 1 O 114/12). Eine Krankschreibung erfolgte vom 07.03.2012 bis zum 09.04.2012 (K 6, Blatt 33).

Bei einer Nachbehandlung zur Entfernung des Metalls im Unterkiefer wurde am 16.11.2012 festgestellt, dass der Kläger seinen Mund nur auf ca. 2,5 cm öffnen konnte. Der Bericht diagnostiziert eine Dauerschädigung des linken Kiefergelenks mit entsprechend dauerhaft reduzierter Kaufunktion und Mundöffnung (K 5, Blatt 30).

Der Entlassungsbrief des Universitätsklinikums Bonn belegt, dass infolge der Beeinträchtigungen durch die Kiefergelenksfrakturen ein künstliches Kiefergelenk eingesetzt werden musste, wofür sich der Kläger vom 10.03.2015 bis zum 19.03.2015 in stationäre Behandlung nach Bonn begeben musste (K 15, Blatt 132).

Damit sind auch die bestrittene (Blatt 75)

  • reduzierte Kaufunktion,
  • die eingeschränkte Möglichkeit der Mundöffnung mit einhergehenden Schmerzen und
  • weitere erforderliche Behandlungen

bewiesen, weshalb auch der Feststellungsantrag begründet ist.

5. Die Beklagte hat gegen die im Verkehr erforderliche Sorgfalt verstoßen, denn das Ablaufrohr ist falsch konstruiert und nicht kontrolliert worden.

a. Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt (§ 276 Abs. 1 Satz 2 BGB), wobei Fahrlässigkeit nur hinsichtlich der Verletzung der Verkehrspflicht vorliegen muss (BGH NJW 1995, 2631 [2632]; BGHZ 135, 354 [362]; BGH VersR 1976, 149 [151]). Bei einem Verstoß gegen Unfallverhütungsvorschriften und technischen Normen zu (z.B. DIN-Normen), die eine Zusammenfassung der aktuellen Standards zur Gewährleistung der Verkehrssicherheit enthalten, ist ein Verschulden indiziert (BGH NJW 2008, 3778 (juris Rn. 16); BGH NJW 1997, 582 [583]; BGH NJW 1994, 945 [946]; OLG Frankfurt BauR 1993, 614; OLG Stuttgart NJW-RR 2010, 451; OLG Stuttgart NJW-RR 2000, 752; OLG Zweibrücken NJW-RR 2012, 94). Die Nichtbeachtung entsprechender Vorgaben begründet regelmäßig den Vorwurf des fahrlässigen Verhaltens (BGH VersR 1962, 720 [721]; BGH VersR 1991, 892 [893]; OLG Karlsruhe VersR 1988, 1071 [1072]; OLG Düsseldorf NJW-RR 1994, 1310).

Im Übrigen genügt bezüglich des Schadens, wenn der Eintritt eines schädigenden Ereignisses im Allgemeinen erkennbar und vorhersehbar war, es braucht nicht im Einzelnen vorhergesehen werden, wie sich die Schadensfolgen im Detail entwickeln (BGHZ 93, 351 [357]; BGHZ 58, 48 [56]; RGZ 136, 4 [10]).

b. Da ein Verstoß gegen (technische) Normen vorliegt, die entsprechende Gefährdungen verhindern sollen (s.o. unter 2.), ist das Verschulden der Beklagten indiziert. Die durch den Wasserablauf über dem Weg begründete Gefahrensituation hat sich im Übrigen ohne weiteres aus dessen unmittelbarer Lage über dem Weg ergeben, denn es liegt auf der Hand, dass ein entsprechender Ablauf ins Freie beim grundsätzlich zu erwartenden Wasseraustritt (sonst wäre ein Ablauf nicht erforderlich) ein Risiko darstellt. Nachdem die Beklagte offensichtlich bis zum Unfallereignis keinerlei Kontrollen an der Brücke vorgenommen hat, ist insoweit ohne weiteres von einem sorgfaltswidrigen Verhalten auszugehen.

Soweit das Landgericht darauf abgestellt hat, wegen der überdurchschnittlichen Querneigung des Weges sei die konkrete Gefahrensituation nicht vorhersehbar gewesen, ist festzuhalten, dass schon der Zeuge Gr. insoweit eingeschränkt hat, dass wegen der Unebenheiten eine Pfützenbildung möglich ist (Blatt 177). Diese Pfützenbildung ist gerade auf den vom Zeugen Gr. gefertigten Lichtbildern (s.o.) sehr gut nachvollziehbar (direkt unter dem Rohr befindet sich eine Pfütze, die knapp 2/3 des Weges bedeckt). Danach war die Neigung des Weges augenscheinlich nicht geeignet, für einen schnellen Wasserablauf und eine Beseitigung möglicher Gefahren zu sorgen.

Zudem knüpft der Fahrlässigkeitsvorwurf schon an die Konstruktion des Ablaufrohres mit einem Wasseraustritt ins Freie an, nicht erst an die Wegeneigung, weshalb es nicht auf die diesbezüglichen Erwägungen des Landgerichts ankommt. Die zitierten Regelwerke verlangen insoweit, dass es nicht zu einer Beeinträchtigung oder Gefährdung Dritter kommen darf.

Auch die Tatsache, dass es bis zu dem schweren Unfall des Klägers keine Hinweise auf diese Gefahrenstelle gab, führt nicht zu einer fehlenden Erkennbarkeit der Gefahr auf Seiten der Beklagten, denn durch die Entwässerung direkt auf den Weg ist insoweit ein offenkundiges Gefahrenpotential erst geschaffen worden, das für den objektiv sorgfältigen und hinreichend technisch versierten Mitarbeiter der Beklagten erkennbar war.

c. Nachdem sich der Fahrlässigkeitsvorwurf also schon bei Anwendung der üblichen Regelungen ergibt, kann die Frage einer Anwendbarkeit von § 836 BGB mit einer daraus folgenden Umkehr der Beweislast auf die Beklagte offen bleiben (vergleiche dazu eine Analogie bejahend Staudinger/Belling, BGB [2012], § 836 Rn. 12; demgegenüber ablehnend OLG Koblenz NJW-RR 2010, 900 [901], weil der Tatbestand des § 836 BGB auf Schäden eingeengt sei, die durch in Bewegung gesetzte Massen vermittelt sind).

6. Die vom Kläger geltend gemachten materiellen und immateriellen Schäden beruhen auf dem Unfallereignis vom 07.03.2012. Dies wird durch die vorgelegten Arztberichte und die glaubhafte Schilderung des Klägers im Termin vom 06.04.2016 und die weiter vorgelegten Urkundenkopien bewiesen.

7. Indem die Beklagte geltend gemacht hat, dass die Fahrbahn bei fahrradüblicher Geschwindigkeit ohne weiteres überschaubar, die Eisfläche frühzeitig erkennbar war (Blatt 73) und dem Kläger die (von der Beklagten andererseits der Lage nach bestrittene!) Feuchtigkeitsstelle bekannt war (Blatt 74), ist zumindest hilfsweise auch ein Mitverschulden des Klägers geltend gemacht worden. Der Kläger hat insoweit gegen das Gebot des Fahrens auf Sicht verstoßen, weshalb er sich ein Mitverschulden von ⅓ anrechnen lassen muss.

a. Nach allgemeinem Sprachgebrauch des Gesetzes handelt derjenige schuldhaft, der gegenüber einem anderen oder gegenüber der Allgemeinheit bestehende Rechtspflichten in vorwerfbarer Weise verletzt. Da es bei einer Selbstschädigung an der Rechtswidrigkeit fehlt, wird insoweit ein sogenanntes Verschulden gegen sich selbst verlangt. § 254 BGB erfasst insoweit einen Verstoß des Geschädigten bezüglich einer ihm selbst gegenüber bestehenden Obliegenheit, einen Verstoß gegen die eigenen Interessen im Sinne eines Verschuldens gegen sich selbst (BGHZ 33, 136 [142 f.]; BGH NJW 1970, 944 [946]; BGH NJW 1978, 2024 [2025]). Den Verletzten trifft danach ein Mitverschulden, wenn er diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die nach der Auffassung des Verkehrs ein ordentlicher und verständiger Mensch anwendet, um sich tunlichst vor einem Schaden zu bewahren (BGH NJW 2001, 149 [150]; BGHZ 74, 25 [28]; BGHZ 9, 316 [318]; BGH NJW 1970, 944 [946]; RGZ 100, 42 [44]). Dazu gehört, dass sich der Geschädigte nicht bewusst in Gefahren begibt oder Risiken auf sich nimmt (BGH NJW 1985, 482 [483]; BGH NJW 1985, 1692 [1693]; BGHZ 74, 25 [28]; BGHZ 33, 136 [142 f.]; Lange, Schiemann, Handbuch des Schuldrechts, Schadensersatz, 3. Aufl. 2003, § 10 VI 1, S. 549 ff). Die Verantwortlichkeit des Geschädigten wird insoweit auch aus dem Grundsatz von Treu und Glauben hergeleitet (BGHZ 76, 216 [217]; BGHZ 57, 137 [152]; weitere Nachweise bei Lange, Schiemann, a.a.O., § 10 V 2, S. 548, Fn. 80).

b. Zu Lasten des Klägers bleibt ein Verstoß gegen das Gebot des Fahrens auf Sicht. Der Kläger hat ausgesagt (Blatt 52 – 53 in 1 O 114/12):

„Ich habe nur an den Tagen das Rad benutzt, an denen ich dies angesichts der Witterungsverhältnisse für möglich erachtet habe. Dabei habe ich als Maßstab praktisch genommen die Strecke, die ich durch einen Wald fahren musste. Insoweit bin ich davon ausgegangen, dass, wenn es an dieser Stelle glatt ist, ich das Fahren lieber unterlasse.

In dem Bereich, in dem sich dann der Unfall ereignet hat, war am Unfalltag die Straße vollkommen trocken. Es war auch im Gelände kein Schnee vorhanden. 2012 bin ich auf diesem Radweg 97 Mal zur Arbeit gefahren und zwar mit dem Fahrrad. Es ist klar, dass die Fahrten überwiegenderweise in den schöneren Jahreszeiten stattgefunden haben und nicht im Winter. Am Unfalltag war dies nicht die erste Fahrt im Winter.

Ob diese Strecke von der Beklagten geräumt worden war zu Zeiten, zu denen sich dort Schnee befunden hat, das weiß ich nicht. Zu Zeiten, zu denen (wohl gemeint: Schnee) auf der Straße liegt, fahre ich nicht mit dem Fahrrad.

Bei dieser Strecke handelt es sich um die Strecke zwischen N. und R. und zwar in Richtung Salinenmuseum.

Dieser Radweg wird zum Teil von Autos benutzt und zwar bis zu 200 Meter von der Brücke entfernt aus Richtung R. gesehen. Als ich um diese 90 Grad-Kurve herumgefahren war, sah ich, dass sich dort Glatteis gebildet hatte. Dieses erstreckte sich auf ca. 75 bis 80 % der Breite des Weges.

Die nichtbetroffenen 25 % befanden sich dabei aus meiner Sicht auf der rechten Seite. Ich habe erkannt, dass das mit dem Bremsen nicht reicht. Deswegen wollte ich mich auf diese trockenen 25 % begeben.

Mit dem Vorderrad habe ich dann noch das letzte Stück Glatteis praktisch erwischt und bin nicht vorbeigekommen. In dem Moment ging dann das Vorderrad weg.

Ich stürzte auf mein Kinn. Als ich aufstand, bemerkte ich, dass ich blutete. Ich hatte ein funktionierendes Handy dabei und habe den Notarzt verständigt. Danach erschien dann Herr We. aus der anderen Richtung.

Ich meine mich daran erinnern zu können, dass noch eine weitere Person dann an der Unfallstelle vorbei gefahren ist. Als der Krankenwagen dann schon da war, fuhren noch zwei weitere vorbei.

Ich bin mit 20 bis 25 km/h wohl gefahren. Ich habe nicht auf den Tacho geschaut. Es geht an dieser Stelle leicht bergab.“

Ein Verstoß gegen das Sichtfahrgebot (§§ 3 Abs. 1 Satz 2, 4 StVO) ist anzunehmen, denn bei einer Geschwindigkeit von 25 km/h ergibt sich ein Anhalteweg von ca. 9 Metern, bei 20 km/h sind es etwa 6 Meter. Angesichts der Einräumungen des Klägers, wonach er die Glättestelle noch wahrgenommen hat und versuchte auszuweichen sowie aufgrund der vorgelegten Lichtbilder ist davon auszugehen, dass der Kläger hier nicht die notwendige Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten beachtet und deshalb gegen das Sichtfahrgebot verstoßen hat.

Der Senat bewertet dieses Mitverschulden mit ⅓.

8. Der Kläger hat Anspruch auf ein Schmerzensgeld in Höhe von 20.000,00 €.

a. § 253 Abs. 2 BGB will einen Ausgleich für die Leiden und Beeinträchtigungen des Geschädigten schaffen, die keinen in Geld berechenbaren Vermögensschaden darstellen. Hierbei ist es nicht möglich, eine Wiederherstellung im Sinne einer Naturalrestitution zu erreichen, es kann lediglich ein billiger Ausgleich in Geld gewährt werden. Im Vordergrund soll das Schmerzensgeld dem Geschädigten einen angemessenen Ausgleich für diejenigen Lebenshemmungen bieten, die nicht vermögensrechtlicher Art sind (Ausgleichsfunktion des Schmerzensgeldes). Hier sind entscheidend: Größe, Heftigkeit und Dauer der Schmerzen, Leiden und Entstellungen. All diese Punkte bilden die wesentliche Grundlage für die Bemessung des Schmerzensgeldes. Das Schmerzensgeld soll darüber hinaus zugleich dem Gedanken Rechnung tragen, dass der Schädiger für das, was er dem Geschädigten angetan hat, Genugtuung schuldet (Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes; BGHZ 138, 388 [391]; BGHZ 18, 149 [154]). Die Kriterien zur Bemessung eines Schmerzensgelds lassen sich danach wie folgt systematisieren: Im Rahmen der Ausgleichsfunktion sind zu berücksichtigen: zugefügte Schmerzen, Schwere und Art der Verletzungen, Heilungsdauer, verbleibende Dauerschäden, Entstellungen, der Verlauf des Heilungsprozesses, die Dauer und Intensität der Behandlung, seelisches Leid, geschlechtstypische besondere Beeinträchtigungen, aber z.B. auch, ob eine Berufsausübung nicht mehr möglich ist. Bei der Genugtuungsfunktion, Sühnefunktion ist abzustellen auf Grad und Schwere des Verschuldens (nur leichte Fahrlässigkeit oder Vorsatz), ein besonders verwerfliches Verhalten des Täters. Ein nur zögerliches Regulierungsverhalten der Versicherung erlaubt gegebenenfalls eine Erhöhung des Schmerzensgeldes.

b. Die mit den Arztberichten der Uniklinik Tübingen dokumentierten, deshalb feststehenden und bewiesenen Primärverletzungen (siehe dazu schon oben unter 4.) sind als erheblich und schwerwiegend einzustufen, denn der Kläger wird hierdurch ein Leben lang beeinträchtigt sein, weil er ein für das menschliche Leben und entsprechende Lebensfreude elementares Bedürfnis – die Nahrungsaufnahme und genussvolles Essen – nicht mehr normal ausüben kann, sondern dabei erheblichen Einschränkungen ausgesetzt ist.

Neben den Primärverletzungen,

  • Verlust von insgesamt drei Zähnen,
  • zweifacher Bruch des Unterkiefers,
  • erhebliche Platz- und Schürfwunden,

musste der Kläger infolge des Unfalles umfangreiche ärztliche Behandlungen über einen Zeitraum von mehreren Jahren in Anspruch nehmen,

  • er war vom 07.03.2012 – 09.04.2012 krankgeschrieben,
  • musste 2013 häufig zum Arzt und zur Krankengymnastik, war 2014 und 2015 weiterhin in Behandlung,
  • der Unterkiefer musste zur Wiederherstellung einer größeren Mundöffnung durch eine Endoprothese ersetzt werden, hier waren mehrere Reisen nach Bonn und ein Klinikaufenthalt in Bonn erforderlich,
  • nach dem Unfall bestand nur eine eingeschränkte Möglichkeit, den Mund zu öffnen (zwischen 1,5 – 2 cm), nun kann der Mund nach der Operation im Jahr 2015 bis auf etwa 3 cm öffnen,
  • beim Essen hat er häufig Schmerzen.

Ohne ein Mitverschulden wäre insoweit ein Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 30.000,00 € angemessen. Die Schmerzensgeldtabelle Immdat Plus weist für Unterkieferfrakturen Schmerzensgelder bis zu 20.000,00 € aus, keiner der dort gelisteten Fälle ist jedoch vergleichbar, denn es fehlt jeweils die dauernde Beeinträchtigung beim Essen. Auch die ADAC-Tabelle enthält keinen exakt vergleichbaren Fall. Angesichts der feststehenden Verletzungen, der Dauer der Beeinträchtigungen und der verbleibenden Beschränkungen hält der Senat unter Berücksichtigung des Mitverschuldens ein Schmerzensgeld in Höhe von 20.000,00 € für angemessen.

9. Der Kläger kann allerdings keinen Ersatz für Fahrtkosten verlangen, weil insoweit ein Forderungsübergang auf das Land anzunehmen ist. Der Kläger hat unstreitig einen Dienstunfall erlitten, denn als Dienst gilt auch das Zurücklegen des mit dem Dienst zusammenhängenden Wegs nach und von der Dienststelle (so genannter Wegeunfall).

Nach § 81 LBG geht ein gesetzlicher Schadensersatzanspruch körperlich verletzter Beamter, der diesen infolge der Körperverletzung gegen Dritte zusteht, insoweit auf den Dienstherrn über, als dieser während einer auf der Körperverletzung beruhenden Aufhebung der Dienstfähigkeit oder infolge der Körperverletzung zur Gewährung von Leistungen verpflichtet ist. Der Regress steht dem Dienstherrn nur wegen von ihm zu erbringender Leistungen zu, also soweit ein Verletzungsschaden auszugleichen ist.

Da die Fahrtkosten insoweit gemäß §§ 48 LBeamtVG iVm 7 HeilvfVO erstattungsfähig gewesen wären, was der Kläger in der Verhandlung vor dem Senat eingeräumt hat, wäre das Land zur Erstattung entsprechender Kosten verpflichtet gewesen, weshalb diese Ansprüche nach § 81 LBG übergegangen sind und der Kläger insoweit keinen Ausgleich verlangen kann.

10. Der Kläger hat einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 113,72 €.

Der Anspruch steht dem Kläger weiter zu, weil ein Anspruchsübergang auf das Land gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 LBeamtG nicht erfolgt ist.

Der geltend gemachte Schaden für die Radlerhose (12,99 €), die Reparatur des Eherings (98,00 €) und die Anschaffung eines neuen Fahrradhelms (89,95 €) ist mit Rechnungskopien belegt und damit nachgewiesen worden (K 7, Blatt 34 f.). Die Beklagte hat diese Beträge zudem in der Verhandlung vor dem Senat unstreitig gestellt (Blatt 246). Der Kläger muss sich insoweit bezüglich der Hose und des Helms allerdings einen Abzug neu für alt gefallen lassen, mangels weiterer Angaben der Parteien hierzu schätzt der Senat diesen mit 30%. Unter Berücksichtigung des Mitverschuldens verbleibt danach ein Betrag in Höhe von 113,37 €.

11. Der Kläger hat einen Anspruch auf Ersatz der erstattungsfähigen außergerichtlichen Anwaltskosten, denn die Beklagte befand sich im Verzug und hat die gewünschte Schadensregulierung abgelehnt. Der Ersatzanspruch beschränkt sich aber auf den Gebührenanteil aus dem Schmerzensgeld und dem zuzuerkennenden materiellen Schadensersatz, das sind insgesamt 20.113,37 €.

Nr.

Betrag

1 1,3 Geschäftsgebühr (VV RVG 2300) 964,60 €

2 Pauschale Post, Telekommunikation (VV RVG 7002) 20,00 €

3 19% Mehrwertsteuer (VV RVG 7008) 187,07 €

4 Summe 1.171,67 €

Da der geltend gemachte Betrag geringer ist, war dieser zuzusprechen.

12. Die Zinsforderung ergibt sich aus §§ 288, 291 BGB. Allerdings können Zinsen nur in Höhe von 4 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zugesprochen werden, da das Schuldverhältnis schon vor dem 28.07.2014 entstanden ist (§ 229 Art. 34 Satz 1 EGBGB). Die Klage wurde am 27.03.2014 zugestellt (Blatt 61), weshalb Zinsen ab 28.03.2014 zuzusprechen sind (§§ 187, 188 BGB).

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1, 92 ZPO, diejenige zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 709 Satz 3, 711 ZPO. Einer Zulassung der Revision bedarf es nicht, denn die maßgeblichen Fragen sind höchstrichterlich geklärt. Die Frage des Vorliegens einer Verkehrssicherungspflichtverletzung hat sich am Einzelfall zu orientieren.

IV.

Der – nicht nachgelassene – Schriftsatz der Beklagten vom 27.4.2016 gab aus den im Urteil genannten Gründen keinen Anlass zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung.

 

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