Ein 48-jähriger Klimatechniker erlitt eine schwere Sehnendurchtrennung durch Glassplitter nach einer fehlerhaften Montage der Terrassenüberdachung. Das Gericht musste die ursprünglich angesetzte Summe für den Schadensersatz massiv korrigieren – wegen einer bleibenden Einschränkung der Griffkraft.
Übersicht
- 1 Das Wichtigste in Kürze
- 2 Der Fall vor Gericht
- 2.1 Wie konnte ein kleiner Fehler bei der Montage zu einer dauerhaften Verletzung führen?
- 2.2 Wer trug die Verantwortung für die gefährlichen Glassplitter?
- 2.3 Warum verdoppelte das Gericht das Schmerzensgeld auf 7.500 Euro?
- 2.4 Wie wurde der Verdienstausfall so exakt berechnet?
- 2.5 Musste die Firma auch für Anwalts- und Arztkosten aufkommen?
- 3 Die Urteilslogik
- 4 Benötigen Sie Hilfe?
- 5 Experten Kommentar
- 6 Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- 6.1 Wann verjähren meine Ansprüche auf Schmerzensgeld wegen eines Baumangels?
- 6.2 Welche Nachweise benötige ich, um meinen Verdienstausfall exakt zu beziffern?
- 6.3 Was passiert mit meinem Schadensersatz, wenn die Handwerksfirma insolvent wird?
- 6.4 Welche Versicherung deckt Personenschäden durch mangelhafte Werkleistungen ab?
- 7 Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- 8 Das vorliegende Urteil
Zum vorliegenden Urteil Az.: 11 U 132/23 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Oberlandesgericht Köln
- Datum: 05.02.2025
- Aktenzeichen: 11 U 132/23
- Verfahren: Berufungsverfahren
- Rechtsbereiche: Werkvertrag, Schadensersatz, Schmerzensgeld
- Das Problem: Ein Mann schnitt sich beim Reinigen einer Terrassenüberdachung die Sehne der linken Hand durch. Die Verletzung wurde durch Glassplitter verursacht, die sich aufgrund fehlerhafter Installation der Glasplatte durch die Beklagte gelöst hatten.
- Die Rechtsfrage: Muss das Installationsunternehmen dem Kläger wegen der dauerhaften Einschränkung seiner Handfunktion ein höheres Schmerzensgeld zahlen und für alle materiellen Schäden aufkommen?
- Die Antwort: Ja. Das Gericht erhöhte das Schmerzensgeld erheblich von 3.300 Euro auf 7.500 Euro und sprach dem Kläger den vollen Ersatz materieller Schäden zu. Die dauerhafte Minderung der Griffkraft des Daumens wiegt bei einem handwerklich tätigen Kläger besonders schwer.
- Die Bedeutung: Ist eine Handwerksleistung mangelhaft und führt dies zu schweren, dauerhaften Verletzungen, die die berufliche Leistungsfähigkeit einschränken, muss der Verursacher einen angemessen hohen Ausgleich zahlen.
Der Fall vor Gericht
Wie konnte ein kleiner Fehler bei der Montage zu einer dauerhaften Verletzung führen?
Es begann mit einem Stoß. Ein unachtsamer Ruck gegen eine Glasplatte während des Transports oder der Installation. Ein winziger, unsichtbarer Fehler an der Kante. Dieses eine Moment der Ungenauigkeit löste eine Kettenreaktion im Leben eines Hausbesitzers aus. Sie gipfelte in einer schweren Handverletzung und einem Gerichtsverfahren, in dem Richter den Preis für eine beschädigte Hand akribisch berechnen mussten – vom Verdienstausfall bis hin zu einem Schmerz, der keinen Preis hat. Der Mann hatte die Firma mit der Errichtung einer Terrassenüberdachung beauftragt. Beim späteren Reinigen der Regenrinne durchtrennte er sich an scharfen Glassplittern, die sich von der Platte gelöst hatten, eine Sehne in der linken Hand.
Wer trug die Verantwortung für die gefährlichen Glassplitter?
Die grundlegende Schuldfrage war schnell geklärt. Schon das Landgericht Aachen hatte festgestellt, dass die Glassplitter durch eine Stoßbelastung während der Herstellung, des Transports oder des Einbaus durch die beklagte Firma entstanden waren. Diese Feststellung griff das Oberlandesgericht Köln auf. Die Firma hatte einen Werkvertrag zu erfüllen und schuldete dem Kunden eine mangelfreie Terrassenüberdachung. Eine Überdachung, von der sich Glassplitter lösen, ist mangelhaft. Die Verletzung des Kunden war eine direkte Folge dieses Mangels. Damit stand die Haftung der Firma für alle entstandenen Schäden fest, basierend auf den Regeln zur Pflichtverletzung aus einem Werkvertrag (§§ 280 Abs. 1, 633, 634 BGB). Die Firma versuchte auch nicht ernsthaft, diesen Zusammenhang zu bestreiten. Ihr Kampf konzentrierte sich auf die Höhe der Entschädigung.
Warum verdoppelte das Gericht das Schmerzensgeld auf 7.500 Euro?
Die erste Instanz hatte dem 48-jährigen Klimatechniker 3.300 Euro Schmerzensgeld zugesprochen. Dem Kläger war das zu wenig – dem Oberlandesgericht auch. Die Richter in Köln bemessen den Anspruch auf Schmerzensgeld nach § 253 Abs. 2 BGB neu und landeten bei 7.500 Euro. Ihre Begründung war eine präzise Abwägung der persönlichen Katastrophe des Mannes. Der entscheidende Punkt war die dauerhafte Verletzung seines linken Daumens. Ein Sachverständiger hatte objektive Messwerte geliefert: Die Griffkraft war bleibend reduziert, das Bewegungsausmaß eingeschränkt. Die Richter betonten die herausragende Bedeutung des Daumens für die Feinmotorik und die gesamte Funktion der Hand. Für einen handwerklich tätigen Klimatechniker mitten im Berufsleben wiegt eine solche Einschränkung besonders schwer. Das Gericht wog alle Umstände ab und kam zu dem Schluss, dass 3.300 Euro die Schwere und die Dauerhaftigkeit dieses Leidens nicht angemessen ausglichen.
Wie wurde der Verdienstausfall so exakt berechnet?
Neben dem Schmerz hatte der Handwerker einen konkreten finanziellen Schaden erlitten. Er war vom 1. Oktober bis zum 17. Dezember 2019 arbeitsunfähig. In dieser Zeit erhielt er statt seines vollen Lohns nur Krankengeld von der Kasse. Die Differenz ist der Verdienstausfall. Die Firma argumentierte, der Kläger habe sein Einkommen nicht ausreichend nachgewiesen. Dem widersprach das Gericht. Die vorgelegten Gehaltsnachweise und die Bescheinigung über das erhaltene Krankengeld reichten den Richtern als Schätzungsgrundlage vollkommen aus. Das Zivilprozessrecht erlaubt den Gerichten eine solche Schätzung, wenn eine exakte Berechnung schwierig ist (§ 287 Abs. 1 ZPO). Die vorgelegten Unterlagen zeigten ein Monatsgehalt von 3.046,42 Euro und einen Krankengeldbezug von 3.040,20 Euro für den relevanten Zeitraum. Die Differenz ergab den vom Kläger geforderten Verdienstausfall von 397,80 Euro. Das Gericht sprach ihm diesen Betrag zu.
Musste die Firma auch für Anwalts- und Arztkosten aufkommen?
Ein Rechtsstreit verursacht weitere Kosten. Der Kläger musste Arztrechnungen für Atteste bezahlen und hatte sich früh einen Anwalt genommen. Das Gericht verurteilte die Firma, den Kläger von diesen Verbindlichkeiten freizustellen. Das bedeutet, die Firma muss die offenen Rechnungen direkt begleichen. Interessant war hier die Berechnung der Anwaltskosten. Die außergerichtliche Vertretung fand im Jahr 2020 statt. Die Firma meinte, man müsse nach den neueren Gebührensätzen abrechnen. Das Gericht korrigierte das: Entscheidend ist der Zeitpunkt der Tätigkeit. Die Abrechnung erfolgte korrekt nach dem damals geltenden Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG a.F.) und belief sich auf 729,23 Euro. Auch bei den Zinsen differenzierten die Richter penibel. Zinsen für das Schmerzensgeld gab es ab einem früheren Zeitpunkt, da die Forderung früher gestellt wurde. Für den Verdienstausfall liefen die Zinsen erst ab dem Moment, als die Klage der Firma zugestellt wurde. Ein kleiner, neu hinzugekommener Betrag wurde sogar erst ab dem Beginn des Berufungsverfahrens verzinst.
Die Urteilslogik
Fehlerhafte Handwerksleistungen begründen eine weitreichende Schadensersatzpflicht, die auch die finanziellen und physischen Folgen einer Personenschädigung umfasst.
- Werkvertragliche Haftung erstreckt sich auf Folgeschäden: Ein Unternehmer haftet vollumfänglich für die Verletzungshandlungen, die direkt aus einem Mangel seiner erbrachten Werkleistung resultieren, auch wenn sie erst zu einem späteren Zeitpunkt bei vertragsgemäßem Gebrauch eintreten.
- Dauerhafte Funktionseinschränkungen erhöhen das Schmerzensgeld maßgeblich: Die Bemessung des Schmerzensgeldes bewertet die bleibende Reduktion der körperlichen Funktion, wobei die zentrale Bedeutung des verletzten Körperteils (wie der Daumen für die Feinmotorik) und die berufliche Betroffenheit des Geschädigten das Urteil bestimmen.
- Gerichte schätzen den Verdienstausfall flexibel: Das Zivilprozessrecht gestattet es dem Gericht, den Verdienstausfall zu schätzen, wenn eine exakte Berechnung schwierig ist; hierbei dienen Gehaltsnachweise und Bescheinigungen über das erhaltene Krankengeld als tragfähige Grundlage zur Bezifferung der Differenz.
Der Anspruch auf vollständigen Ersatz soll das Opfer so stellen, als wäre der schädigende Eingriff niemals erfolgt.
Benötigen Sie Hilfe?
Führte mangelhafte Handwerksleistung bei Ihnen ebenfalls zu schweren Personenschäden? Kontaktieren Sie uns für eine sachkundige Einschätzung Ihrer Schmerzensgeldansprüche.
Experten Kommentar
Ein beschädigter Daumen bei einem Handwerker ist keine Lappalie, sondern eine berufliche Katastrophe. Das Oberlandesgericht Köln unterstreicht hier konsequent, dass die Bemessung von Schmerzensgeld stets die individuelle, existenzielle Betroffenheit berücksichtigen muss. Für einen Klimatechniker, dessen Alltag von Feinmotorik abhängt, wiegt die dauerhaft reduzierte Griffkraft deutlich schwerer als in anderen Fällen. Dieses Urteil sendet ein klares Signal: Wer durch fehlerhafte Montage Körperschäden verursacht, zahlt einen empfindlichen Preis für die bleibende Einschränkung der Erwerbsfähigkeit.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Wann verjähren meine Ansprüche auf Schmerzensgeld wegen eines Baumangels?
Ansprüche auf Schmerzensgeld, die aus einem Baupfusch oder einem sonstigen Pflichtverstoß einer Handwerksfirma resultieren, unterliegen der gesetzlichen Regelverjährung. Diese beträgt drei Jahre und beginnt erst mit dem Schluss des Kalenderjahres, in dem Sie sich verletzt haben und wussten, welche Firma dafür verantwortlich ist. Wichtig: Die 5-jährige Gewährleistungsfrist für Mängel am Bauwerk selbst gilt hier nicht; es kommt auf den Moment Ihrer Kenntnisnahme an.
Viele Bauherren befürchten, dass die Mängelhaftungsfrist von fünf Jahren (§ 634a Abs. 1 Nr. 2 BGB) abgelaufen ist, noch bevor der eigentliche Personenschaden eingetreten ist. Juristen nennen diese Art von Schaden einen deliktischen oder vertraglichen Folgeschaden. Entscheidend ist, dass sich die Verjährung für diesen Personenschaden nicht nach den speziellen, längeren Regeln für Mängel am Bauwerk richtet.
Die Regel lautet: Die Ansprüche auf Schmerzensgeld und daraus folgende Schäden (wie Verdienstausfall) verjähren nach der allgemeinen Verjährungsfrist des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Diese ist in § 195 BGB mit drei Jahren festgelegt. Die Frist startet nicht mit der Abnahme des Werkes, sondern erst, wenn zwei Bedingungen gleichzeitig erfüllt sind. Sie müssen den Schaden (die Verletzung) erlitten haben und positive Kenntnis über die Identität des Schädigers besitzen (§ 199 BGB). Das bedeutet, selbst wenn der Mangel jahrelang bestand, beginnt die Uhr erst zu ticken, sobald Sie sich daran verletzen und wissen, wer verantwortlich ist.
Ein passender Vergleich ist der Unterschied zwischen der Reparaturpflicht und der Schadenspflicht. Die Firma schuldet Ihnen fünf Jahre lang die Reparatur der mangelhaften Terrassenüberdachung. Verletzt Sie dieser Mangel jedoch, handelt es sich um eine neue, eigenständige Schadensforderung. Das ist vergleichbar mit einem Autounfall: Das Recht, das Auto reparieren zu lassen, ist eine Sache; der Anspruch auf Schmerzensgeld wegen erlittener Verletzungen eine andere – und unterliegt der kürzeren Dreijahresfrist.
Gerade weil der Verjährungsbeginn so eng mit Ihrer Kenntnis verknüpft ist, sollten Sie sofort handeln. Sichern Sie umgehend alle ärztlichen Atteste und dokumentieren Sie den genauen Tag Ihrer Verletzung, um den Fristbeginn nachweisbar festzulegen. Nur so lässt sich die exakte Dreijahresfrist überwachen. Warten Sie nicht, bis alle Heilbehandlungen abgeschlossen sind; die Verjährung beginnt bereits mit der Kenntnis der Grundtatsachen des Schadens.
Welche Nachweise benötige ich, um meinen Verdienstausfall exakt zu beziffern?
Für die Bezifferung des Verdienstausfalls benötigen Sie primär die monatlichen Gehaltsnachweise vor der Verletzung und die offizielle Bescheinigung der Krankenkasse über das erhaltene Krankengeld. Der Anspruch ergibt sich aus der Differenz zwischen dem theoretisch verdienten Nettoeinkommen und den tatsächlichen Krankengeldzahlungen für den Zeitraum der Arbeitsunfähigkeit. Falls eine 100%ige Exaktheit der Berechnung nicht möglich ist, kann das Gericht die Höhe anhand Ihrer Unterlagen schätzen, gestützt auf § 287 Abs. 1 ZPO.
Juristen nennen den Verdienstausfall einen reinen Vermögensschaden. Geschädigte müssen beweisen, dass die Verletzung ursächlich für den Verlust war. Sie müssen dafür den sogenannten Normalsaldo mit dem Realsaldo vergleichen. Der Normalsaldo ist das, was Sie ohne die Verletzung verdient hätten, inklusive Überstunden oder Provisionen. Der Realsaldo ist das, was Sie stattdessen tatsächlich erhalten haben. Typischerweise ist dies das deutlich geringere Krankengeld.
Entscheidend ist die lückenlose Dokumentation dieser beiden Säulen. Legen Sie dem Gericht unbedingt alle monatlichen Gehaltszettel vor, die Ihren Lohn vor dem Schadensereignis detailliert aufschlüsseln. Der Geschädigte muss alle Einnahmen belegen, die ihm durch die Arbeitsunfähigkeit entgangen sind, nicht nur das reine Festgehalt. Das Zivilprozessrecht nimmt Ihnen die juristische Hürde der Exaktheit, indem es die richterliche Schätzung erlaubt, wenn die Grundlage plausibel dargelegt wird.
Denken Sie an die Situation, in der Sie durch die Verletzung nicht nur Ihr reguläres Gehalt verlieren, sondern auch eine fest eingeplante Prämie oder eine Schichtzulage. Ihre Dokumentation muss diese potenziellen Zusatzeinnahmen explizit nachweisen. Nur so können Sie den vollen Umfang Ihres Schadens geltend machen. Fehlen diese Belege, wird es für den Richter unmöglich, sie in die Schätzung miteinzubeziehen.
Kontaktieren Sie sofort Ihre Krankenkasse. Fordern Sie eine detaillierte, juristisch verwertbare Bescheinigung an, welche die genauen Auszahlungsbeträge des Krankengeldes und den präzisen Zeitraum des Bezugs ausweist. Nur diese amtliche Aufstellung der Kasse sichert die belastbare Grundlage, damit Ihre Forderung nach der entstandenen Einkommenslücke (dem sogenannten Krankengeld-Gap) gerichtsfest ist.
Was passiert mit meinem Schadensersatz, wenn die Handwerksfirma insolvent wird?
Wenn eine Handwerksfirma insolvent geht, gerät Ihr Schadensersatzanspruch nicht automatisch in Gefahr. Zwar müssen Sie die Forderung zunächst beim Insolvenzverwalter anmelden, doch die realistische Chance auf vollständige Zahlung ergibt sich aus dem Direktanspruch gegen die Betriebshaftpflichtversicherung (BHV) der Firma. Nach § 115 VVG ist die Versicherung verpflichtet, den Schaden direkt an Sie als geschädigte dritte Person zu regulieren.
Die Regelung dient dem Schutz des Geschädigten vor den wirtschaftlichen Risiken des Schädigers. Juristen nennen das den Drittschaden: Ein Anspruch, der durch die gewerbliche Tätigkeit der Firma entstanden ist. Geht der Schuldner in die Insolvenz, fallen alle ungesicherten Forderungen in die Insolvenzmasse. Das Ergebnis ist meist eine Befriedigungsquote, die weit unter dem Wert des eigentlichen Schadens liegt.
Die Regel lautet jedoch: Bei einem Personenschaden, der durch eine Pflichtverletzung wie einen Baumangel verursacht wurde, tritt die Betriebshaftpflicht ein. Ihr Anspruch richtet sich dann nicht mehr primär gegen die insolvente Firma, sondern direkt gegen deren Versicherer. Diese gesetzliche Umleitung stellt sicher, dass Sie nicht nur einen symbolischen Betrag, sondern die volle Entschädigung für Ihr Schmerzensgeld und den Verdienstausfall erhalten, da die BHV gerade für solche Folgeschäden existiert.
Denken Sie an die Situation eines Rettungsrings: Die insolvente Firma ist wie ein sinkendes Schiff. Ihr Anspruch wäre verloren, wenn Sie nur die Firma als Schuldner hätten. Die Betriebshaftpflichtversicherung fungiert hier als der Rettungsring, der Ihnen zugeworfen wird und Ihnen ermöglicht, Ihre Ansprüche außerhalb der komplizierten und meist aussichtslosen Insolvenzmasse zu sichern. Das ist der entscheidende Unterschied zwischen einem reinen Gläubiger und einem Geschädigten.
Warten Sie nicht auf Mitteilungen des Insolvenzverwalters. Handeln Sie stattdessen proaktiv. Ihre erste und wichtigste Aufgabe ist es, alle relevanten Kontaktdaten sowie die Versicherungsscheinnummer der Betriebshaftpflichtversicherung der Handwerksfirma zu recherchieren. Nehmen Sie den Versicherer anschließend direkt in Haftung, um Verzögerungen zu vermeiden und Ihren Anspruch fristgerecht geltend zu machen.
Welche Versicherung deckt Personenschäden durch mangelhafte Werkleistungen ab?
Personenschäden, wie eine Schnittverletzung, die durch einen Bau- oder Materialfehler entsteht, werden primär durch die Betriebshaftpflichtversicherung (BHV) der Handwerksfirma abgedeckt. Diese Versicherung tritt für alle Folgeschäden aus der gewerblichen Tätigkeit ein. Dies umfasst sowohl das Schmerzensgeld als auch den entstandenen Verdienstausfall des Geschädigten. Sie haben als Kunde einen direkten Anspruch gegenüber dieser Versicherung.
Die Regel lautet: Der Auftragnehmer schuldete Ihnen vertraglich ein mangelfreies Werk. Weist das Bauwerk oder die Installation einen Mangel auf, der zu einem Personenschaden führt, liegt eine Pflichtverletzung vor, welche die Haftung des Unternehmens auslöst. Ihre private Hausrat- oder Gebäudeversicherung ist für diesen Vorgang irrelevant. Sie decken nur Schäden an Ihrem Eigentum oder Gefahren ab, die nicht durch die Haftung eines Dritten entstanden sind.
Der Anspruch richtet sich daher zwingend gegen den Verursacher, also die Baufirma. Da die meisten seriösen Handwerksbetriebe eine Betriebshaftpflicht abgeschlossen haben, übernimmt diese die Regulierung der sogenannten Mangelfolgeschäden.
Ein passender Vergleich ist der finanzielle Schutzwall für den Handwerker. Die Betriebshaftpflicht bezahlt zwar in der Regel nicht den Austausch des mangelhaften Bauteils selbst – dies wäre ein reiner Beseitigungsanspruch und ist in vielen Policen ausgeschlossen. Aber alle weiteren Konsequenzen, die dieser Mangel bei Dritten verursacht hat, wie etwa die ärztlichen Kosten, das Schmerzensgeld und der Lohnausfall, müssen von der BHV reguliert werden.
Agieren Sie proaktiv. Erstellen Sie umgehend eine detaillierte Forderungsaufstellung mit allen Belegen. Senden Sie diese Forderung direkt an die Handwerksfirma. Fordern Sie sie gleichzeitig explizit auf, den Schaden an ihre Betriebshaftpflichtversicherung weiterzuleiten und Ihnen deren vollständige Kontaktdaten sowie die Versicherungsscheinnummer offenzulegen. Nur so stellen Sie sicher, dass Ihr Direktanspruch schnell geprüft und bearbeitet wird.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Betriebshaftpflichtversicherung (BHV)
Die Betriebshaftpflichtversicherung ist der finanzielle Schutzwall für Unternehmen; sie deckt Personen- und Sachschäden ab, die durch die gewerbliche Tätigkeit oder mangelhafte Leistungen bei Dritten entstehen. Dieses wichtige Instrument schützt den Betrieb selbst vor existenzbedrohenden Schadensersatzforderungen und sorgt dafür, dass der Geschädigte auch dann entschädigt wird, wenn das schuldige Unternehmen zahlungsunfähig ist.
Beispiel: Da die Handwerksfirma eine mangelhafte Terrassenüberdachung montierte, übernahm die Betriebshaftpflichtversicherung die Zahlung des zugesprochenen Schmerzensgeldes und des Verdienstausfalls des verletzten Hausbesitzers.
Direktanspruch
Juristen definieren den Direktanspruch als das spezielle Recht des Geschädigten, sich im Schadensfall gemäß § 115 VVG nicht nur an den Verursacher, sondern unmittelbar an dessen Versicherungsgesellschaft zu wenden. Diese gesetzliche Regelung soll verhindern, dass der Anspruch des Geschädigten wertlos wird, weil der Schädiger beispielsweise Insolvenz anmeldet oder die Zahlung schlicht verweigert.
Beispiel: Selbst als die beklagte Handwerksfirma in finanzielle Schwierigkeiten geriet, konnte der Kläger seinen Direktanspruch gegen die Betriebshaftpflichtversicherung geltend machen und so die vollständige Regulierung seiner Forderung sicherstellen.
Pflichtverletzung
Eine Pflichtverletzung liegt juristisch vor, wenn jemand eine vertragliche oder gesetzliche Verpflichtung missachtet und dadurch einem anderen einen Schaden zufügt (geregelt in § 280 BGB). Diese Regelung bildet die zentrale Grundlage der vertraglichen Haftung; das Gesetz verknüpft die Nichteinhaltung vereinbarter Leistungen mit der Pflicht, den daraus resultierenden Schaden vollumfänglich zu ersetzen.
Beispiel: Die beklagte Firma beging eine Pflichtverletzung, weil sie dem Kunden durch die mangelhafte Montage der Terrassenüberdachung, von der sich Glassplitter lösten, kein vertragsgemäßes, mangelfreies Werk lieferte.
Richterliche Schätzung (§ 287 ZPO)
Die richterliche Schätzung, geregelt in § 287 ZPO, erlaubt es dem Gericht, die genaue Höhe eines Schadens oder Schmerzensgeldes festzulegen, auch wenn eine hundertprozentige exakte Berechnung nicht möglich ist. Dieses zivilprozessuale Instrument soll verhindern, dass Kläger aufgrund komplizierter Nachweispflichten ihren Anspruch verlieren, solange sie dem Richter eine plausible und nachvollziehbare Grundlage liefern können.
Beispiel: Bei der Berechnung des Verdienstausfalls nutzte das Gericht die richterliche Schätzung und stützte sich dabei auf die vorgelegten Gehaltsnachweise und die amtliche Bescheinigung über das erhaltene Krankengeld.
Verjährungsbeginn
Der Verjährungsbeginn markiert den konkreten Zeitpunkt, ab dem die gesetzliche Dreijahresfrist für die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen zu laufen beginnt (nach § 199 BGB). Das Gesetz will Rechtssicherheit herstellen, weshalb die Frist in der Regel erst mit dem Schluss des Kalenderjahres zu laufen beginnt, in dem der Geschädigte positive Kenntnis von dem Schaden und der Identität des Schädigers erlangte.
Beispiel: Im Fall des verletzten Hausbesitzers begann die Verjährung für das Schmerzensgeld erst Ende des Jahres zu laufen, in dem die Verletzung durch die Glassplitter tatsächlich stattfand und ihm der Verursacher bekannt wurde.
Werkvertrag
Ein Werkvertrag ist ein gegenseitiger Vertrag, bei dem sich der Auftragnehmer verpflichtet, ein speziell definiertes Werk – also einen Erfolg – herzustellen, während der Auftraggeber die vereinbarte Vergütung schuldet. Anders als beim Dienstvertrag schuldet der Werkunternehmer nicht nur die Tätigkeit, sondern garantiert dem Kunden das funktionstüchtige und mangelfreie Endprodukt.
Beispiel: Die Beauftragung der Firma zur Errichtung der Terrassenüberdachung stellte rechtlich einen Werkvertrag dar, weshalb die Firma zur Lieferung eines Bauwerks verpflichtet war, das keine scharfen, sich lösenden Glassplitter enthielt.
Das vorliegende Urteil
Oberlandesgericht Köln – Az.: 11 U 132/23 – Urteil vom 05.02.2025
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