LG Landshut – Az.: 54 O 1825/16 – Urteil vom 22.12.2016
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin, die Kosten der Nebenintervention trägt die Nebenintervenientin selber.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert wird auf 12.060,00 EUR festgesetzt.
Tatbestand
Die Klägerin macht Schadensersatz aufgrund eines Unfalles auf einem Gehsteig der Beklagten geltend.
Am 08.12.2014 verletzte sich die Klägerin gegen 17.00 Uhr auf dem Gehsteig in der W. Straße gegenüber der Hausnummer – in V.. Die Straßenbaulast für diesen Gehsteig obliegt der Beklagten.
An der hier relevanten Stelle war eine Baustelle durchgeführt worden, die nach Verfüllung mit einer ersten Asphaltschicht bedeckt worden war. Es fehlte jedoch die finale Asphaltdecke, so dass noch Fräskanten zwischen dem ursprünglichen Asphaltbelag und der Baustellenfläche vorhanden waren.
Die Klägerin stürzte und erlitt eine dislozierte Mittelhandschaftfraktur und Schürfwunden.
Die Klägerin behauptet, sie sei über die erwähnten Fräskanten gestürzt. Diese würden Höhen zwischen 3,3 und 4,7 cm aufweisen. Die Arbeiten seien durch die Beklagte durchgeführt worden. Eine Absicherung der Gefahrenstelle sei nicht erfolgt. Die Fräskanten seien in der Dunkelheit nicht zu erkennen gewesen.
Die Klägerin beantragt:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld von nicht unter 10.000 EUR nebst hieraus Zinsen in Höhe von 5 %Punkten über dem Basiszinssatz seit 12.12.2014, sowie weitere 60 EUR und nicht anrechenbare Anwaltsgebühren in Höhe von 958,19 EUR zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche immaterielle und materielle Schäden aus dem Unfall vom 08.12.2014 gegen 17.00 Uhr in der W. Straße in V., Höhe Haus Nr. -, zu ersetzen, soweit die Ansprüche auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte behauptet, der Klägerin sei die Örtlichkeit vom Hinweg zum Einkaufen bekannt gewesen. Der Gehweg sei außerdem ausreichend beleuchtet gewesen. Die Fräskante würde allenfalls eine Höhe von 2,5 cm aufweisen. Die Baustelle sei außerdem von der Streithelferin, der Firma W. GmbH, errichtet worden und der Beklagten nicht gemeldet worden.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einvernahme des Zeugen S.. Für die Einzelheiten wird verwiesen auf die Sitzungsniederschrift vom 07.12.2016.
Zur Vervollständigung des Tatbestandes wird verwiesen auf sämtliche Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen, sowie sonstige Aktenteile.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet.
I. Der Klägerin steht ein Anspruch aus § 839 BGB nicht zu.
1. Die Klägerin geht zu Recht davon aus, dass grundsätzlich die Beklagte als Straßenbaulastträgerin des hier streitgegenständlichen Gehsteiges die zuständige Verkehrssicherungspflichtige ist. Der bayerische Gesetzgeber hat die aus der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht folgende Pflicht zur Erhaltung der Verkehrssicherheit auf den öffentlichen Straßen hoheitlich ausgestaltet (Art. 72 BayStrWG). Erfasst wird die Aufgabe der Verkehrssicherung als Ganzes, also auch die Aufrechterhaltung und Wiederherstellung der Verkehrssicherheit. Damit ist in Bayern eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht grundsätzlich geeignet, einen Amtshaftungsanspruch gemäß § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG auszulösen.
2. Vorliegend trifft die relevante Verkehrssicherungspflicht allerdings nicht die Beklagte. Die öffentlich-rechtlich gestaltete Amtspflicht zur Sorge für die Sicherheit im Straßenverkehr entspricht inhaltlich der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht (BGH NJW 1980, 2194; BGHZ 60, 54). Die Verkehrssicherungspflicht folgt aus dem allgemeinen, aus dem §§ 823 und 836 BGB abzuleitenden Rechtsgrundsatz, dass jeder, der in seinem Verantwortungsbereich eine Gefahrenquelle schafft oder andauern lässt, diejenigen ihm zumutbaren Maßnahmen und Vorkehrungen treffen muss, die zur Abwendung der daraus Dritten drohenden Gefahren notwendig sind. Der Inhalt der Straßenverkehrssicherungspflicht geht dahin, die öffentlichen Verkehrsflächen – wie alle sonstigen einem Verkehr eröffneten Räume oder Sachen – möglichst gefahrlos zu gestalten und zu erhalten, sowie im Rahmen des Zumutbaren alles zu tun, um den Gefahren zu begegnen, die den Verkehrsteilnehmern aus einem nicht ordnungsgemäßen Zustand der Verkehrsflächen drohen (BGHZ 60, 54). Ihr Umfang wird von der Art und der Häufigkeit der Benutzung des Verkehrsweges und seiner Bedeutung maßgebend mitbestimmt (BGH NJW 1980, 2194).
3. Im vorliegenden Fall hat die Beklagte allerdings den Nachweis führen können, dass für die hier relevante Baustelle die Verkehrssicherungspflicht nicht der Beklagten oblag. Die Beklagte hat bestritten, dass sie Kenntnis von der Aufgrabung des Gehsteiges gehabt hat. Der Zeuge S. hat insoweit zur Überzeugung des Gerichts angegeben, dass die Baustelle nicht von der Beklagten verantwortet wurde, sondern von der Streithelferin. Die Beklagte selbst hatte, nach Angaben des Zeugen S., von dieser Baustelle keine Kenntnis.
Grundsätzlich ist derjenige verpflichtet zur Sicherung vor von einer Baustelle ausgehenden Gefahren, der für den Bereich der Gefahrenquelle verantwortlich und in der Lage ist, die zur Gefahrenabwehr erforderlichen Maßnahmen zu treffen (vgl. Palandt, BGB, 76. Auflage, § 823, Rn. 48). Nachdem die öffentlich-rechtliche Pflicht zur Sorge für die Sicherheit des Straßenverkehrs der allgemeinen, privatrechtlichen Verkehrssicherungspflicht entspricht (s.o.), ist auch hier grundsätzlich primär verkehrssicherungspflichtig der Bauunternehmer (Palandt, a.a.O., Rn. 191). Dies wäre hier die Streithelferin. Zwar ist auch der Bauherr (Palandt, a.a.O.) verpflichtet, von seinem Bauvorhaben keine Gefahren ausgehen zu lassen, doch ist nach der Beweisaufnahme äußerst fraglich, ob die Beklagte überhaupt als Bauherr einzustufen ist. Der Zeuge S. hat lediglich angegeben, dass die Streithelferin die jeweiligen Bauarbeiten hat ausführen lassen. Dass das Aufgraben des Gehsteiges im Interesse der Beklagten war bzw. von dieser überhaupt in Auftrag gegeben worden war, ergibt sich weder aus dem Vortrag der Parteien noch aus der Aussage des Zeugen S..
Eine Verkehrssicherungspflicht könnte daher die Beklagte lediglich dann treffen, wenn sie Kenntnis von der Baustelle gehabt hätte und trotz dieser Kenntnis keine Sicherung entweder der Streithelferin auferlegt hätte bzw. selber entsprechende Sicherungsmaßnahmen durchgeführt hätte. Für eine solche Kenntnis gibt es jedoch aus dem Vortrag der Parteien und aus der Aussage des Zeugen S. keine Hinweise.
II. Der Vortrag der Streithelferin ist nicht zu berücksichtigen.
1. Soweit die Streithelferin in der Verhandlung vom 07.12.2016 die Behauptung aufgestellt hat, die Beklagte habe sehr wohl aufgrund einer Information der Streithelferin Kenntnis von der hier relevanten Baustelle gehabt, so ist dieser Vortrag unbeachtlich. Die Streithelferin darf sich grundsätzlich nicht im Widerspruch zu Erklärungen der Hauptpartei stellen (Zöller, ZPO, 31. Auflage, § 67, Rn. 9). Der Sachvortrag der Partei geht vor (Zöller a.a.O.). Zum Zeitpunkt des Vortrags in der Verhandlung am 07.12.2016 war die Streithelferin noch zur Unterstützung der Beklagten beigetreten, der (zulässige) Wechsel erfolgte erst nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung mit Schriftsatz vom 11.12.2016.
2. Soweit die Streithelferin nach (zulässigem) Wechsel der unterstützten Partei neuen Vortrag tätigt, ist dieser zwar nicht aufgrund Widerspruchs gegen den Vortrag der unterstützten Hauptpartei unbeachtlich, allerdings nach § 296a ZPO nicht mehr zu berücksichtigen. Die Verhandlung wurde im Termin vom 07.12.2016 geschlossen. Gründe für eine Wiedereröffnung nach § 156 ZPO bestehen nicht, insbesondere nicht nach § 156 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs der Streithelferin liegt nicht vor. Ob und inwieweit die Streitverkündungen wirksam sind, ist im Hauptprozess nicht zu überprüfen (Zöller, § 72, Rn. 1a). Darin kann keine Verletzung rechtlichen Gehörs liegen. Akteneinsicht konnte der Streithelfervertreter vor der Verhandlung auf der Geschäftsstelle nehmen, zumal ein Aktenversand zwei Tag vor der Verhandlung eine Akteneinsicht auch nicht gewährleistet hatte.
Rechtliches Gehör ist in der Regel so zu gewähren, dass die Argumente der Partei zur Kenntnis genommen werden. Dies erfolgte in der Verhandlung vom 07.12.2016. Der Anspruch auf rechtliches Gehör geht aber nicht dahin, dass der Streithelfer einen Anspruch auf Verlegung eines Termins hätte. Vielmehr ergibt sich aus § 67 ZPO, dass die Streithelferin den Rechtsstreit in der Lage annehmen muss, in der er sich befindet. Ob und inwieweit dies Auswirkungen auf den Folgeprozess hat, braucht im Hauptprozess nicht geprüft zu werden und unterliegt der Bestimmung des § 68 ZPO.
An der Präklusion des § 296a ZPO kann der Parteiwechsel der Streithelferin nichts ändern, da für die Frage der Präklusion auf die Hauptpartei abzustellen ist (Zöller, § 67, Rn. 4). Am Schluss der mündlichen Verhandlung kann die Streithelferin aber nichts ändern, ein Wiedereintritt wäre auch hinsichtlich der Klägerin nicht veranlasst. Wie der Klägervertreter in der Verhandlung schon feststellte, hätte der Vortrag der Streithelferin nur berücksichtigt werden können, wenn sie der Klägerin beigetreten wäre.
3. Im Gegensatz zur Auffassung der Streithelferin ergibt sich aus dem Rechtsstaatsprinzip gerade keine Verpflichtung für das Gericht, aufgrund der kurzfristigen Streitverkündungen besonders auf die Streithelferin Rücksicht zu nehmen. Aufgrund der Parteimaxime ist es Sache der beiden Hauptparteien, wann, wem und wie sie den Streit verkünden. Das Gericht hat darauf genausowenig Einfluss wie auf die Frage, wem die Streithelferin beitritt.
4. Doch auch bei Berücksichtigung der im Termin vorgelegten Email vom 14.11.2014 und der weiteren nunmehr vorgelegten Mails (Anlagen S1-S5) führt zu keinem anderen Ergebnis als zur Klageabweisung. Wobei offenbleiben kann, was mit der Vorlage der Mails in den Anlagen S2-S5 bezweckt werden soll, da diese andere Örtlichkeiten betreffen. Die Beklagte hat nämlich nicht bestritten, dass die Streithelferin mehrere Baustellen ohne das Wissen der Beklagten betrieben hat, sondern dass sie lediglich von der hier relevanten gegenüber der W. Straße – keine Kenntnis hatte.
Soweit man davon ausgehen möchte, dass die Unfallstelle „gegenüber W. Straße -“, dem dort erwähnten Aufbruch bei der W. Straße – entspricht (wofür das Luftbild in der Anlage zum Protokoll spricht), hat das Tiefbauamt, vertreten durch den dort erwähnten Herrn K., der Streithelferin unmissverständlich aufgegeben, die entsprechenden Aufbrüche bis zum Ende der KW 47 zu verschließen. Die KW 47 endete 2014 am 23. November (Totensonntag).
Daraus folgt: Selbst unter der Annahme, dass die Beklagte tatsächlich zu einem Zeitpunkt vor dem Ende der KW 47 Kenntnis von der hier relevanten Baustelle gehabt haben sollte, hätte die Verkehrssicherungspflicht der Beklagten jedenfalls mit dem Ende der KW 47 geendet. Die Streithelferin lässt bislang völlig offen, warum sie die hier streitgegenständliche Baustelle bis zum 08.12.2014 nicht mehr ordentlich verschlossen hat. Auch im Schriftsatz vom 11.12.2016 trägt sie nichts dazu vor. Es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, dass sich die Beklagte nicht darauf verlassen konnte, die Streithelferin würde die entsprechenden Aufbrüche nicht verschließen. Insbesondere ergibt sich daraus nicht, warum die Streithelferin eine entsprechende Baustellensicherung nicht vorgesehen hat. Es liegt auf der Hand, dass die Beklagte wohl kaum die Baustellensicherung für die Streithelferin zu übernehmen hatte. Dazu müsste die Streithelferin entsprechenden Vortrag über entsprechende Abmachungen leisten. Derartiges wurde aber nicht behauptet, sondern lediglich eine entsprechende Übertragung der Sicherungspflichten bestritten, wobei immer noch offenbleibt, warum die Streithelferin eigentlich gar keine Verkehrssicherungspflicht treffen soll. Somit bleibt es bei den allgemeinen Grundsätzen (s.o. I.3) und die Verkehrssicherungspflicht der Beklagten endete jedenfalls mit dem Ablauf der KW 47 des Jahres 2014.
III. Aufgrund der Klageabweisung kann die Klägerin außergerichtliche Kosten nicht beanspruchen.
IV. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 91 ZPO, bezüglich der Kosten der Nebenintervenientin aus § 101 ZPO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit resultiert aus § 709 ZPO. Der Streitwert folgt der Klageforderung, der Feststellungsantrag wurde mit 2.000 EUR bewertet.