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Verkehrsunfall bei rückwärtigem Ausparken auf Parkplatz

LG Frankfurt – Az.: 2/16 S 110/16 – Urteil vom 04.01.2017

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 07.07.2016 verkündete Urteil des Amtsgerichts Bad Homburg v. d. H., Az. 2 C 1759/15 (15), teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.401,65 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12.05.2015 zu zahlen.

Weiterhin wird die Beklagten verurteilt, an die Klägerin außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 60,21 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18.07.2015 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das am 07.07.2016 verkündete Urteil des Amtsgerichts Bad Homburg v. d. H., Az. 2 C 1759/15 (15), ist – soweit aufrechterhalten – ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Klägerin macht gegen die Beklagte restliche Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall geltend.

Wegen des der Entscheidung zugrunde liegenden Lebenssachverhaltes wird zunächst gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen.

Mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten an die Haftpflichtversicherung der Beklagten vom 23.04.2015 (Anlage K 2, Bl. 6 u. 7 d.A.) forderte die Klägerin den Ausgleich eines restlichen Fahrzeugschadens in Höhe von 1.988,15 € sowie Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 255,85 € aus einem Gegenstandwert in vorgenannter Höhe. Mit Schreiben der Beklagten vom 12.05.2015 rechnete die Haftpflichtversicherung mit dem Hinweis, dass es bei einer 50 %igen Haftung verbleibe, den Schaden auf dieser Basis ab.

Mit Schreiben vom 30.06.2015 trat die Rechtsschutzversicherung der Klägerin ihren Anspruch in Höhe der außergerichtlichen Kosten von 60,21 € an die Klägerin ab.

Das Amtsgericht hat die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 467,22 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit 12.05.2015 zu zahlen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Es ist dabei von einer Haftung der Beklagten zu 2/3 ausgegangen. Wegen der Begründung wird auf die angegriffene Entscheidung verwiesen.

Die Klägerin hat gegen das ihr am 13.07.2016 zugestellte Urteil mit Schriftsatz vom Montag, den 15.08.2016, beim Landgericht eingegangen am gleichen Tag, Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 13.09.2016, beim Landgericht eingegangen am gleichen Tag, begründet.

Die Klägerin ist der Ansicht, der Unfall sei für die Klägerin unabwendbar gewesen, da sie – auch nach den Feststellungen des Amtsgerichts – den Ausparkvorgang bereits beendet gehabt habe. Sie behauptet, ein Ausweichen sei der Klägerin nicht möglich gewesen. Weiterhin ist sie der Ansicht, eine bloße Betriebsgefahr trete jedenfalls hinter das Verschulden der Beklagten zurück. Hinsichtlich der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten hätte das Amtsgericht auf die fehlende Rechnung hinweisen müssen. Die Klägerin legt hierzu die Rechnung vom 09.06.2015 über 60,21 € vor (Anlage K 13, Bl. 161 d.A.).

Die Klägerin beantragt, die Beklagte unter Abänderung des am 07.07.2016 verkündeten Urteils des Amtsgerichts Bad Homburg v. d. H., Az.: 2 C 1759715 (15), zu verurteilen, an die Klägerin weitere 939,42 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 12.05.2015 und für außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten weitere 60,21 € nebst Zinsen hieraus über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, das Amtsgericht habe zu Recht einen Sorgfaltspflichtverstoß der Klägerin festgestellt, da diese mit anderen ausparkenden Fahrzeugen habe rechnen müssen. Der Vortrag, die Klägerin habe nicht ausweichen können, sei neu und nicht zu berücksichtigen. Das Gleiche gelte für die nunmehr vorgelegte Rechnung über außergerichtliche Rechtsanwaltskosten.

II.

Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet.

Sie hat auch in der Sache ganz überwiegend Erfolg.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Schadenersatzanspruch gemäß §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1, 17 Abs. 2 StVG in Höhe von 1.401,65 €.

Die Beklagte haftet der Klägerin für den entstandenen Schaden zu 100 % dem Grunde nach.

Verkehrsunfall bei rückwärtigem Ausparken auf Parkplatz
(Symbolfoto: Stasiuk/Shutterstock.com)

Sind an einem Verkehrsunfall mehrere Fahrzeuge beteiligt, so hängt gemäß § 17 Abs. 1 und 2 StVG die Verpflichtung zum Schadenersatz sowie dessen Umfang im Verhältnis des Kfz-Halters zum in Anspruch genommenen Halter des gegnerischen Fahrzeugs davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist. Dabei sind die Verursachungsanteile gegeneinander abzuwägen und in diesem Rahmen insbesondere auch die Schwere eines Verkehrsverstoßes zu berücksichtigen.

Die Entscheidung über die Haftungsverteilung im Rahmen des § 17 StVG ist grundsätzlich Sache des Tatrichters und im Berufungsverfahren nur darauf zu überprüfen, ob die angefochtene Entscheidung auf zutreffenden rechtlichen Erwägungen und auf einer richtigen und vollständigen Tatsachenfeststellung beruht und die festgestellten Umstände der Abwägung zu Grunde gelegt worden sind (u.a. BGH NJW 2016, 1100 Tz. 10 m.w.N.). Abzuwägen ist das Maß der Verursachung, wobei ein Faktor bei der Abwägung insbesondere auch das beiderseitige Verschulden und insoweit die jeweilige Schwere des Verstoßes ist.

Eine Überprüfung nach diesen Grundsätzen führt zu dem Ergebnis, dass sich die Beklagte einen Verursachungsbeitrag in Höhe von 100 % zurechnen lassen müssen.

Zutreffend geht das Amtsgericht von einem schuldhaften Verkehrsverstoß der Beklagten aus.

Dieses Verschulden ergibt sich nach der Rechtsprechung des BGH nicht unmittelbar aus einem Verstoß gegen § 9 Abs. 5 StVO (BGH NJW 2016, 1100, Tz. 11). Denn diese Vorschrift ist auf Parkplätzen nicht unmittelbar anwendbar. Sie erlangt jedoch mittelbare Bedeutung über § 1 Abs. 2 StVO im Rahmen des Gebots der gegenseitigen Rücksichtnahme. Demgemäß hat sich derjenige, der auf einem Parkplatz rückwärtsfährt, so zu verhalten, dass er sein Fahrzeug notfalls sofort anhalten kann, um keinen anderen Verkehrsteilnehmer zu gefährden bzw. zu schädigen (BGH a.a.O.). Für ein Verschulden des Rückwärtsfahrenden spricht bereits der Beweis des ersten Anscheins, falls sich die Kollision während der Rückwärtsfahrt ereignet (BGH a.a.O., Tz. 11).

Nach Maßgabe dessen hat die Beklagte gegen das Rücksichtnahmegebot des § 1 Abs. 2 StVO verstoßen. Gegen die Beklagte spricht der Beweis des ersten Anscheins. Denn unstreitig kollidierte diese mit dem Fahrzeug der Klägerin, als sie sich noch im Vorgang des Rückwärtsausparkens befand.

Dieser Anscheinsbeweis ist nicht erschüttert. Erforderlich hierfür ist der Nachweis der ernsthaften Möglichkeit, dass es zum Unfall gekommen sein kann, ohne dass denjenigen, gegen den der erste Anschein spricht, ein Verschulden treffen muss (atypischer Geschehensablauf). Die Beklagte hat hierzu keinen Sachverhalt dargetan, sondern ihren Vortrag darauf beschränkt, dass ein beiderseitiges Verschulden vorliege, insbesondere, dass die Klägerin den Unfall überwiegend verschuldet habe.

Dagegen ist auf der Klägerseite nur die allgemeine Betriebsgefahr im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen.

Das Amtsgericht geht – entgegen der Ansicht der Beklagten – zu Recht nicht von einem schuldhaften Verkehrsverstoß der Klägerin aus. Soweit es ausführt, die Klägerin habe mit anderen ausparkenden Fahrzeugen rechnen müssen, geschieht dies im Rahmen der Frage der Unabwendbarkeit.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme befand sich die Klägerin bereits in Vorwärtsfahrt. Dieser Feststellung des Amtsgerichts begegnen keine Bedenken. Vielmehr würdigt das Amtsgericht die vom Sachverständigen entwickelten Unfallszenarien und folgert hieraus – in Übereinstimmung mit den gutachterlichen Feststellungen – nachvollziehbar, dass sich das Klägerfahrzeug im Kollisionszeitpunkt bereits in Vorwärtsbewegung befunden habe. Diese Würdigung hat die Beklagte auch nicht angegriffen.

Auf Seiten der Klägerin war mithin lediglich die allgemeine Betriebsgefahr ihres Fahrzeugs in die Abwägung gemäß § 17 StVG einzustellen. Diese tritt im vorliegenden Fall hinter den als grobfahrlässig zu bewertenden Verstoß der Beklagten gänzlich zurück. Dabei ist in Übereinstimmung mit dem Amtsgericht davon auszugehen, dass die Beklagte wartepflichtig war, da die Klägerin – im Unterschied zu sonstigen Fällen des Rückwärtsausparkens – erkennbar früher den Ausparkvorgang begonnen hatte und sich bereits in Vorwärtsfahrt befand. Ein solches Verkehrsverhalten ist als ein besonders schwerwiegendes Verschulden zu qualifizieren, wofür insbesondere die Wertung des § 9 Abs. 5 StVO spricht. Denn danach hat sich ein Fahrzeugführer beim Rückwärtsfahren so zu verhalten, dass bereits eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Letzteres wäre der Beklagten nach den Feststellungen des Amtsgerichts ohne weiteres möglich gewesen.

Der geltend gemachte Schaden ist nach Abzug der Zahlung der Haftpflichtversicherung der Beklagten noch begründet in Höhe von 1.401,65 €. Dabei ist das Amtsgericht zu Recht von einer Auslagenpauschale lediglich in Höhe von 25,00 € ausgegangen. Nachdem das Amtsgericht bereits 467,22 € zugesprochen hat, verbleibt ein weiterer Anspruch von 934,43 €.

Die außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten sind begründet in Höhe von 60,21 €. Der Anspruch auf Ersatz der Rechtsanwaltskosten rechtfertigt sich als Sachfolgeschaden gemäß § 249 Abs. 2 S. 1 BGB. Die außergerichtliche Tätigkeit der klägerischen Prozessbevollmächtigten ist unstreitig. Der Ersatzanspruch ist auch gegenüber der Beklagten fällig. Auf die Rechnungsstellung der Prozessbevollmächtigten gegenüber ihrer Mandantin kommt es hier bereits deshalb nicht an, weil diese mittelbar mit der Berechnung auf Seite 4 der Klageschrift auch gegenüber der Klägerin erfolgt ist. Eine zusätzliche Rechnungsstellung direkt an die Mandantin wäre eine reine Förmelei. Dabei war von einem Gegenstandswert in Höhe von 1.983,15 € auszugehen, da die Prozessbevollmächtigten insoweit außergerichtlich zur Durchsetzung der begründeten Schadenersatzforderung tätig geworden sind. Es errechnen sich außergerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 261,92 € (150,00 € x 1,3 x 1,19 MwSt. + 25,10 Auslagen x 1,19 MwSt.). Nach Abzug der Zahlung der Haftpflichtversicherung in Höhe von 201,71 € verbleibt noch ein Betrag in Höhe von 60,21 €.

Der Zinsanspruch aus weiteren 934,43 € ist begründet aus dem Gesichtspunkt des Verzugs gemäß §§ 280 Abs. 2, 286 Abs. 2 Nr. 3, 288 Abs. 1 BGB. Mit Schreiben vom 12.05.2015 hat die Haftpflichtversicherung der Beklagten eine weitere Zahlung ernsthaft und endgültig verweigert. Der Zinsanspruch bezüglich der Rechtsanwaltskosten ist begründet gemäß § 291 BGB.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, die der vorläufigen Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da weder eine grundsätzliche Bedeutung der Sache gegeben ist, noch zur Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erforderlich ist (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO).

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