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Verkehrsunfall bei Wiedereingliederung in Verkehr nach Pannenbehebung

LG Hamburg – Az.: 323 S 39/20  -Urteil vom 18.03.2021

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts Hamburg-St.Georg, Az. 911 C 392/19, vom 10.09.2020 wie folgt abgeändert:

Die Beklagten werden verurteilt, dem Kläger als Gesamtschuldner 1.619,13 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29.12.2019 zu zahlen und ihn in Höhe eines Betrages von 157,79 EUR von den vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten freizuhalten.

Darüber hinaus wird der Beklagte zu 1.) verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 22.12.2019 bis zum 28.12.2019 auf einen Betrag von 1.619,13 EUR Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Beklagten haben die Kosten des Rechtsstreits als Gesamtschuldner zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.

Der Kläger verlangt Schadenersatz auf Grund eines Verkehrsunfalls vom 09.09.2019 auf der als Einbahnstraße eingerichteten Straße G. D. in H. in Höhe der Hausnummer…, bei dem es zur Kollision zwischen dem Pkw Mercedes des Klägers (amtliches Kennzeichen:… ) und dem vom Beklagten zu 1.) gelenkten sowie bei der Beklagten zu 2.) gegen Haftpflicht versicherten Sattelzug mit den amtlichen Kennzeichen… und… kam.

Der Beklagte hatte auf der Fahrbahn angehalten gehabt und war aus dem Fahrzeug ausgestiegen, um eine verhakte Kabelverbindung vom Zugfahrzeug zum Auflieger korrekt anzuschließen. Als er anschließend wieder losfuhr, stieß die rechte vordere Ecke der Sattelzugmaschine mit der vorderen linken Seite des Mercedes des Klägers zusammen (vgl. dazu die auf dem Foto der Anlage B 2 festgehaltene Unfallendstellung). Dieser hatte den Sattelzug passieren wollen und war dazu – mangels entsprechenden Platzes auf der linken Seite – rechts am Sattelzug vorbeigefahren.

Verkehrsunfall bei Wiedereingliederung in Verkehr nach Pannenbehebung
(Symbolfoto: Goncharov_Artem/Shutterstock.com)

Nach einer vorprozessualen Regulierung seitens der Beklagten zu 2.) in Höhe von 50 % des zunächst geltend gemachten Schadenersatzanspruchs von 3.214,26 EUR bezüglich der Netto-Reparaturkosten von 3.189,26 EUR (vgl. dazu Anlage K 1) und einer Unkostenpauschale von 25,00 EUR, hat der Kläger unter Verweis auf einen Verstoß des Beklagten zu 1.) gegen die Vorschrift des § 10 StVO erstinstanzlich die Zahlung des restlichen Schadensbetrages von 1.607,13 EUR sowie die Erstattung einer Akteneinsichtspauschale von 12,00 EUR (vgl. dazu Anlage K 3) verlangt und beantragt,

die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, ihm 1.607,13 EUR zuzüglich 12,00 EUR verauslagter Akteneinsichtsgebühr nebst Zinsen von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 09.10.2019 zu zahlen und ihn von den vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 157,79 freizuhalten.

Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie haben vorgetragen, ein Verstoß gegen die Vorschrift des § 10 StVO sei dem Beklagten zu 1.) nicht anzulasten, weil er den Motor des Sattelzuges angelassen gehabt habe, so dass das Fahrzeug die ganze Zeit in Betrieb gewesen sei und den fließenden Verkehr nicht verlassen gehabt habe. Dagegen habe der Kläger gegen die Bestimmung des § 9 V StVO verstoßen, weil er, ohne den Fahrtrichtungsanzeiger anzuschalten, schräg nach links vor den Sattelzug gezogen sei, um in eine links gelegene Parkbucht einzufahren bzw. zu wenden.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen (§ 540 I Nr. 1 ZPO).

Das Amtsgericht Hamburg-St.Georg hat den Kläger sowie den Beklagten zu 1.) angehört und die Beklagten mit Urteil vom 10.09.2020 unter Abweisung der Klage im Übrigen verurteilt, dem Kläger als Gesamtschuldner 12,00 EUR zum Ersatz der Akteneinsichtspauschale nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22.12.2019 zu zahlen. Dabei hat es ausgeführt, dass keinem der beiden Unfallbeteiligten ein Verkehrsverstoß anzulasten sei, so dass nur die beiderseitigen Betriebsgefahren zu berücksichtigen seien, woraus sich eine Haftungsquote von 50 : 50 ergebe.

Gegen dieses seinem Prozessbevollmächtigten am 14.09.2020 zugestellte Urteil hat der Kläger am 14.10.2020 Berufung eingelegt und diese am Montag, dem 16.11.2020, begründet. Dabei hat er sein erstinstanzliches Vorbringen wiederholt und zudem moniert, dass die Betriebsgefahr des Sattelzuges ohnehin höher zu bewerten sei als diejenige seines Pkw.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Amtsgerichts Hamburg-St.Georg, Az. 911 C 392/19, verkündet am 10.09.2020 und zugestellt am 14.09.2020, abzuändern und die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 1.607,13 EUR zuzüglich 12,00 EUR verauslagter Akteneinsichtsgebühr nebst Zinsen von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 09.10.2019 zu zahlen sowie die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, ihn von den vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 157,79 freizuhalten.

Die Beklagten beantragen, die Berufung zurückzuweisen.

Sie wiederholen ihr erstinstanzliches Vorbringen und verweisen ergänzend auf einen Verkehrsverstoß des Klägers gegen die Vorschriften der §§ 7 V, 6 S. 3 StVO.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Die Kammer hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 26.11.2020 zur Entscheidung auf die Berichterstatterin als Einzelrichterin übertragen.

Nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung am 05.03.2021 haben die Beklagten die mit der Berufung weiterverfolgten Klageforderungen anerkannt.

II.

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte, Berufung des Klägers ist begründet. Der Kläger hat Anspruch darauf, dass die Beklagten ihm den am 09.09.2019 unfallbedingt entstandenen Schaden vollen Umfangs ersetzen.

1.) Der Beklagte ist dem Kläger nach den §§ 18 I StVG, 823 I BGB i.V.m. § 249 II 1 BGB und die Beklagte zu 2.) nach den §§ 7 I, 18 I StVG, 823 I BGB i.V.m. den §§ 115 I Nr. 1 VVG, 249 II 1 BGB zum Schadenersatz verpflichtet, weil den Beklagten zu 1.) ein Verschulden an dem Unfall getroffen hat.

Schon der Beweis des ersten Anscheins spricht für einen schuldhaften Verstoß des Beklagten zu 1.) gegen die in § 10 StVO geregelten Sorgfaltspflichten. Danach hat sich derjenige, der von einem anderen Straßenteil auf die Fahrbahn einfahren oder vom Fahrbahnrand anfahren will, so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Diesen Sorgfaltspflichten unterlag auch der Beklagte zu 1.), als er nach seinem Halt zur ordnungsgemäßen Wiederbefestigung der Verkabelung zwischen der Sattelzugmaschine und dem Auflieger wieder anfuhr. Das entsprechende Fahrmanöver ist als ein Wiederanfahren vom Fahrbahnrand im Sinne der genannten Norm zu werten, wobei anzumerken ist, dass es gleichgültig ist, ob man vom rechten oder linken Fahrbahnrand anfährt (Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl., § 10 StVO, Rdnr. 7). Entscheidend ist allein, dass der betreffende Verkehrsteilnehmer sein Fahrzeug nach einem nicht verkehrsbedingten Halt zwecks Wiedereingliederung in den fließenden Verkehr in Bewegung setzt (Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl., § 10 StVO, Rdnr. 7). Lediglich derjenige, der verkehrsbedingt hält und damit nicht aus dem fließenden Verkehr ausscheidet, unterliegt beim Wiederanfahren nicht den strengen Sorgfaltspflichten des § 10 StVO (Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 26. Aufl., § 10, Rdnr. 13). Indessen hat der Beklagte zu 1.) keineswegs verkehrsbedingt gehalten, denn die Verkehrssituation als solche gebot den Halt des Fahrzeugs nicht. Insoweit ist die Situation ganz anders zu bewerten als etwa bei einem Stopp vor einer Rot zeigenden Ampel oder einem Hindernis auf der Fahrbahn. Auch das von den Beklagten angeführte Abwürgen des Motors ist nicht mit der vorliegenden Situation zu vergleichen. Im erstgenannten Fall handelt es sich nämlich lediglich um einen ungewollten und – für jedermann ersichtlich – kurzen Halt des Fahrzeugs, also zweifelsohne nicht um ein Verlassen des fließenden Verkehrs. Dagegen ist der Beklagte zu 1.) vorliegend sogar aus dem Fahrzeug ausgestiegen, um die Verkabelung desselben zu richten. Dabei war für die übrigen Verkehrsteilnehmer wie etwa den Kläger nicht einmal ersichtlich, wie lange der Sattelzug die Fahrbahn versperren werde. Eindeutig war lediglich, dass das Fahrzeug – und sei es auch nur kurzzeitig – aus dem fließenden Verkehr ausgeschieden war, so wie es etwa bei einem Fahrzeug der Fall ist, das vom Fahrer am Fahrbahnrand angehalten wird, um einen Fahrgast aus- bzw. einsteigen zu lassen; und hierbei handelt es sich zweifelsfrei um einen Fall des § 10 StVO.

Der Anscheinsbeweis ist nicht erschüttert worden. Die Beklagten tragen keine Umstände vor, die auf einen atypischen Geschehensablauf schließen ließen.

Demgegenüber ist dem Kläger kein Verschulden an dem Unfall nachgewiesen worden. Insbesondere gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger gegen seine Sorgfaltspflichten nach den §§ 1 II und 6 StVO verstoßen hätte. Da der Beklagte zu 1.) vor dem Wiederanfahren nicht rechts geblinkt hat und sich die Kollision im unmittelbaren Zusammenhang mit diesem Fahrmanöver ereignet hat, ist nicht ersichtlich, wie der Kläger den Unfall hätte verhindern können. Im Übrigen gibt es entgegen der Behauptung der Beklagten keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger im Zeitpunkt der Kollision dabei war, in eine Parkbucht zu ziehen bzw. zu wenden. Das leichte Herüberziehen des Mercedes nach links, das sich auf dem Foto der Anlage B 2 zeigt, erklärt sich schlicht daraus, dass der Kläger nach dem Passieren des Sattelzuges gerade dabei war, wieder in die Mitte der Fahrbahn zurückzulenken.

Unter Berücksichtigung aller Umstände, die zu dem Unfall geführt haben (§ 17 I und II StVG), erscheint es angemessen, dass die Beklagten dem Kläger dessen Schaden vollen Umfanges ersetzen. Die nur einfache von dem Pkw Mercedes ausgegangene Betriebsgefahr fällt angesichts des grob verkehrswidrigen Verhaltens des Beklagten zu 1.) nicht ins Gewicht.

2.) Der Schaden des Klägers hat sich unstreitig auf insgesamt 3.226,26 EUR belaufen, wovon 3.189,26 EUR netto auf die Reparaturkosten, 12,00 EUR auf ein Akteneinsichtsgesuch sowie 25,00 EUR auf weitere Unkosten entfallen. Da die Beklagte zu 2.) hierauf vorprozessual lediglich Zahlung in Höhe von 1.607,13 EUR geleistet hat, verbleibt ein restlicher Anspruch in Höhe von 1.619,13 EUR.

3.) Hinsichtlich der Nebenforderungen gilt folgendes:

Der Kläger hat Anspruch auf Freihaltung von den vorprozessualen Rechtsanwaltskosten nach Maßgabe einer 1,3-fachen Geschäftsgebühr auf einen Gegenstandswert von 3.226,26 EUR nebst Post- und Telekommunikationspauschale sowie Umsatzsteuer, mithin in Höhe von 413,64 EUR. Da die Beklagte zu 2.) darauf vorprozessual Zahlung in Höhe von 255,85 EUR geleistet hat, beläuft sich der restliche Anspruch auf 157,79 EUR.

Die Zinsentscheidung beruht auf den §§ 286 I 2, 288 I, 291 S. 1 BGB und trägt dem unterschiedlichen Zustellungszeitpunkten der Klage Rechnung. Eine frühere Verzinsung scheidet dagegen aus. Entgegen der Ansicht des Klägers ist das Regulierungsschreiben der Beklagten zu 2.) vom 08.10.2019 nicht als ernsthafte und endgültige Leistungsverweigerung zu werten.

4.) Das mit Schriftsatz vom 09.03.2021 erklärte Anerkenntnis der Beklagten kann keine Berücksichtigung finden, da es erst nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung abgegeben worden ist (§ 296 a ZPO) und eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung unter keinem Gesichtspunkt geboten erscheint (vgl. dazu Zöller, ZPO, 33. Aufl., § 307, Rdnr. 3).

III.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits beruht auf den §§ 92 II Nr. 1, 100 IV ZPO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 10 ZPO.

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