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Verkehrsunfall – Haftung für rein psychische Schäden

Haftpflicht und Schmerzensgeld: Ein erhellender Einblick in den Fall der psychischen Traumafolgestörung durch einen Unfall

Im vorliegenden Fall hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass die Beklagte – eine Versicherungsgesellschaft – für die psychischen Folgen, die der Kläger aufgrund eines Unfalls erlitten hat, haftet. Dies beruht auf der Anerkennung der Haftpflicht des Unfallverursachers für psychisch vermittelte Gesundheitsstörungen durch den Gerichtshof, insbesondere wenn der Geschädigte direkt am Unfall beteiligt war und die psychischen Auswirkungen des Unfalls nicht bewältigen konnte. Der Kläger war unmittelbar an dem Unfall beteiligt, da das bei der Beklagten versicherte Motorrad in sein Fahrzeug fuhr.

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Diagnose der psychischen Schäden und Behandlungsbedarf

Das Landgericht stellte zutreffend fest, dass der Kläger infolge des Unfalls unter einer Traumafolgestörung mit erheblichen Symptomen einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie Anzeichen einer leichten depressiven Episode leidet. Der Kläger benötigt nach Aussage eines Sachverständigen weiterhin eine psychotherapeutische Behandlung mit einem traumatherapeutischen Schwerpunkt, und zwar zunächst für einen Zeitraum von zwei bis drei Jahren.

Grundlegende Prinzipien bei der Bemessung des Schmerzensgeldes

Der Bundesgerichtshof hat grundlegende Prinzipien für die Bemessung des angemessenen Schmerzensgeldes festgelegt. Diese beziehen sich auf die Größe, Intensität und Dauer der Schmerzen, Leiden und Entstellungen. Insbesondere Art der Verletzungen, Anzahl der Operationen, Dauer der stationären und ambulanten Behandlung, Dauer der Arbeitsunfähigkeit und das Ausmaß des Dauerschadens werden bei der Bemessung des Schmerzensgeldes berücksichtigt. Im vorliegenden Fall betont der Senat, dass es ihm nicht um Scheingenauigkeit, sondern um eine Plausibilitätskontrolle zur Berücksichtigung der die Betroffenen besonders belastenden Dauerschäden geht.

Das Maß für die körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Auswirkungen

In Bezug auf die Bemessung des Schmerzensgeldes bezieht sich der Senat nicht auf die Arbeitsunfähigkeit, sondern auf den Grad der Schädigungsfolgen (GdS). Dieser ist ein Maß für die körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Auswirkungen einer Gesundheitsschädigung und drückt genau die Lebensbeeinträchtigungen aus, die für die Bemessung des Schmerzensgeldes relevant sind.

Das endgültige Schmerzensgeld und die Lebensveränderungen des Klägers

Das Landgericht setzte ein Schmerzensgeld von insgesamt 15.000,00 € fest, was der Senat nicht beanstandet. Er erkennt, dass das Unfallereignis und das Miterleben des Todes des Unfallgegners für den Kläger ein tiefgreifendes und belastendes Erlebnis waren, das sein Leben verändert und seine Lebensführung beeinträchtigt hat. Es muss beachtet werden, dass der Kläger selbst durch die Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr ein erhöhtes Risiko eingegangen ist, psychisch traumatisierende Situationen zu erleben.


Das vorliegende Urteil

OLG Frankfurt – Az.: 22 U 128/19 – Urteil vom 29.06.2020

Die Berufung des Klägers gegen das am 28.05.2019 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Darmstadt, Az.: 4 O 445/16, wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Dieses und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 15.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Parteien streiten um Ansprüche aus einem Verkehrsunfall vom XX.XX.2014.

An dem o. g. Tag befuhr der Kläger mit seinem Pkw die Landstraße …. Der Fahrer des bei der Beklagten haftpflichtversicherten Motorrades mit dem amtlichen Kennzeichen … kam dem Kläger auf der entgegengesetzten Fahrbahn entgegen. Er kam in einer Kurve von seiner Fahrbahn ab, kollidierte frontal mit dem Fahrzeug des Klägers und schlug mit dem Kopf auf die Windschutzscheibe dieses Fahrzeugs. Der Motorradfahrer verstarb noch an der Unfallstelle.

Der Kläger begab sich in psychologische Behandlung.

Die volle Haftung der Beklagten dem Grunde nach ist unstreitig.

Die Beklagte regulierte die vom Kläger geltend gemachten materiellen Schäden und zahlte ferner ein Schmerzensgeld in Höhe von 3.000,00 €.

Der Kläger begehrte die Zahlung eines weiteren Schmerzensgeldes nebst Zinsen sowie die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm die sämtlichen weiteren immateriellen und materiellen Schäden aus dem Verkehrsunfall vom XX.XX.2014 zu zahlen, soweit sie nicht auf Sozialversicherungsträger oder Dritte übergegangen sind.

Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes sowie wegen der erstinstanzlich gestellten Anträge nimmt der Senat auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug.

Das Landgericht hat nach Durchführung der Beweisaufnahme durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens die Beklagte zur Zahlung eines weiteren Schmerzensgeldes in Höhe von 12.000,00 € nebst Zinsen verurteilt. Ferner hat es festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche künftigen weiteren immateriellen und materiellen Schäden aus dem Verkehrsunfall vom XX.XX.2014 zu zahlen, soweit sie nicht auf Sozialversicherungsträger oder Dritte übergegangen sind.

Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, bei der Bemessung des Schmerzensgeldes sei insbesondere zu berücksichtigen gewesen, dass das Unfallereignis für den Kläger ein einschneidendes Erlebnis gewesen sei. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe fest, dass der Kläger aufgrund des Unfalls an einer Traumafolgestörung mit dem Vorhandensein einiger bedeutender Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung leide. Zudem zeige er Symptome einer leichten depressiven Episode.

Es liege eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 % vor. Ferner sei zu berücksichtigen gewesen, dass der Kläger weiterhin nach den Feststellungen des Sachverständigen jedenfalls für weitere zwei bis drei Jahre therapiebedürftig sei.

Ein Mitverschulden aufgrund der Beendigung der psychologischen Behandlung Ende 2016 sei nicht anzunehmen.

Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln, auf die sich der Kläger bezogen habe, könne nicht uneingeschränkt herangezogen werden, da diesem Rechtsstreit der Unfalltod des eigenen Sohnes der dortigen Klägerin zugrunde gelegen habe.

Hinsichtlich des Feststellungsantrages liege das erforderliche Feststellungsinteresse vor, da die Behandlung des Klägers noch nicht abgeschlossen und es noch nicht absehbar sei, ob weitere Schäden entstehen.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung, mit der er die Zahlung eines weiteren Schmerzensgeldes, dessen Höhe er in das Ermessen des Gerichts stellt, begehrt. Er meint, es sei ein Betrag in Höhe von mindestens 30.000,00 € gerechtfertigt.

Die posttraumatische Belastungsstörung des Klägers, die Schlaflosigkeit und der Rückzug aus seinem sozialen Leben resultierten nicht nur aus der Tatsache, dass der Motorradfahrer bei dem Unfall verstorben sei. Auch wenn den Kläger an dem Unfall kein Verschulden treffe, sei sein Verhalten dennoch kausal für den Tod des Unfallgegners gewesen. Dies stelle für den Kläger eine kaum zu ertragende Belastung dar. Er leide weiterhin an den Folgen des Unfalls.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 28.05.2019, Az.: 4 O 445/16, abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ein weiteres Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19.01.2017 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens das angefochtene Urteil und meint, es sei nicht zu beanstanden, dass das Landgericht ein Schmerzensgeld in Höhe von insgesamt 15.000,00 € zugesprochen habe. Die Berufung zeige einen Ermessensfehlgebrauch des Landgerichts nicht auf.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlage und auf die Erörterungen in der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

II.

Die Berufung des Klägers ist zulässig, sie wurde insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet. In der Sache erweist sie sich jedoch als unbegründet.

Die Entscheidung des Landgerichts beruht weder auf einer Rechtsverletzung, noch rechtfertigen nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung, § 513 Abs. 1 ZPO.

Es ist nicht zu beanstanden, dass das Landgericht im vorliegenden Fall ein Schmerzensgeld in Höhe von insgesamt 15.000,00 € festgesetzt hat. Der Anspruch des Klägers resultiert aus §§ 7 Abs. 1, 11 Satz 2 StVG, § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG, §§ 823 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB.

Die Beklagte haftet vorliegend auch für die vom Kläger erlittenen psychischen Folgen des Unfalls. Der Bundesgerichtshof hat eine Haftpflicht des Unfallverursachers für psychisch vermittelte Gesundheitsstörungen in den Fällen anerkannt, in denen der Geschädigte direkt am Unfall beteiligt war und dieser das Unfallgeschehen psychisch nicht verkraften konnte (vgl. BGH, Urteil vom 22.05.2007 – VI ZR 17/06, zitiert nach juris, Rz. 14; Urteil vom 27.01.2015 – VI ZR 548/12, zitiert nach juris, Rz. 10; hierzu auch OLG Hamm, Urteil vom 02.03.2018 – 11 U 131/16, zitiert nach juris, Rz. 46, 47).

Vorliegend wurde beim Kläger aufgrund des Unfalls vom XX.XX.2014 eine psychische Störung mit Krankheitswert ausgelöst. Der Kläger war auch direkt an dem Unfall beteiligt, denn das bei der Beklagten versicherte Motorrad fuhr in sein Fahrzeug.

Zutreffend hat das Landgericht festgestellt, dass der Kläger aufgrund des streitgegenständlichen Unfalls an einer Traumafolgestörung mit dem Vorhandensein einiger bedeutender Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet und ferner Symptome einer leichten depressiven Episode zeigt.

Der Kläger ist auch weiterhin therapiebedürftig. Der Sachverständige hat diesbezüglich ausgeführt, aus seiner Sicht sei eine ambulante psychotherapeutische Behandlung mit einem traumatherapeutischen Schwerpunkt sinnvoll, dies zunächst für einen Zeitraum von weiteren zwei bis drei Jahren ab dem Zeitpunkt der Gutachtenerstellung. Eine dauerhafte psychotherapeutische Behandlung bis zum Lebensende des Klägers sei aus Sicht des Sachverständigen nicht zu rechtfertigen. Der Sachverständige hat ferner ausgeführt, die Diagnosen seien vollständig auf das Unfallereignis vom XX.XX.2014 zurückzuführen.

Das Landgericht ist den Ausführungen des Sachverständigen A gefolgt. Ferner hat das Landgericht den Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung am 31.05.2017 ausführlich angehört. Er hat seine Beschwerden anschaulich dargestellt. Seine Angaben hat das Landgericht detailliert protokolliert, weshalb der Senat eine erneute Anhörung des Klägers, welche für diesen sicherlich wieder sehr belastend gewesen wäre, als nicht notwendig erachtet und den Kläger von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen zum Termin zur mündlichen Verhandlung entbunden hat.

Die Feststellungen des Landgerichts zu den psychischen Folgen, die der Unfall für den Kläger hatte, hat der Kläger mit seiner Berufung insoweit nicht angegriffen.

Der vom Landgericht zuerkannte Schmerzensgeldbetrag in Höhe von insgesamt 15.000,00 € ist nach Auffassung des Senats angemessen.

Dem Landgericht ist darin zuzustimmen, dass die vom Kläger angeführte Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln vom 12.09.2005 (16 U 25/05) vorliegend nicht uneingeschränkt herangezogen werden kann. Auf die Ausführungen des Landgerichts hierzu in der angefochtenen Entscheidung, die der Senat für zutreffend hält, wird verwiesen.

Der Bundesgerichtshof hat in seiner grundlegenden Entscheidung zur Bemessung des angemessenen Schmerzensgeldes festgestellt, dass Größe, Heftigkeit und Dauer der Schmerzen, Leiden und Entstellungen die wesentlichen Kriterien bei der Bemessung des Schmerzensgeldes sind, womit im Sinne einer Objektivierung der Leiden insbesondere die Art der Verletzungen, die Zahl der Operationen, die Dauer der stationären und ambulanten Behandlung, die Dauer der Arbeitsunfähigkeit und das Ausmaß des Dauerschadens zu berücksichtigen sind (vgl. OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 17.10.2001 – 23 U 212/00, zitiert nach juris, Rz. 2 mit Verweis auf BGH, Großer Senat für Zivilsachen, Beschluss vom 06.07.1955 – GSZ 1/55, zitiert nach juris, Rz. 15).

Das Schmerzensgeld dient dem Ausgleich für Schäden nicht vermögensrechtlicher Art. Die Entschädigung ist nach § 287 ZPO zu schätzen, wobei der Rechtsbegriff der billigen Entschädigung ausreichend eine angemessene Differenzierung zulässt. Der Tatrichter muss seine Ermessensentscheidung nach § 253 Abs. 2 BGB, § 287 ZPO begründen. Bei der Bemessung sind sämtliche objektiv, nach den Kenntnissen und Erfahrungen eines Sachkundigen, erkennbaren und nicht fernliegenden künftigen Auswirkungen der Verletzung zu berücksichtigen (vgl. Senat, Urteil vom 18.10.2018 – 22 U 97/16, NJW 2019, 442, 447).

Das Oberlandesgericht Hamm hat in einem Fall, in dem der Kläger durch ein Unfallgeschehen eine posttraumatische Belastungsstörung erlitten hat, ein Schmerzensgeld in Höhe von 15.000,00 € für angemessen gehalten. Bei dem dortigen Kläger ist Todesangst entstanden, er hat den Tod und die schwere Verletzung anderer Personen bei einem Verkehrsunfall erlebt (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 02.03.2018 – 11 U 131/16).

Berücksichtigt man die Grundsätze zur Schmerzensgeldbemessung, die der Senat in seiner Entscheidung vom 18.10.2018 (22 U 97/16) aufgestellt hat, käme man vorliegend zu einem höheren Betrag.

Der Senat betont hierbei, dass es ihm nicht um eine Scheingenauigkeit, sondern um eine Plausibilitätskontrolle zur Berücksichtigung der die Betroffenen besonders belastenden Dauerschäden geht, die bei der Bewertung des Schmerzensgelds in besonderem Maße Berücksichtigung finden müssen, soweit keine Schmerzensgeldrente verlangt wird.

Unter Berücksichtigung aller in Literatur und Rechtsprechung geäußerter Bedenken führt der Senat bei der Findung und Bemessung angemessener Schmerzensgelder regelmäßig eine Plausibilitäts- und Transparenzkontrolle anhand taggenauer Berechnungen durch (vgl. Senat, Urteil vom 04.06.2020 – 22 U 244/19).

Wie der Senat bereits im Urteil vom 18.10.2018 (a.a.O.) ausgeführt hat, sind die Anknüpfungspunkte an das durchschnittliche Nettoeinkommen und die Wahl der verschiedenen Prozentsätze diskutabel und wirken zugegeben willkürlich.

Gerade in dem Bereich jahrelanger Beeinträchtigung führt die buchstabengetreue Anwendung des Systems zu Schmerzensgeldern, die zumindest derzeit jenseits der vertretbaren Erhöhung für schwere Fälle innerhalb des Systems liegen.

Der Senat geht deshalb in Weiterentwicklung seiner Rechtsprechung zur Vereinfachung von einem Betrag von 150,00 € /Tag für den Aufenthalt auf der Intensivstation, 100,00 €/Tag auf der Normalstation, 60,00 €/Tag in der Rehabilitationsklinik und 40,00 € pro Tag bei 100% GdB aus (vgl. hierzu auch Senat, Urteil vom 04.06.2020 – 22 U 244/19).

Die Arbeitsunfähigkeit ist kein taugliches Merkmal, da diese lediglich pauschal wiedergibt, ob der behandelnde Arzt den Patienten für arbeitsfähig hält oder nicht, nichts aber darüber aussagt, inwieweit tatsächlich eine Beeinträchtigung vorliegt. Der Senat stellt daher nicht auf die Arbeitsunfähigkeit, sondern auf den Grad der Schädigungsfolgen (GdS) ab, wie er auf der Grundlage der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizinverordnung vom 10.12.2008 bemessen wird. Dieser Grad der Schädigungsfolgen ist ein Maß für die körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung eines Gesundheitsschadens, drückt also genau die Lebensbeeinträchtigungen aus, die für die Bemessung des Schmerzensgeldes relevant sind (vgl. Senat, Urteile vom 18.10.2018 – 22 U 97/16 und vom 04.06.2020 – 22 U 244/19 und 22 U 34/19).

Hiernach wird für leichtere psychovegetative oder psychische Störungen ein GdS von 0-20 %, bei stärker behindernden Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z. B. ausgeprägte depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) von 30-40 %, für schwere Störungen (z. B. schwere Zwangskrankheiten) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten von 50-70 % und mit schweren Anpassungsschwierigkeiten von 80-100 % angesetzt.

Geht man vorliegend von einem GdS von 20 % aus, der mit der vom Sachverständigen festgestellten Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) korrespondiert, beträgt der Tagessatz 8,00 € (40,00 € x GdS 20 %). Dies ergäbe für die Zeit ab dem Unfall bis zum Ablauf des Zeitraums, den der Sachverständige für eine weitere Therapiebedürftigkeit des Klägers angesetzt hat, einen Betrag in Höhe von ca. 22.000,00 €.

Vorliegend ist es aber erforderlich, auf einer weiteren Stufe eine wertende Betrachtung vorzunehmen, wie der Senat dies bereits in der Entscheidung vom 04.06.2020 (22 U 244/19) ausführlich dargelegt hat.

Dies führt dazu, dass der vom Landgericht festgesetzte Schmerzensgeldbetrag in Höhe von insgesamt 15.000,00 € nicht zu beanstanden ist. Der Senat verkennt nicht, dass das hier streitgegenständliche Unfallereignis und das Miterleben des Todes des Unfallgegners für den Kläger ein einschneidendes und belastendes Erlebnis gewesen ist, das sein Leben verändert und seine Lebensführung beeinträchtigt hat.

Es ist allerdings zu berücksichtigen, dass allein die Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr das Risiko in sich birgt, Zeuge eines Fremdunfalls zu werden, bei dem jeder Anwesende verpflichtet ist, Hilfe zu leisten, mithin Verletzungen oder sogar den Tod anderer Verkehrsteilnehmer unmittelbar wahrzunehmen und sich mit ihnen zu beschäftigen.

In solchen Fällen wird allerdings eine Ersatzpflicht für psychische Folgeschäden generell verneint und nur in Ausnahmefällen zugelassen. Eine psychische Erkrankung durch das Miterleben eines schweren Unfalls, bei dem der Betroffene nur als Zuschauer anwesend, sonst aber nicht beteiligt war, ist grundsätzlich dem allgemeinen Lebensrisiko zuzuordnen. Im Ausnahmefall können, wie bereits ausgeführt, Ansprüche derjenigen bestehen, die unmittelbar am Unfallgeschehen beteiligt waren (vgl. Jahnke in Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 26. Auflage 2020, Vor § 249 BGB, Rz. 123; BGH, Urteil vom 27.01.2015 – VI ZR 548/12, BGH NJW 2006, 3268; OLG Schleswig, Urteil vom 01.08.2019 – 7 U 14/18, MDR 2019, 1379 – 1380).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze muss bei der Schmerzensgeldbemessung deshalb berücksichtigt werden, dass der Kläger selbst durch die Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr ein erhöhtes Risiko eingegangen ist, psychisch traumatisierende Situationen zu erleben.

Hierbei kann zusätzlich berücksichtigt werden, dass der Gesetzgeber bei der Regelung des Hinterbliebenengeldes (§ 844 Abs. 3 BGB) davon ausgegangen ist, dass 10.000,00 € angemessen erscheinen (vgl. Palandt/Sprau, Bürgerliches Gesetzbuch, 79. Auflage 2020, § 844, Rz. 25). Das Landgericht Tübingen hat einer Ehefrau, deren Ehemann bei einem Verkehrsunfall getötet wurde, einen Betrag in Höhe von 12.000,00 € zugesprochen (LG Tübingen, Urteil vom 17.05.2019 – 3 O 108/18, DAR 2019, 468).

Im Übrigen ist vorliegend nach Auffassung des Senats auch zu berücksichtigen, dass der verstorbene Unfallbeteiligte dem Kläger nicht bekannt gewesen ist, es handelte sich z. B. nicht um einem Angehörigen des Klägers, dessen Tod er miterleben musste.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erfordert (§ 543 Abs. 2 ZPO).

Die Streitwertfestsetzung hat ihre Grundlage in §§ 3 ZPO, 45 GKG. Diesbezüglich hat der Senat die Differenz zwischen dem begehrten Mindestbetrag in Höhe von 30.000,00 € und dem bereits zuerkannten Betrag (gezahlter Betrag in Höhe von 3.000,00 € und der zuerkannte weitere Betrag von 12.000,00 €) zugrunde gelegt.

Ist ein Mindestbetrag angegeben, was nicht im Klageantrag selbst geschehen muss, so ist für die Berechnung der Beschwer des Klägers von diesem Mindestbetrag auszugehen, ohne dass es auf die materielle Begründung ankäme (Zöller/Heßler, Zivilprozessordnung, 33. Auflage 2020, Vor § 511, Rz. 17b). In der Klageschrift wird bezüglich des Schmerzensgeldes ein Betrag in Höhe von mindestens 30.000,00 € genannt, ebenso in der Berufungsbegründung.

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