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Verkehrsunfall – Mitverschulden des Beifahrers bei Teilnahme an einer Trunkenheitsfahrt

OLG Karlsruhe –  Az.: 1 U 35/13 –  Beschluss vom  04.11.2013

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gegen das Teil- Anerkenntnis- und End-Urteil des Landgerichts Baden-Baden vom 01.03.2013 – 1 O 104/12 – durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen.

2. Der Kläger erhält Gelegenheit zur Stellungnahme binnen 3 Wochen ab Zugang dieses Hinweises.

Gründe

I.

Die Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 ZPO liegen vor. Die Berufung hat insbesondere offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Eine Entscheidung des Senats aufgrund mündlicher Verhandlung ist auch nicht zur Klärung offener grundsätzlicher Rechtsfragen, zur Fortbildung des Rechts, zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder aus sonstigen Gründen geboten. Bezüglich Letzterem wurde vom Senat nicht verkannt, dass der Rechtsstreit für den Kläger von einer besonderen Bedeutung ist. Zugleich war insoweit jedoch zu bedenken, dass sich – wie noch auszuführen ist – tatsächliche Fragen in der Berufungsinstanz nicht mehr stellen, der Streit sich vielmehr auf eine angemessene rechtliche Bewertung beschränkt, von der ursprünglich klageweise geltend gemachten 100%igen Haftung der Beklagten bereits 2/3 anerkannt sowie rechtskräftig zuerkannt und vom Kläger im Rahmen seiner Berufung im Übrigen nunmehr 15% eigenen Haftungsanteils ausdrücklich außer Streit gestellt wurden sowie vor allem, dass der Kläger – trotz erstinstanzlich durch das Gericht angeordneten persönlichen Erscheinens der Parteien zur mündlichen Verhandlung (vgl. I 59) – ohnedies an keinem der durchgeführten Termine teilnehmen konnte, eine Änderung der Situation insoweit nicht geltend gemacht wird oder ersichtlich ist und der Kläger durch seinen Rechtsanwalt zu Protokoll erklären ließ, sich an den streitgegenständlichen Unfall nicht mehr erinnern zu können (vgl. I 93).

Verkehrsunfall - Mitverschulden Beifahrer bei Trunkenheitsfahrt
Verkehrsunfall – Mitverschulden Beifahrer bei Trunkenheitsfahrt

Zu Recht hat indessen das Landgericht mit dem angefochtenen Teil-Anerkenntnis- und Endurteil zwar eine gesamtschuldnerische Haftung der Beklagten für die dem Kläger aus dem streitgegenständlichen Verkehrsunfall vom 21.10.2011 bei Baden-Baden erwachsenen materiellen und immateriellen Schäden festgestellt, allerdings nur wie ohnehin beklagtenseits anerkannt, nämlich unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens des Klägers im Umfang von 1/3. Die dagegen vom Kläger mit seiner Berufung, mit der er – wie gesehen – einen auf 15 % beschränkten Ansatz eigenen Mitverschulden begehrt, erhobenen Einwände rechtfertigen keine abweichende Entscheidung.

1. Konkrete Anhaltspunkte, die Zweifel an der Vollständigkeit oder Richtigkeit der tatbestandlichen Feststellungen des Landgerichts rechtfertigten (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO), sind nicht festzustellen.

a) Eine positive Kenntnis des Klägers der – als solche unbestrittenen absoluten – Fahruntüchtigkeit des Beklagten Ziffer 1 zum Zeitpunkt des Fahrtantritts hat das Landgericht nicht festgestellt. Dessen bedurfte es jedoch von Rechts wegen auch nicht (s.u.). Nichts anderes gilt im Ergebnis für eine Feststellung, der Kläger habe Ausfallerscheinungen des Beklagten Ziffer 1 oder Auffälligkeiten im Verkehr bemerkt (II 49).

b) Darauf, ob der Kläger zum Zeitpunkt des Fahrtantritts selbst eine – nachweisbare – Blutalkoholkonzentration in Höhe von von 1,2 oder 1,7%o aufgewiesen hatte (II 51), kommt es für die Entscheidung des Falles im Ergebnis nicht an (s.u.). Abweichendes macht auch die Berufung nicht geltend und lässt sich auch dem angefochtenen Urteil nicht entnehmen.

c) Ohne Erfolg greift die Berufung die Feststellungen des Landgerichts dazu an, dass der Beklagte Ziffer 1 bei Fahrtantritt stark nach Alkohol gerochen habe (II 53 bzw. LGU 11 ff.).

Zu Recht hat das Landgericht seine diesbezügliche Überzeugung neben dem vom Beklagten Ziffer 1 selbst bei seiner informatorischen Anhörung eingeräumten, ganz erheblichen Alkoholkonsum in Form von Bier und Wein, der sich auch in den polizeilich veranlassten Alkoholmessungen (vgl. die beigezogene Strafakte, dort insbesondere S. 19, 29, 61) widerspiegelt, speziell auch auf die glaubhaften Angaben des den Unfall aufnehmenden Polizisten … gestützt, der erklärtermaßen – wie auch schon seinerzeit dokumentiert (Beiakte, S. 61) – gerade wegen des beim Beklagten Ziffer 1 (sogar) noch einige Zeit nach dem Unfall festgestellten „deutlichen Alkoholgeruchs“ Veranlassung zu einer entsprechenden Alkohol-Messung sah. Das greift die Berufung auch substantiiert nicht an, indem sie meint, der Alkoholgeruch könne schon ausweislich der Zeugenaussagen der Rettungsassistenten … und … doch „nicht so aufdringlich“ gewesen sein (II 53 f.). Zum Einen kommt es lediglich auf eine Erkennbarkeit an. Zum Anderen setzt sich die Berufung insoweit auch nicht mit den eingehenden und überzeugenden Ausführungen des Landgerichts in Würdigung der Aussagen … und … auseinander (LGU 12 f.), denen sich der Senat anschließt, erst Recht nicht mit den diesbezüglichen Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen … (I 213 ff., 217). Lediglich ergänzend ist insoweit anzumerken, dass sich der vom Zeugen … gerochene Alkoholkonsum des Beklagten Ziffer 1 schließlich durch die Ergebnisse der nachfolgenden Blutprobe nachdrücklich bestätigte. Außerdem attestierte auch der von der Polizei zur Blutentnahme hinzugezogene Arzt beim Beklagten Ziffer 1 – selbst für 01:45 Uhr, d.h. rund eine weitere Stunde später als der Zeuge, und mindestens mehr als 1 ½ Stunden nach Trinkende noch – einen Alkoholgeruch (Ermittlungsakte, S. 19). Die Aussagen der beiden Rettungsassistenten waren demgegenüber insoweit inhaltlich vage und dokumentierten lediglich, dass diese Zeugen nicht nur von ihrem Auftrag her, sondern auch angesichts des deutlich schwerwiegenderen, weiteren Unfall-„Opfers“, nämlich des Klägers, seinerzeit keinerlei Veranlassung gesehen hatten, ohne weiteres der Frage einer etwaigen Alkoholisierung des Beklagten Ziffer 1 besondere Beachtung zu schenken.

2. Zu Unrecht bemängelt die Berufung aber auch die rechtliche Würdigung des Landgerichts, namentlich, das Landgericht habe rechtsirrig für die Beurteilung des Mitverschuldens des Klägers darauf abgestellt, ob ein verständiger Mensch Zweifel an der Fahrtüchtigkeit des Beklagten Ziffer 2 entwickelt hätte (II 49).

a) Wie von der Berufung im Ausgangspunkt zu Recht thematisiert, stellt sich § 254 BGB als spezielle Ausprägung des Grundsatzes von Treu- und Glauben (§ 242 BGB) dar und sieht demgemäß eine verursachungsgerechte, anteilige Mithaftung eines Geschädigten für einen ihm erwachsenen Schaden vor, falls sein Verhalten zurechenbar bei der Schadensentstehung und/oder -entwicklung mitgewirkt hat (st.Rspr.; BGHZ 135, 235, 240; MünchKomm-BGB/Oetker, 2012, § 254 BGB Rn. 4; PWW/Medicus/Luckey, § 254 BGB Rn. 1). Dementsprechend muss sich u.U. auch ein Geschädigter den Einwand eigenen Mitverschuldens entgegen halten lassen, wenn er sich als Beifahrer einem infolge Alkoholgenusses nicht verkehrssicheren Kraftfahrer anvertraut hat, obwohl ein in angemessener Weise auf seine Sicherheit bedachter Fahrgast von der Mitfahrt unter solchen Umständen abgesehen haben würde. Maßgeblich ist insoweit nicht allein die gerichtliche Feststellung, dass der Fahrer zur Zeit des Unfalls – tatsächlich – (ggfs. absolut) fahruntüchtig gewesen ist, noch das bloße Wissen des Geschädigten darum, dass der Fahrer vor Antritt der Fahrt überhaupt Alkohol zu sich genommen hat, sondern vielmehr, ob der Geschädigte die Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit des Fahrers hätte erkennen oder sich ihm aus den Gesamtumständen insoweit zumindest begründete Zweifel hätten aufdrängen müssen (st. Rspr.; BGH, Urt. v. 10.07.1979 – VI ZR 223/78, NJW 1979, 2109; Urt. v. 31.05.1988 – VI ZR 116/87 NJW 1988, 2365, juris 8 f.). Welcher Grad von Aufmerksamkeit in dieser Hinsicht von dem schließlich geschädigten Mitfahrer zu fordern ist und wann Anlass zu entsprechendem Zweifel gegeben ist, lässt sich nicht abstrakt bestimmen, hängt vielmehr von der Gesamtheit der Umstände ab, die das Gericht auch in ihrer Gesamtheit zu würdigen hat (BGH, Urt. v. 09.02.1971 – VI ZR 151/69, VersR 1971, 473).

b) Nach diesen vom Landgericht auch seiner Entscheidung zugrunde gelegten Maßstäben hat es aufgrund der – wie gesehen – in berufungsgerichtlich nicht zu beanstandender Art und Weise festgestellten Tatsachen im Streitfall angenommen, dass sich hier dem Kläger bei Fahrtantritt erhebliche Zweifel an der Fahrtüchtigkeit des Beklagten Ziffer 1 hätten aufdrängen müssen. Das vermag auch die Berufung substantiiert nicht in Zweifel zu ziehen.

Soweit sie darauf verweist, der Kläger habe immerhin mit dem Beklagten Ziffer 1 vor dem gemeinsamen Besuch der Produktpräsentation im nüchternen Zustand abgemacht gehabt, die Rückfahrt mit dem Taxi anzutreten (II 55), kommt es – wie vom Landgericht ebenfalls zutreffend herausgearbeitet – hierauf von Rechts wegen nicht an. Denn die Beteiligten haben unbestritten diese ursprüngliche Abmachung schlussendlich nicht in die Tat umgesetzt, sondern – gemeinsam – die Rückfahrt im eigenen Pkw angetreten.

Insoweit ist zudem zu berücksichtigen, dass für die Beurteilung etwaigen Mitverschuldens i.S.v. § 254 BGB die §§ 827, 828 BGB entsprechend bzw. „spiegelbildlich“ gelten (BGHZ 24, 325, 327; BGH, Urt. v. 30.11.2004 – VI ZR 335/03, NJW 2005, 354). § 827 Satz 2 BGB indessen bestimmt, dass derjenige, der sich durch geistige Getränke oder ähnliche Mittel in einen vorübergehenden Zustand etwa auch des Rauschs versetzt, für einen Schaden, den er in diesem Zustand widerrechtlich verursacht – bzw. bei „spiegelbildlicher“ Anwendung i.R.v. § 254 BGB erleidet -, in gleicher Weise verantwortlich ist, wie wenn ihm Fahrlässigkeit zur Last fiele; eine Verantwortlichkeit tritt – nur dann – nicht ein, wenn er ohne Verschulden in den genannten Zustand geraten ist. Nachdem für Letzteres hier weder etwas vorgetragen, noch sonst ersichtlich ist, entlastete es den Kläger mithin nicht, wenn er zum Zeitpunkt des Fahrtantritt tatsächlich infolge eigenen übermäßigen Alkoholkonsums – sei es mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,2 oder auch 1,7 %o – nicht mehr in der Lage gewesen sein sollte, die Umstände, die gegen eine Fahrtüchtigkeit des Beklagten Ziff. 1 sprachen, wahrzunehmen. Denn der Mitverschuldensvorwurf wird durch § 827 S. 2 BGB vorverlagert und zielt auf die Tatsache ab, dass der Kläger zumindest fahrlässig durch seinen Alkoholkonsum eine Situation herbeigeführt hat, in der er nicht mehr die zum Selbstschutz erforderliche Einsichtsfähigkeit hatte (vgl. Senat, Urt. v. 30.01.2009 – 1 U 192/08, juris; dazu auch BGH, Urt. v. 09.02.1971 – VI ZR 151/69, VersR 1971, 473 a.E.).

Im Übrigen hat das Landgericht im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung – entgegen der Darstellung der Berufung (II 49 f.) – auch durchaus berücksichtigt, dass der Kläger selbst im Vorfeld des Unfalls Alkohol getrunken hatte (vgl. LGU 17 f.). Entsprechendes gilt für den vom Landgericht erwogenen und berücksichtigten Umstand, dass der Kläger und der Beklagte Ziffer 1 vorab eine Taxi-Rückfahrt abgesprochen gehabt hatten (II 51 und LGU 15 Abs. 2). Verkannt wurde des weiteren nicht, dass der Beklagte Ziffer 1 unmittelbar vor Antritt der Rückfahrt geäußert haben soll, er könne noch Auto fahren (vgl. LGU 3).

Schließlich hat das Landgericht bei seiner Gesamtwürdigung auch der vorrangigen Verantwortlichkeit des Beklagten Ziff. 1 als Fahrzeugführer (vgl. BGH, Urt. v. 09.02.1971 – VI ZR 151/69, VersR 1971, 473 und Senat, a.a.O.) gebührend Rechnung getragen. In diesem Kontext ist zuletzt auch – entgegen der Ansicht der Berufung (II 57) – nicht etwa deshalb eine andere Bewertung des Mitverschuldensanteils des Klägers gegenüber dem genannten, vom Senat zuvor zu entscheidenden Fall angezeigt, weil die Parteien dort vor dem Veranstaltungsbesuch keine Absprache über eine Taxi-Rückfahrt getroffen gehabt hatten und der Geschädigte im Übrigen nicht angeschnallt gewesen war. Zwar ist Letzterem durchaus zuzustimmen. Dafür fällt jedoch gerade die hier unstreitige ursprüngliche Absprache einer Taxi-Rückfahrt erschwerend ins Gewicht. Denn gerade das Abweichen hiervon und der dem zugrundeliegenden Absicht, dem kostenlos angebotenen Alkohol an diesem Abend ungezwungen zuzusprechen, die dann auch tatsächlich und für den Kläger erkennbar beiderseits in die Tat umgesetzt wurde, sowie angesichts des erkennbaren, starken Alkoholgeruchs hätte umso mehr Anlass für Zweifel an einer Fahrtüchtigkeit des Beklagten Ziffer 1 bestanden.

Nach alledem ist (auch) die vom Landgericht nach gründlich durchgeführter und gewürdigter Beweisaufnahme vorgenommene Bewertung der jeweiligen Verursachungsanteile und damit die Bestimmung eines zu Lasten des Klägers in Ansatz zu bringenden Mitverschuldens in Höhe von 1/3 berufungsgerichtlich nicht nur nicht zu beanstanden. Der Senat schließt sich dieser tatrichterlichen Wertung vielmehr nach eigener Überprüfung und Bewertung der gesamten Umstände des Einzelfalls ausdrücklich an.

II.

Der Kläger wird darauf hingewiesen, dass bei einer Zurückweisung der Berufung durch unanfechtbaren Beschluss die gleichen Kosten entstehen wie bei Zurückweisung durch Urteil mit Begründung (4,0 Gerichtsgebühren nach § 3 GKG, KV Nr. 1220). Wird jedoch die Berufung zurückgenommen, bevor ein Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO ergeht, fallen lediglich 2,0 Verfahrensgebühren für die Berufungsinstanz an (KV Nr. 1222).

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