AG Papenburg – Az.: 20 C 336/18 – Urteil vom 22.11.2018
1. Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kläger 399,75 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 28.07.2018 zu zahlen.
2. Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner den Kläger von vorgerichtlich entstandenen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 14,28 Euro freizustellen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 60 % und die Beklagten zu 40 %.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Beiden Parteien wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger verlangt Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall.
Der Verkehrsunfall ereignete sich am 14.02.2018 in P. auf der Straße S. rechts in Höhe der Hausnummer 0. Die Beklagte zu 1. befuhr mit ihrem Pkw (Marke), welcher bei der Beklagten zu 2. haftpflichtversichert ist, die Straße S. rechts aus Richtung S. kommend und beabsichtigte, nach links auf das Grundstück mit der Hausnummer 0 einzubiegen. Der Kläger fuhr mit seinem Pkw Audi A 6 hinter dem Fahrzeug der Beklagten zu 1. und beabsichtigte, das Fahrzeug der Beklagten zu 1. links zu überholen. Dabei kam es zur Kollision der beiden Beteiligten Fahrzeuge, wobei das Fahrzeug der Beklagten zu 1. vorne links und das klägerische Fahrzeug hinten rechts beschädigt worden sind. Der genaue Unfallhergang ist zwischen den Parteien streitig. Das klägerische Fahrzeug erlitt einen Totalschaden. Ausweislich des Sachverständigengutachtens des D. beträgt der Wiederbeschaffungswert des klägerischen Fahrzeugs 6.300,00 Euro und der Restwert 3.250,00 Euro. Mit anwaltlichem Schreiben vom 17.05.2018 forderte der Kläger die Beklagte zu 2. zur Zahlung des Schadens von 3.050,00 Euro sowie der allgemeinen Unkostenpauschale in Höhe von 25,00 Euro auf. Darauf zahlte die Beklagte zu 2. außergerichtlich einen Betrag in Höhe von 2.060,25 Euro.
Der Kläger behauptet, da die Beklagte zu 1. bereits geraume Zeit mit einer Geschwindigkeit unterhalb der vor Ort zulässigen Höchstgeschwindigkeit gefahren sei, habe sich der Kläger entschlossen, das vorausfahrende Fahrzeug zu überholen. Nachdem der Kläger sich vor der gefahrlosen Überholmöglichkeit überzeugt habe, habe er den linken Fahrtrichtungsanzeiger gesetzt und sei auf die Gegenfahrbahn ausgeschert. Der Kläger habe mit seinem Fahrzeug das Fahrzeug der Beklagten zu 1. bereits vollständig passiert, als diese plötzlich nach links ausgeschert sei, um dorthin abzubiegen. Der Kläger habe keine Möglichkeit gehabt, auf das – überraschende und durch nichts vorher angekündigte – Linksabbiegemanöver der Beklagten zu 1. zu reagieren. Neben dem unstreitigen restlichen Schadensersatzbetrag von 1.014,75 Euro begehre der Kläger die Freistellung von ihm vorgerichtlich entstandenen Restverfolgungskosten von noch 93,18 Euro.
Der Kläger beantragt,
1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger weitere 1.014,75 Euro zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hierauf seit dem 28.07.2018 zu zahlen,
2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, den Kläger von vorgerichtlich entstandenen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 93,18 Euro freizustellen.
Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.
Die Beklagten behaupten, die Beklagte zu 1. habe ihre Geschwindigkeit verringert, sich zur Fahrbahnmitte eingeordnet und habe beginnend ab Hausnummer 0 den linken Fahrtrichtungsanzeiger gesetzt, um einen Abbiegevorgang anzuzeigen. Die Beklagte zu 1. habe den rückwärtigen Verkehr beobachtet und habe auch unmittelbar vor Durchführung des Abbiegevorgangs durch Rückschau festgestellt, dass sich das Klägerfahrzeug noch hinter ihr befunden habe. Als sie nach Durchführung der zweiten Rückschau abgebogen sei, habe das Klägerfahrzeug mit einer Geschwindigkeit von mehr als 60 km/h das Beklagtenfahrzeug überholt. Der Kläger habe hier bei unklarer Verkehrslage überholt. Die Beklagte zu 2. habe damit zu Recht die weitere Regulierung abgelehnt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Die Akte des Landkreises E. (Aktenzeichen) wurde zu Informationszwecken beigezogen. Die Lichtbilder Bl. 22 – 27 und Bl. 61 a) der Akte sowie die Skizze Bl. 8 der Beiakte und die Lichtbilder Bl. 12 – 21 der Beiakte wurden in Augenschein genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, jedoch nur teilweise begründet.
Der Kläger hat gegen die Beklagten einen Anspruch auf Schadensersatz nach §§ 7, 17, 18 StVG in Verbindung mit § 115 VVG im Umfang von 80 % des ihm entstandenen ersatzfähigen Schadens (I.). Dies ergibt unter Berücksichtigung der bereits außergerichtlich erfolgten Zahlung einen restlichen Betrag von 399,75 Euro (II.).
I.
Der Schaden am Pkw des Klägers ist bei Betrieb sowohl des klägerischen Fahrzeugs als auch des von der Beklagten zu 1. geführten Fahrzeugs eingetreten. Beide Fahrzeuge befanden sich im öffentlichen Verkehrsbereich und in Betrieb. Ein Haftungsausschluss nach § 7 Abs. 2 StVG aufgrund höherer Gewalt kommt nicht in Betracht.
Die danach gem. §§ 18 Abs. 3, 17 Abs. 1 StVG vorzunehmende Abwägung der jeweiligen Verantwortungs- und Verursachungsbeiträge unter Berücksichtigung der Betriebsgefahr beider Fahrzeuge führt zu einer Haftung der Beklagten im Umfang von 80 %. Keine der Parteien konnte dabei eine Unabwendbarkeit im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG nachweisen.
Insoweit richtet sich die Haftungsverteilung danach, inwieweit der Schaden nach den Umständen des konkreten Falles überwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Bei der Abwägung der Verursachungsanteile können allerdings nur solche Umstände berücksichtigt werden, die entweder unstreitig oder bewiesen sind (BGH NJW 2007, 506). Dabei hat jede Seite die Umstände zu beweisen, die für sie günstig, für die Gegenseite also ungünstig sind (BGH NZV 1996, 231).
Der Beklagten zu 1. ist ein Verstoß gegen § 9 Abs. 1 Satz 4, Abs. 5 StVO vorzuwerfen. Danach ist vor dem Einordnen und nochmals vor dem Abbiegen auf den nachfolgenden Verkehr zu achten. Zudem muss sich der Fahrer beim Abbiegen in ein Grundstück so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist.
Gegen die Beklagte zu 1. spricht insoweit bereits der Beweis des ersten Anscheins, da es im vorliegenden Fall unstreitig nach Beginn des Abbiegevorgangs in die Grundstückszufahrt zum Zusammenstoß mit dem klägerischen Fahrzeug gekommen ist. Bei Zusammenstößen zwischen einem links in eine Grundstückseinfahrt abbiegenden Kfz und einem in gleicher Richtung fahrenden, den Linksabbieger überholenden Pkw spricht der Beweis des ersten Anscheins wegen der dem Linksabbieger abverlangten äußersten Sorgfalt für ein Verschulden des Linksabbiegers (LG Braunschweig, Urteil vom 05.04.2018, Aktenzeichen 1 O 3734/16 mit weiteren Nachweisen, zitiert nach juris). Ein solcher Anscheinsbeweis greift bei typischen Geschehensabläufen, also wenn sich unter Prüfung und Bewertung aller unstreitigen und festgestellten Einzelumstände und besonderen Merkmale des Sachverhalts nach der allgemeinen Lebenserfahrung der Schluss aufdrängt, dass ein Verkehrsteilnehmer seine Pflicht zur Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt verletzt hat (BGH VersR 2007, 557).
Diese Voraussetzungen liegen im vorliegenden Fall unter Berücksichtigung der gesamten Umstände vor. Denn es ist im Kern unstreitig, dass die Beklagte zu 1. vorausgefahren und nach einer Verlangsamung nach links gelenkt hat, um in die Grundstückseinfahrt einzubiegen. Zu diesem Zeitpunkt war der Kläger bereits im Überholvorgang begriffen, so dass zur Kollision kam.
Den Beklagten ist es auch nicht gelungen, diesen Anscheinsbeweis zu erschüttern. Zwar hat die Beklagte zu 1. im Rahmen der persönlichen Anhörung angegeben, sie sei bereits langsamer geworden und habe zwei Häuser vor ihrem Haus den Blinker gesetzt. Der Kläger hat jedoch im Rahmen der persönlichen Anhörung ein rechtzeitiges Setzen des Fahrtrichtungsanzeigers bestritten und dazu erklärt, es sei richtig, dass sie den Blinker gesetzt habe, kurz bevor er neben ihr gewesen sei. Er habe auch das Bremslicht gesehen. Er sei kurz vor dem Heck des Fahrzeugs gewesen und habe noch gerade schräg auf die Bremslichter und den Blinker schauen können. Zu diesem Zeitpunkt sei es jedoch schon zu spät gewesen, um zu reagieren. Da keine weiteren objektiven Anhaltspunkte vorliegen, bleibt aufgrund der sich in diesem Punkt widersprechenden Angaben des Klägers und der Beklagten zu 1. ungeklärt, ob die Beklagte zu 1. den Fahrtrichtungsanzeiger tatsächlich rechtzeitig gesetzt hat. Ob die Beklagte zu 1. über den Blick in den Spiegel hinaus auch den gebotenen Schulterblick durchgeführt hat, ergibt sich schon aus ihren eigenen Angaben nicht. So hat sie dazu erklärt, sie habe direkt vor dem Abbiegen nochmals in den Rückspiegel und den Seitenspiegel geschaut. Sie habe ihn nicht mehr gesehen. Sie könne sich jetzt nicht daran erinnern, ob sie auch über die Schulter nach hinten geschaut habe. Schließlich sprechen auch die Unfallschäden an den beteiligten Fahrzeugen für einen Verstoß gegen § 9 Abs. 1 Satz 4, Abs. 5 StVO. Aus den in Augenschein genommenen Lichtbildern ergibt sich, dass das klägerische Fahrzeug im hinteren rechten Bereich und das Fahrzeug der Beklagten zu 1. im vorderen linken Bereich beschädigt sind. Das klägerische Fahrzeug befand sich also direkt vor der Kollision bereits deutlich neben ihr, sodass sie den neben ihr befindlichen Pkw hätte sehen können und müssen, wenn sie ihrer Rückschaupflicht ordnungsgemäß nachgekommen wäre. Zudem hat die Beklagte zu 1. im Rahmen der persönlichen Anhörung erklärt, sie habe das klägerische Fahrzeug im Rückspiegel gesehen, als sie den Blinker gesetzt habe. Beim erneuten Blick in den Spiegel habe sie ihn nicht mehr gesehen. Gerade unter diesen Umständen hätte die Beklagte zu 1. damit rechnen müssen, dass sich das klägerische Fahrzeug bereits neben ihr im sogenannten „toten Winkel“ befindet.
Allerdings ist auch dem Kläger ein Verkehrsverstoß anzulasten. Unter Berücksichtigung der gesamten Umstände hat der Kläger gegen § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO verstoßen. Eine unklare Verkehrslage im Sinne dieser Vorschrift liegt vor, wenn der Überholende nach den gegebenen Umständen mit einem ungefährlichen Überholvorgang nicht rechnen darf. Dies ist anzunehmen, wenn die Verkehrslage unübersichtlich bzw. ihre Entwicklung nach objektiven Umständen nicht zu beurteilen ist. Dabei sind bei einer Verlangsamung der Geschwindigkeit des Vorausfahrenden die konkrete Verkehrssituation und die Örtlichkeit mit zu berücksichtigen. Wenn diese geeignet sind, Zweifel über die beabsichtigte Fahrweise des Vorausfahrenden aufkommen zu lassen, kommt eine unklare Verkehrslage in Betracht (LG Braunschweig aaO mit weiteren Nachweisen).
In der hier vorliegenden konkreten Unfallsituation ist zunächst die besondere Örtlichkeit zu berücksichtigen. In diesem konkreten Abschnitt auf der Straße S. befindet sich – wie auf den in Augenschein genommenen Lichtbildern zu erkennen und zudem gerichtsbekannt ist – aus Sicht der hier beteiligten Fahrzeugführer zur linken Hand eine durchgehende Bebauung mit Grundstückszufahren in kurzen Abständen. Auf der rechten Seite hingegen befindet sich in Höhe der Unfallstelle eine durchgehende Bepflanzung mit Bäumen. Ein Abbiegemanöver nach rechts war mithin ausgeschlossen. Unter Berücksichtigung des Maßstabes eines Idealfahrers war daher in der konkreten Unfallsituation durchaus damit zu rechnen, dass die reduzierte Geschwindigkeit der Beklagten zu 1. der Vorbereitung eines Abbiegemanövers in eines der zahlreichen Grundstückseinfahrten dienen soll. Dies hatte auch der Kläger selbst zunächst in Betracht gezogen. So hat er dazu im Rahmen der persönlichen Anhörung angegeben, er sei eine Zeitlang hinter ihr hergefahren. Sie sei mit einer gleichbleibenden Geschwindigkeit von etwa 50 km/h gefahren. Er habe zunächst gedacht, dass sie links abbiegen wolle. Unter Berücksichtigung der konkreten örtlichen Situation, der reduzierten Geschwindigkeit sowie der zunächst getroffenen persönlichen Einschätzung des Klägers mussten diesem unter Berücksichtigung des Maßstabes eines Idealfahrers Zweifel über die beabsichtigte Fahrweise der vorausfahrenden Beklagten zu 1. kommen, so dass das Gericht im hier vorliegenden Fall – auch unter Berücksichtigung der vom Kläger zitierten Rechtsprechung, die die Prüfung der Haftungsverteilung des konkreten Verkehrsunfalls nicht ersetzt – von einer unklaren Verkehrslage ausgeht.
Für einen Verstoß des Klägers gegen § 3 StVO fehlt es hingegen an konkreten Anhaltspunkten. Der Kläger hat seine Geschwindigkeit mit etwa 60 km/h – und damit innerhalb der vor Ort zulässigen Geschwindigkeit – angegeben. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens kommt mangels ausreichender Anknüpfungstatsachen ebenfalls nicht in Betracht. Die genauen Positionen und der exakte Kollisionsort stehen nicht fest. Beide Fahrzeuge stehen zudem nicht mehr zur Verfügung.
Bei der nach § 17 Abs. 1 und 2 StVG gebotenen Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge wiegen nach Auffassung des Gerichts die Pflichtverstöße der Beklagten zu 1. deutlich schwerer. Bei einem Zusammenstoß zwischen einem Überholer und einem Linksabbieger, dessen Betätigung des Blinkers nicht aufklärbar ist, ist daher in der Regel von einem höheren Haftungsanteil des Linksabbiegers auszugehen (vgl. Christian Grüneberg, Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen, 14. Aufl. 2015, Randnummer 176 mit weiteren Nachweisen). Unter Berücksichtigung der dargelegten Verursachungsbeiträge und Pflichtverstöße hält das Gericht nach alledem eine Haftung der Beklagten im Umfang von 80 % für gerechtfertigt.
II.
Der Höhe nach sind Kosten von insgesamt 3.075,00 Euro ersatzfähig. Dieser Betrag setzt sich zusammen aus dem unstreitigen Wiederbeschaffungsaufwand in Höhe von 3.050,00 Euro sowie der Kostenpauschale von 25,00 Euro.
Dafür haften die Beklagten im Umfang von 80 %. Dies ergibt 2.460,00 Euro. Abzüglich der bereits außergerichtlich gezahlten 2.060,25 Euro verbleibt ein restlicher Schadensersatzbetrag von 399,75 Euro.
Ausgehend von einem Streitwert von 2.460,00 Euro kann der Kläger zudem allein die Freistellung von vorgerichtlich entstandenen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 334,74 Euro zzgl. der Auslagen für die Ermittlungsakte von 14,28 Euro verlangen. Abzgl. der bereits gezahlten 334,74 Euro verbleibt ein Betrag von 14,28 Euro.
Der Anspruch auf die geltend gemachten Verzugszinsen ergibt sich aus §§ 286, 288 Abs. 1 BGB.
Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Der Streitwert beträgt 1.014,75 Euro.