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Doppelter Auffahrunfall – Anscheinsbeweis gegen Auffahrenden

AG Kiel – Az.: 118 C 180/16 – Urteil vom 06.01.2017

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch die Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Der Streitwert wird auf 798,03 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall vom 08. Januar 2016 an der Ampelanlage Westring/IKEA in Kiel.

Beteiligt war der Zeuge S. in dem Fahrzeug der Klägerin, einem VW Tiguan mit dem amtlichen Kennzeichen und der PKW Renault Twingo mit dem amtlichen Kennzeichen, dessen Halterin die Beklagte zu 2) ist und der bei der Beklagten zu 1) haftpflichtversichert ist.

Der Zeuge S. befuhr mit dem Fahrzeug der Klägerin die A 215 in Richtung Westring, um an der Kreuzung in die Richtung Citti-Park / IKEA abbiegen zu können. Die sich hinter dieser Kreuzung befindende Lichtzeichenanlage wechselte von „grün“ auf „gelb“, woraufhin der vor dem klägerischen Fahrzeug fahrende Zeuge E mit seinem Fahrzeug stark abbremste.

Der dahinter fahrende Zeuge S. bremste daraufhin ebenfalls ab und rutsche sodann witterungsbedingt mit dem klägerischen Fahrzeug in das Fahrzeug des Zeugen E. hinein.

Die Beklagte zu 2) fuhr sodann auf das von dem Zeugen S. geführte Fahrzeug der Klägerin auf. Der weitere Unfallhergang ist streitig, dies betrifft insbesondere den Zeitabstand zwischen erster Kollision und dem Auffahren der Beklagten zu 2) auf das klägerische Fahrzeug.

Das klägerische Fahrzeug wurde bei dem Verkehrsunfall beschädigt, der entsprechende Schaden wird wie folgt beziffert:

1. Reparaturkosten (lt. Rechnung Autohaus, Anlage K1) 1.768,44 €

2. Unfallbedingte Wertminderung 200,00 €

3. Auslagenpauschale 25,00 €

4. Nutzungsausfallentschädigung für die Reparaturdauer vom 19.01.2016 bis 22.01.2016, 50,00 € pro Tag 200,00 €

Insgesamt: 2.193,44 €

Doppelter Auffahrunfall - Anscheinsbeweis gegen Auffahrenden
(Symbolfoto: Piyawat Nandeenopparit/Shutterstock.com)

Hierauf zahlte die Beklagte zu 1) unter Annahme einer 70%igen Haftung der Beklagten zu 2) in der Folgezeit an das Autohaus einen Betrag in Höhe von 1237,91 € und am 22.02.2016 einen Betrag in Höhe von 157,50 € auf die Nutzungsausfallentschädigung und die Auslagenpauschale.

Der so verbleibende Restbetrag (2.193,44 € – 1237,91 € – 157,50 €) wird vorliegend im Klageweg verfolgt.

Weiterhin begehrt die Klägerin für die vorgerichtliche Tätigkeit ihrer Prozessbevollmächtigten die Zahlung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 147,56 €.

Die Klägerin behauptet, die Beklagte zu 2) habe die Abbremsung des vor ihr fahrenden klägerischen Fahrzeugs zu spät bemerkt und sei daher mit nicht unerheblicher Geschwindigkeit auf eben dieses Fahrzeug aufgefahren.

Eine Kollision hätte vermieden werden können, wenn die Beklagte zu 2) witterungsbedingt einen größeren Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug eingehalten hätte.

Die Klägerin beantragt, die Beklagten gesamtschuldnerisch haftend zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 798,03 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf einen Betrag in Höhe von 755,53 € für den Zeitraum vom 18.02.2016 bis 22. Februar 2016 und auf einen Betrag in Höhe von 598,03 € ab dem 23.02.2016 und auf einen weiteren Betrag in Höhe von 200,00 € seit Rechtshängigkeit zu zahlen sowie eine Nebenforderung in Höhe von 147,56 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.

Sie meinen, dass ein Anspruch über den bereits ausgeglichenen Betrag hinaus nicht bestehe. Die Beklagte zu 2) sei durch das abrupte Abbremsen des Klägerfahrzeugs überrascht worden und fuhr daher unmittelbar gegen das Heck des klägerischen Fahrzeugs; hierbei sei ein erneute Aufschieben des Klägerfahrzeugs auf das Fahrzeug des Zeugen E. nicht verursacht worden.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den Akteninhalt, insbesondere auf die wechselseitig eingereichten Schriftsätze Bezug genommen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen S. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme sowie wegen der informatorischen Anhörung der Klägerin und der Beklagten zu 2) wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 18.10.2016 und vom 15.12.2016 Bezug genommen.

Die Klage ist den Beklagten am 03.05.2016 zugestellt worden.

Die Parteien haben übereinstimmend erklärt, dass sie auf eine Vernehmung des Zeugen E. für die 1. Instanz verzichten.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist hat in der Sache keinen Erfolg.

Die Klägerin hatte gegen die Beklagten zwar grundsätzlich einen Anspruch auf Zahlung gem. §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1, 2 StVG, 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG, 421 BGB, dieser ist jedoch im Ergebnis durch Erfüllung der Beklagten zu 1) erloschen.

Die Haftung der Parteien hängt gem. § 17 Abs. 1, 2 StVG von den Umständen ab, insbesondere davon, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Im Rahmen der Verursachungs- und Verschuldensanteile der Fahrer der beteiligten Fahrzeuge unter Berücksichtigung der von beiden Kraftfahrzeugen ausgehenden Betriebsgefahr sind dabei nach ständiger Rechtsprechung neben unstreitigen und zugestandenen Tatsachen nur bewiesene Umstände zu berücksichtigen, wobei auch die Regeln des Anscheinsbeweises Anwendung finden.

Aus diesem Geschehen ergibt sich unter Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensbeiträge der Parteien und der Berücksichtigung der Betriebsgefahren ihrer Fahrzeuge eine Haftungsquote von 30% zu Lasten der Klägerin und 70% zu Lasten der Beklagten.

Nach Würdigung des gesamten Parteivortrags, der Aussagen der Parteien im Rahmen der mündlichen Verhandlung und dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichts fest (§ 286 ZPO), dass der Zeuge S. mit dem klägerischen Fahrzeug zunächst auf den vorausfahrenden PKW des Zeugen E. aufgefahren ist und dann im Anschluss die Beklagte zu 2) wiederum auf den klägerischen PKW auffuhr.

Dieser Umstand entspricht den zwischen den Parteien unstreitigen Angaben nach der Beweisaufnahme und informatischen Anhörung zu dem Verkehrsunfallgeschehen.

Gegen die auffahrende Beklagte zu 2) streitet zunächst der Beweis des ersten Anscheins, die entweder den nötigen Sicherheitsabstand nicht eingehalten hat (§ 4 Abs. 1 StVO), mit unangepasster Geschwindigkeit fuhr (§ 3 Abs. 1 StVO) oder unaufmerksam war (§ 1 Abs. 2 StVO).

Diese Grundsätze zum Anscheinsbeweis können aber nur dann Anwendung finden, wenn sich unter Berücksichtigung aller unstreitigen und festgestellten Tatsachen und der besonderen Einzelheiten des individuellen Sachverhalts ein für die zu beweisende Tatsache nach der Lebenserfahrung typischer Geschehensablauf ergibt.

Wenn Besonderheiten gegen die bei derartigen Fallgestaltungen gegebene Typizität sprechen, reicht das Kerngeschehen „Auffahrunfall“ als Grundlage für den Anscheinsbeweis nicht aus.

Wenn der Vorausfahrende – so wie hier – seinerseits auf das vor ihm befindliche Fahrzeug auffährt (Serien- oder Kettenauffahrunfall), liegt ein atypisches Anhalten vor, sodass für die Annahme eines typischen Geschehensablaufs kein Raum bleibt.

Die Frage nach der Entkräftung des Anscheinsbeweises kann sich dementsprechend nicht stellen (vgl. hierzu: OLG Düsseldorf, Urt. v. 22.12.1997 – 1 U 64/97 und KG Berlin, Urt. v. 06.07.1995 – 12 U 1976/94).

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist zwischen den Parteien unstreitig, dass vorliegend nicht nur von einem Aufschiebe-, sondern von einem doppelten Auffahrunfall auszugehen ist.

Im Verhältnis zwischen den beiden Fahrzeugen der Klägerin und der Beklagten zu 2) ist daher zu berücksichtigen, dass durch das vorangegangene Auffahren der Klägerin bzw. des Zeugen S. der zur Verfügung stehende Bremsweg der Beklagten zu 2) verkürzt worden ist.

Es erscheint daher angemessen, den Haftungsanteil der auffahrenden Beklagten zu 2) mit 70 Prozent anzusetzen.

Die Haftung der Parteien untereinander ist nicht gem. § 17 Abs. 3 StVG ausgeschlossen. Der Unfall stellt für keine der beiden Seiten ein unabwendbares Ereignis gem. § 17 Abs. 3 StVG dar. Ein solches Ereignis, das weder auf einem Fehler in der Beschaffenheit des Fahrzeugs noch auf einem Versagen seiner Vorrichtungen beruhen darf, liegt nur dann vor, wenn sowohl der Halter als auch der Führer des Fahrzeugs jede nach den Umständen des Falles gebotene äußerst mögliche Sorgfalt beobachtet hat.

Dazu gehört sachgemäßes, geistesgegenwärtiges Handeln über den gewöhnlichen und persönlichen Maßstab hinaus, kurzum das Verhalten eines „Idealfahrers“.

Diesen Verhaltensanforderungen sind die Parteien aufgrund der bereits benannten wechselseitigen Verstöße nicht gerecht geworden.

Der von der Klägerin bezifferte Schaden wurde bereits auf Grundlage dieser Haftungsquote von der Beklagten zu 1) ausgeglichen, sodass Erfüllung gem. § 362 BGB eingetreten ist.

Ein Anspruch auf (anteilige) merkantile Wertminderung besteht ebenfalls nicht.

Auch auf Grundlage einer angenommenen Haftung der Beklagten zu 2) von 70% fehlt es vorliegend an den notwendigen Voraussetzungen zur Schätzung eines merkantilen Minderwertes nach der vom Gericht präferierten Methode nach Ruhkopf/Sahm, da auch auf Grundlage der DEKRA-Reparaturkostenkalkulation ein Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs nicht bekannt ist.

Diesbezüglich erübrigte sich auch ein Hinweis des Gerichts, da auf diesen Umstand die klägerische Partei schon von dem Beklagtenvertreter mit Schriftsatz vom 31.05.2016 hingewiesen wurde.

Der von der Klägerin begehrte Anspruch auf Ersatz von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten ist ebenfalls durch Erfüllung bereits erloschen.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus § 91 Abs. 1 S. 1, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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