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Verkehrsunfall zwischen Schienenbahn und LKW-Gespann – Haftungsverteilung

LKW-Unfall mit Saarbahn: OLG Saarbrücken entscheidet zugunsten beider Seiten

In der rechtlichen Auseinandersetzung um Verkehrsunfälle, insbesondere bei Kollisionen zwischen unterschiedlichen Fahrzeugarten wie Schienenbahnen und Lastkraftwagen, steht oftmals die Frage der Haftungsverteilung im Vordergrund. Diese Konstellationen werfen komplexe juristische Fragestellungen auf, die sowohl das Verkehrsrecht als auch das Schadensersatzrecht betreffen. Im Kern geht es dabei um die Klärung, inwieweit die beteiligten Parteien für den entstandenen Schaden verantwortlich sind und wie sich Verkehrsverstöße und Verursachungsbeiträge auf die Schadensregulierung auswirken.

Die Bewertung solcher Fälle erfordert eine detaillierte Betrachtung des Unfallgeschehens, der Einhaltung von Verkehrsvorschriften und der jeweiligen Verursachungsbeiträge. Insbesondere bei Unfällen, die im Zusammenhang mit dem Betrieb von Schienenbahnen stehen, sind spezielle Regelungen zu beachten. Diese können sich auf die Haftungsverteilung erheblich auswirken und erfordern eine sorgfältige juristische Analyse, um gerechte und angemessene Schadensersatzansprüche zu bestimmen.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 3 U 10/23  >>>

Das Wichtigste in Kürze


Das Oberlandesgericht Saarbrücken hat in einem Fall eines Verkehrsunfalls zwischen einer Schienenbahn und einem LKW-Gespann eine hälftige Haftungsverteilung zwischen den beteiligten Parteien festgestellt, wobei sowohl das Fehlverhalten des LKW-Fahrers als auch das des Schienenbahnführers berücksichtigt wurde.

Zentrale Punkte aus dem Urteil:

  1. Gegenseitiges Verschulden: Sowohl der LKW-Fahrer als auch der Schienenbahnführer haben zur Unfallursache beigetragen.
  2. Verstoß gegen Verkehrsvorschriften: Der LKW-Fahrer verletzte § 2 Abs. 3 StVO, indem er die Schienenbahntrasse befahren hat, obwohl eine sichere Vorbeifahrt nicht möglich war.
  3. Fehlverhalten des Schienenbahnführers: Der Schienenbahnführer reduzierte nicht rechtzeitig die Geschwindigkeit, obwohl er die Gefahr eines Zusammenstoßes erkennen konnte.
  4. Haftungsverteilung: Das Gericht entschied auf eine hälftige Haftungsverteilung, da beide Parteien gleichermaßen zum Unfall beigetragen haben.
  5. Schadensersatzforderungen: Verschiedene Schadensersatzforderungen wurden geltend gemacht, einschließlich Abschleppkosten und Kasko-Selbstbehalt.
  6. Ablehnung bestimmter Forderungen: Das Gericht lehnte einige Schadensersatzforderungen ab, darunter Versicherungskosten und Leasingraten, da sie nicht direkt durch den Unfall verursacht wurden.
  7. Vorläufige Vollstreckbarkeit: Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
  8. Keine Zulassung der Revision: Eine Revision gegen dieses Urteil wurde nicht zugelassen.

Das komplexe Urteil im Fall des Verkehrsunfalls zwischen Schienenbahn und LKW

Am 28. Juli 2023 erging ein richtungsweisendes Urteil des Oberlandesgerichts Saarbrücken, Az.: 3 U 10/23, das einen komplizierten Verkehrsunfall zwischen einem LKW-Gespann und einer Schienenbahn betrifft. Die rechtliche Auseinandersetzung dreht sich um die Haftungsverteilung nach dem Zusammenstoß, der sich am 8. November 2017 in Saarbrücken ereignete. Im Zentrum des Geschehens stand der Drittwiderbeklagte zu 2, der mit einem von der Klägerin geleasten LKW samt Anhänger die Lebacher Straße befuhr. Beim Versuch, an einem zum Entladen abgestellten LKW vorbeizufahren, geriet er auf die Trasse der Saarbahn, wodurch es zum Zusammenstoß mit einem Saarbahnzug kam. Dieser Unfall führte zu umfangreichen Schäden an Fahrzeugen und Verkehrseinrichtungen sowie zu Verletzungen mehrerer Personen.

Schadensersatzansprüche und rechtliche Komplexität

 LKW-Unfall mit Saarbahn: 50:50-Haftung
(Symbolfoto: TLF /Shutterstock.com)

Die Klägerin, unterstützt durch ihren Kaskoversicherer (die Drittwiderbeklagte zu 3), forderte von der Beklagten Schadensersatz. Die Forderungen umfassten diverse Posten wie Abschleppkosten, Kasko-Selbstbehalt, Lohnfortzahlung und weitere Kosten, die durch die Verlängerung des Leasingvertrags für ein Ersatzfahrzeug entstanden waren. Interessanterweise vertraten sowohl die Klägerin als auch die Beklagte die Ansicht, dass die jeweils andere Seite allein für den Unfall verantwortlich sei. Das Landgericht Saarbrücken hatte in erster Instanz eine Mithaftung der Klägerseite im Umfang von zwei Dritteln angenommen und entsprechend Schadensersatzansprüche zugesprochen.

Juristische Bewertung des Unfallgeschehens

Die Kernproblematik in diesem Fall lag in der richtigen Bewertung des Unfallgeschehens und der damit verbundenen Haftungsverteilung. Insbesondere stand die Frage im Raum, inwieweit der Drittwiderbeklagte zu 2 gegen Verkehrsvorschriften verstoßen hatte, indem er mit dem LKW auf die Trasse der Saarbahn fuhr, und wie dies im Kontext der Haftungsverteilung zu bewerten ist. Das Gericht stellte fest, dass der Drittwiderbeklagte zu 2 gegen § 2 Abs. 3 StVO verstoßen hatte, da er der Schienenbahn nicht den erforderlichen lichten Raum zur Durchfahrt ließ. Des Weiteren wurde geprüft, ob der Fahrer des Saarbahnzugs rechtzeitig hätte bremsen müssen, um den Unfall zu vermeiden.

Haftungsverteilung und gerichtliche Entscheidung

Das Oberlandesgericht Saarbrücken entschied, dass sowohl der Drittwiderbeklagte zu 2 als auch der Fahrer des Saarbahnzugs ein Mitverschulden trugen. Beide Seiten hatten in signifikantem Maße zum Unfall beigetragen, was zu einer Haftungsverteilung von jeweils 50 Prozent führte. Die Haftungsquote beeinflusste unmittelbar die Höhe der Schadensersatzansprüche. Das Gericht nahm auch Stellung zu den verschiedenen Schadensersatzpositionen und lehnte einige Ansprüche ab, da sie nicht schlüssig dargelegt oder nicht ersatzfähig waren.

Insgesamt präsentiert dieses Urteil ein lehrreiches Beispiel für die Komplexität der Haftungsverteilung bei Verkehrsunfällen, insbesondere wenn unterschiedliche Fahrzeugtypen beteiligt sind. Die Entscheidung betont die Wichtigkeit einer genauen Betrachtung jedes einzelnen Aspekts eines Falles und zeigt, wie verschiedene Faktoren wie Verursachungsbeiträge und Verkehrsvorschriften in die rechtliche Bewertung einfließen.

Wichtige Begriffe kurz erklärt


Welche Rolle spielt das „Quotenvorrecht“ nach § 86 Abs. 1 VVG in der Schadensregulierung?

Das Quotenvorrecht nach § 86 Abs. 1 VVG (Versicherungsvertragsgesetz) spielt eine wichtige Rolle in der Schadensregulierung bei Verkehrsunfällen in Deutschland, insbesondere wenn der Geschädigte eine Vollkaskoversicherung abgeschlossen hat und eine Mithaftung für den Unfall trägt. Das Quotenvorrecht besagt, dass die Ansprüche des Versicherungsnehmers (Geschädigten) auf den Versicherer übergehen, soweit dieser den Schaden ersetzt. Allerdings schränkt § 86 Abs. 1 Satz 2 VVG das Recht des Kaskoversicherers ein und regelt, dass der Übergang der Ansprüche auf den Kaskoversicherer nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers geltend gemacht werden kann.

In der Praxis bedeutet dies, dass der geschädigte Versicherungsnehmer das Recht des ersten Zugriffs auf die Ersatzleistung des Schädigers hat. Erst wenn sein gesamter Restschaden ausgeglichen ist, kommt der Versicherer zum Zuge. Durch das Quotenvorrecht erhält der Geschädigte im Beispiel seinen Fahrzeugschaden ersetzt, obwohl er zu 2/3 für die Folgen des Unfalls haftet.

Das Quotenvorrecht kann auch bei Kfz-Mietverträgen zur Anwendung kommen, wenn eine Haftungsbefreiung mit Selbstbeteiligung des Mieters für Schäden am Mietfahrzeug „nach den Grundsätzen einer Vollkaskoversicherung“ vereinbart worden ist und Ansprüche gegenüber Dritten bestehen.


Das vorliegende Urteil

Oberlandesgericht Saarbrücken – Az.: 3 U 10/23 – Urteil vom 28.07.2023

I. Auf die Berufung der Klägerin und der Drittwiderbeklagten wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 22.4.2022 – 5 O 155/18 – unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 3.809,12 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 19.9.2018 zu zahlen sowie außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 453,86 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 15.11.2018 zu erstatten.

2. Auf die Widerklage werden die Klägerin und die Drittwiderbeklagten als Gesamtschuldner verurteilt, an die Beklagte 6.516,85 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 7.2.2019 zu zahlen.

3. Auf die Wider-Widerklage werden die Beklagte und der Drittwider-Widerbeklagte als Gesamtschuldner verurteilt, an die Drittwiderbeklagte zu 3 14.320,65 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 9.3.2019 zu zahlen

4. Im Übrigen werden die Klage, die Widerklage und die Wider-Widerklage abgewiesen.

II. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden wie folgt verteilt: Von den Gerichtskosten tragen die Klägerin sowie die Drittwiderbeklagten als Gesamtschuldner 20 %, die Klägerin alleine weitere 11 %, die Drittwiderbeklagte zu 3 alleine weitere 48 %, die Beklagte und der Drittwider-Widerbeklagte als Gesamtschuldner 6 % und die Beklagte alleine weitere 15 %. Die Beklagte trägt 17 % der außergerichtlichen Kosten der Klägerin und 25 % der außergerichtlichen Kosten des Drittwiderbeklagten zu 2. Von den außergerichtlichen Kosten der Drittwiderbeklagten zu 3 tragen die Beklagte und der Drittwider-Widerbeklagte als Gesamtschuldner 17 % und die Beklagte alleine weitere 7 %. Von den außergerichtlichen Kosten der Beklagten tragen die Klägerin und die Drittwiderbeklagten als Gesamtschuldner 7 %, die Klägerin alleine weitere 13 % und die Drittwiderbeklagte zu 3 alleine weitere 55 %. Die Drittwiderbeklagte zu 3 trägt ferner 75 % der außergerichtlichen Kosten des Drittwider-Widerbeklagten. Im Übrigen findet eine Kostenerstattung nicht statt.

Hinsichtlich der Kosten der ersten Instanz gilt: Von den Gerichtskosten tragen die Klägerin sowie die Drittwiderbeklagten als Gesamtschuldner 13 %, die Klägerin alleine weitere 8 %, die Drittwiderbeklagte zu 3 alleine weitere 32 %, die Beklagte und der Drittwider-Widerbeklagte als Gesamtschuldner 27 % und die Beklagte alleine weitere 20 %. Die Beklagte trägt 50 % der außergerichtlichen Kosten der Klägerin und 50 % der außergerichtlichen Kosten des Drittwiderbeklagten zu 2. Von den außergerichtlichen Kosten der Drittwiderbeklagten zu 3 tragen die Beklagte und der Drittwider-Widerbeklagte als Gesamtschuldner 32 % und die Beklagte alleine weitere 15 %. Von den außergerichtlichen Kosten der Beklagten tragen die Klägerin und die Drittwiderbeklagten als Gesamtschuldner 12 %, die Klägerin alleine weitere 7 % und die Drittwiderbeklagte zu 3 alleine weitere 32 %. Die Drittwiderbeklagte zu 3 trägt ferner 54 % der außergerichtlichen Kosten des Drittwider-Widerbeklagten. Im Übrigen findet eine Kostenerstattung nicht statt.

III. Dieses Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Parteien streiten über Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall am 8.11.2017 in Saarbrücken.

Der Drittwiderbeklagte zu 2 befuhr mit einem von der Klägerin gehaltenen und von dieser geleasten LKW samt Anhänger die Lebacher Straße in Richtung Innenstadt. Bei dem Versuch, mit dem LKW-Gespann an einem am rechten Fahrbahnrand zum Entladen abgestellten LKW vorbeizufahren, fuhr er mit den Rädern der Fahrerseite auf die in der Fahrbahnmitte erhöht verlaufende Trasse der Saarbahn. Dort kam das LKW-Gespann zum Stehen, weil die Vorbeifahrt an dem anderen LKW durch im Bereich der Einmündung Schillstraße am – aus Sicht des Drittwiderbeklagten zu 2 – rechten Rand der Saarbahntrasse aufgestellte Poller verhindert wurde. Ein ebenfalls in Richtung Innenstadt fahrender Saarbahnzug der Beklagten, der von dem Drittwider-Widerbeklagten zu 2 (im Folgenden der Einfachheit halber Beklagter zu 2) gefahren wurde, stieß sodann gegen die hintere linke Ecke des LKW, die im Kollisionszeitpunkt in den Fahrraum der Bahn hineinragte. Bei dem Unfall wurden neben dem LKW der Klägerin und dem Saarbahnzug noch weitere Fahrzeuge sowie Verkehrseinrichtungen beschädigt, außerdem wurden mehrere Personen verletzt.

Die Klägerin, die den Fahrzeugschaden über ihren Kaskoversicherer, die Drittwiderbeklagte zu 3, regulierte, hat von der Beklagten Schadensersatz gefordert, der sich wie folgt zusammensetzt:

Abschleppkosten LKW: 930,00 Euro

Kasko-Selbstbehalt: 1.000,00 Euro

Kostenpauschale: 25,00 Euro

Lohnfortzahlung für Drittwiderbeklagte zu 2: 1.833,33 Euro

Leasingrate 8.-30.11.2017: 1.330,34 Euro

Versicherungsbeiträge für 22 Tage: : 194,09 Euro

Mehrkosten infolge der Verlängerung des Leasingvertrags für ein anderes Fahrzeug: 2.448,68 Euro

Die Klägerin und die Drittwiderbeklagten haben behauptet, der Drittwiderbeklagte zu 2 habe erst festgestellt, dass eine Weiterfahrt wegen der Poller nicht möglich sei, als er sich mit seinem Gespann schon neben dem anderen LKW befunden habe. Er habe daher abwarten müssen, bis dessen Fahrer mit dem Entladen fertig gewesen und losgefahren sei. Der andere LKW habe sodann direkt wieder angehalten, weil die Ampel an der Einmündung Schillstraße Rotlicht gezeigt habe. Zu diesem Zeitpunkt habe der Drittwiderbeklagte zu 2 weder vorwärts noch – aufgrund des hinter ihm entstandenen Rückstaus – rückwärts fahren können.

Die Beklagten haben vorgetragen, der Beklagte zu 2 habe, als er die Gefahrensituation erkannt habe, unverzüglich eine Gefahrenbremsung eingeleitet, die Kollision aber nicht mehr verhindern können.

Mit der Widerklage hat die Beklagte von der Klägerin und den Drittwiderbeklagten Schadensersatz wegen von ihr ausgeglichener Drittansprüche verlangt. Im Einzelnen:

Kosten für beschädigten Laternenmast: 7.027,72 Euro

Kosten Feuerwehreinsatz: 1.043,00 Euro

Schäden an unfallbeteiligtem Pkw BMW: 4.354,10 Euro

Zahlung an AOK für verletzten Fahrgast: 80,33 Euro

Schmerzensgeldzahlung: 528,54 Euro

Die Drittwiderbeklagte zu 3 hat im Rahmen der Wider-Widerklage aus übergegangenem Recht (§ 86 Abs. 1 VVG) folgenden Schadensersatzanspruch gegenüber den Beklagten geltend gemacht:

Kaskoschaden der Klägerin

(Wiederbeschaffungswert abzgl. Restwert u. Selbstbehalt): 28.900,00 Euro

Kosten für beschädigte Verkehrsschilder: 164,29 Euro

Akteneinsichtskosten: 12,00 Euro

Schäden an unfallbeteiligtem Pkw Opel: 1.495,00 Euro

Die Parteien gehen bei ihren Forderungsberechnungen jeweils von einer Alleinhaftung des Unfallgegners aus.

Das Landgericht hat – bei Annahme einer Mithaftung der Klägerseite im Umfang von 2/3 – die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 3.809,12 Euro sowie vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 453,86 Euro, jeweils nebst Zinsen, zu zahlen. Auf die Widerklage hat es die Klägerin und die Drittwiderbeklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung von 8.689,13 Euro nebst Zinsen an die Beklagte verurteilt und auf die Wider-Widerklage die Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung von 8.903,76 Euro nebst Zinsen an die Drittwiderbeklagte zu 3. Im Übrigen hat es die Klage und die (Wider-)Widerklagen abgewiesen. Auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil wird gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO ergänzend Bezug genommen.

Mit der Berufung verfolgen die Klägerin und die Drittwiderbeklagten ihre erstinstanzlichen Klageziele weiter. Sie wenden sich im Wesentlichen gegen die Haftungsverteilung und machen geltend, das Landgericht habe zu Unrecht einerseits einen Verstoß des Drittwiderbeklagten zu 2 gegen § 2 Abs. 3 StVO und § 12 Abs. 4 Satz 5 StVO bejaht und andererseits auf Seiten des Beklagten zu 2 nur einen leichten Verursachungsbeitrag angenommen, obwohl dieser durch rechtzeitiges Abbremsen den Zusammenstoß ohne weiteres hätte verhindern können.

Die Klägerin und die Drittwiderbeklagten beantragen, unter Aufhebung des Urteils des Landgerichts vom 22.4.2022

1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 7.761,44 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19.9.2018 sowie an außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten 612,80 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.11.2018 zu zahlen;

2. die Widerwiderbeklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Wider-Widerklägerin 31.123,45 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 9.3.2019 zu zahlen;

3. die Widerklage und Drittwiderklage abzuweisen.

Die Beklagten beantragen die Zurückweisung der Berufung.

Wegen des Sach- und Streitstands im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung ist teilweise begründet.

1. Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Beklagtenseite grundsätzlich gemäß §§ 1, 13 HPflG für die Folgen des streitgegenständlichen Unfalls einzustehen hat, weil der Unfallschaden bei dem Betrieb einer Schienenbahn entstanden ist, der Unfall nicht auf höhere Gewalt zurückzuführen ist und für den Beklagten zu 2 kein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 13 Abs. 3 HPflG darstellt. Es hat ferner angenommen, dass die Klägerseite gemäß §§ 7, 17, 18 StVG i.V.m. § 115 VVG ebenfalls eine Einstandspflicht für das Unfallereignis trifft im Hinblick darauf, dass der Schaden gleichermaßen bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs entstanden ist und auch für den Drittwiderbeklagten zu 2 weder höhere Gewalt noch ein unabwendbares Ereignis im Sinne von § 17 Abs. 3 StVG vorlag. Hiergegen werden mit der Berufung keine Einwände erhoben.

2. Der Umfang der Ersatzpflicht nach einem Verkehrsunfall mit mehreren Beteiligten hängt allgemein von einer Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge ab. Dabei ist in erster Linie das Maß der Verursachung, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben, von Belang, wobei ein Faktor bei der Abwägung das beiderseitige Verschulden ist (vgl. BGH, Urteil vom 22.11.2022 – VI ZR 344/21, juris Rn. 11). Diese Grundsätze beanspruchen auch für die Haftungsabwägung beim Unfall einer Schienenbahn mit einem Kraftfahrzeug Geltung. In diesem Fall sind die § 7 Abs. 1, § 17 Abs. 1, 2, 4 StVG, § 1 Abs. 1, § 13 Abs. 1, 2, 4 HPflG nebeneinander anwendbar (vgl. BGH, Urteil vom 11.6.2013 – VI ZR 150/12, juris Rn. 10).

Hiervon ist auch das Erstgericht zutreffend ausgegangen. Seine Auffassung, den Drittwiderbeklagten zu 2 treffe ein größeres Verschulden an dem Unfall als den Beklagten zu 2, wird jedoch von der Berufung mit Recht beanstandet.

a) Der Drittwiderbeklagte zu 2 hat gegen § 2 Abs. 3 StVO verstoßen.

Nach dieser Vorschrift müssen Fahrzeuge, die in der Längsrichtung einer Schienenbahn verkehren, diese soweit möglich durchfahren lassen. Der Vorrang gegenüber anderen Fahrzeugen rechtfertigt sich durch die betriebsbedingten Besonderheiten einer Schienenbahn, vor allem ihre Schienengebundenheit und ihre schwere Bremsfähigkeit, die ein besonderes Maß an Rücksichtnahme durch die anderen Verkehrsteilnehmer erfordern (BGH, Urteil vom 6.2.1962 – VI ZR 244/60, NJW 1962, 860, 861; OLG Düsseldorf, Urteil vom 5.12.2017 – I-1 U 33/17, juris Rn. 27). Diese müssen insbesondere der Schienenbahn genügend lichten Raum zur Durchfahrt lassen (OLG Karlsruhe, Urteil vom 20.12.1995 – 1 U 119/95, VersR 1997, 333; König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 47. Aufl., § 2 StVO Rn. 64). Im Streitfall stand der Saarbahn der für die Durchfahrt benötigte Raum nicht zur Verfügung, denn andernfalls wäre es nicht zum Zusammenstoß mit dem klägerischen LKW gekommen.

Zwar ist der Vorrang der Schienenbahn nach dem Gesetzeswortlaut („soweit möglich“) nicht unbegrenzt. Er besteht aber jedenfalls dann, wenn er bei verkehrsgerechtem Verhalten eingeräumt werden kann (OLG Karlsruhe, a.a.O.). Das war hier der Fall, wobei dahinstehen kann, ob der Drittwiderbeklagte zu 2 – wie die Klägerseite behauptet – in der unmittelbar vorkollisionären Situation weder vor noch zurück fahren konnte in Anbetracht des vor seinem LKW stehenden, durch das Rotlicht der Ampel an der Weiterfahrt gehinderten anderen LKW und in Anbetracht des Rückstaus, der sich hinter seinem Gespann gebildet hatte. Selbst wenn es dem Drittwiderbeklagten zu 2 aufgrund der Verkehrssituation objektiv unmöglich gewesen sein sollte, den LKW noch rechtzeitig vor dem Herannahen der Saarbahn aus deren Lichtraum herauszulenken, wäre das deshalb unerheblich, weil sein verkehrswidriges Verhalten bereits zu einem deutlich früheren Zeitpunkt begann.

Der Drittwiderbeklagte zu 2 ist nämlich mit den linken Reifen seines Gespanns über den Bordstein auf die Saarbahntrasse gefahren, obwohl eine Vorbeifahrt an dem am rechten Fahrbahnrand haltenden anderen LKW, den er passieren wollte, von vornherein zum Scheitern verurteilt war aufgrund der im weiteren Trassenverlauf im Einmündungsbereich zur Schillstraße aufgestellten Poller.

Dabei kann unterstellt werden, dass die Poller zunächst durch den anderen LKW verdeckt waren und dass der Drittwiderbeklagte zu 2 die Undurchführbarkeit seines Vorhabens erst realisierte, als er sich mit dem LKW-Gespann bereits teilweise auf der Saarbahntrasse befand. Das lässt den Verkehrsverstoß indes nicht entfallen. Denn es war für den Drittwiderbeklagten zu 2 offensichtlich, dass eine gefahrlose und zügige Vorbeifahrt an dem anderen LKW – zumal mit einem Gespann – im Hinblick auf die beengten Straßenverhältnisse durch die in der Fahrbahnmitte verlaufende Saarbahntrasse nicht ohne weiteres möglich sein würde. Das gilt umso mehr, als der Drittwiderbeklagte zu 2 dem Klägervortrag zufolge zuvor schon so lange hinter dem anderen LKW gewartet hatte, dass die Fahrzeuge hinter ihm zu hupen begannen. Er hatte also ausreichend Zeit, um sich einen Überblick über die Verkehrssituation zu verschaffen, und brauchte nicht spontan zu handeln. Durch Missfallensbekundungen anderer Verkehrsteilnehmer durfte sich der Drittwiderbeklagte zu 2 nicht zu einem risikoreichen Fahrmanöver veranlasst sehen.

Von ihm konnte daher erwartet werden, dass er sich zunächst, gegebenenfalls durch Aussteigen aus dem LKW, vergewisserte, ob eine Vorbeifahrt überhaupt möglich sein würde, bevor er seine Fahrt fortsetzte. In diesem Fall hätte er sogleich bemerkt, dass dies nicht der Fall war und er das Freimachen der Fahrbahn durch den anderen LKW abwarten musste.

Sodann hat der Drittwiderbeklagte zu 2 sich ein weiteres Mal verkehrswidrig verhalten, als er das nach dem Überfahren der Saarbahntrasse zunächst relativ parallel zu den Schienen stehende Gespann durch Einlenken in eine Stellung verbrachte, in der die hintere linke Ecke der Zugmaschine – wenn auch gemäß den Feststellungen des Sachverständigen nur wenige Zentimeter bis Dezimeter – in den Fahrraum der Saarbahn hineinragte. Zwar mag das Lenkmanöver von dem Willen getragen gewesen sein, die Saarbahntrasse zu räumen, nachdem der andere LKW im Anschluss an die Beendigung des Entladevorgangs wieder angefahren war. Dem Drittwiderbeklagten zu 2 musste gleichwohl bewusst sein, dass jedwedes Einlenken die Gefahr in sich barg, dass LKW und/oder Anhänger weiter in die Saarbahntrasse hineinragen würde. Ihm musste sich zudem die Möglichkeit aufdrängen, dass der andere LKW nach dem Anfahren – sei es wegen der an der Einmündung Schillstraße befindlichen Ampel oder aus anderen Gründen – direkt wieder zum Anhalten gezwungen sein würde mit der Folge, dass auch der klägerische LKW in seiner Position würde verharren müssen. Dazu kam es dann auch. Spätestens in dieser Situation wäre der Drittwiderbeklagte zu 2 ferner gehalten gewesen, durch das Einschalten des Warnblinklichts oder durch andere geeignete Maßnahmen auf die Gefahrenlage aufmerksam zu machen. Hierfür ist nichts ersichtlich.

Einem Verstoß gegen § 2 Abs. 3 StVO steht schließlich nicht entgegen, dass – wovon mangels gegenteiligen Sachvortrags auszugehen ist – zu der Zeit, als der LKW erstmals auf die Trasse gelangte, noch kein Saarbahnzug zu sehen war. Zwar schließt § 2 Abs. 3 StVO eine Mitbenutzung der Schienen durch andere Verkehrsteilnehmer nicht generell aus. Der durch die Regelung geschützte Vorrang des Schienenverkehrs ist dann nicht beeinträchtigt, wenn und solange die Gewährleistung einer freien Durchfahrt nicht erforderlich ist, etwa weil bei gut einsehbarem Schienenverlauf auch in einiger Entfernung („weit und breit“) keine herannahende Schienenbahn zu sehen ist (vgl. KG, Urteil vom 25.4.1994 – 12 U 6280/93, juris Rn. 15). Im Zweifel müssen die Schienen jedoch freibleiben (König in Hentschel/König/Dauer, a.a.O., Rn. 65). Im Streitfall war absehbar, dass die Vorbeifahrt mit einem Gespann an dem anderen LKW einige Zeit in Anspruch nehmen würde und dass für den Fall des Herannahens eines Saarbahnzuges der Trassenbereich auch nicht unverzüglich würde geräumt werden können.

b) Entgegen der Auffassung des Landgerichts hat der Drittwiderbeklagte zu 2 nicht zusätzlich gegen § 12 Abs. 4 Satz 5 StVO verstoßen. Die Norm verbietet das Halten im Fahrraum von Schienenfahrzeugen. Halten meint dabei jede gewollte Fahrtunterbrechung, die nicht durch die Verkehrslage oder eine Anordnung, etwa nach §§ 36, 37, 38 oder 41 StVO, veranlasst ist (König in Hentschel/König/Dauer, a.a.O., § 12 StVO Rn. 19; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 30. Dezember 1999 – 2b Ss (Owi) 221/99, juris Rn. 10). Es setzt voraus, dass der Fahrzeugführer das Fahrzeug freiwillig und bewusst zum Stehen zu bringt, um es für kürzere oder längere Zeit aus dem fließenden Verkehr herauszunehmen (Geigel/Freymann, Haftpflichtprozess, 28. Aufl., Kap. 27 Rn. 331). Daran fehlt es hier. Der Drittwiderbeklagte zu 2 musste den Lastzug deshalb zum Stehen bringen, weil der davor am rechten Fahrbahnrand stehende andere LKW die Fahrbahn teilweise versperrte und eine Weiterfahrt verhinderte. Dieses Anhalten war verkehrsbedingt und somit kein Halten im Sinne von § 12 Abs. 4 Satz 5 StVO (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 21. März 2001 – 13 U 216/00, juris Rn. 19).

c) Den Verursachungsbeitrag des Beklagten zu 2 hat das Landgericht zutreffend darin gesehen, dass dieser den Saarbahnzug nicht bereits zu einem früheren Zeitpunkt abgebremst hat. Zwar darf ein Schienenbahnführer grundsätzlich darauf vertrauen, dass andere Verkehrsteilnehmer die gegenüber Schienenbahnen aus § 2 Abs. 3 und § 9 Abs. 3 StVO folgenden Verhaltensgebote beachten. Er ist mit Rücksicht auf die Fahrgäste der Bahn auch nicht gehalten, vorsorglich eine Vollbremsung durchzuführen, sobald ein Pkw in einiger Entfernung auf die Schienen fährt (vgl. etwa Müther in Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl. [Stand: 1.6.2023], § 2 StVO Rn. 49 m.w.N.). Das Vertrauen, die übrigen Verkehrsteilnehmer werden den Vorrang der Schienenbahn beachten, ist aber jedenfalls ab dem Zeitpunkt nicht mehr berechtigt, in dem sich die Gefahr einer Kollision aufdrängt und eine rechtzeitige Räumung des Schienenbereichs unwahrscheinlich ist oder die Schienenbahn sich einer unklaren Verkehrssituation nähert. In diesem Fall ist der Schienenbahnführer erforderlichenfalls zur Einleitung einer Schnellbremsung verpflichtet (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 13.4.2018 – I-7 U 36/17, juris Rn. 63; OLG Celle, Urteil vom 27.11.2018 – 14 U 59/18, juris Rn. 31; OLG Dresden, Urteil vom 9.7.2019 – 4 U 333/19, Rn. 8 juris).

Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Landgerichts, das sich dabei auf das erstinstanzlich eingeholte Sachverständigengutachten gestützt hat, war für den Beklagten zu 2 in der Annäherungsphase spätestens ab einer Entfernung von 60 bis 70 Metern zum späteren Kollisionsort erkennbar, dass der klägerische LKW sich im Bereich der Saarbahntrasse befand. Der Senat folgt der Auffassung des Landgerichts, dass der Beklagte zu 2 bereits zu diesem Zeitpunkt die Geschwindigkeit der Saarbahn hätte reduzieren müssen, da sich die Verkehrslage aus seiner Sicht unklar darstellte. Für den Beklagten zu 2 war weder erkennbar, was der Grund für das Befahren des Trassenbereichs durch den LKW war, noch dass dieser vor der Ankunft der Saarbahn die Trasse wieder geräumt haben würde. Gerade unter Berücksichtigung der in der Berufungserwiderung hervorgehobenen Sturz- und Verletzungsrisiken, die bei einer plötzlichen Gefahrenbremsung für die Fahrgäste bestehen können, war in der konkreten Situation ein (gegebenenfalls auch nur vorsorgliches) Abbremsen erforderlich.

Wie das Landgericht weiter festgestellt hat, hätte bei einer in einer Entfernung von 60 bis 70 Metern vorgenommenen Geschwindigkeitsverringerung und einem stärkeren Abbremsen in der weiteren Annäherung der Zusammenstoß vermieden werden können, ohne dass eine Gefahrenbremsung erforderlich geworden wäre. Der Beklagte zu 2 hat indes selbst die letztmögliche, in einer Entfernung von 25 bis 28 Metern zum Unfallort gegebene Möglichkeit, die Kollision durch eine Gefahrenbremsung noch zu vermeiden, verstreichen lassen, obwohl jedenfalls in einer Entfernung von 30 Metern erkennbar war, dass die Vorbeifahrt günstigstenfalls äußerst eng erfolgen, möglicherweise aber auch nicht ohne Kontakt mit dem LKW möglich sein würde.

Der Beklagte zu 2, der erst etwa zehn Meter vor dem Stillstand eine stärkere Bremsung und rund vier Meter vor der Endstandsposition eine Gefahrenbremsung durchführte (vgl. Seite 44 des Gutachtens vom 23.12.2020), hat mithin durch sein zögerliches Bremsverhalten maßgeblich zu der Kollision beigetragen, die bei vorausschauender Geschwindigkeitsreduzierung und/oder Bremsung hätte vermieden werden können.

d) Im Rahmen der Haftungsabwägung wiegt das Mitverschulden des Beklagten zu 2 im Ergebnis genauso schwer wie das des Drittwiderbeklagten zu 2. Dessen Entschluss, mit seinem LKW-Gespann den Bereich der Saarbahntrasse zu befahren, ohne dass klar war, dass er diesen würde zügig wieder verlassen können, erwies sich zwar als in hohem Maße verkehrswidrig. Dem Drittwiderbeklagten zu 2 ist jedoch subjektiv zugute zu halten, dass die Saarbahn jedenfalls zu Beginn des Fahrmanövers – bei von der Unfallstelle aus betrachtet relativ geradem und gut einsehbarem Straßen- bzw. Schienenverlauf – noch nicht sichtbar war (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 5.12.2017 – I-1 U 33/17, juris Rn. 27). Demgegenüber begab der Beklagte zu 2 sich sehenden Auges mit dem Saarbahnzug in eine völlig unklare, spätestens aus 60 bis 70 Metern Entfernung als solche erkennbare Verkehrslage. Insbesondere durfte er nicht davon ausgehen, das LKW-Gespann werde den Schienenbereich rechtzeitig vor der Ankunft der Saarbahn geräumt haben. Das gilt umso mehr, als sich hinter dem LKW – wie aus den Videoaufzeichnungen der Saarbahn hervorgeht (S. 39 ff. des Gutachtens vom 23.12.2020) – bereits ein Rückstau gebildet hatte, was darauf hindeutete, dass dieser schon länger an der betreffenden Stelle stand. Zugleich war der vor dem LKW liegende Straßenabschnitt durch diesen verdeckt. Die Situation, die sich dem Beklagten zu 2 darbot, unterschied sich mithin wesentlich von den Fällen, in denen ein Pkw, etwa bei einem Abbiegevorgang, verkehrsbedingt kurz auf den Schienen anhalten muss und zu erwarten ist, dass er seine Fahrt sogleich fortsetzen kann. Für den Beklagten zu 2 bestand vielmehr Anlass zu einer besonders vorsichtigen Annäherung, zumal er nicht ohne weiteres darauf vertrauen durfte, dass der möglicherweise anderweitig abgelenkte LKW-Fahrer die herannahende Saarbahn überhaupt wahrnahm. Indem der Beklagte zu 2 die sich bietende Gelegenheit einer rechtzeitigen Geschwindigkeitsreduzierung oder Abbremsung ungenutzt verstreichen ließ und das Risiko einer sowohl für die Fahrgäste als auch für andere Verkehrsteilnehmer potenziell gefährlichen Schnellbremsung einging, verhielt er sich ebenfalls in nicht unerheblichem Maße verkehrswidrig, wodurch die Betriebsgefahr des Saarbahnzugs, die grundsätzlich höher ist als die des LKW (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 2. Oktober 2002 – 13 U 30/02, juris Rn. 29; König in Hentschel/König/Dauer, a.a.O., § 17 StVG Rn. 38, 43), zusätzlich erhöht wurde. Da sich die Betriebsgefahr in Anbetracht des langen Bremswegs und der Schienengebundenheit, aufgrund deren ein Ausweichen unmöglich war, auch gefahrerhöhend ausgewirkt hat, ist im Ergebnis ein Haftungsanteil von jeweils 50 % angemessen. Der Streitfall unterscheidet sich insoweit maßgeblich von dem Sachverhalt, der der Entscheidung des OLG Dresden (Urteil vom 9.7.2019, a.a.O.) zugrunde lag. Denn im dortigen Fall wurde die überwiegende Haftung des LKW-Führers damit begründet, dass dem Straßenbahnführer nur ein einfacher Verkehrsverstoß zur Last falle. So verhält es sich hier nicht.

3. Die Haftungsquote führt gleichwohl nicht zu einem höheren Anspruch der Klägerin als durch das Landgericht zuerkannt.

a) Davon ausgehend, dass bei den mit der Klage als Schadenspositionen geltend gemachten – ebenso wie die Lohnfortzahlung zweitinstanzlich nicht im Streit stehenden – Abschleppkosten und dem Kasko-Selbstbehalt das Quotenvorrecht nach § 86 Abs. 1 VVG aufgrund der Inanspruchnahme der Kaskoversicherung durch die Klägerin zu berücksichtigen ist (vgl. zum Selbstbehalt BGH, Urteil vom 4.4.1967 – VI ZR 179/65, juris; zu den Abschleppkosten BGH, Urteil vom 12.1.1982 – VI ZR 265/80, juris), errechnet sich deren Haftungsschaden wie folgt:

Abschleppkosten: 930,00 Euro

Kasko-Selbstbehalt: 1.000,00 Euro

Lohnfortzahlung: 916,67 Euro (50 % von 1.833,33 Euro)

Kostenpauschale: 12,50 Euro (50 % von 25 Euro)

insgesamt: 2.859,17 Euro

Das ist weniger als der erstinstanzlich zuerkannte Betrag von 3.809,12 Euro.

b) Ohne Erfolg wendet sich die Berufung dagegen, dass das Landgericht die geltend gemachten Versicherungskosten für den LKW nicht als ersatzfähigen Schaden anerkannt hat. Zwar gehören Versicherungsprämien, die durch das schädigende Ereignis verursacht werden, grundsätzlich zu dem durch den Schädiger zu ersetzenden Schaden (vgl. BGH, Urteil vom 15.5.1984 – VI ZR 184/82, juris Rn. 13 ff.). Um solche (Mehr-)Kosten handelt es sich hier nicht. Nach dem Klagevorbringen betrifft die Schadensposition die Beiträge zur Kfz-Versicherung, die für die Zeit zwischen dem Unfall und der Abmeldung des LKW am 20.11.2017 (bei der in der Klageschrift angegebenen Jahreszahl 2018 handelt es sich um ein offensichtliches Schreibversehen) von der Klägerin zu entrichten waren. Diese Kosten wären auch ohne das Unfallereignis angefallen aufgrund der mit dem Versicherer getroffenen vertraglichen Vereinbarung, die – wovon mangels gegenteiligen Vortrags auszugehen ist – eine Prämienzahlungspflicht bis zur Fahrzeugabmeldung vorsah. Sie sind als bloßer Frustrationsschaden nicht gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB ersatzfähig (vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 82. Aufl., § 249 Rn. 61 m.w.N.).

c) Entgegen der Auffassung des Landgerichts sind auch die Leasingraten für den beschädigten LKW in Höhe von 1.330,34 Euro, die die Klägerin als Leasingnehmerin für die Zeit vom 8.11.2017 bis Ende November 2017 (anteilig) aufgewendet hat, nicht zu ersetzen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs besteht der Schaden des Leasingnehmers nur in dem Entzug der Sachnutzung, nicht aber in der Belastung mit den Leasingraten, die er ohnehin, also auch ohne das schädigende Ereignis, zu erbringen hätte (BGH, Urteil vom 23.10.1990 – VI ZR 310/89, juris Rn. 32; Urteil vom 23.11.1976 – VI ZR 191/74, juris Rn. 28; Urteil vom 13.7.1976 – VI ZR 78/75, juris Rn. 28). Der Nutzungsschaden des Leasingnehmers ist in dem hier gegebenen Fall eines Totalschadens grundsätzlich durch den vom Schädiger (bzw. vorliegend vom Kaskoversicherer) zu leistenden Ersatz für die Wiederbeschaffung eines gleichwertigen Gebrauchtfahrzeugs abgedeckt (BGH, Urteil vom 23.10.1990, a.a.O.). Ein darüber hinaus gehender vom Schädiger zu übernehmender Haftungsschaden des Leasingnehmers kommt nur insoweit in Betracht, als diesem durch die unfallbedingt vorzeitige Beendigung des Leasingvertrags und der damit einhergehenden vorzeitigen Fälligstellung der Leasingraten Mehrkosten, etwa infolge der Notwendigkeit einer Kreditaufnahme, entstanden sind (BGH, Urteil vom 5.11.1991 – VI ZR 145/91, juris Rn. 15). Zu solchen Mehrkosten ist nichts dargetan.

d) Die im Berufungsverfahren zuletzt für einen Zeitraum von 37 Tagen beanspruchten Vorhaltekosten für ein Reservefahrzeug in Höhe von 3.778,81 Euro sind nicht schlüssig dargelegt. Die Klägerin begründet den Anspruch damit, ihr Fahrzeugpark sei so ausgestattet, dass Ausfälle, mit denen ständig gerechnet werden müsse, ausgeglichen werden könnten. Das steht in Widerspruch zu ihrem Vortrag, sie habe sich aufgrund der unfallbedingten Nichtnutzbarkeit des LKW veranlasst gesehen, einen Leasingvertrag für einen anderen LKW zu verlängern, um die Zeit bis zur Auslieferung eines – bereits vor dem Unfall bestellten – neuen LKW zu überbrücken. Denn die Verlängerung des Leasingvertrags wäre nicht erforderlich gewesen, sofern die Klägerin auf ein Reservefahrzeug hätte zurückgreifen können. Es kommt daher nicht darauf an, dass die Vorhaltekosten, bei denen es sich um dem Geschädigten tatsächlich entstandene Kosten der Reservehaltung handelt (vgl. BGH, Urteil vom 6.12.2018 – VII ZR 285/17, Rn. 15, juris; OLG Celle, Urteil vom 7.6.2023 – 14 U 137/22, juris, Rn. 31 ff.), auch nicht konkret dargelegt werden und dass nicht aufgezeigt wird, dass in dem geltend gemachten Zeitraum für das Reservefahrzeug ein Fahrer zur Verfügung gestanden hätte, nachdem der Fahrer des beschädigten LKW infolge des Unfalls vom 10.11. bis 1.12.2017 arbeitsunfähig erkrankt war.

Soweit im Übrigen ein Anspruch auf Nutzungsausfallersatz für den beschädigten LKW in Betracht kommt, haben die Parteien in der mündlichen Berufungsverhandlung vereinbart, dass dieser durch den erstinstanzlichen – die berechtigte Klageforderung hinsichtlich der übrigen Schadenspositionen um 949,95 Euro übersteigenden (s.o.) – Verurteilungsbetrag von 3.809,12 Euro mit abgegolten ist.

e) Dementsprechend hat es auch bei den durch das Landgericht zugesprochenen, aus einem Gegenstandswert in Höhe des Verurteilungsbetrags ermittelten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten sein Bewenden.

4. Gegen die mit der Widerklage geltend gemachten Schäden wurden von der Klägerin und den Drittwiderbeklagten ausdrücklich keine Einwände erhoben. Ausgehend von dem geltend gemachten Gesamtschaden in Höhe von 13.033,69 Euro ergibt sich somit bei Zugrundelegung einer hälftigen Haftungsverteilung ein Anspruch der Beklagten in Höhe von 6.516,85 Euro.

5. Die mit der – in zulässiger Weise erhobenen (vgl. BGH, Urteil vom 16.10.2008 – III ZR 253/07, juris Rn. 11; Zöller/Schultzky, ZPO, 34. Aufl., § 33 Rn. 35) – Wider-Widerklage von der Drittwiderbeklagten zu 3 geltend gemachten Schadenspositionen stehen zweitinstanzlich ebenfalls außer Streit. Unter Berücksichtigung des Quotenvorrechts der Klägerin (s.o.) ergibt sich folgender Anspruch der Drittwiderbeklagten zu 2:

Wiederbeschaffungswert abzgl. Restwert: 29.900,00 Euro

Abschleppkosten: 930,00 Euro

Zwischensumme 1: 30.830,00 Euro davon 50%: 15.415,00 Euro

abzgl. Quotenbevorrechtigte Positionen (s.o.): 1.930,00 Euro

Zwischensumme 2: 13.485,00 Euro

zzgl. weitere unstr. Positionen (50 % von 1.671,29 Euro): 835,65 Euro

insgesamt: 14.320,65 Euro

6. Die Zinsansprüche folgen aus §§ 288, 291 BGB.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1, § 100 Abs. 4 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10 i.V.m. § 711 ZPO. Die Revision war nicht zuzulassen, da die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat und keine Veranlassung gibt, eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts sowie zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung herbeizuführen (§ 543 Abs. 2 ZPO).

 

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