OLG Bamberg, Az.: 5 U 19/15, Urteil vom 07.07.2015
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Aschaffenburg vom 26.11.2014, Az. 31 O 481/13, abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.
3. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
5. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Der Kläger verlangt von der Beklagten Schadensersatz (Reparaturkosten und Nutzungsausfall-Entschädigung), weil diese im August 2012 seinen X., Erstzulassung 14.06.2005 nicht fachgerecht repariert und dadurch einen etwa 1.600 km nach Rückgabe auftretenden Motorschaden (mit-)verursacht habe. Der Kläger ist der Auffassung, die Beklagte hätte im Rahmen des Reparaturauftrags eine Kompressionsdruckprüfung durchführen müssen, bei der eine – in der Berufungsinstanz vom Kläger nicht mehr in Zweifel gezogene – Vorschädigung erkannt und durch weitere gebotene Maßnahmen der dann eingetretene komplette Motorschaden verhindert worden wäre. Die Beklagte sei deshalb verpflichtet, die für den Einbau eines Rumpfmotors jetzt erforderlichen Kosten (10.677,11 €) sowie Entschädigung wegen der in Folge eines eingeleiteten Beweis- und des vorliegenden Streitverfahrens bis 18.09.2014 nicht möglichen Fahrzeugnutzung (46.699,10 €) und wegen vergebens aufgewandter Steuer- und Versicherungszahlungen (2.111,81 €) zu zahlen. Darüberhinaus sei ihre Einstandspflicht für alle weiteren zukünftigen Schäden festzustellen. Wegen der erstinstanzlichen Antragstellung des Klägers wird auf die Seiten 6 und 7 des Ersturteils verwiesen.
Die Beklagte beantragte Klageabweisung; sie trägt vor, sie habe die bei dem im August 2012 gerügten Schadensbild gebotenen Reparaturmaßnahmen, nämlich Austausch der Einspritzdüsen, ordnungsgemäß durchgeführt und den Schaden vollständig behoben. Eine Kompressionsdruckmessung sei nicht erforderlich gewesen. Der später aufgetretene Motorschaden sei nicht auf eine mangelhafte Leistung ihrerseits zurückzuführen. Die Beklagte rügt die Verletzung der Schadensminderungspflicht und verneint ein Feststellungsinteresse des Klägers.
Das Landgericht hat – sachverständig beraten – die Beklagte zur Zahlung von Reparaturkosten in Höhe von 10.525,91 € (Ziffer 1) und von Nutzungsausfallentschädigung in Höhe von 17.180,00 € für die Zeit vom 18.10.2012 bis zum 18.07.2013 (Ziffer 2), jeweils zzgl. Zinsen verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen (Ziffer 3). Wegen der Begründung wird auf das Urteil vom 26.11.2014 (Bl. 118 ff. d. A.), wegen des weiteren Parteivortrags auf die erstinstanzlichen Schriftsätze verwiesen.
Gegen die jeweils am 30.12.2014 zugestellte Entscheidung haben der Kläger am 30.01.2015 und die Beklagte am 26.01.2015 Berufung eingelegt. Die Parteien habe ihre Rechtsmittel innerhalb verlängerter Frist am 13.03.2015 (Kläger) bzw. am 31.03.2015 (Beklagte) begründet (Bl. 159 ff. bzw. Bl. 176 ff. d. A.).
Der Kläger verfolgt sein Feststellungsbegehren weiter und verlangt über den zuerkannten Betrag hinaus eine weitere Nutzungsausfallentschädigung für 67 Tage bis zum 23.09.2013 (formeller Abschluss des Beweissicherungsverfahrens), sowie – insoweit klageerweiternd – Standkosten, die ihm vom Autohaus T., bei dem der Sachverständige das Fahrzeug untersucht hat, in Rechnung gestellt worden seien.
Er beantragt daher
1. Das Urteil des Landgerichts Aschaffenburg vom 26. November 2014, Aktenzeichen: 31 O 481/13 wird in Pkt. 2 dahingehend aufgehoben, dass die Beklagte verurteilt wird, an den Kläger weitere 4.355,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 09.04.2014 zu zahlen.
2. Das Urteil des Landgerichts Aschaffenburg vom 26. November 2014, Aktenzeichen: 31 O 481/13 wird in Pkt. 3 dahingehend aufgehoben, dass die Beklagte verurteilt wird, an den Kläger 3.874,64 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Zustellung zu zahlen sowie festgestellt wird, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche Schäden, die ihm in Zukunft aus der unsachgemäßen Reparatur der Beklagten, Zeitraum 13.08.2012 bis 23.08.2012, entstehen, zu ersetzen.
3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Die Beklagte begehrt die vollständige Klageabweisung. Sie wiederholt und vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag, wonach ein Ursachenzusammenhang zwischen der unterlassenen Kompressionsdruckprüfung und dem späteren Motorschaden nicht nachgewiesen sei. Der vom Erstgericht angenommene „typische Geschehensablauf“ liege nicht vor. Ihre Einwände gegen die Nutzungsausfallentschädigung hält die Beklagte aufrecht.
Sie beantragt deshalb, das am 26.11.2014 verkündete und am 30.12.2014 zugestellte Urteil des Landgerichts Aschaffenburg, Aktenzeichen: 31 O 481/13, aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Beide Parteien beantragen darüberhinaus, die jeweils gegnerische Berufung zurückzuweisen.
Wegen des weiteren Vorbringens in der Berufungsinstanz wird auf die Berufungsbegründungen bzw. -erwiderungen Bezug genommen.
II.
Beide Berufung sind zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet. Während allerdings die Berufung des Klägers keinen Erfolg hat, erweist sich die Berufung der Beklagten als im vollen Umfang begründet und führt zur Abänderung des Ersturteils und zur Abweisung der Klage.
Dem Kläger stehen die geltend gemachten Schadensersatzansprüche (§§ 280Abs. 1, 249 BGB) nicht zu, da er nicht nachgewiesen hat, dass der Motorschadens seines bei dessen Eintritt mehr als sieben Jahren alten Audis auf Pflichtverletzungen der Beklagten im Rahmen des ihr erteilten Reparaturauftrags vom August 2012 zurückzuführen ist. Die anderslautende Bewertung des Erstgerichts kann keinen Bestand haben.
Das Landgericht geht allerdings zutreffend davon aus, dass die Beklagte nach Austausch der Einspritzdüsen des Fahrzeugs gehalten war, eine Kompressionsdruckprüfung vorzunehmen und auch sämtliche Glühstifte hätte untersuchen müssen. Dies hat der Sachverständige G. in seinem schriftlichen Gutachten vom 21.06.2013 im Beweisverfahren 31 OH 26/12 überzeugend ausgeführt und in seiner mündlichen Anhörung vom 18.09.2014 nochmals bestätigt. Insoweit hat die Beklagte die Reparatur seinerzeit also tatsächlich – so das Erstgericht – nicht sach- und fachgerecht durchgeführt und haftet demnach für alle dadurch kausal verursachten späteren Schäden am Fahrzeug.
Mit Recht stellt der Erstrichter auch die „objektiven Schwierigkeiten“ bei der Beantwortung der Frage dar, ob die Unterlassungen der Beklagten den (bzw. einen) Schaden kausal herbeigeführt haben und zählt in diesem Zusammenhang die auf S. 13 des angefochtenen Urteils genannten theoretischen Möglichkeiten auf. Zweifelhaft ist hierbei allerdings schon, ob eine völlige Fehlerfreiheit des Motors nach Reparaturbeendigung (Möglichkeit 1) tatsächlich „völlig unwahrscheinlich“ ist. Der Sachverständige formuliert in seinem schriftlichen Gutachten vorsichtiger, nämlich dahingehend, dass eine Vorschädigung „zumindest wahrscheinlich“ sei, was wohl die Möglichkeit des Gegenteils nicht unbedingt auszuschließen vermag. Recht hat das Erstgericht dagegen wieder darin, dass bei Möglichkeit 2 (schon damals umfassender Motorschaden) Ansprüche gegen die Beklagte von vornherein ausscheiden müssen. Gleiches gilt natürlich bei Möglichkeit 1, da in diesem Fall eine Überprüfung keinen Befund ergeben hätte.
Die vom Kläger geltend gemachten Rechtsfolgen können deshalb nur im Fall 3 der Aufzählung begründet sein, nämlich dann, wenn feststeht, dass sich in der Zeit zwischen Erstreparatur (August 2012) und völligem Ausfall des Motors (Oktober 2012) über die gefahrenen 1634 km hinweg eine Schädigung „vertieft“ hat. Mit anderen Worten müsste damals die bereits vorliegende Beschädigung mit einfacheren, kostengünstigeren Maßnahmen zu beheben gewesen sein, als dies nach dem völligen Zusammenbruch des Motors im Oktober der Fall war. Ein entsprechender Schaden ergäbe sich in diesem Fall nach der Differenztheorie aus einem Vergleich der nun erforderlichen Kosten (nach LGU S. 14: 10.525,91 €) mit den damals aufzubringenden.
Den Ansatzpunkt des Landgerichts, im Wege des Anscheinsbeweises zugunsten des Klägers von dieser Sachverhaltsvariante auszugehen, vermag der Senat allerdings nicht zu teilen. Voraussetzung für die Anwendung dieser Beweiserleichterung ist, dass sich unter Berücksichtigung aller unstreitigen und festgestellten Einzelumstände und besonderer Merkmale des Sachverhalts ein für die zu beweisende Tatsache nach der Lebenserfahrung typischer Geschehensablauf ergibt. Dann kann von einer feststehenden Ursache auf einen bestimmten Erfolg oder umgekehrt – wie im Streitfall erforderlich – von einem feststehenden Erfolg auf eine bestimmte Ursache geschlossen werden. Der Anscheinsbeweis führt dabei nicht zur Umkehr der Beweislast sondern nur zu deren Erleichterung. Nicht anwendbar ist der Anscheinsbeweis allerdings, wenn von mehreren tatsächlichen Möglichkeiten eine lediglich die wahrscheinlichere ist (BGH NJW-RR 1988, 789). Er setzt vielmehr voraus, dass ein Tatbestand feststeht, bei dem der behauptete ursächliche Zusammenhang typischerweise gegeben ist, beruht also auf der Auswertung von Wahrscheinlichkeiten, die aufgrund der Lebenserfahrung anzunehmen sind. Es muss sich also um ein Geschehen gehandelt haben, bei dem die Regeln des Lebens und die Erfahrung des Üblichen und Gewöhnlichen dem Richter die Überzeugung (§ 286 ZPO) vermitteln, dass auch in dem von ihm zu entscheidenden Fall der Ursachenverlauf so gewesen ist, wie in den vergleichbaren Fällen.
Um Derartiges handelt es sich hier indessen nicht, sondern darum, welche von mehreren tatsächlichen Möglichkeiten – die das Landgericht korrekt aufzählt – gegeben ist, nämlich insbesondere, ob bei der vermissten Kompressionsdruckprüfung überhaupt schon ein Schaden vorlag oder nicht und ob sich ein vorliegender Schaden im weiteren Geschehensablauf danach vertieft hat. Dass die letztere Möglichkeit wahrscheinlicher ist als die anderen, genügt noch nicht, um den Anscheinsbeweis anzuwenden (BGH, NJW 1966, 1263 m. w. Nachw.). Es fehlt an einem allgemeinen Lebenserfahrungssatz für solche Fälle. Auch das Landgericht hat das Bestehen eines solchen Erfahrungssatzes nicht behauptet. Es hat vielmehr aus den Ausführungen des Gutachters die Überzeugung gewonnen, als wahrscheinlichster Geschehensablauf bleibe die Möglichkeit 3 und hat an diese Einschätzung den Anscheinsbeweis angeschlossen. Das war unzulässig.
Da der Kläger für den von ihm behaupteten Geschehensverlauf somit den Vollbeweis erbringen muss und dies nicht kann, sind die von ihm daraus abgeleiteten Schadensersatzansprüche nicht begründet.
Aus der Tatsache, dass die Beklagte – pflichtwidrig – die Kompressionsdruckprüfung unterlassen hat und dem Kläger dadurch der Kausalitätsnachweis abgeschnitten ist, folgt nichts anderes. Es kann nach Auffassung des Senats nicht angehen, aus der Pflichtverletzung selbst – etwa im Rahmen einer Art Beweisvereitelung – Anknüpfungspunkte für deren Schadenskausalität zu entnehmen. Der Wortlaut des § 280 Abs. 1 BGB ist insoweit eindeutig: Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so kann der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen. Das Gesetz verlangt deshalb ausdrücklich neben einer bewiesenen Pflichtverletzung auch den Nachweis, dass diese für den entstandenen Schaden ursächlich war. Es handelt sich um ein eigenständiges Tatbestandsmerkmal, welches neben den Vorwurf der Pflichtverletzung tritt. Zwar kann in einem fahrlässigen Unterlassen einer Aufklärung eine Beweisvereitelung liegen, wenn damit (auch) die Schaffung von Beweismitteln verhindert wird. Dies setzt aber einerseits voraus, dass ein Schadensereignis bereits (nachgewiesenermaßen) eingetreten und andererseits die spätere Notwendigkeit einer Beweisführung dem Aufklärungspflichtigen bereits erkennbar ist. Der subjektive Tatbestand einer Beweisvereitelung erfordert dabei einen doppelten Schuldvorwurf: Das Verschulden muss sich sowohl auf die Zerstörung bzw. Entziehung des Beweisobjektes als auch auf die Beseitigung seiner Beweisfunktion beziehen, also darauf, die Beweislage des Gegners in einem gegenwärtigen oder künftigen Prozess zu benachteiligen (vgl z. B. BGH NJW 2004, 222 m. w. Nachw., für den Fall, dass jemand bewusst seine Unterschrift so variantenreich gestaltete, dass der Fälschungseinwand mit Hilfe eines Schriftsachverständigen nicht zu widerlegen ist, sich der Unterzeichner vielmehr jederzeit auf eine angebliche Unechtheit berufen kann). Mit einem solchen Vorgehen ist der Streitfall aber in keiner Weise zu vergleichen, da hier die Erfordernis der Druckprüfung von der Beklagten schlichtweg (fahrlässig) übersehen wurde, ohne dass hieraus mögliche Folgen – gar beweisrechtlicher Art! – überhaupt für sie erkennbar gewesen wären.
Soweit der Bundesgerichtshof Beweiserleichterung in Fällen gebotener Erhebung und Sicherung von Befunden gewährt hat (vgl. z. B. BGH NJW 1999, 3408) handelt es sich durchweg um Haftungsfälle wegen des Verstoßes gegen eine entsprechende ärztliche Pflicht. Auch mit diesen Fällen kann der Streitfall nicht verglichen werden, da die Beklagte als Werkstattbetrieb im Rahmen ihrer Reparaturleistungen von vornherein ein Befunderhebungs- und Sicherungspflicht nicht trifft. Darüberhinaus lehnt die Rechtsprechung bei Vermögensschäden (um solche geht es hier) eine Beweislastumkehr sogar bei groben Pflichtverletzungen (von solchen kann hier keine Rede sein) zurecht ab (BGH NJW 1997, 1011; 1988, 203).
Da somit der Kläger einen Kausalzusammenhang zwischen der Pflichtverletzung seitens der Beklagten und seinem Schaden nicht nachweisen kann, erweist sich seine Klage in gesamten Umfang als unbegründet und war in Abänderung der Erstentscheidung abzuweisen. Lediglich ergänzend sei darauf hingewiesen, dass selbst unter Zugrundelegung der „Möglichkeit 3“ keinesfalls die verlangten Beträge im Raum stünden. Wie ausgeführt ergäbe sich allenfalls ein Schaden in Höhe der Differenz erforderlicher Beseitigungskosten im August einerseits und im Oktober 2012 andererseits. Hierzu hat der Kläger aber ebenfalls nichts vorgetragen und kann dies auch nicht. Sein Begehren erweist sich deshalb auch als unsubstantiiert.
Weil dem Kläger schon ein Anspruch auf Ersatz von Reparaturaufwendungen nicht zusteht, kann er auch keine Nutzungsausfallentschädigung – diese ist darüber hinaus in einem geradezu unverschämten Umfang geltend gemacht und steht in keiner Beziehung zum Fahrzeugwert – verlangen. Die völlig übersetzten Erwartungen des Klägers spiegeln sich zudem in der Weiterverfolgung des Feststellungsanspruchs, obwohl er – wie er in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat einräumte – das Fahrzeug schon seit geraumer Zeit verschrottet hat. Die angefallenen Standkosten sind schließlich darauf zurückzuführen, dass der Kläger trotz Freigabe durch den Sachverständigen und diverser Aufforderungen, das Fahrzeug bei der Fa. T. abzuholen, sich in keiner Weise mehr darum kümmerte. Der Senat hat deshalb auch die Vermutung, dass der Kläger schon längst über ein Ersatzfahrzeug verfügte und auch aus diesem Grund weitere Ansprüche eher auszuschließen sind.
Nach alldem war deshalb auf die Berufung der Beklagten hin des Ersturteil abzuändern und die Klage unter Zurückweisung der klägerischen Berufung abzuweisen.
III.
Nebenentscheidungen: §§ 97 Abs. 1, 91 Abs. 1; 708 Nr. 10, 711; 543 Abs. 2 ZPO.