Das Oberlandesgericht Celle verhandelte über die Voraussetzungen einer Abmahnung vor Kontosperrung, nachdem ein soziales Netzwerk ein Nutzerkonto wegen angeblicher Falschinformationen fristlos kündigte. Die Richter beurteilten dabei die fehlende Vorwarnung völlig anders, als es das soziale Netzwerk erwartet hatte.
Übersicht
- 1 Das Wichtigste in Kürze
- 2 Der Fall vor Gericht
- 3 Die Urteilslogik
- 4 Benötigen Sie Hilfe?
- 5 Experten Kommentar
- 6 Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- 6.1 Müssen soziale Netzwerke auch temporäre Kontosperrungen konkret begründen?
- 6.2 Welche Rechte habe ich auf Löschung meiner Daten nach einer unberechtigten Kontosperrung?
- 6.3 Welche ersten Schritte sollte ich nach einer Kontosperrung unternehmen?
- 6.4 Kann ich auf meine Inhalte zugreifen, während mein Social Media Konto gesperrt ist?
- 6.5 Wie erkenne ich eine wirksame Warnung vor einer drohenden Kontosperrung?
- 7 Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- 8 Wichtige Rechtsgrundlagen
- 9 Das vorliegende Urteil
Zum vorliegenden Urteil 5 U 271/23 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Oberlandesgericht Celle
- Datum: 21.08.2025
- Aktenzeichen: 5 U 271/23
- Verfahren: Berufungsverfahren
- Rechtsbereiche: Vertragsrecht, Zivilprozessrecht
- Das Problem: Ein Nutzer klagte, weil sein Profil auf einem sozialen Netzwerk dauerhaft gesperrt wurde. Er forderte die vollständige Wiederherstellung seines Kontos.
- Die Rechtsfrage: Durfte ein soziales Netzwerk das Konto eines Nutzers dauerhaft sperren, ohne ihn vorher konkret zu warnen? Und wurde die Beschwerde des Nutzers gegen die erste Gerichtsentscheidung formell richtig eingereicht?
- Die Antwort: Nein, das soziale Netzwerk durfte das Konto des Nutzers nicht dauerhaft sperren, da es die genauen Gründe der Verstöße nicht konkret mitgeteilt hatte. Die Beschwerde des Nutzers gegen die erste Entscheidung war zudem wegen formaler Mängel unzulässig.
- Die Bedeutung: Soziale Netzwerke müssen Nutzer konkret über Regelverstöße informieren, bevor sie Konten dauerhaft sperren. Nutzer müssen Beschwerden bei Gericht formell korrekt einreichen.
Der Fall vor Gericht
Darf ein soziales Netzwerk ein Konto ohne konkrete Warnung sperren?
Ein Nutzer kämpft gegen einen Social-Media-Riesen und bekommt sein Konto zurück. Ein klarer Sieg, so scheint es. In der Welt des Rechts bedeutet ein gewonnener Krieg aber nicht, dass man jede Schlacht gewinnt. Dasselbe Gerichtsurteil, das seine digitale Präsenz wiederherstellte, bescherte ihm auch eine empfindliche Niederlage an einer anderen Front – alles wegen eines Details, das tief im prozessualen Regelbuch vergraben war. Dieser Fall wurde zu einer Geschichte mit zwei Ergebnissen, entschieden nach zwei grundverschiedenen Spielregeln.
Warum musste die Plattform das Nutzerkonto wiederherstellen?

Das Oberlandesgericht Celle bestätigte die Entscheidung der Vorinstanz: Die Fristlose Kündigung des Nutzervertrags, also die dauerhafte Deaktivierung des Kontos, war unwirksam. Der Grund liegt in einer einfachen, aber fundamentalen Logik des Vertragsrechts. Will eine Partei einen Vertrag außerordentlich kündigen, braucht sie einen wichtigen Grund. Die Beweislast dafür liegt bei demjenigen, der kündigt – in diesem Fall bei der Plattform.
Das soziale Netzwerk argumentierte, der Nutzer habe wiederholt gegen die Community Standards verstoßen, indem er Falschinformationen zu Corona-Impfstoffen verbreitete. Vor der endgültigen Sperrung hatte die Plattform bereits mehrere Beiträge gelöscht und das Konto zeitweise eingeschränkt. Aus Sicht des Unternehmens bewiesen diese milderen Maßnahmen ihre eigene Wirkungslosigkeit. Der Nutzer sei „unbelehrbar“ gewesen, eine formelle Abmahnung wäre eine sinnlose Förmlichkeit gewesen. Das Gericht sah das anders. Es stellte klar: Wer kündigt, muss beweisen, dass die Kündigung gerechtfertigt ist. Und genau an diesem Beweis scheiterte die Plattform.
Können pauschale Hinweise eine offizielle Abmahnung ersetzen?
Der Kern des Problems lag in der Kommunikation des Netzwerks. Die Nutzungsbedingungen sahen vor, dass einer Kündigung in der Regel eine Abmahnung oder eine Frist zur Besserung vorauszugehen hat. Eine Ausnahme ist nur denkbar, wenn eine solche Warnung offensichtlich keinen Erfolg verspricht. Das Gericht pulverisierte die Argumentation der Plattform, eine Abmahnung sei hier entbehrlich gewesen.
Der entscheidende Denkfehler des Netzwerks war die Annahme, die bisherigen Maßnahmen hätten als Warnung ausgereicht. Die Richter schauten sich die Benachrichtigungen an, die der Nutzer erhalten hatte. Dort standen Sätze wie: „Dein Kommentar verstößt gegen unsere Gemeinschaftsstandards zu Falschinformationen, die zu physischem Schaden führen könnten.“ Das war dem Gericht viel zu pauschal. Eine wirksame Warnung muss dem Nutzer ganz konkret aufzeigen, welcher Beitrag aus welchem spezifischen Grund gegen welche exakte Regel verstößt. Nur dann hat er die Chance, sein Verhalten zu verstehen und für die Zukunft anzupassen.
Im Klartext: Eine Plattform kann sich nicht auf die angebliche Unbelehrbarkeit eines Nutzers berufen, wenn sie ihm nie präzise erklärt hat, worin sein Fehlverhalten eigentlich bestand. Allgemeine Verweise auf die Community Standards genügen nicht. Ohne diese Konkretisierung war die Grundlage für eine fristlose Kündigung nicht gegeben. Das Konto musste wiederhergestellt werden.
Wieso scheiterte der Nutzer mit seiner eigenen Berufung?
Obwohl der Nutzer den wichtigsten Punkt für sich entschied, ging er nicht als vollständiger Sieger vom Platz. Er hatte ebenfalls Berufung eingelegt. Er wollte nicht nur sein Konto zurück, sondern auch erreichen, dass interne Sperrvermerke bei der Plattform gelöscht und der Zähler für seine angeblichen Verstöße zurückgesetzt wird. Zusätzlich forderte er die Erstattung seiner Anwaltskosten. Mit diesen Forderungen scheiterte er – nicht in der Sache, sondern an der Form.
Das Landgericht hatte seine zusätzlichen Anträge in der ersten Instanz mit zwei unabhängigen Begründungen abgewiesen. Um in der Berufung erfolgreich zu sein, hätte der Nutzer beide Begründungen substantiiert angreifen müssen. Das ist eine strenge prozessuale Anforderung. Greift man nur eine von zwei tragenden Säulen eines Urteils an, bleibt die andere stehen und stützt die Entscheidung weiterhin. Die Berufung ist dann unzulässig.
Genau das passierte hier. Die Anwälte des Nutzers setzten sich in ihrer Berufungsschrift zwar mit einer Begründung des Landgerichts auseinander, die andere ließen sie aber quasi unangetastet. Ein fataler Fehler. Die Richter des Oberlandesgerichts prüften die Berufung daher gar nicht erst inhaltlich. Sie verwarfen sie als formal unzulässig. Der Prozess zeigt eine harte Wahrheit: Recht haben und Recht bekommen sind zwei Paar Schuhe. Der Sieg in der Sache kann an den Hürden des Verfahrens zerschellen.
Die Urteilslogik
Eine Gerichtsentscheidung klärt die strengen Anforderungen an Plattformbetreiber bei Kontosperrungen und unterstreicht die Sorgfaltspflichten bei der Einlegung von Rechtsmitteln.
- Spezifische Warnpflicht: Bevor eine Plattform einen Nutzervertrag fristlos kündigt, muss sie spezifisch und konkret aufzeigen, welche Regelverstöße vorliegen, statt pauschale Hinweise zu geben.
- Anforderungen an Berufungen: Um eine gerichtliche Entscheidung erfolgreich anzufechten, die auf mehreren unabhängigen Begründungen beruht, muss eine Berufung jede dieser tragenden Säulen substantiiert angreifen.
Der Fall betont, wie entscheidend sowohl materiell-rechtliche Sorgfalt als auch prozessuale Präzision für den Erfolg vor Gericht sind.
Benötigen Sie Hilfe?
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Experten Kommentar
Gerade wenn es um die eigenen Rechte geht, verliert man sich schnell in der Sache. Doch dieses Urteil ist eine prägnante Erinnerung daran: Selbst wenn ein Gericht der Sache nach zustimmt, können prozessuale Fehler den vollständigen Erfolg zunichtemachen. Wer seine Ansprüche durchsetzen will, muss die Spielregeln des Gerichtsverfahrens bis ins Detail beherrschen, sonst scheitert man an der Form und nicht am Inhalt.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Müssen soziale Netzwerke auch temporäre Kontosperrungen konkret begründen?
Soziale Netzwerke müssen temporäre Kontosperrungen ebenso konkret begründen. Zwar bezog sich ein aktuelles Urteil primär auf dauerhafte Kündigungen, doch die zugrundeliegende Logik gilt: Eine wirksame Warnung – und das sind temporäre Maßnahmen faktisch auch – erfordert spezifische Angaben zum Verstoß, um Nutzern die Anpassung ihres Verhaltens zu ermöglichen. Pauschale Hinweise reichen dabei keineswegs aus.
Juristen nennen das Prinzip der „wirksamen Warnung“. Selbst wenn ein Gerichtsurteil sich formal auf eine dauerhafte Sperrung konzentriert, leiten sich daraus Konsequenzen für alle vorbereitenden Maßnahmen ab. Das Gericht betonte, dass eine solche Warnung einen Verstoß explizit benennen muss. Der Grund: Der Nutzer soll eine echte Chance bekommen, sein Fehlverhalten zu korrigieren. Pauschale Hinweise, etwa „Dein Beitrag verstößt gegen unsere Gemeinschaftsstandards“, sind für das Gericht viel zu allgemein. Man muss genau wissen, welcher spezifische Inhalt gegen welche konkrete Regel verstoßen hat. Ohne diese Klarheit verpufft der eigentliche Zweck einer Warnung, nämlich die Möglichkeit zur Verhaltensanpassung. Eine unbegründete temporäre Sperrung ist damit im Grunde eine unwirksame Warnung.
Ein passender Vergleich ist ein Strafzettel im Straßenverkehr. Niemand würde erwarten, dass dort nur steht: „Sie haben gegen die Verkehrsregeln verstoßen.“ Stattdessen werden die konkrete Übertretung, Ort und Zeit präzise genannt. Nur diese Detailtiefe ermöglicht es, das eigene Verhalten zu reflektieren und anzupassen. Im digitalen Raum ist es nicht anders.
Akzeptieren Sie niemals stillschweigend eine vage Begründung für eine temporäre Sperrung. Machen Sie stattdessen sofort Screenshots von jeder Benachrichtigung, die eine temporäre Sperrung oder das Löschen von Beiträgen betrifft, besonders wenn die Begründung vage ist. Notieren Sie Datum und genauen Wortlaut. So sichern Sie Beweise für den Fall, dass die Plattform später härtere Sanktionen verhängen will, die dann mangels wirksamer Warnung unwirksam sein könnten.
Welche Rechte habe ich auf Löschung meiner Daten nach einer unberechtigten Kontosperrung?
Ja, nach einer unberechtigten Kontosperrung besteht grundsätzlich ein Recht auf Löschung interner Sperrvermerke und die Zurücksetzung von Verstoß-Zählern. Dieses Anliegen, oft als Wunsch nach digitaler Rehabilitation bezeichnet, kann jedoch an prozessualen Hürden bei der gerichtlichen Durchsetzung scheitern, wie ein aktueller Fall deutlich macht.
Viele Nutzer wünschen sich nach einer unberechtigten Kontosperrung mehr als nur die Wiederherstellung ihres Zugangs. Sie wollen, dass die „digitale Akte“ bei der Plattform sauber ist. Dazu gehört die Löschung interner Sperrvermerke und die Zurücksetzung von sogenannten Verstoß-Zählern, die künftige Maßnahmen beeinflussen könnten.
Im konkreten Fall scheiterte ein Kläger mit genau diesen Forderungen. Entscheidend war hierbei nicht, dass seine Anliegen inhaltlich unberechtigt waren. Ganz im Gegenteil: Das Problem lag in prozessualen Fehlern während der Berufung. Wenn ein erstinstanzliches Gericht einen Antrag mit mehreren unabhängigen Begründungen abweist, müssen in der Berufung alle diese Gründe gezielt angegriffen werden. Wer nur einen Teil der Begründungen kritisiert, läuft Gefahr, dass die Berufung als unzulässig verworfen wird.
Ein passender Vergleich ist ein Gebäude, das auf mehreren Säulen ruht. Wenn ein Gericht sein Urteil auf zwei oder mehr unabhängige Begründungen stützt, müssen Sie in der Berufung jede einzelne dieser Säulen gezielt angreifen und zum Einsturz bringen. Bleibt auch nur eine Säule unangefochten stehen, trägt sie das gesamte Gebäude weiter – und Ihr Einspruch scheitert an formalen Gründen.
Dokumentieren Sie alle relevanten Hinweise der Plattform, auch wenn es nur vage Andeutungen zu internen Sperrvermerken oder Verstoß-Zählern sind. Machen Sie Screenshots. Speichern Sie E-Mails. Fordern Sie bei der Plattform präzise Auskunft über die bei Ihnen gespeicherten Daten. Sollte es zu einem Gerichtsverfahren kommen, stellen Sie sicher, dass Ihre Rechtsvertretung nicht nur die Kontowiederherstellung fordert, sondern auch explizit die Löschung dieser belastenden internen Daten beantragt. Vor allem im Berufungsverfahren ist es entscheidend, jede einzelne Begründung der Vorinstanz, die Ihre Anträge ablehnt, akribisch anzugreifen. Prozessuale Akribie verhindert formale Niederlagen.
Welche ersten Schritte sollte ich nach einer Kontosperrung unternehmen?
Nach einer Kontosperrung ist Ihr erstes und wichtigstes Vorgehen die sofortige Dokumentation aller Benachrichtigungen der Plattform. Prüfen Sie akribisch, ob diese Sperrung konkret begründet wurde. Eine fehlende präzise Warnung, die genau aufzeigt, welcher Beitrag gegen welche spezifische Regel verstieß, ist ein entscheidendes Argument, um Ihr Konto wiederherzustellen. Pauschale Hinweise reichen dabei oft nicht aus.
Wenn Ihr Social-Media-Konto plötzlich gesperrt ist, fühlen Sie sich oft hilflos. Doch das deutsche Recht schützt Sie. Eine Plattform muss einen Vertrag, wie Ihren Nutzungsvertrag, nicht einfach ohne Weiteres kündigen können. Sie braucht dafür einen wichtigen Grund und muss diesen auch beweisen können. Das Oberlandesgericht Celle hat klargestellt: Pauschale Hinweise auf „Gemeinschaftsstandards“ reichen nicht aus. Die Plattform muss Ihnen präzise mitteilen, welcher Ihrer Beiträge gegen welche ihrer Regeln verstieß. Nur so erhalten Sie überhaupt die Chance, Ihr Verhalten zu verstehen und anzupassen. Fordern Sie deshalb umgehend eine detaillierte Begründung an und nehmen Sie Stellung.
Ein passender Vergleich ist die Straßenverkehrsordnung. Sie würden ein Bußgeld nicht akzeptieren, wenn man Ihnen nur sagt, Sie seien „irgendwie falsch gefahren“. Eine genaue Angabe, welches Gesetz wo und wann verletzt wurde, ist unerlässlich. Auch im digitalen Raum benötigen Sie diese Klarheit, um Ihr Verhalten überhaupt anpassen zu können.
Erstellen Sie sofort eine chronologische Liste aller Mitteilungen, Warnungen und der Sperrbenachrichtigung. Notieren Sie akribisch, welche genauen Verstöße darin benannt wurden – oder eben nicht. Löschen Sie niemals Inhalte, die die Plattform als Verstoß markiert hat, bevor Sie diese dokumentiert haben, da sie als Beweismittel dienen könnten. Überprüfen Sie zudem die Nutzungsbedingungen der Plattform. Nur so bauen Sie eine solide Grundlage für eine mögliche Anfechtung auf.
Kann ich auf meine Inhalte zugreifen, während mein Social Media Konto gesperrt ist?
Während einer Kontosperrung ist der direkte Zugriff auf Ihre Inhalte in der Regel unterbunden. Eine erfolgreiche gerichtliche Anfechtung kann jedoch die Wiederherstellung des gesamten Kontos bewirken, womit auch der Zugang zu all Ihren digitalen Inhalten zurückkehrt. Dies zeigte sich eindrücklich im Fall eines Nutzers, dessen Sperrung als unwirksam befunden wurde.
Juristen sehen eine Kontosperrung als gravierenden Eingriff. Sie entzieht Ihnen den Zugang zu Ihrer digitalen Identität und oft auch zu wertvollen persönlichen Daten wie Fotos, Nachrichten oder Kontakten. Ist Ihr Social-Media-Konto gesperrt, sind alle Ihre darin gespeicherten Beiträge und Informationen typischerweise nicht mehr abrufbar. Die Plattform schaltet den Zugriff einfach ab.
Jedoch strebt ein Gerichtsverfahren, das eine solche Sperrung als unrechtmäßig erklärt, primär die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands an. Man nennt das den „status quo ante“. Das bedeutet nicht nur, dass Ihr Benutzerkonto reaktiviert wird. Es schließt auch ein, dass Sie wieder uneingeschränkt auf sämtliche Inhalte zugreifen können, die vor der Sperrung vorhanden waren. Das Gerichtsurteil im aktuellen Fall bestätigte genau dies: War die Kündigung unwirksam, muss das gesamte Konto wiederhergestellt werden.
Ein passender Vergleich ist Ihre Wohnung: Wenn diese zu Unrecht versiegelt wird und ein Gericht die Versiegelung aufhebt, erhalten Sie nicht nur den Schlüssel zurück. Sie bekommen auch wieder Zugang zu all Ihren Möbeln und persönlichen Gegenständen darin. Mit Ihrem digitalen Zuhause auf einer Plattform ist es nicht anders.
Prüfen Sie proaktiv die Exportfunktionen Ihrer Social-Media-Plattform. Viele bieten die Möglichkeit, Ihre Daten regelmäßig herunterzuladen, was eine lokale Kopie Ihrer wichtigsten Inhalte sichert. Sollte es bereits zu einer Sperrung gekommen sein, vermeiden Sie den Versuch, über inoffizielle oder unsichere Kanäle auf Ihre Daten zuzugreifen – das könnte Ihre rechtliche Position schwächen oder weitere Risiken bergen. Dokumentieren Sie stattdessen jeden Hinweis auf den Verlust des Zugriffs und Ihre Versuche, diesen wiederzuerlangen.
Wie erkenne ich eine wirksame Warnung vor einer drohenden Kontosperrung?
Eine wirksame Warnung vor einer drohenden Kontosperrung muss stets den konkreten Verstoß detailliert benennen. Plattformen müssen klar angeben, welcher Beitrag oder welches Verhalten gegen welche spezifische Regel verstieß. Pauschale Hinweise auf allgemeine Gemeinschaftsstandards sind rechtlich unzureichend. Nur so kann der Nutzer sein Verhalten anpassen und eine spätere fristlose Kündigung unwirksam machen.
Juristen nennen das Prinzip der Konkretisierung. Eine Plattform kann nicht einfach allgemeine Formulierungen nutzen, etwa „Dein Kommentar verstößt gegen unsere Gemeinschaftsstandards“. Das ist viel zu unpräzise und lässt den Nutzer im Unklaren.
Stattdessen ist sie verpflichtet, genau aufzuzeigen: Welcher konkrete Beitrag war es? Wann wurde er gepostet? Welche spezifische Regel aus den Nutzungsbedingungen wurde dadurch verletzt? Nur mit diesen Informationen hat der Nutzer überhaupt die Chance, sein Fehlverhalten nachzuvollziehen. Ohne ein klares Verständnis des Verstoßes ist eine Anpassung des Verhaltens unmöglich. Daher sind vage Warnungen unzureichend, um eine fristlose Kündigung des Kontos rechtlich zu stützen.
Ein passender Vergleich ist eine Verkehrsstrafe: Ein Bußgeldbescheid sagt Ihnen nicht nur „Sie haben eine Regel gebrochen“. Er nennt präzise das Datum, die Uhrzeit, den Ort und die genaue Geschwindigkeitsüberschreitung. So können Sie Ihr Fehlverhalten klar erkennen und künftig vermeiden. Genauso verhält es sich mit den Warnungen von Social Media Plattformen.
Sollten Sie eine Warnung erhalten, die Ihnen zu vage erscheint, fordern Sie umgehend eine detaillierte Begründung. Bitten Sie schriftlich darum, dass die Plattform Ihnen präzise mitteilt, welcher konkrete Beitrag oder welches Verhalten gemeint ist, zu welchem Zeitpunkt es stattfand und gegen welche spezifische Regel verstoßen wurde. Dies ist Ihr Recht und stärkt Ihre Position gegenüber der Plattform.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Abmahnung
Eine Abmahnung ist eine förmliche Rüge, mit der man jemanden auf einen Vertragsverstoß hinweist und ihn auffordert, sein Verhalten umgehend zu ändern. Das Gesetz gibt der Gegenseite mit einer Abmahnung die Möglichkeit, ihr Fehlverhalten zu erkennen und zu korrigieren, bevor härtere Maßnahmen wie eine Kündigung folgen. Sie dient dem Schutz vor unüberlegten oder überraschenden Vertragsbeendigungen.
Beispiel: Die Social-Media-Plattform versäumte es, den Nutzer wirksam abzumahnen, bevor sie sein Konto dauerhaft schloss, was die Kündigung unwirksam machte.
Beweislast
Die Beweislast beschreibt im juristischen Sinne, welche Partei vor Gericht die Tatsachen beweisen muss, die für ihre Behauptung sprechen. Wer sich auf eine bestimmte Tatsache beruft oder aus dieser Rechte ableitet, muss sie auch beweisen. Das Gericht kann sonst die Behauptung nicht zugrunde legen.
Beispiel: Im Streit um die Kontosperrung lag die Beweislast für die schwerwiegenden Vertragsverstöße beim sozialen Netzwerk, das die Kündigung ausgesprochen hatte.
Fristlose Kündigung
Unter einer fristlosen Kündigung versteht man die sofortige Beendigung eines Vertrages ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist, weil ein wichtiger Grund dies rechtfertigt. Eine solche Kündigung ist nur möglich, wenn der Vertragspartner die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zum Ende der regulären Frist unzumutbar macht. Sie dient dazu, erhebliche Pflichtverletzungen sofort zu sanktionieren.
Beispiel: Die fristlose Kündigung des Nutzervertrags durch die Plattform war unwirksam, da sie keinen wichtigen Grund nachweisen konnte und keine vorherige Abmahnung erfolgte.
Status quo ante
Juristen sprechen vom Status quo ante, wenn ein früherer, ursprünglicher Zustand wiederhergestellt werden soll. Das bedeutet, nach einer gerichtlichen Entscheidung wird die Situation so hergestellt, als hätte die beanstandete Handlung, etwa eine Kündigung, nie stattgefunden. Der Zweck ist die vollständige Rückabwicklung unrechtmäßiger Maßnahmen.
Beispiel: Nach dem Urteil sollte das Nutzerkonto in den Status quo ante versetzt werden, was die Wiederherstellung aller vor der Sperrung vorhandenen Inhalte umfasste.
Substantiierung
Substantiierung ist die detaillierte und präzise Darlegung von Tatsachen und rechtlichen Argumenten vor Gericht. Ein Gericht verlangt eine umfassende und konkrete Begründung für alle vorgebrachten Ansprüche und Einwände. Nur wenn eine Partei ihre Argumente ausreichend substantiiert, kann das Gericht sie prüfen und darauf eine Entscheidung stützen.
Beispiel: Die Anwälte des Nutzers versäumten die Substantiierung aller Begründungen des Landgerichts in der Berufung, weshalb ihre Klage scheiterte.
Tragende Gründe eines Urteils
Als tragende Gründe eines Urteils bezeichnet man die rechtlichen und tatsächlichen Argumente, auf denen die Entscheidung des Gerichts in letzter Konsequenz beruht. Wenn ein Urteil auf mehreren voneinander unabhängigen tragenden Gründen fußt, muss man in einer Berufung jeden einzelnen dieser Gründe angreifen, um Erfolg zu haben. Bleibt ein einziger tragender Grund unangetastet, kann die Entscheidung darauf weiterhin bestehen.
Beispiel: Die Berufung des Nutzers scheiterte, weil er nur eine der beiden tragenden Gründe eines Urteils der Vorinstanz angegriffen hatte, die andere jedoch unangetastet ließ.
Wichtige Rechtsgrundlagen
Außerordentliche Kündigung von Dauerschuldverhältnissen (§ 314 Abs. 1 BGB)
Ein Vertrag, der über längere Zeit läuft, kann nur fristlos gekündigt werden, wenn ein sehr wichtiger Grund vorliegt und oft eine vorherige Warnung erfolglos blieb.
→ Bedeutung im vorliegenden Fall: Die Plattform konnte das Nutzerkonto nicht dauerhaft sperren, da sie keinen ausreichend wichtigen Grund nachweisen konnte, der eine vorherige Abmahnung überflüssig gemacht hätte.
Anforderung an eine wirksame Abmahnung (Rechtsprinzip der Konkretisierung)
Eine Abmahnung muss dem Gekündigten klar und deutlich aufzeigen, welches konkrete Fehlverhalten einen Vertragsbruch darstellt, damit dieser sein Verhalten anpassen kann.
→ Bedeutung im vorliegenden Fall: Die pauschalen Hinweise der Plattform auf allgemeine Community Standards reichten nicht aus, da sie dem Nutzer nicht spezifisch erklärten, welche konkreten Inhalte gegen welche exakte Regel verstießen.
Beweislast (Allgemeiner Rechtsgrundsatz)
Wer vor Gericht eine Behauptung aufstellt, die für seinen Fall wichtig ist, muss diese Behauptung auch beweisen können.
→ Bedeutung im vorliegenden Fall: Die Social-Media-Plattform musste beweisen, dass die fristlose Kündigung des Nutzerkontos gerechtfertigt war; da ihr dieser Beweis nicht gelang, war die Kündigung unwirksam.
Begründungspflicht bei der Berufung (§ 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 ZPO)
Wer ein Urteil in der nächsten Instanz anfechten möchte, muss detailliert darlegen, warum die vorherige Gerichtsentscheidung falsch ist, insbesondere wenn das Urteil auf mehreren unabhängigen Gründen beruht.
→ Bedeutung im vorliegenden Fall: Der Nutzer scheiterte mit seinen weiteren Forderungen, weil seine Anwälte nur eine von zwei tragenden Begründungen des Landgerichts angegriffen hatten und die Berufung daher als unzulässig verworfen wurde.
Das vorliegende Urteil
OLG Celle – Az.: 5 U 271/23 – Urteil vom 21.08.2025
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