LG Koblenz – Az.: 12 O 137/19 – Urteil vom 24.04.2020
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist für die Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Klägerin macht Ansprüche auf Hinterbliebenengeld geltend.
Die Klägerin ist die Schwiegermutter der am 14.03.2018 bei einem Arbeitsunfall verstorbenen …. Am 14.03.2018 war der Beklagte zu 1) als Fahrer des bei der Beklagten zu 2) versicherten Traktors mit dem amtlichen Kennzeichen … auf dem Gut … mit der Errichtung eines Weidenzauns beschäftigt.
Der … wurde von der verstorbenen …, ihrem Ehemann … und der Klägerin betrieben. Die Klägerin war beinahe täglich auf dem Hof und half bei den anfallenden Arbeiten, bei der Haushaltsführung und der Betreuung der Kinder mit. Zwischen der Klägerin und der Verstorbenen bestand ein besonders enges Verhältnis, das mit einem Mutter-Tochter-Verhältnis gleichzusetzen war.
Die Verstorbene und ihr Ehemann halfen am 14.03.2018 dem Beklagten zu 1) bei der Errichtung des Weidezauns. Der Beklagte zu 1) damit beschäftigt, mittels der am Traktor befestigten Greifschaufel Pfahle ins Erdreich zu versenken. Die verstorbene … half ihm dabei, indem sie sich im Bereich des jeweils zu versenkenden Pfahls aufhielt und diesen bis zum „Runterdrücken“ durch die Greifschaufel festhielt. Der Ehemann der verstorbenen koordinierte die Arbeiten. Als der Beklagte zu 1) gerade ansetzte, den zweiten Pfahl ins Erdreich zu drücken, löste sich die Greifschaufel des Traktors aus ihrer Verankerung, kippte nach vorne weg und fiel auf Frau …. Sie wurde im Brustbereich getroffen, erlitt eine Zertrümmerung des gesamten Brustkorbes und verstarb an den Folgen ihrer Verletzungen. Gegen den Beklagten zu 1) wurde am 25.07.2018 ein Strafbefehl wegen fahrlässiger Tötung erlassen. Der Strafbefehl ist rechtskräftig. Die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft hat den Unfall als landwirtschaftlichen Arbeitsunfall anerkannt (Anlage B1).
Die Klägerin ist der Ansicht, ihr stünden Ansprüche auf Hinterbliebenengeld zu. Diese seien nicht aufgrund der Haftungsbeschränkung gemäß §§ 104, 105 SGB VII ausgeschlossen.
Die Klägerin beantragt:
1. Die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, die Klagepartei ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Hinterbliebenengeld, mindestens aber 8000,00 € nebst Zinsen von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30.4.2019 zu zahlen;
2. Die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klagepartei die Kosten ihrer Prozessbevollmächtigten für deren außergerichtliche Tätigkeit in Höhe von 892,02 € zu zahlen.
Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.
Die Beklagten berufen sich auf den Haftungsausschluss gemäß §§ 104, 105 SGB VII. Sie sind der Ansicht das dieser auch auf das hier geltend gemachte Hinterbliebenengeld anwendbar sei. Sie wenden Mitverschulden der Verstorbenen ein.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, erweist sich jedoch als unbegründet.
1. Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen den Beklagten zu 1) auf Zahlung von Hinterbliebenengeld gemäß § 844 Abs. 3 BGB.
Die Ansprüche sind aufgrund des Haftungsausschlusses gemäß §§ 104, 105 SGB VII ausgeschlossen. Diese Vorschriften regeln eine Haftungsbeschränkung bei der Geltendmachung von Ansprüchen des Geschädigten, sowie seiner Angehörigen und Hinterbliebenen. Die Haftung ist auf Vorsatz beschränkt.
Nach dem Wortlaut des § 105 Abs. 1 SGB VII umfasst der Haftungsausschluss alle Ansprüche des Versicherten sowie seiner Angehörigen und Hinterbliebenen aus Personenschäden. Das sind alle Schäden, die durch die Verletzung oder Tötung des Versicherten verursacht worden sind. (vgl. BVerfGE 34, 118, 128 ff.; BVerfG, NJW 1995, 1607; BGH, VI ZR 55/06)
§§ 104 und 105 SGB VII setzen voraus, dass ein Versicherungsfall im Sinne von § 7 SGB VII eingetreten ist, also ein Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit. Ein Arbeitsunfall ist ein Unfall eines Versicherten infolge einer versicherten Tätigkeit, § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII (BGH, VI ZR 55/06).
Die Verstorbene hat den tödlichen Arbeitsunfall als „Wie-Beschäftigte“ iSv § 2 Abs. 2 S. 1 SGB VII im Unternehmen des Beklagten zu 1) erlitten. Der Anwendungsbereich der haftungsbeschränkenden Regelungen der §§ 104, 105 SGB VII ist somit grundsätzlich eröffnet (LPK-SGB VII/Bernd Grüner, 5. Aufl. 2018, SGB VII § 104 Rn. 13).
Nach §§ 104 ff. SGB VII sind Schädiger „den Versicherten, …, sowie deren Angehörigen und Hinterbliebenen nach anderen gesetzlichen Vorschriften zum Ersatz des Personenschadens, den ein Versicherungsfall verursacht hat, nur verpflichtet, wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich oder auf einem nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 versicherten Weg herbeigeführt haben“. Die Haftungsbeschränkung in §§ 104 ff. SGB VII erstreckt sich jedenfalls auf die originären Ansprüche der Hinterbliebenen nach §§ 844, 845 BGB wie Unterhaltsausfall, Beerdigungskosten (NZV 2017, 401, beck-online).
Die Haftungsbeschränkung ist ebenfalls auf Ansprüche auf Hinterbliebenengeld gemäß § 844 Abs. 3 BGB anwendbar.
Durch das Gesetz zur Einführung eines Hinterbliebenengeldanspruchs v 17.7.2017 (BT-Drs 18/11397, BGBl I 2421) ist Abs 3 angefügt worden. Nahen Angehörigen eines Getöteten, nicht aber eines schwer Verletzten, steht nach Abs 3 auch dann ein Entschädigungsanspruch zu, wenn sie keine eigene Gesundheitsbeschädigung iSv § 823 Abs. 1 und § 253 Abs. 2 BGB erlitten haben, ihr seelisches Leid also nicht über das hinausgeht, was Hinterbliebene angesichts des Todes naher Angehöriger erfahrungsgemäß erleiden (vgl dazu BGH NJW 1971, 1883, 1884f; NJW 2015, 2246, 2247; Wilhelmi in: Erman, BGB, 15. Aufl. 2017, § 844 BGB, Rn. 20).
Für eine Herausnahme des in § 844 Abs. 3 BGB geregelten Hinterbliebenengeldes aus der Privilegierung der §§ 104, 105 SGB VII ist aus systematischen Gründen kein Raum.
Die Klägerin kann nicht mit dem Argument durchdringen, der Sinn und Zweck der Privilegierungstatbestände der §§ 104, 105 SGB VII, der Schutz des Betriebsfriedens, könne bei tödlichen Arbeitsunfällen niemals greifen, da sich in dem Fall keine zwei Betriebsmitglieder gegenüber stünden.
Zunächst ist festzustellen, dass die Nichterreichung des vom Gesetzgeber verfolgten Zwecks nicht automatisch zur Unanwendbarkeit einer Vorschrift führt. Dies gilt hier insbesondere deshalb, da die Klägerin als Hinterbliebene ausdrücklich Regelungsadressatin ist. Die §§ 104, 105 SGB VII regeln ausdrücklich, dass die „Versicherten desselben Betriebs“, aber auch deren Angehörige und Hinterbliebene die Haftungsbeschränkung des Schädigers gegen sich gelten lassen müssen. Das Gesetz geht bereits vom Wortlaut her von der Konstellation aus, in der es zu einem Todesfall kommt. Die ausdrückliche Erwähnung der Hinterbliebenen spricht daher gerade dafür, dass auch bei tödlichen Unfällen Konfliktsituationen vermieden werden sollen, obwohl sich in diesen Fällen naturgemäß nicht Betriebsangehörige sondern der Schädiger und der Hinterbliebene gegenüber stehen.
Die Haftungsbegrenzungen dienen somit vordergründig dem Schutz des Betriebsfriedens. Sie binden allerdings auch die Hinterbliebenen hierin mit ein. Der vom Gesetzgeber bezweckte Schutz vor Auseinandersetzungen und Konflikten hat den Hintergrund, dass neben der Frage des Verschuldens des Schädigers auch ein Mitverschulden des Getöteten diskutiert werden muss. Diese belastende Auseinandersetzung mit dem Mitverschulden des Geschädigten hat der Gesetzgeber offensichtlich sowohl für den Fall, dass eine Verletzung vorliegt als auch bei tödlichen Unfällen vermeiden wollen. Die ausdrückliche Einbeziehung der Hinterbliebenen manifestiert den Wunsch des Gesetzgebers, auch diesen die Befassung mit dem Mitverschulden des Verstorbenen zu ersparen.
Zwar hat der BGH den Schadenersatzanspruch eines Angehörigen, der einen Schockschaden erlitten hat, nicht der Haftungsprivilegierung der § 104 SGB VII ff. unterfallen lassen (BGH, VI ZR 55/06). Begründet wurde dieses mit dem Umstand, dass ein eigenes Recht des Angehörigen bei einem Schockschaden verletzt worden sei. Diese Erwägung trifft auf das Hinterbliebenengeld gemäß § 844 Abs. 3 BGB nicht zu. Der Anspruch auf das Hinterbliebenengeld setzt im Gegensatz zum Schockschaden keine gesundheitliche Beeinträchtigung voraus (BT-Drucksache 18, 11397, S. 14).
Der Beklagte zu 1) handelte unstreitig fahrlässig und nicht vorsätzlich. Die Klägerin kann daher die Ansprüche aus § 844 Abs. 3 BGB aufgrund der einschlägigen Privilegierung des Beklagten zu 1) nicht geltend machen.
2. Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagte zu 2) auf Zahlung von Hinterbliebenengeld gemäß § 844 Abs. 3 BGB.
Die Haftung des Haftpflichtversicherers ist akzessorisch zur Haftung des Fahrers bzw. Halters, § 115 VVG.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 S. 2 ZPO.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 8.000,00 € festgesetzt.