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BGH Urteil Dach: „Dach komplett erneuert“ – Was das für Immobilienkauf & Haftung bedeutet

Sie fanden das perfekte Haus, und das Exposé versprach: „Dach komplett erneuert“. Doch dieser eine Satz entpuppte sich nach dem Kauf als kostspieliger Trugschluss, der die neuen Eigentümer bis vor den Bundesgerichtshof führte. Dessen wegweisendes Urteil definiert nun, was solche Werbeaussagen beim Immobilienkauf wirklich bedeuten und stärkt die Rechte von Käufern.

Übersicht

Immobilienverkauf:  Käufer und Verkäuferin diskutieren üner die Aussage im Exposé: "Dach komplett erneuert"
Das BGH Urteil klärt die Bedeutung von „Dach komplett erneuert“ beim Immobilienkauf und stärkt Käufer bei Sachmängeln. | Symbolbild: KI generiertes Bild

Das Wichtigste: Kurz & knapp

  • Hauskäufer können sich künftig stärker auf bestimmte Aussagen im Verkaufsprospekt (Exposé) verlassen. Was dort konkret über den Zustand der Immobilie steht, zählt mehr.
  • Dieses Urteil betrifft alle, die ein Haus oder eine Wohnung kaufen oder verkaufen.
  • Verkäufer müssen ihre Immobilie sehr genau beschreiben. Versprechen wie „Dach komplett erneuert“ bedeuten oft mehr als nur oberflächliche Arbeit; Käufer dürfen erwarten, dass auch geltende Baustandards eingehalten wurden.
  • Anlass war ein Fall, bei dem im Exposé stand, das Dach sei „komplett erneuert“ worden, tatsächlich aber nur die oberste Schicht repariert war.
  • Der BGH hat klargestellt, dass „Dach komplett erneuert“ nicht automatisch nur die oberste Schicht meint. Wie die Aussage zu verstehen ist, hängt davon ab, wie ein vernünftiger Käufer sie verstehen durfte.
  • Ein allgemeiner Haftungsausschluss im Kaufvertrag schützt Verkäufer nicht automatisch vor Haftung für solche spezifischen Zusagen im Exposé.
  • Der konkrete Fall wird nun vom zuständigen Gericht erneut geprüft nach diesen Grundsätzen.

Quelle: Bundesgerichtshof (BGH) Az.: V ZR 229/23 vom 6. Dezember 2024

„Dach komplett erneuert“: Was ein wegweisendes BGH-Urteil für Immobilienkäufer und Verkäufer wirklich bedeutet

Der Traum vom Eigenheim kann schnell zum Albtraum werden, wenn sich nach dem Kauf herausstellt, dass blumige Versprechungen im Exposé nicht der Realität entsprechen. Eine besonders kostspielige Überraschung kann ein mangelhaftes Dach sein. Ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 6. Dezember 2024 (Az. V ZR 229/23) hat nun für mehr Klarheit gesorgt, was die Formulierung „Dach komplett erneuert“ tatsächlich bedeutet und welche Folgen sie für Käufer und Verkäufer hat. Diese Entscheidung ist nicht nur für den konkreten Fall relevant, sondern beleuchtet ein Problem, das viele Immobilieninteressenten betrifft: Wie verbindlich sind Werbeaussagen und was darf man als Käufer erwarten?

Der Fall vor dem Bundesgerichtshof: Ein „komplett erneuertes“ Dach und enttäuschte Erwartungen

Im Zentrum des Rechtsstreits stand ein Einfamilienhaus, dessen Dach angeblich einer kompletten Erneuerung unterzogen worden war. Doch die Realität sah anders aus und führte die neuen Eigentümer vor Gericht.

Ein Traumhaus mit Makel: Der Sachverhalt kurzgefasst

Im Jahr 2021 erwarben die Kläger ein 1974 erbautes Einfamilienhaus von der Beklagten. Im Maklerexposé, das ihnen vor dem Kauf überlassen wurde, fand sich die verlockende Angabe: „2009 wurde das Dach komplett erneuert (…)“. Wie bei Immobilientransaktionen üblich, enthielt der notarielle Kaufvertrag einen Ausschluss der Haftung für Sachmängel.

Nach dem Einzug stellten die Käufer jedoch fest, dass die Arbeiten im Jahr 2009 bei Weitem nicht so umfassend waren, wie die Formulierung suggerierte. Tatsächlich wurden auf Veranlassung der Verkäuferin lediglich neue Bitumenbahnen auf der bestehenden Dachkonstruktion verklebt und verschweißt. Eine Erneuerung der gesamten Dachstruktur, der Dämmung oder anderer wichtiger darunterliegender Komponenten hatte nicht stattgefunden. Für die Käufer bedeutete dies, dass das Dach im Wesentlichen noch dem Zustand bei Errichtung des Hauses entsprach und modernen Anforderungen, beispielsweise der Energieeinsparverordnung (EnEV), nicht genügte. Sie forderten daher von der Verkäuferin die Kosten für eine umfassende Dacherneuerung in Höhe von 20.337,03 Euro.

Dieser Fall ist typisch für Situationen, in denen Käufer, oft juristische Laien, sich auf die Angaben im Exposé verlassen. Die Enttäuschung über den wahren Zustand der Immobilie und der unerwartete finanzielle Aufwand für notwendige Reparaturen sind dann oft groß. Es zeigt sich die menschliche Dimension solcher Konflikte: Der Traum vom Eigenheim weicht Frustration und dem Gefühl, getäuscht worden zu sein.

Der Weg durch die Instanzen: Ein juristisches Tauziehen um die Wahrheit

Bevor der Fall den Bundesgerichtshof erreichte, hatten sich bereits zwei untere Instanzen mit der Frage beschäftigt, was unter einem „komplett erneuerten Dach“ zu verstehen ist.

Erste Runde: Erfolg für die Käufer vor dem Landgericht Leipzig

Das Landgericht (LG) Leipzig gab der Klage der Käufer in erster Instanz weitgehend statt. Es sprach ihnen die geltend gemachten Kosten für die Dacherneuerung, bis auf einen Teil der Nebenforderungen, zu. Diese Entscheidung deutet darauf hin, dass das LG Leipzig die Formulierung „Dach komplett erneuert“ im Sinne der Käufer weit auslegte und eine umfassendere Sanierung als geschuldet ansah.

Die Wende: Das Oberlandesgericht Dresden sieht es anders

Auf die Berufung der Verkäuferin hin änderte das Oberlandesgericht (OLG) Dresden das landgerichtliche Urteil jedoch ab und wies die Klage vollständig ab. Die Begründung des OLG war für die Käufer ernüchternd: Sie hätten das Exposé missverstanden. Nach „allgemeinem Sprachgebrauch“, so das OLG, sei die Aussage, es seien „auf dem kompletten Dach Bitumenbahnen verlegt und verschweißt worden“, dahingehend zu verstehen, dass die Angabe „Dach komplett erneuert“ zutreffend sei und lediglich die Erneuerung der obersten Dachschicht impliziere.

Die Entscheidung des OLG Dresden, die Klage auf Basis seiner eigenen Interpretation des „allgemeinen Sprachgebrauchs“ abzuweisen, zeigte eine problematische richterliche Herangehensweise. Das Gericht schien eine sehr spezifische und enge Bedeutung der Formulierung als gerichtsbekannt anzunehmen, ohne dies näher zu belegen. Solche Annahmen können jedoch zu Ungerechtigkeiten führen, wenn das unterstellte „allgemeine Verständnis“ nicht der Realität entspricht oder im konkreten Kontext unpassend ist. Die Revision zum BGH war somit ein notwendiger Schritt, um diese grundlegende Auslegungsfrage höchstrichterlich klären zu lassen.

Die Kernfragen für den Bundesgerichtshof: Was zählt beim Wort?

Der Bundesgerichtshof musste sich mit mehreren zentralen juristischen Fragen auseinandersetzen, die weit über den Einzelfall hinaus Bedeutung haben: Wie ist die Angabe „Dach komplett erneuert“ in einem Immobilienexposé auszulegen? Ist hierunter nur die oberste Schicht zu verstehen oder eine umfassende Sanierung? Darf ein Gericht seine Auslegung auf einen vermeintlichen „allgemeinen Sprachgebrauch“ stützen, ohne dessen Existenz und Inhalt nachvollziehbar zu begründen? Und ist eine solche Annahme durch die nächsthöhere Instanz überprüfbar? Welche Rolle spielen Angaben in einem Exposé für die vereinbarte Beschaffenheit einer Immobilie gemäß § 434 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), insbesondere wenn im Kaufvertrag ein allgemeiner Haftungsausschluss für Sachmängel vereinbart wurde? Der § 434 BGB regelt, wann eine verkaufte Sache frei von Mängeln ist. Entscheidend ist oft, welche Eigenschaften die Parteien vereinbart haben.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs: Klare Worte für mehr Rechtssicherheit

Mit seinem Urteil vom 6. Dezember 2024 hat der V. Zivilsenat des BGH wichtige Pflöcke für die Auslegung von Werbeaussagen beim Immobilienkauf eingeschlagen und die Rechte von Käufern gestärkt.

Das Urteil im Überblick: Aufhebung und Zurückverweisung

Der BGH hob das Urteil des OLG Dresden auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück. Das bedeutet, der Fall ist noch nicht endgültig entschieden, aber das OLG Dresden muss nun unter Beachtung der strengen rechtlichen Vorgaben des BGH neu urteilen.

Die Leitsätze des BGH: Eckpfeiler der Entscheidung

Die Kernaussagen seines Urteils fasste der BGH in zwei prägnanten Leitsätzen zusammen, die für die Rechtspraxis von großer Bedeutung sind:

  1. „Der allgemeine Sprachgebrauch ist als allgemeiner Erfahrungssatz revisibel.“ Dieser erste Leitsatz ist von grundlegender methodischer Bedeutung. Revisibel bedeutet, dass die Feststellung des „allgemeinen Sprachgebrauchs“ durch ein Tatsachengericht (wie das OLG) vom Revisionsgericht (dem BGH) überprüft werden kann. Es handelt sich dabei nicht um eine reine Tatsachenfeststellung, die der Überprüfung durch den BGH entzogen wäre. Vielmehr sieht der BGH den „allgemeinen Sprachgebrauch“ als einen Erfahrungssatz an – also eine Regel, die auf allgemeiner Lebenserfahrung beruht. Die Anwendung solcher Erfahrungssätze auf die Rechtsauslegung ist sehr wohl vom BGH kontrollierbar. Dies ist ein wichtiger Mechanismus zur Sicherung der Rechtseinheit und verhindert, dass unterschiedliche Gerichte zu stark voneinander abweichenden Auslegungen desselben Begriffs gelangen.
  2. „Es gibt keinen allgemeinen Sprachgebrauch des Inhalts, dass unter einem in einem bestimmten Jahr komplett erneuerten Dach stets nur die Erneuerung der obersten Dachschicht (hier: Bitumenbahnen) zu verstehen ist.“ Mit diesem zweiten Leitsatz trifft der BGH eine klare materielle Aussage zum strittigen Punkt und widerspricht damit der Auffassung des OLG Dresden fundamental. Die Annahme des OLG, die Formulierung „Dach komplett erneuert“ bedeute im allgemeinen Sprachverständnis immer und ausschließlich die Erneuerung der obersten Dachhaut, ist nach Ansicht des BGH unzutreffend.

Die Begründung des BGH: Warum die Richter so entschieden

Die Karlsruher Richter begründeten ihre Entscheidung ausführlich und gaben dem OLG Dresden klare Leitplanken für die weitere Verhandlung mit.

Kein Beleg für eingeschränkten Sprachgebrauch

Der BGH kritisierte das OLG Dresden scharf dafür, seine Auslegung auf einen nicht belegten „allgemeinen Sprachgebrauch“ gestützt zu haben. Das OLG hatte schlicht behauptet, „Dach komplett erneuert“ bedeute nur die oberste Schicht. Der BGH hingegen machte sich die Mühe, diese Behauptung selbst zu überprüfen. Die Richter konsultierten allgemein zugängliche Quellen wie den Duden, Online-Enzyklopädien wie Wikipedia (zum Aufbau eines Daches) und sogar fachliche Regelwerke wie die Energieeinsparverordnung (EnEV). Das Ergebnis dieser Recherche war eindeutig: Keine dieser Quellen stützte die extrem enge Auslegung des OLG. Vielmehr legen diese nahe, dass der Begriff „Dach“ durchaus die gesamte Konstruktion umfassen kann und eine „komplette Erneuerung“ in der Regel mehr als nur eine oberflächliche Reparatur impliziert.

Diese Vorgehensweise des BGH hat Signalwirkung: Gerichte können nicht einfach eigene Vorstellungen vom Sprachgebrauch als allgemein gültig deklarieren, sondern müssen ihre Annahmen – wenn sie streitig sind – nachvollziehbar begründen oder sogar belegen.

Der „objektive Empfängerhorizont“ ist entscheidend

Für die Auslegung von Erklärungen, wie der Angabe im Exposé, ist nach ständiger Rechtsprechung des BGH der sogenannte objektive Empfängerhorizont maßgeblich. Dieser ergibt sich aus den §§ 133 und 157 BGB, die vorschreiben, dass Willenserklärungen so auszulegen sind, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern. Vereinfacht gesagt: Es kommt nicht darauf an, was sich der Verkäufer (oder Makler) möglicherweise gedacht hat, oder was der Käufer subjektiv verstanden hat. Entscheidend ist vielmehr, wie ein vernünftiger, redlicher und verständiger Durchschnittskäufer die Aussage unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände des Einzelfalls verstehen durfte.

Das OLG Dresden muss nun genau ermitteln, welche Erwartungen die Käufer an die Dacherneuerung haben durften. Dabei sind laut BGH verschiedene Faktoren zu berücksichtigen, beispielsweise die spezifische Art des Daches und sein Aufbau sowie andere im Vertrag oder im Exposé enthaltene Informationen, die den Gesamteindruck vom Zustand des Hauses prägen.

Exposé-Angaben definieren die „Soll-Beschaffenheit“

Der BGH bestätigte erneut seine gefestigte Rechtsprechung, dass zu den Eigenschaften (der sogenannten Soll-Beschaffenheit), die ein Käufer von einer Immobilie erwarten darf, auch solche gehören, die sich aus öffentlichen Äußerungen des Verkäufers ergeben. Hierzu zählen ausdrücklich auch Angaben in einem Immobilienexposé (§ 434 Abs. 1 Satz 3 BGB in der alten Fassung, jetzt inhaltlich unverändert in § 434 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 lit. b BGB neue Fassung).

Wichtig ist dabei: Dies gilt auch dann, wenn das Exposé von einem Makler erstellt wurde, sofern der Verkäufer davon Kenntnis hatte oder zumindest hätte haben müssen. Ein im Kaufvertrag vereinbarter allgemeiner Haftungsausschluss für Sachmängel hebt die Haftung des Verkäufers für solche spezifischen öffentlichen Äußerungen über die Beschaffenheit nicht automatisch auf. Spezifische, positive Beschreibungen der Immobilie können also allgemeine Ausschlussklauseln überlagern oder zumindest ergänzen, wenn es darum geht, die erwartete Qualität der Kaufsache zu definieren. Verkäufer können sich also nicht pauschal hinter einem Haftungsausschluss verstecken, wenn sie zuvor im Exposé konkrete Zusicherungen gemacht haben.

Implizite Erwartungen: Einhaltung von Standards wie der EnEV

Einen besonders praxisrelevanten Hinweis gab der BGH dem OLG Dresden für die weitere Verhandlung mit auf den Weg: Sollte die Auslegung ergeben, dass die Käufer die Angabe im Exposé dahingehend verstehen durften, dass 2009 das gesamte Dach (einschließlich Unterkonstruktion und Dämmung) erneuert wurde, dann durften sie auch die Einhaltung der für solche umfassenden Erneuerungsarbeiten damals geltenden zwingenden öffentlichen Anforderungen erwarten. Dazu gehört beispielsweise die Einhaltung der Standards der Energieeinsparverordnung (EnEV) 2009. Diese Erwartung, so der BGH, entstehe auch ohne ausdrückliche Erwähnung der EnEV im Vertrag oder Exposé.

Das ist eine entscheidende Klarstellung. Eine Aussage über eine durchgeführte Maßnahme („Dach komplett erneuert“) kann somit implizit auch eine Zusicherung über den Standard dieser Maßnahme beinhalten – nämlich dass sie fachgerecht und nach den damals geltenden rechtlichen und technischen Normen durchgeführt wurde. Für Verkäufer bedeutet dies eine potenziell erhebliche Erweiterung ihrer Haftung. Ein „komplett erneuertes Dach“ aus dem Jahr 2009 muss demnach nicht nur physisch neu sein, sondern ein vernünftiger Käufer darf erwarten, dass die Arbeiten auch den damaligen Bauvorschriften entsprachen. Vor diesem Urteil war die Rechtslage hierzu weniger eindeutig. Verkäufer konnten sich eher darauf berufen, dass nur das explizit Genannte geschuldet sei. Der BGH stellt nun klar, dass „komplett“ auch „nach den Regeln der Kunst und des Gesetzes“ bedeuten kann.

Einordnung und Hintergrund: Was steckt juristisch dahinter?

Um die Tragweite des BGH-Urteils vollständig zu erfassen, ist ein kurzer Blick auf die zugrundeliegenden juristischen Konzepte hilfreich.

Das Rechtsgebiet: Sachmängelhaftung beim Immobilienkauf

Im Kern geht es bei diesem Urteil um die Sachmängelhaftung beim Kauf einer Immobilie. Geregelt ist diese vor allem im § 434 BGB. Eine Immobilie (oder jede andere Kaufsache) ist frei von Sachmängeln, wenn sie bei Gefahrübergang (das ist in der Regel der Zeitpunkt der Übergabe) die vereinbarte Beschaffenheit hat.

Was aber ist die „vereinbarte Beschaffenheit“? Diese kann ausdrücklich im Kaufvertrag festgelegt sein. Wie der BGH erneut betont, können sich solche Vereinbarungen aber auch aus öffentlichen Äußerungen des Verkäufers oder seines Maklers ergeben, beispielsweise aus Angaben im Exposé. Enthält das Exposé also eine Aussage wie „Dach komplett erneuert“, kann dies Teil der vereinbarten Beschaffenheit werden. Weicht der tatsächliche Zustand davon ab, liegt ein Sachmangel vor.

In vielen Immobilienkaufverträgen findet sich ein Haftungsausschluss (oft als „gekauft wie gesehen“ formuliert). Ein solcher Ausschluss ist jedoch nicht immer wirksam. Er greift beispielsweise nicht, wenn der Verkäufer einen Mangel arglistig verschwiegen hat oder wenn er eine Garantie für eine bestimmte Beschaffenheit übernommen hat. Eine konkrete Aussage im Exposé kann einer solchen Garantie nahekommen oder deren Fehlen als arglistig erscheinen lassen, wenn sie falsch ist.

Die Bedeutung des „allgemeinen Sprachgebrauchs“ vor Gericht

Gerichte müssen bei ihrer Entscheidungsfindung häufig unbestimmte Rechtsbegriffe oder, wie im vorliegenden Fall, alltägliche Formulierungen auslegen. Dabei greifen sie oft auf den sogenannten „allgemeinen Sprachgebrauch“ zurück. Problematisch wird es jedoch, wenn – wie im Fall des OLG Dresden – unklar bleibt, worauf sich das Gericht bei seiner Annahme eines bestimmten Sprachgebrauchs stützt. Der BGH hat hier eine wichtige Klarstellung getroffen: Die Behauptung eines bestimmten allgemeinen Sprachgebrauchs ist nicht sakrosankt. Indem er den allgemeinen Sprachgebrauch als revisiblen Erfahrungssatz einstuft, macht der BGH deutlich, dass solche Auslegungen durch untere Instanzen seiner Kontrolle unterliegen. Das stärkt die Rechtssicherheit, da es einer „Atomisierung“ der Rechtsprechung entgegenwirkt, bei der jedes Gericht nach eigenem Gutdünken Begriffe auslegen könnte.

Wichtige Begriffe kurz erklärt

Revisibel: Dieser juristische Fachbegriff bedeutet „überprüfbar“ oder „anfechtbar“. Wenn eine Entscheidung oder, wie hier, die Auslegung eines Begriffs durch ein Gericht als revisibel eingestuft wird, bedeutet dies, dass eine höhere Gerichtsinstanz (im konkreten Fall der Bundesgerichtshof) sie auf Rechtsfehler kontrollieren und gegebenenfalls aufheben oder korrigieren kann.

Erfahrungssatz: Ein Erfahrungssatz ist eine Regel oder Erkenntnis, die auf allgemeiner Lebenserfahrung oder gesichertem Wissen beruht und von Gerichten bei der Beurteilung von Sachverhalten und der Entscheidungsfindung herangezogen wird. Das BGH-Urteil stellt klar, dass der „allgemeine Sprachgebrauch“ ein solcher Erfahrungssatz ist und dessen Anwendung durch die Gerichte somit der Überprüfung unterliegt.

Objektiver Empfängerhorizont (§§ 133, 157 BGB): Bei der Auslegung von Willenserklärungen (wie zum Beispiel einer Aussage in einem Immobilienexposé) kommt es nach deutschem Recht nicht darauf an, was der Erklärende sich insgeheim dabei gedacht hat oder was der Empfänger ganz subjektiv darunter verstanden hat. Entscheidend ist vielmehr, wie ein vernünftiger, unbefangener und sorgfältiger Dritter in der Position des Empfängers die Erklärung unter Berücksichtigung aller ihm bekannten Umstände und der allgemeinen Verkehrssitte verstehen durfte und musste.

„Warum ist das relevant für MICH?“ – Die praktischen Folgen des Urteils

Dieses Urteil des Bundesgerichtshofs hat spürbare Konsequenzen für alle, die eine Immobilie kaufen oder verkaufen möchten. Es beantwortet die Frage „Warum ist das relevant für MICH?“ sehr direkt.

Für Immobilienkäufer: Mehr Schutz vor blumigen Worten

Als Immobilienkäufer profitieren Sie von dieser Entscheidung. Ihre Position gegenüber Verkäufern und Maklern, die mit möglicherweise vagen, aber positiv klingenden Beschreibungen werben, wird gestärkt. Sie können sich nun mit größerer Sicherheit darauf verlassen, dass konkrete Aussagen in einem Exposé, wie „Dach komplett erneuert“, nicht einfach als leere Worthülsen abgetan werden können, selbst wenn im Kaufvertrag ein allgemeiner Haftungsausschluss für Sachmängel enthalten ist.

Dennoch ist das Urteil kein Freibrief für blinde Sorglosigkeit. Vorsicht und aktives Nachfragen bleiben unerlässlich. Wenn Sie im Exposé oder vom Makler wichtige Angaben zu durchgeführten Sanierungen oder zum Zustand der Immobilie erhalten (z.B. „kernsanierte Elektrik“, „neuwertige Heizung“, „trockener Keller“), sollten Sie gezielt nachhaken: Was genau wurde wann und wie gemacht? Welche Materialien wurden verwendet? Gibt es darüber Belege, wie Handwerkerrechnungen, Abnahmeprotokolle oder Fotodokumentationen? Lassen Sie sich wichtige Zusicherungen idealerweise schriftlich bestätigen oder noch besser, direkt und präzise in den notariellen Kaufvertrag aufnehmen.

Die Beweislast für das Vorliegen eines Mangels (also die Abweichung der tatsächlichen von der im Exposé zugesicherten Beschaffenheit) liegt zwar weiterhin grundsätzlich beim Käufer. Wenn jedoch der Verkäufer behauptet, er habe von der (falschen) Angabe im Maklerexposé nichts gewusst und müsse deshalb nicht dafür einstehen, so trägt er hierfür die Darlegungs- und Beweislast.

Besonders relevant ist auch die Stärkung der Erwartung, dass bei größeren Renovierungsmaßnahmen auch die geltenden technischen Normen und Bauvorschriften (wie beispielsweise die Energieeinsparverordnung zum Zeitpunkt der Sanierung) eingehalten wurden. Verstöße hiergegen können für Käufer teuer werden, wenn beispielsweise eine unzureichende Dämmung aufwändig nachgebessert werden muss.

Stellen Sie sich vor, Frau S. liest von diesem Urteil. Sie steht kurz vor dem Kauf eines älteren Hauses, bei dem im Exposé von einer „vollständig modernisierten Heizungsanlage im Jahr 2018“ die Rede ist. Angesichts der BGH-Entscheidung beschließt sie, den Verkäufer nicht nur nach dem genauen Modell und dem Installationsdatum zu fragen, sondern auch um Einsicht in die Wartungsprotokolle und die Rechnung des Heizungsbauers zu bitten. Sie möchte sichergehen, dass „vollständig modernisiert“ nicht nur einen neuen Brenner, sondern eine dem Stand der Technik entsprechende Anlage bedeutet.

Für Immobilienverkäufer und Makler: Präzision ist Trumpf

Auch für Verkäufer und die von ihnen beauftragten Makler hat das Urteil klare Botschaften. Das Risiko, für unklare, übertriebene oder gar falsche Anpreisungen im Exposé haftbar gemacht zu werden, ist gestiegen. Eine Formulierung wie „Dach komplett erneuert“ sollte nur dann verwendet werden, wenn die Arbeiten tatsächlich umfassend waren und dies auch belegt werden kann.

Die wichtigste Empfehlung lautet daher: Seien Sie präzise und dokumentieren Sie durchgeführte Arbeiten sorgfältig. Anstatt vage von einem „komplett erneuerten Dach“ zu sprechen, ist es sicherer und transparenter, die Maßnahmen konkret zu benennen. Beispiele für bessere Formulierungen wären: „Erneuerung der Dacheindeckung mit Bitumenbahnen im Jahr 2009“ oder „Umfassende Dachsanierung inklusive neuer Lattung, Unterspannbahn und Dämmung gemäß EnEV-Standard 2007 im Jahr 2009.“ Je genauer die Beschreibung, desto geringer das Risiko von Missverständnissen und späteren Rechtsstreitigkeiten.

Auch Makler sind in der Pflicht, die von ihnen erstellten Exposés sorgfältig zu prüfen und die Angaben auf ihre Richtigkeit hin zu untersuchen, soweit ihnen dies möglich und zumutbar ist. Sie können bei falschen Angaben im Exposé ebenfalls in die Haftung genommen werden. Zudem muss der Verkäufer sich Aussagen des Maklers zurechnen lassen, wenn er dessen Exposé kannte oder kennen musste. Sich pauschal auf Unkenntnis des Exposé-Inhalts zu berufen, wird für Verkäufer durch die Beweislastregel des BGH erschwert.

Häufig gestellte Fragen zum Thema „Dach komplett erneuert“ und die Folgen des BGH-Urteils

Nachfolgend beantworten wir die häufigsten Fragen zu unserem Artikel über das BGH-Urteil zur Angabe „Dach komplett erneuert“ und dessen Auswirkungen für Immobilienkäufer und -verkäufer.


Häufig gestellte Fragen (FAQ)

Ich möchte eine Immobilie kaufen. Was bedeutet dieses BGH-Urteil für mich ganz praktisch – worauf sollte ich jetzt beim Lesen von Exposés und bei Besichtigungen besonders achten?

Dieses Urteil stärkt Ihre Position als Käufer, denn es macht deutlich, dass konkrete positive Angaben im Exposé, wie eben „Dach komplett erneuert“, nicht einfach als leere Werbephrasen abgetan werden können. Praktisch bedeutet das für Sie: Lesen Sie Exposés noch genauer und nehmen Sie solche Beschreibungen ernst. Haken Sie bei wichtigen Angaben, insbesondere zu Sanierungen (Dach, Heizung, Elektrik etc.), immer gezielt nach: Was genau wurde wann und wie gemacht? Gibt es dafür Belege wie Rechnungen oder Protokolle? Lassen Sie sich entscheidende Zusicherungen am besten schriftlich geben oder, idealerweise, präzise in den notariellen Kaufvertrag aufnehmen. Das Urteil ist aber kein Freibrief für Sorglosigkeit; eine eigene kritische Prüfung und Nachfragen bleiben unerlässlich.


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Ich plane, meine Immobilie zu verkaufen. Welche Konsequenzen hat das Urteil für meine Angaben im Exposé und was raten Sie mir konkret?

Für Sie als Verkäufer bedeutet das Urteil, dass Sie bei Angaben im Exposé noch sorgfältiger und präziser sein müssen. Das Risiko, für unklare, übertriebene oder gar falsche Anpreisungen haftbar gemacht zu werden, ist gestiegen. Anstatt vage von einem „komplett erneuerten Dach“ zu sprechen, wenn beispielsweise nur die oberste Schicht ausgebessert wurde, sollten Sie die durchgeführten Arbeiten konkret benennen. Eine präzise Formulierung wäre zum Beispiel: „Erneuerung der Dacheindeckung mit Bitumenbahnen im Jahr 2009“. Dokumentieren Sie alle durchgeführten Sanierungs- und Modernisierungsmaßnahmen sorgfältig mit Rechnungen und Belegen. Diese Transparenz schützt Sie vor späteren Missverständnissen und potenziellen Rechtsstreitigkeiten.


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Oft steht im Kaufvertrag „gekauft wie gesehen“ als Haftungsausschluss. Sind dann vollmundige Versprechen aus dem Exposé, wie „Dach komplett erneuert“, überhaupt noch etwas wert?

Ja, solche Versprechen können weiterhin sehr viel wert sein und sind nicht automatisch durch einen allgemeinen Haftungsausschluss wie „gekauft wie gesehen“ entkräftet. Der Bundesgerichtshof hat in diesem und anderen Urteilen bestätigt, dass konkrete öffentliche Äußerungen des Verkäufers zur Beschaffenheit der Immobilie – und dazu zählen Angaben im Exposé – Teil der vereinbarten Beschaffenheit werden können. Das bedeutet, dass eine spezifische, positive Beschreibung im Exposé einen allgemeinen Haftungsausschluss im Kaufvertrag überlagern oder zumindest ergänzen kann. Verkäufer können sich also nicht einfach hinter einer solchen Klausel verstecken, wenn sie zuvor im Exposé bestimmte Eigenschaften konkret zugesichert haben und die Immobilie diese dann nicht aufweist.


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Im Artikel steht, Käufer dürften bei einer „kompletten Erneuerung“ auch die Einhaltung von Standards wie der Energieeinsparverordnung (EnEV) erwarten. Gilt das auch, wenn die EnEV im Exposé gar nicht erwähnt wurde?

Genau das ist eine der wichtigen Klarstellungen des BGH-Urteils. Wenn die Auslegung ergibt, dass Käufer eine Angabe wie „Dach komplett erneuert“ im Exposé so verstehen durften, dass eine umfassende Erneuerung (also nicht nur oberflächlich) stattgefunden hat, dann durften sie auch die Einhaltung der zum Zeitpunkt dieser Erneuerung geltenden zwingenden öffentlichen Anforderungen erwarten. Dazu gehört beispielsweise die damalige Energieeinsparverordnung (EnEV). Diese Erwartung, so der BGH, entsteht auch dann, wenn die EnEV nicht ausdrücklich im Vertrag oder Exposé genannt wurde. Es geht darum, dass eine „komplette Erneuerung“ auch impliziert, dass die Arbeiten fachgerecht und nach den damals geltenden rechtlichen und technischen Normen durchgeführt wurden.


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Der Begriff „objektiver Empfängerhorizont“ klingt sehr juristisch. Können Sie mir einfach erklären, was damit gemeint ist, wenn es um die Auslegung von Exposé-Angaben geht?

Der „objektive Empfängerhorizont“ ist tatsächlich ein juristischer Fachbegriff, der aber eine recht nachvollziehbare Idee beschreibt. Es geht darum, wie ein vernünftiger, redlicher und verständiger Durchschnittskäufer eine Aussage im Exposé unter Berücksichtigung aller Umstände verstehen durfte. Entscheidend ist also nicht, was sich der Verkäufer vielleicht insgeheim gedacht hat, als er die Formulierung wählte, oder was ein einzelner Käufer ganz subjektiv hineininterpretiert hat. Stellen Sie sich vor, im Exposé eines älteren Hauses steht „Fenster modernisiert“. Ein Durchschnittskäufer würde darunter wahrscheinlich verstehen, dass zumindest zeitgemäße Isolierglasfenster eingebaut wurden und nicht nur, dass die alten Holzrahmen frisch gestrichen wurden – auch wenn der Verkäufer letzteres vielleicht als „Modernisierung“ ansah. Das Gericht prüft also, welche Erwartung die Aussage bei einem typischen, unbefangenen Interessenten wecken durfte.


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Worte mit Gewicht: BGH-Urteil zementiert Verbindlichkeit von Exposé-Angaben

Das Urteil des Bundesgerichtshofs sendet ein klares Signal: Anpreisungen in Immobilienexposés sind keine bloßen Werbefloskeln, sondern können zur verbindlichen Beschaffenheit der Kaufsache werden. Selbst allgemeine Haftungsausschlüsse im Kaufvertrag hebeln die Verantwortung für konkrete Aussagen wie „Dach komplett erneuert“ nicht ohne Weiteres aus, was auch die Erwartung an die Einhaltung technischer Standards zum Sanierungszeitpunkt einschließen kann.

Für Laien bedeutet dies: Käufer dürfen sich stärker auf detaillierte Exposé-Angaben verlassen, während Verkäufer und Makler zu äußerster Präzision und Ehrlichkeit bei Objektbeschreibungen verpflichtet sind. Diese Entscheidung stärkt die Transparenz im Immobilienhandel und mahnt zur Sorgfalt bei der Wortwahl, da diese weitreichende finanzielle und rechtliche Konsequenzen haben kann.

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