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Krankentagegeldversicherung: Abgrenzung zwischen Arbeits- und Berufsunfähigkeit

BGH, Az: IV ZR 163/89, Urteil vom 12.12.1990

Tatbestand

Der Kläger, von Beruf selbständiger Taxifahrer, macht geltend, auch für die Zeit vom 29. August 1985 bis 31. August 1987 stehe ihm ein tägliches Krankentagegeld von 55 DM aus der bei der Beklagten unterhaltenen Krankentagegeldversicherung zu. Er hat am 10. Juni 1984 einen Herzinfarkt erlitten und daraufhin bis 28. August 1985 Krankentagegeldzahlungen von der Beklagten erhalten. Weitere Leistungen lehnt die Beklagte ab; sie hat dies in einem Schreiben vom 11. Juni 1985 damit begründet, daß der Kläger seit 28. Mai 1985 berufsunfähig im Sinne der vereinbarten Versicherungsbedingungen sei, so daß ihm wegen Beendigung des Versicherungsverhältnisses Krankentagegeld nicht mehr zustehe. Daran hält sie auch im Prozeß fest. Der Kläger, der ab 1. September 1987 wieder als Taxifahrer arbeitet, bestreitet, jemals berufsunfähig gewesen zu sein. Für den Zeitraum bis einschließlich 9. September 1985 hat er der Beklagten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen des ihn behandelnden Arztes übersandt.

Nachdem die Beklagte bereits in erster Instanz das Fortbestehen von Arbeitsunfähigkeit bis 31. Mai 1986 bestritten hatte, hat sie in der Berufungsinstanz hilfsweise geltend gemacht, der Kläger sei schon seit August 1985 nicht mehr arbeitsunfähig gewesen.

Die auf Zahlung von 40.315 DM nebst Zinsen gerichtete Klage ist in erster Instanz abgewiesen worden. Im Berufungsverfahren ist dem Kläger der begehrte Betrag nebst Zinsen zuerkannt worden. Mit ihrer Revision erstrebt die Beklagte Klageabweisung, soweit sie zu einer 660 DM übersteigenden Zahlung nebst 4% Zinsen hieraus seit 15. November 1985 verurteilt worden ist.

Entscheidungsgründe

Krankentagegeld
Symbolfoto: Coffmancmu / Bigstock

Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des Berufungsurteils im angefochtenen Umfang und zur Zurückverweisung an das Berufungsgericht.

1. Die Verurteilung der Beklagten für den nunmehr noch entscheidungserheblichen Zeitraum vom 10. September 1985 bis 31. August 1987 beruht auf der Annahme des Berufungsgerichts, die Beklagte habe zugestanden, daß der Kläger, der nach den vorliegenden ärztlichen Unterlagen und den in erster Instanz eingeholten Sachverständigengutachten zu keinem Zeitpunkt berufsunfähig gewesen sei, auch in der Zeit vom 10. September 1985 bis 31. August 1987 arbeitsunfähig im Sinne der maßgeblichen Versicherungsbedingungen gewesen sei. Diese Annahme ist rechtsfehlerhaft und trägt die getroffene Entscheidung nicht.

a) Die Vorinstanzen sind in Übereinstimmung mit den Parteien davon ausgegangen, daß die aufsichtsrechtlich genehmigten Musterbedingungen für die Krankentagegeldversicherung von 1978 – MB/KT 78 (VerBAV 1978, 230ff.) Vertragsinhalt sind. Hiervon ist demnach auch im Revisionsverfahren auszugehen.

Gemäß § 1 Nr. 1 MB/KT 78 bietet der Versicherer „Versicherungsschutz gegen Verdienstausfall als Folge von Krankheiten oder Unfällen, soweit dadurch Arbeitsunfähigkeit verursacht wird“. Gemäß § 1 Nr. 3 MB/KT 78 liegt „Arbeitsunfähigkeit im Sinne dieser Bestimmungen vor, wenn die versicherte Person ihre berufliche Tätigkeit nach medizinischem Befund vorübergehend in keiner Weise ausüben kann, sie auch nicht ausübt und keiner anderweitigen Erwerbstätigkeit nachgeht“. Gemäß § 15 Buchst. b) MB/KT 78 „endet das Versicherungsverhältnis hinsichtlich der betroffenen versicherten Person mit Eintritt der Berufsunfähigkeit. Berufsunfähigkeit liegt vor, wenn die versicherte Person nach medizinischem Befund im bisher ausgeübten Beruf auf nicht mehr absehbare Zeit mehr als 50% erwerbsunfähig ist“.

b) Die Revision läßt die Feststellung des Berufungsgerichts unangefochten, Berufsunfähigkeit im Sinne des § 15 Buchst. b) MB/KT 78 habe bei dem Kläger im Zeitraum vom 10. September 1985 bis 31. August 1987 nicht vorgelegen. Rechtsfehler sind insoweit auch nicht erkennbar. Das Versicherungsverhältnis bestand demnach fort.

c) Mit Erfolg wendet sich die Revision gegen die Annahme eines Geständnisses von Arbeitsunfähigkeit im Sinne des § 1 Nr. 3 MB/KT 78. Aus dem vorprozessualen Schreiben der Beklagten vom 11. Juni 1985 läßt sich, schon unabhängig von seinem Inhalt, ein Geständnis im Sinne des § 288 Abs. 1 ZPO nicht herleiten, da dieses eine Prozeßhandlung ist, die nur im Laufe des Rechtsstreits in einer mündlichen Verhandlung oder zu Protokoll eines beauftragten oder ersuchten Richters vorgenommen werden kann.

Indessen stützt das Berufungsgericht seine Annahme, die Beklagte habe die Arbeitsunfähigkeit des Klägers zugestanden, wohl nur auf den Inhalt der Klageerwiderung vom 4. April 1986 und eines Schriftsatzes vom 14. Juli 1986, die jeweils Gegenstand mündlicher Verhandlung waren. Nach seiner Ansicht hat die Beklagte in diesen Schriftsätzen Berufsunfähigkeit des Klägers „infolge von Arbeitsunfähigkeit von unbestimmter Dauer“ unter gleichzeitigem Bestreiten einer Besserung seines Zustandes behauptet. Diese wiederholte Berufung auf Berufsunfähigkeit des Klägers könne bei denklogischer Betrachtungsweise nur als Geständnis der vom Kläger behaupteten Arbeitsunfähigkeit gemäß § 288 Abs. 1 ZPO gewertet werden, denn in der Behauptung von Berufsunfähigkeit liege das Zugestehen der vom Versicherungsnehmer behaupteten Arbeitsunfähigkeit.

Bei diesen Ausführungen hat das Berufungsgericht übersehen, was es in anderem Zusammenhang selbst betont, daß sich nämlich im Rahmen einer Krankentagegeldversicherung, für die die MB/KT 78 vereinbart sind, Berufsunfähigkeit und zu Versicherungsleistungen berechtigende Arbeitsunfähigkeit, die allein vom Kläger behauptet wird, gegenseitig ausschließen. Berufsunfähigkeit im Sinne der MB/KT 78 ist kein Mehr, in dem als ein Weniger Arbeitsunfähigkeit im Sinne der MB/KT 78 steckt.

Zwar mögen in einer Krankentagegeldversicherung Fälle vorkommen, in denen es nur darum gehen kann, ob der Versicherte zu 100% arbeitsunfähig oder zu 100% berufsunfähig im Sinne der MB/KT 78 ist. Selbst dann geht es aber nicht darum, ob ein- und derselbe Zustand nach ärztlichem Urteil lediglich vorübergehend oder – wie es das Berufungsgericht formuliert – „von unbestimmter Dauer“ ist.

Bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit ist vielmehr gegeben, wenn die versicherte Person nach medizinischem Befund im bisher ausgeübten Beruf auf nicht mehr absehbare Zeit mehr als 50% erwerbsunfähig ist. Bedingungsgemäße Arbeitsunfähigkeit setzt dagegen voraus, daß die berufliche Tätigkeit nach medizinischem Befund vorübergehend in keiner Weise ausgeübt werden kann, ferner daß sie nicht ausgeübt wird und der Versicherte auch keiner anderen Erwerbstätigkeit nachgeht. Die zwei letztgenannten Voraussetzungen fehlen bei bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit. Demnach kann in der Abgrenzung von Berufs- und Arbeitsunfähigkeit im Sinne der MB/KT 78 nicht allein auf das Vergleichspaar „vorübergehend“/“ auf nicht mehr absehbare Zeit“ abgestellt werden. Die Annahme eines Geständnisses fußt indes darauf, daß das Berufungsgericht gemeint hat, es gehe jeweils nur um die Beurteilung der Dauer von Arbeitsunfähigkeit und damit um ein zeitliches Mehr bei der Berufsunfähigkeit gegenüber einem Weniger bei der Arbeitsunfähigkeit. In Wahrheit schließt in einer Krankentagegeldversicherung, für die die MB/KT 78 maßgebend sind, die Berufsunfähigkeit die Arbeitsunfähigkeit nicht denknotwendig ein. Damit kann ein Geständnis, wie es das Berufungsgericht angenommen hat, nicht in Betracht kommen.

Weiterer Erörterungen, insbesondere dazu, ob die Beklagte ihr Geständnis widerrufen konnte und wirksam widerrufen hat, bedarf es deshalb nicht mehr.

Eine über den 9. September 1985 andauernde Arbeitsunfähigkeit des Klägers ist streitig geblieben.

2. Die Sache muß zurückgegeben werden, damit das Berufungsgericht prüft, ob der Kläger auch über den 9. September 1985 hinaus bis längstens 31. August 1987 arbeitsunfähig im Sinne der Versicherungsbedingungen geblieben ist. Die Klage ist nämlich nicht aus anderen Gründen abzuweisen.

Das Berufungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, die Beklagte könne dem Kläger nicht als Obliegenheitsverletzung anlasten, daß er ihr bislang keine über den 9. September 1985 hinausreichenden Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen des ihn behandelnden Arztes übersandt hat. Diese in § 9 Nr. 1.1. MB/KT 78 verankerte Obliegenheit des Versicherungsnehmers soll gewährleisten, daß der Versicherer das Fortbestehen seiner Leistungsverpflichtung prüfen kann. Hat der Versicherer, wie hier die Beklagte, erklärt, daß er von einem bestimmten Zeitpunkt an weitere Leistungen endgültig ablehne – die Beklagte berief sich auf eine Beendigung des Vertragsverhältnisses -, so ist der Versicherungsnehmer nicht gehalten, über den genannten Stichtag hinausreichende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen weiter vorzulegen (vgl. dazu auch das Senatsurteil vom 7. Juni 1989 – IVa ZR 101/88 – VersR 1989, 842 unter 2. a) m.w.N.).

Dem Kläger ist es aber nicht verwehrt, nunmehr der Beklagten das Fortbestehen seiner Arbeitsunfähigkeit über den 9. September 1985 hinaus mit der Vorlage von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen des ihn behandelnden Arztes zu führen, sofern diese zwischen dem 9. September 1985 und dem 31. August 1987 zeitgerecht erstellt worden sind. Diese Vorlage wäre wie eine ordnungsgemäße Obliegenheitserfüllung zu behandeln.

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