AG Erfurt – Az.: 5 C (WEG) 25/11 – Urteil vom 28.03.2012
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des zu vollstreckenden Betrages abwenden, falls nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger begehrt von der Beklagten Schadenersatz wegen behaupteter Beschädigung seines Kraftfahrzeuges durch eine in der Zeit zwischen 10.12.2010 gegen 16.00 Uhr und 12.12.2010 gegen 9.30 Uhr abgegangene Dachlawine. Der Kläger parkte sein Fahrzeug im vorbenannten Zeitraum ordnungsgemäß vor dem im Eigentum der Beklagten stehenden Gebäude ab.
Der Kläger behauptet, sein zuvor unbeschädigtes Fahrzeug sei durch vom Dach des Gebäudes herab fallenden Schnee beschädigt worden. Insoweit seien die gemäß Kostenvoranschlag des Autohauses W. vom 13.12.2010 zur Schadensbeseitigung veranschlagten Aufwendungen erforderlich (Anlage K3, Bl. 16 ff. d. A.). Erfurt sei als durchaus schneereiches Gebiet einzuordnen. Im Übrigen hätte die besondere Wetterlage und die Dachkonstruktion des Hauses die Beklagte veranlassen müssen, entsprechende Vorkehrungen zur Verhinderung abgehenden Schnees zu treffen; jedenfalls hätte die Beklagte einen entsprechenden Warnhinweis anbringen müssen.
Der Kläger beantragt:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.101,20 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen gesetzlichen Basiszinssatz seit 10.03.2011 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte dem Kläger den Schaden aus dem Ereignis vom 10.12.2010 zu ersetzen hat.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 211,23 € außergerichtliche nicht festsetzbare Rechtsanwaltsgebühren nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen gesetzlichen Basiszinssatz seit 22.06.2011 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt: Die Klage wird abgewiesen.
Sie ist der Auffassung, der Kläger müsse sich jedenfalls an seinem eigenen Vortrag festhalten und ein haftungsausschließendes Mitverschulden anrechnen lassen, soweit tatsächlich eine derart außergewöhnliche Schneelage vorgelegen hätte, die erkennbar das Abgehen von Dachlawinen zur Folge hätte haben können.
Wegen der weitergehenden Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, in der Sache aber ohne Erfolg.
Dem Kläger steht gegenüber der Beklagten kein Anspruch auf Schadenersatz gemäß §§ 823 Abs. 1 bzw. 2, 249 ff. BGB, den hier maßgeblichen Anspruchsgrundlagen, zu.
Nur vorsorglich ist darauf hinzuweisen, dass das (zugunsten des Klägers unterstellte) Abgehen einer Lawine tatbestandlich nicht unter § 836 BGB gefasst werden kann (vgl. auch BGH NJW 1955, S. 300).
Im Hinblick auf § 823 BGB Abs. 1 ist eine Verletzung der insoweit maßgeblichen Verkehrssicherungspflichten nicht begründbar; jedenfalls träfe den Kläger ein derart überwiegendes Mitverschulden im Sinne des § 254 Abs. 1 BGB, dass eine (unterstellte) Pflichtverletzung seitens der Beklagten dahinter vollumfänglich zurücktreten müsste.
Im Einzelnen: Vom Grundsatz her hat derjenige, der in seinem Verantwortungsbereich eine Gefahrenlage für Dritte schafft – insbesondere durch Eröffnung eines Verkehrs oder Errichtung einer Anlage – Rücksicht auf die Gefährdung zu nehmen, woraus die allgemeine Rechtspflicht folgt, diejenigen Vorkehrungen zu treffen, die erforderlich und zumutbar sind, um die Schädigung Dritter möglichst zu verhindern (vgl. z. B. BGH NJW 2007, S. 762). Dabei kann und muss jedoch nicht jeder abstrakten Gefahr durch vorbeugende Maßnahmen begegnet werden, da eine Verkehrssicherheit, die jeden Gefährdungsfall ausschließt, nicht erreichbar ist (BGH a.a.O.).
Unter Zugrundelegung dieser allgemein anerkannten Grundsätze der Rechtsprechung war eine Verkehrssicherungspflichtverletzung vorliegend nicht begründbar: Nach wohl ganz h. M. (z. B. BGH NJW 1955, S. 300, OLG Düsseldorf, OLGR 1993, S. 119, OLG Jena WuM 2007, S. 138) ist es grundsätzlich Aufgabe jedes Passanten selbst, sich und sein Eigentum durch Achtsamkeit vor den Gefahren vom Dach herab fallenden Schnees zu schützen. Dem gegenüber trifft den Hauseigentümer regelmäßig keine Pflicht, Dritte gegenüber Dachlawinen durch spezielle Maßnahmen abzusichern; allein die allgemeine Gefahr, dass von einem schneebedeckten Dach Lawinen abgehen können, reicht dafür nicht aus.
Im vorliegenden Fall kommt Folgendes hinzu: Die Anbringung von Schneegittern ist insbesondere in schneearmen Gegenden grundsätzlich unüblich und vom Gebäudeeigentümer auch nicht zu verlangen, da diesem ansonsten entgegen den eingangs genannten Gründen die Abwehr einer lediglich ausnahmsweise und abstrakt bestehender Gefahr auferlegt würde. Erfurt zählt zu den schnee- und niederschlagsärmsten Gegenden in Deutschland, was sich beispielsweise auch durch Recherche auf der Internetseite des Deutschen Wetterdienstes und den dort ausgewiesenen Statistiken nachweisen lässt. Dies dürfte im Weiteren auch allgemein bekannt sein.
Die klägerseits geforderte Pflicht zur Verkehrssicherung ist nach allem in der Stadt Erfurt erst anzunehmen, wenn besondere Umstände Sicherungsmaßnahmen gebieten. Hiervon ist vorliegend nicht auszugehen. Es handelte sich um eine Ausnahmewetterlage, die dergestalt lediglich im vormaligen Winter zu Tage trat. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass auch die vom Kläger vorgetragene Dachneigung in Erfurt gerichtsbekannt gerade nicht unüblich ist.
Hinzuzufügen ist außerdem, dass – anders als in Mittel- oder Hochgebirgsregionen – Schneefanggitter in Erfurt ohnehin nur in geringerer Anzahl angebracht und damit ebenfalls nicht der üblichen (Bau-)Praxis entsprechen. Angesichts all dessen konnte auch unter Beachtung der klägerseits vorgetragenen Umstände von der Beklagten als Gebäudeeigentümerin nicht dasjenige verlangt werden, was eher der Ausnahme als der Regel entspricht. (vgl. im Weiteren OLG Hamm NJW-RR 2003, S. 1463).
Auch die bereits zitierte Entscheidung des OLG Jena bekräftigt die hier vertretene Auffassung: In dem betreffenden Fall wurde die Erforderlichkeit von Schneeschutzgittern im Dachbereich auch mangels Ortsüblichkeit und Festlegung in einer Ortssatzung verneint. Zu bedenken ist insbesondere: Der dort entschiedene Sachverhalt betraf eine im Thüringer Wald auf 846 m über NN gelegene Gemeinde mit – allgemein bekannt – deutlich extremeren Schneelagen als im Erfurter Becken.
Die Beklagte war auch nicht verpflichtet, Warn- oder Hinweisschilder aufzustellen. Eine solche (Verkehrssicherungs-)Pflicht besteht nur dann, wenn eine Gefahrenquelle vorliegt, die nach den gegebenen Umständen das Maß der zu erwartenden Gefahrenlage übersteigt. Da nach dem eigenen Vortrag des Klägers eine besondere mit entsprechenden Gefahren verbundene Wetterlage gegeben war, musste dies nicht nur für die beklagte Wohnungseigentümergemeinschaft, sondern für jedermann erkennbar sein; ein Erkenntnisvorsprung ist vorliegend nicht darstellbar. Angesichts der allgemein ersichtlichen Gefahrensituation war die Aufstellung solcher Warnschilder etc. von der Beklagten nicht zu fordern. Der Kläger hätte dem ausweichen können, indem er anderweitige Abstellmöglichkeiten gesucht hätte (vgl. auch AG Jena, Urteil vom 17.03.2011, AZ: 22 C 630/10).
Im (diesbezüglich vergleichbaren) Bereich der Straßen- und Wegeunterhaltspflicht kann beispielsweise vom verpflichteten Hoheitsträger die Aufstellung von Warnschildern dann verlangt werden, wenn auf einer ansonsten ordnungsgemäß asphaltierten Fahrbahn ein Schlagloch vorhanden ist, mit dem nicht gerechnet werden musste. Soweit ein Fahrweg jedoch auf Sicht in beklagenswertem Zustand ist, wäre die Aufstellung von Warnschildern nicht geboten (vgl. z. B. OLG München, Beschluss vom 02.09.2008, AZ: 1 U 3369/08).
Angesichts dieser Sach- und Rechtslage könnte allenfalls eine unzweifelhaft erkennbare erhebliche Veränderung der Witterungslage, beispielsweise durch sich ankündigendes starkes Tauwetter, aktuell und ausnahmsweise eine Verkehrssicherungspflicht im vorgenannten Sinne begründen (vgl. OLG Zweibrücken, OLGR 2000, S. 7). Dass für eine solche besondere Gefahrenlage Anhaltspunkte bestanden hätten, lässt sich dem Akteninhalt jedoch nicht entnehmen.
Auch ein Anspruch auf Schadenersatz gemäß § 823 Abs. 2 BGB ist mangels Eingreifens eines Schutzgesetzes nicht darstellbar: Eine ordnungsbehördliche Satzung oder Verordnung, die tatbestandlich eingreifen könnte, existiert nicht. § 12 der Verordnung der Stadt Erfurt vom 16.05.2003 betrifft Eiszapfen und Schneeüberhang an Gebäuden, welcher unverzüglich zu beseitigen wäre. Dieser Fall lag hier jedoch nicht vor.
Nicht zuletzt bzw. vorsorglich ist auf das bereits eingangs erwähnte Mitverschulden des Klägers im Sinne des § 254 BGB zusammengefasst wie folgt einzugehen: Der Kläger stellt die Pflichtverletzung der beklagten Wohnungseigentümergemeinschaft als offensichtlich und sich geradezu aufdrängend dar. Angesichts dessen muss er sich ebenso vorhalten lassen, warum er sein Fahrzeug angesichts der von ihm behaupteten ohne Weiteres erkennbaren, ganz erheblichen Gefahrenlage dennoch, also „sehenden Auges“, vor dem Gebäude abgestellt und nicht eine gefahrlose Alternative zum Abstellen des Fahrzeugs gesucht hat.
Da er die insoweit zu fordernde diligentia quam in suis (eigenübliche Sorgfalt) nicht hat walten lassen, muss dieser Verstoß gemäß § 254 BGB zum Ausschluss jeglicher Haftung führen.
Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits hat ihre Grundlage in § 91 Abs. 1 ZPO, diejenige zur vorläufigen Vollstreckbarkeit in §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.