OLG Hamm, Az: I-9 U 165/13, Beschluss vom 14.11.2014
Die mit Senatsbeschluss vom 07.02.2014 zu Gunsten des Klägers erfolgte Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren wird aufgehoben.
Die mit Beschluss des Einzelrichters der 2. Zivilkammer des Landgerichts Münster vom 14.02.2012 erfolgte Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren erster Instanz wird aufgehoben.
Gründe
Die mit Beschluss des Landgerichts vom 14.02.2012 und mit Beschluss des Senats vom 07.02.2014 erfolgte Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren erster und zweiter Instanz war gem. § 124 Abs. 1 Nr. 1 ZPO aufzuheben.
Das Gericht kann die Bewilligung von Prozesskostenhilfe gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 1 ZPO aufheben, wenn die Partei durch unrichtige Darstellung des Streitverhältnisses die für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe maßgebenden Voraussetzungen vorgetäuscht hat. Als Gericht der Hauptsache kann der Senat auch über die Aufhebung der Bewilligung der in erster Instanz gewährten Prozesskostenhilfe entscheiden.
Die Voraussetzungen nach § 124 Abs. 1 Nr. 1 ZPO sind vorliegend erfüllt.
Der Kläger hat im Rahmen der Begründung seiner Klage objektiv falsch vorgetragen.
Der Kläger hat durchgängig behauptet, dass er durch ein unfreiwilliges Unfallereignis die in dem Privatgutachten C vom 27.11.2011 dokumentierten Sachschäden und weitere materielle Schäden erlitten hat, für die er im vorliegenden Verfahren von den Beklagten Schadensersatz verlangt hat. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme in dem Berufungsverfahren steht zur Überzeugung des Senats jedoch fest, dass der Kläger den streitgegenständlichen Auffahrunfall provoziert, mithin in die Beschädigung seines Fahrzeuges eingewilligt hat. Ihm stehen daher mangels Rechtswidrigkeit der Beschädigung im Ergebnis keinerlei Schadensersatzansprüche gegen die Beklagten zu.
Dass sich der Senat von der Unwahrheit des klägerischen Sachvortrags erst nach Durchführung der Beweisaufnahme mit der erforderlichen Gewissheit hat überzeugen können, steht der Entziehung der Prozesskostenhilfe nicht entgegen. Zwar wird man nicht stets die Voraussetzungen für die Aufhebung der Bewilligung der Prozesskostenhilfe als gegeben ansehen können, wenn die im Rahmen des Rechtsstreits durchgeführte Beweisaufnahme zu Ungunsten des Antragstellers verlaufen ist. Ergibt sich aber aus der Beweisaufnahme – gegebenenfalls mit unstreitigen Indizien, die für sich betrachtet, dem erkennenden Gericht noch nicht die erforderliche Gewissheit von der Unwahrheit des Sachvortrags des Antragstellers vermittelt haben – , dass der Antragsteller falsch vorgetragen hat, und ohne diesen falschen Vortrag Prozesskostenhilfe nicht gewährt worden wäre, kann die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nachträglich aufgehoben werden (vgl. OLG des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 25.02.2003 – 4 W 75/02 -, juris; OLG Düsseldorf, FamRZ 1997, 1088).
Dass, und warum die Sachverhaltsschilderung des Klägers in einem entscheidenden Punkt, nämlich der Unfreiwilligkeit des Schadensereignisses, objektiv unzutreffend gewesen ist, ergibt sich aus den Ausführungen in den Entscheidungsgründen des rechtskräftigen Senatsurteil vom 26.08.2014, auf die inhaltlich verwiesen wird. Aufgrund der vom Senat rechtskräftig getroffenen tatsächlichen Feststellungen steht daher fest, dass der Kläger das Unfallereignis provoziert hat und darüber hinaus das durch den Auffahrunfall entstandene Schadensbild vertieft hat.
Soweit der Kläger nunmehr erstmals im Verfahren auf Aufhebung der Prozesskostenhilfe Angriffe gegenüber dem Gutachten des Sachverständigen Prof. T erhebt und neue Tatsachen unter Benennung eines Zeugen vorträgt, kann der Kläger damit nach rechtskräftigem Abschluss des Hauptverfahrens nicht mehr gehört werden. Denn maßgebend sind die getroffenen Feststellungen, wie sie sich aus dem Hauptsacheverfahren ergeben. Ob eine abweichende Bewertung dann geboten ist, wenn die Partei ihr bis dahin nicht bekannte neue Tatsachen vorträgt, bedarf keiner abschließenden Entscheidung. Denn der Kläger beruft sich hier auf – im Berufungsrechtszug – neue Tatsachen und Angriffsmittel, die er bereits im Hauptsacheverfahren hätte vortragen können, dies aber unterlassen hat.
Schließlich ist das neue Vorbringen auch nicht geeignet, die tatsächlichen Feststellungen des Senats zu erschüttern.
Soweit der Kläger das Gutachten des Sachverständigen Prof. T mit der Behauptung angreift, die Ergebnisse der eigens durchgeführten Crashtests seien nicht aussagekräftig, weil der Sachverständige Fahrzeuge ohne Gastank eingesetzt habe, greift dies nicht durch. Dem Sachverständigen war bekannt, dass das Fahrzeug über einen Gastank und einen entsprechenden Einfüllstutzen verfügte. Das ist insbesondere bei der von dem Sachverständigen vorgenommenen Höhenzuordnung berücksichtigt worden. Wenn der dem Senat aus einer Vielzahl von Verfahren als überaus kompetent und sorgfältig bekannte Sachverständige Prof. T der Auffassung gewesen wäre, dass sich das Vorhandensein eines zusätzlichen Einfüllstutzens auf die Plausibilität der Unfallschäden auswirken könnte, hätte er dies bei der Auswahl der für die Crashtests eingesetzten Fahrzeuge berücksichtigt. Die abweichende Einschätzung des Schadensgutachters C beruht allein auf nochmaliger Auswertung der bereits bekannten Lichtbilder vom Schaden, ohne dass der Privatsachverständige die unterstellte Schwächung der Seitenwand verifiziert und dargelegt hätte, welcher „komplett andere Verlauf“ zu erwarten gewesen wäre.
Unzutreffend verweist der Kläger darauf, der erstinstanzlich beauftragte Sachverständige H habe anhand eines Crashtests mit baugleichen Fahrzeugen nachgewiesen, dass die gesamten Schäden am Klägerfahrzeug mit den Schäden am Beklagtenfahrzeug kompatibel seien. Der Sachverständige H hat keinen Crashtest durchgeführt, sondern lediglich baugleiche Fahrzeuge gegenübergestellt.
Soweit der Kläger die Feststellung des Sachverständigen Prof. T, die dem Heck zugewandte Blechfaltung sei bereits vor dem Auffahrunfall vorhanden gewesen, in Frage stellt und für die Behauptung, das Fahrzeug sei unmittelbar vor Fahrtantritt unbeschädigt gewesen, seinen Bruder als Zeugen benennt, geht auch dieser Angriff ins Leere. Selbst wenn der Zeuge die Angaben des Klägers bestätigen sollte, ist damit nicht ausgeschlossen, dass die vom Sachverständigen nicht dem Unfallgeschehen zugeordnete Beschädigung zeitlich vor dem Unfall eingetreten ist. Dabei ist in besonderer Weise zu berücksichtigen, dass den auf technischer Bewertung objektiver Anknüpfungstatsachen durch einen fachkundigen und objektiven Sachverständigen getroffenen Feststellungen den Angaben eines – zumal am Ausgang des Rechtsstreits nicht uninteressierten – Zeugen im Regelfall eine höhere Überzeugungskraft zukommen wird. Schließlich können weder der Schadensgutachter noch der Zeuge eine plausible Erklärung dafür anbieten, warum der hintere Längsträger im Fahrzeug verformt ist, obwohl dies nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. T durch das Unfallgeschehen und die dabei freigesetzten Kräfte nicht erfolgen konnte.
Hätte der Kläger bereits in seiner Klage- bzw. Berufungsbegründung vom 20.12.2011 bzw. 17.09.2013 und dem diesbezüglichen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe den Umstand, den Unfall provoziert zu haben, wahrheitsgemäß dargelegt, wäre eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe für keinen der beiden Rechtszüge erfolgt.
Der Kläger hat auch schuldhaft, nämlich vorsätzlich gehandelt. Dass er keinen Schadensersatz vom Unfallgegner verlangen kann, wenn er diesen zum Auffahren provoziert und damit in die Beschädigung seines Eigentums eingewilligt hat, ist auch bei laienhafter Bewertung Allgemeingut. Umstände, dass ihm diese Erkenntnis verschlossen gewesen sei, werden von dem Kläger daher auch nicht eingewandt.
Angesichts des Umstandes, dass der Kläger nicht nur bedingt vorsätzlich, sondern in der Absicht gehandelt hat, das Gericht über den wahren Sachverhalt zu täuschen, ist es aus Sicht des Senats in Ausübung des diesem eingeräumten Ermessens gerechtfertigt, dem Kläger die Prozesskostenhilfe insgesamt für beide Instanzen zu entziehen. Dass der Kläger damit zur Rückzahlung erheblicher Beträge an die Staatskasse verpflichtet wird, ist dem Senat bewusst, angesichts des strafbaren Verhaltens des Klägers aber nicht unbillig.