AG Bremen – Az.: 8 C 43/20 – Urteil vom 03.04.2020
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 766,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 20.09.2019 zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin von den Kosten der anwaltlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 255,85 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 20.09.2019 freizustellen.
3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des durch das Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor in selber Höhe Sicherheit leistet.
5. Der Streitwert beträgt bis zum 22.01.2020 1.366,00 EUR, ab dem 23.01.2020 766,00 EUR.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Rückerstattung des gezahlten Reisepreises für eine Kreuzfahrt sowie darum, wer von ihnen die Kosten hinsichtlich eines übereinstimmend für erledigt erklärten Teils der Klage zu tragen hat.
Die Klägerin buchte am 26.10.2018 bei der Beklagten eine Reise für den Zeitraum vom 07.03.2019 bis zum 17.03.2019. Die Kreuzfahrt „Karibik-Feeling unter Palmen“ … mit der MS Hamburg sollte insgesamt 1.879,00 EUR kosten und vom Hafen Havanna bis zum Hafen Santo Domingo gehen.
Am Abreisetag kam es zu Komplikationen mit dem Flug der …, der die Klägerin am 07.03.2019 von Düsseldorf nach Havanna bringen sollte. Die Reisenden checkten am 07.03.2019 ein und warteten auf das Boarding. Ohne Vorankündigung kam es zu einer Verschiebung des geplanten Flugs auf den Folgetag. Als die Klägerin zusammen mit den anderen Reisegästen am Gepäckband darauf wartete, ihr eingechecktes Gepäck wieder in Empfang zu nehmen, gab sich Herr … als Lektor und Ansprechpartner der Beklagten zu erkennen. Am 08.03.2019 begaben sich erneut alle Passagiere, darunter auch die Klägerin, zum Boarding. Nachdem sie eingecheckt hatten kam es zur endgültigen Stornierung des Flugs. Als die Klägerin Bescheid bekam, dass der Flug endgültig annulliert worden war, reiste sie ab. Andere Passagiere reisten am 09.03.2019 mit einem Ersatzflug von Frankfurt nach Havanna und am 10.03.2019 von Havanna nach Cienfuegos, wo sie sich schließlich an Bord der MS Hamburg begaben.
Die Klägerin wandte sich mit Schreiben vom 11.03.2019 an die Beklagte und bat um Kostenerstattung im Hinblick auf die Reisekosten. Mit Schreiben vom 16.04.2019 lehnte die Beklagte die Rückzahlung des Gesamtreisepreises ab und zahlte lediglich einen Betrag in Höhe von 513,00 EUR an die Klägerin aus. Die Auszahlung erfolgt mit der Mitteilung, dass es sich hierbei um die Summe aus drei Tagesraten des Reisepreises handele, welche aus Kulanz allen Passagieren ausgezahlt würde. Am 26.04.2019 wurde die Beklagte noch einmal, diesmal durch den Prozessbevollmächtigten der Klägerin, zur Rückzahlung des Gesamtreisepreises aufgefordert. Eine Reaktion der Beklagten erfolgte auch auf eine zweite Zahlungsaufforderung des Bevollmächtigten nicht, so dass die Klägerin schließlich Klage erhob.
Die Klägerin behauptet, Herr …, Lektor bei der Beklagten, hab die Reisenden am Flughafen in Düsseldorf dazu animiert, die Reise zu stornieren. Dies habe sie daraufhin getan und sei davon ausgegangen, ihr würde der gesamte Reisepreis erstattet werden. Eine verspätete Anreise habe sich angesichts dessen, dass sie eine Kreuzfahrt von lediglich zehn Tagen gebucht hatte, nicht mehr gelohnt. Herr … habe ihr auf ausdrückliche Nachfrage geantwortet, sie könne die Reise stornieren. In diesem Zusammenhang habe er sodann auch ihre Daten entgegengenommen und der Klägerin versichert, er werde alles Weitere veranlassen.
Die Klägerin beantragte zunächst, die Beklagte zu verurteilen an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 1.366,00 EUR nebst Zinsen zu zahlen. Nachdem die Klägerin eine Ausgleichszahlung von der Fluggesellschaft über 600,00 EUR erhielt rechnete sie diesen Betrag auf den eingeklagten Betrag an und erklärte den Rechtsstreit in Höhe von 600,00 EUR mit Schriftsatz vom 21.01.2020 für erledigt. Dieser Erledigungserklärung schloss sich die Beklagte mit Schreiben vom 22.01.2020 an.
Die Klägerin beantragt nunmehr,
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 766,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin von den Kosten der anwaltlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 255,85 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit freizustellen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte behauptet, der Lektor Herr … sei lediglich zur Informationsvermittlung vor Ort gewesen und habe sich weder als Mitarbeiter der Beklagten ausgegeben noch die Passagiere zur Stornierung animiert. Des Weiteren habe die Klägerin die Reise gar nicht storniert, eine entsprechende Erklärung sei der Beklagten gegenüber nie abgegeben worden. Herr … als Lektor sei zur Entgegennahme einer solchen Erklärung nicht ermächtigt gewesen. Darüber hinaus sei die Klägerin nicht berechtigt gewesen sowohl gegenüber der Beklagten als auch gegenüber der Fluggesellschaft Ansprüche geltend zu machen, sondern hätte bereits vor Klageerhebung eine Anrechnung vornehmen müssen, so dass die Klage auch in Höhe der 600,00 EUR zum Zeitpunkt der Teilerledigungserklärung unbegründet gewesen sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den vorgetragenen Inhalt der wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 06.03.2020 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet.
An der Zulässigkeit der Klage bestehen keine Bedenken. Bei der teilweisen übereinstimmenden Erledigungserklärung der Parteien handelt es sich um eine zulässige Klagebeschränkung nach § 264 Nr. 2 ZPO.
Die Klage ist darüber hinaus auch begründet.
Der Klägerin steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Rückzahlung in Höhe von 766,00 EUR aus §§ 651l Abs. 2 S. 2, 651i Abs. 3 Nr. 5 BGB zu.
Bei dem Vertrag über die Teilnahme an der Kreuzfahrt „Karibik-Feeling unter Palmen“ handelt es sich um einen Reisevertrag im Sinne des § 651 a Abs. 1 BGB (vgl. BGH, Urteil v. 18.12.2012 – X ZR 2/12, NJW 2013, 1674).
Diesen Reisevertrag hat die Klägerin aufgrund eines Reisemangels wirksam gekündigt, so dass ihr gemäß § 651l Abs. 2 S. 2 BGB ein Anspruch auf Rückzahlung des kompletten Reisepreises zusteht.
Der Klägerin stand ein Recht zur Kündigung des abgeschlossenen Reisevertrags aus § 651i Abs. 3 Nr. 5, Abs. 2 S. 1 BGB zu, da die streitgegenständliche Reise mangelhaft war gemäß § 651i Abs. 2 S. 1 BGB.
Bei einer unzumutbaren Änderung der Flugzeiten beziehungsweise der Verkürzung des Urlaubs durch eine Flugverspätung handelt es sich um einen Reisemangel (vgl. BGH, Urt. v. 17. 4. 2012 − X ZR 76/1, NJW 2012, 2107, MüKoBGB/Tonner, 8. Aufl. 2020, BGB § 651l Rn. 7).
Dieser Mangel war auch erheblich, so dass er die Klägerin gemäß § 651l Abs. 1 S. 1 BGB zur Kündigung berechtigte.
Das Kündigungsrecht ist nicht schon dann gegeben, wenn ein „einfacher“ Mangel im Sinne des § 651i Abs. 1 BGB vorliegt. Für das Kündigungsrecht verlangt das Gesetz eine erhebliche Beeinträchtigung der Reise infolge eines Mangels im Sinne des § 651i Abs. 1 BGB. Eine solche war vorliegend durch die um drei Tage nach hinten verschobene Anreisemöglichkeit und die dadurch verkürzte Zeit an Bord der MS Hamburg gegeben.
Für die Erheblichkeit der Beeinträchtigung ist darauf abzustellen, welchen Anteil der Mangel in Relation zur gesamten Reiseleistung hat, sowie darauf, wie gravierend sich der Mangel für den Reisenden ausgewirkt hat. Dabei ist das Maß, mit dem ein Mangel die Reise beeinträchtigt, auf Grund einer an Zweck und konkreter Ausgestaltung der Reise sowie Art und Dauer der Beeinträchtigung orientierten Gesamtwürdigung zu beurteilen (vgl. BGH, BGH, Urt. v. 17. 4. 2012 − X ZR 76/1, NJW 2012, 2107 Rn. 34, BGH, Urteil vom 7. 10. 2008 – X ZR 37/08, Rn. 15). Vorliegend war insofern nicht nur auf die Programmpunkte abzustellen, welche die Klägerin durch die verspätete Anreise verpasst hätte, sondern es ist insbesondere die tatsächliche Dauer der Reise mit der ursprünglich gebuchten in Relation zu setzen. Ursprünglich sollte die Klägerin am 07.03.2019 anreisen und an Bord der MS Hamburg gehen. Tatsächlich war eine Anreise jedoch erst am 10.03.2019 möglich. Diese drei Tage verspätete Anreise stellt sich angesichts der Reisedauer von nur 10 Tagen und der Entfernung zwischen Deutschland und Kuba als erheblichen Mangel dar. Der Klägerin wären nur etwa zwei Drittel ihrer ursprünglich geplanten Reisezeit verblieben, was für sich allein genommen schon die Erheblichkeitsschwelle überschreitet. Durch die lange Anreise, welche mit Anstrengungen und einem Jetlag verbunden ist, macht es zur Überzeugung des Gerichts einen erheblichen Unterschied, wenn die gebuchte Reise im Endeffekt nur eine Reisezeit von 7 Tagen haben sollte. Die Beklagte selbst bietet in der Karibik ausweislich ihrer Internetpräsenz auch keine Reisen von nur 7 Tagen an.
Es kann somit vorliegend dahinstehen, welche Programmpunkte die Klägerin durch die verspätete Anreise verpasst hat und inwiefern das unwiederholbare Versäumen der bis dahin absolvierten Programmpunkte auch bei einer längeren verbleibenden Reisezeit zu einer Erheblichkeit des Mangels geführt hätten (offengelassen: BGH, Urteil vom 7. 10. 2008 – X ZR 37/08, Rn. 15).
Die Klägerin hat ihr Kündigungsrecht aus § 651i Abs. 3 Nr. 5, Abs. 2 S. 1 BGB darüber hinaus auch wirksam ausgeübt.
Die Kündigung nach § 651l Abs. 1 S. 1 BGB ist grundsätzlich erst dann zulässig, wenn der Reiseveranstalter eine ihm vom Reisenden bestimmte angemessene Frist hat verstreichen lassen, ohne Abhilfe zu leisten. Vorliegend war ein Abhilfeverlangen der Klägerin jedoch ausnahmsweise entbehrlich.
Grundsätzlich muss zunächst Abhilfe verlangt werden, bevor Ansprüche wegen eines Reisemangels gestellt werden sollen, vgl. auch § 651k BGB. Funktion dieser Abhilfeverlangen ist es, den Reiseveranstalter über ihm bisher nicht bekannte Mängel zu informieren, um ihm die Gelegenheit zur Abhilfe zu geben (vgl. MüKoBGB/Tonner, 8. Aufl. 2020, BGB § 651k Rn. 6). Vorliegend handelt es sich jedoch um einen Mangel, der der Beklagten als Reiseveranstalter bekannt war. Die Beklagte selbst gab in ihrem Schreiben an die Klägerin vom 16.04.2019 an, „das Notfallteam und sämtliche verfügbaren Mitarbeiter des Veranstalters [hätten] alles getan, um die schnellstmögliche Anreise nach Kuba zu ermöglichen“. Der Mangel war der Beklagten somit bekannt, so dass schon nach Sinn und Zweck der Norm ein Abhilfeverlangen nicht mehr notwendig war.
Darüber hinaus war eine Abhilfe unmöglich, so dass auch aus diesem Grund ein Abhilfeverlangen mit Fristsetzung durch die Klägerin ausnahmsweise nicht notwendig war. Zum Zeitpunkt der Kündigung hätte die Klägerin die MS Hamburg gar nicht mehr rechtzeitig erreichen können, ohne dass ein erheblicher Mangel der Reiseleistung bestanden hätte, so dass die Abhilfe durch die Beklagte zu diesem Zeitpunkt bereits unmöglich war. Steht von vornherein fest, dass der Reiseveranstalter außerstande ist, angemessene Ersatzleistungen gemäß § 651k Abs. 3 BGB anzubieten, so wäre es ein bloß sinnloser Formalismus, trotzdem auf einem Abhilfeverlangen zu bestehen (vgl. BeckOGK/Klingberg, 1.2.2020, BGB § 651l Rn. 43). Abhilfe war zum Zeitpunkt der Kündigung nicht zu erwarten beziehungsweise die Reise wäre insgesamt nicht mehr zu retten gewesen, so dass ausnahmsweise eine sofortige Kündigung ohne vorheriges Abhilfeverlangen möglich gewesen ist (vgl. MüKoBGB/Tonner, 8. Aufl. 2020, BGB § 651l Rn. 17).
Die Klägerin hat außerdem ihr Kündigungsrecht durch konkludentes Erklären der Kündigung auch wirksam ausgeübt.
Bei der Kündigungserklärung handelt es sich um eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung; sie bedarf keiner bestimmten Form und auch keiner Begründung. Die Kündigung kann auch durch schlüssiges Verhalten erfolgen, das heißt es muss insbesondere keine ausdrückliche Kündigungserklärung ausgesprochen werden (vgl. MüKoBGB/Tonner, 8. Aufl. 2020, BGB § 651l Rn. 16, BeckOGK/Klingberg, 1.2.2020, BGB § 651l Rn. 45, jew. mwN). Mit der Abreise und der Nichtteilnahme am Flug nach Kuba hat die Klägerin den Reisevertrag konkludent gekündigt. Die Klägerin konnte ohne Weiteres davon ausgehen, dass ihre Abreise seitens der Beklagten auch als Kündigung aufgefasst würde (vgl. AG Ahrensburg Urt. v. 28.3.2002 – 41 C 53/99, BeckRS 2010, 20802).
Inwiefern der Lektor der Beklagten, Herr …, zur Entgegennahme von Erklärungen wie einer Stornierung oder Kündigung ermächtigt war, kann somit dahinstehen.
Offenbleiben kann darüber hinaus auch, inwiefern die Rechtswirkungen der Kündigung vorliegend womöglich bereits automatisch nach § 651k Abs. 3 S. 4 BGB eingetreten wären.
Der Anspruch auf Rückzahlung des Reisepreises besteht darüber hinaus auch in voller Höhe. Eine (vergütungspflichtige) Reiseleistung wurde durch die Beklagte zum Zeitpunkt der Kündigung noch nicht erbracht. Grundsätzlich ist der Reisebeginn auf den Zeitpunkt des Check-Ins festzusetzen, das kann jedoch nicht gelten, wenn der durchgeführte Check-In erfolglos bleibt, da es nicht zum Boarding bzw. dem tatsächlichen Flug kommt.
Der Anspruch auf Freistellung vom Ersatz der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten folgt aus Verzugsgesichtspunkten, §§ 280 Abs. 2, 286 BGB.
Die Zinsansprüche beruhen auf den §§ 291, 288 Abs. 1 BGB, 187 BGB analog.
Die Kostenentscheidung folgt im Hinblick auf den noch streitigen Betrag in Höhe von 766,00 EUR aus § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.
Bezüglich des teilweise übereinstimmend für erledigt erklärten Teils der Klage hat die Kostenentscheidung ihre Grundlage in § 91a ZPO.
Nach § 91a Abs. 1 S. 2 und S. 1 ZPO ist über die Kosten unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu entscheiden. Danach ist grundsätzlich im Rahmen des § 91a ZPO insbesondere der zu erwartende Verfahrensausgang zu berücksichtigen.
Hinsichtlich des übereinstimmend für erledigt erklärten Teils in Höhe von 600,00 EUR, welche der Klägerin bereits von der Fluggesellschaft erstattet wurden, war die Klage ursprünglich ebenfalls zulässig und begründet.
Insbesondere war die Klage in Höhe der 600,00 EUR nicht deswegen unbegründet, weil die Klägerin gleichzeitig auch Ausgleichsansprüche gegenüber der Fluggesellschaft geltend gemacht hat.
Grundsätzlich sollen Fluggäste ihre Ansprüche aufgrund eines verspäteten oder stornierten Fluges nicht doppelt geltend machen können. Eine solche Kumulierung würde zu einem ungerechtfertigten Übermaß an Schutz der Fluggäste führen (vgl. EuGH, Urt. v. 10.07.2019, Az.: C-163/18). Dies entspricht der Regelung nach Art. 12 Abs. 1 S. 2 VO (EG) Nr. 261/2004 (FluggastrechteVO), wonach Ansprüche aus der Verordnung und weitergehende Schadensersatzansprüche aus anderen Rechtsgründen zwar kumulativ geltend gemacht werden, wegen desselben rechtserheblichen Haftungsgrundes aber nicht kumuliert werden dürfen. Eine Ausgleichsleistung an den Fluggast kann demnach nach Art. 12 der FluggastrechteVO auf weitergehende Schadensersatzansprüche anzurechnen sein (vgl. BGH, Urt. v. 30.9.2014 – X ZR 126/13, NJW 2015, 553). Speziell für Pauschalreisen gilt § 651p BGB, der ausdrücklich die Rechte von Reisenden unter anderem nach der Fluggastrechte-VO unberührt lässt, gleichzeitig aber anordnet, dass die dem Pauschalreisenden von Dritten nach Maßgabe dieser und anderer in § 651p Abs. 3 BGB genannten Verordnungen und internationalen Übereinkünften gewährte Schadenersatzzahlung oder Preisminderung auf den Ausgleichsanspruch angerechnet wird.
Bei personenverschiedenen Schuldnern, wie beispielsweise der Fluggesellschaft und dem Reiseveranstalter, kommt der Anrechnung nach § 651p Abs. 3 BGB die Wirkung einer Gesamtschuldnerschaft zu. Bis zur Bewirkung der ganzen Leistung bleiben demnach sämtliche Schuldner verpflichtet, § 421 S. 2 BGB. Allerdings kann weder das nach der FluggastrechteVO haftende ausführende Luftfahrtunternehmen noch der aus dem mitgliedstaatlichen Recht haftende Vertragsschuldner (hier der Reiseveranstalter) dem Fluggast die Anspruchserfüllung deshalb verweigern, weil auch Ansprüche aus demselben Haftungsgrund gegen einen anderen Schuldner bestehen, oder aber den Fluggast auf deren Geltendmachung verweisen und gegebenenfalls nur den überschießenden Teil erfüllen – jedenfalls solange nicht der andere Anspruch erfüllt ist (vgl. Staudinger/Keiler, Fluggastrechte-Verordnung, 1. Auflage 2016, Art. 12 Rn. 62). Es ist legitim, wenn der Reisende beide Ansprüche durchzusetzen versucht, denn er kann nicht absehen, welcher Anspruch sich leichter durchsetzen lässt. Allerdings darf er eine erhaltene Zahlung gegenüber dem anderen Beteiligten nach Treu und Glauben nicht verschweigen. Es ist Sache von Reiseveranstaltern und Beförderern, sich durch wechselseitige Informationen über derartige Zahlungen vor einer doppelten Inanspruchnahme zu schützen (vgl. MüKoBGB/Tonner, 8. Aufl. 2020, BGB § 651p Rn. 28).
Darüber hinaus hätte vorliegend eine Anrechnung aufgrund der Verschiedenheit der Anspruchsgrundlagen wohl gar nicht erfolgen müssen.
Eine Anrechnung hat nach § 651p Abs. 3 BGB dann zu erfolgen, wenn der Reisende gegen den Reiseveranstalter Anspruch auf Schadensersatz oder auf Erstattung eines infolge einer Minderung zu viel gezahlten Betrages hat und ihm aufgrund desselben Ereignisses als Entschädigung oder als Erstattung Ansprüche gegen das Beförderungsunternehmen zustehen.
Vorliegend besteht gegenüber dem Reiseveranstalter jedoch ein Anspruch auf Rückzahlung des Gesamtreisepreises aufgrund der Kündigung des Reisevertrags durch die Klägerin. Nach dem Wortlaut der Norm hat eine Anrechnung somit auf einen möglichen Anspruch auf Rückzahlung des Reisepreises nicht zu erfolgen. Sinn und Zweck von Art. 5 der FluggastrechteVO ist es, den Schaden auszugleichen, der in einem Zeitverlust und den erlittenen Unannehmlichkeiten der betroffenen Fluggäste besteht (vgl. Erwägungsgrund 2 der VO (EG) Nr. 261/2004). Für die Qualifikation eines Anspruchs als weitergehender Schadensersatzanspruch gemäß Art. 12 Abs. 1 der FluggastrechteVO ist entscheidend, ob dem Fluggast mit dem Anspruch ebenfalls eine Kompensation für die durch die Nicht- oder Schlechterfüllung der Verpflichtung zur Luftbeförderung, etwa durch eine große Verspätung, erlittenen Nachteile gewährt wird, wobei es sich dabei nicht nur einen Vermögensschaden, sondern auch um einen immateriellen Schaden, also insbesondere auch die dem Fluggast durch die Nichtbeförderung, Annullierung oder große Verspätung verursachten Unannehmlichkeiten (vgl. Erwägungsgründe 2 und 12 FluggastrechteVO), handeln kann (vgl. BGH, Urteil vom 30.9.2014 – X ZR 126/13, NJW 2015, 553 Rn. 12). Ein Minderungsanspruch wurde vom BGH als weitergehender Schadensersatz gemäß Art. 12 der FluggastrechteVO eingeordnet (vgl. BGH a. a.O.) und wurde mit dem Dritten Gesetz zur Änderung reiserechtlicher Vorschriften v. 17.7.2017, BGBL Jahr 2017 I Seite 2394) durch § 651p BGB für die umgekehrte Konstellation (zeitlich zuerst erfolgende Zahlung des Luftverkehrsunternehmens) gesetzlich normiert. Für den Streit, ob auch auf diese Konstellation Art. 12 der FluggastrechteVO anzuwenden ist, besteht somit kein Raum mehr und für den zur Lückenschließung ins Reiserecht aufgenommenen § 651p BGB kann nichts Anderes gelten, als im Zusammenhang mit Art. 12 Abs. 1 S. 1 der FluggastrechteVO. Bei dem Rückgewähranspruch aus § 651l Abs. 2 S. 2 BGB handelt es sich nicht um einen Schadensersatzanspruch, sondern um den spiegelbildlichen Anspruch des Zahlungsanspruchs aus § 651a Abs. 1 S. 2 BGB. Daran ändert sich auch dadurch nichts, dass der Kündigungsgrund ein Reisemangel ist, der auch zu Schadensersatzansprüchen berechtigen könnte. Hätte die Klägerin den Ersatzflug in Anspruch genommen und hätte nach Teilnahme an der Reise einen Schadensersatzanspruch aufgrund eines Reisemangels geltend gemacht, so hätte eine Anrechnung erfolgen müssen. Hier jedoch sollen die beiden Zahlungen nicht als Entschädigung für dieselbe Unannehmlichkeit dienen. Der Rückzahlungsanspruch beruht auf der Nichtinanspruchnahme der gebuchten Reise, der Schadensersatzanspruch hingegen auf den durch die Verspätung und spätere Annullierung des Flugs entstandenen Unannehmlichkeiten.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711, 794 Abs. 1 Nr. 3 ZPO.
Die Streitwertentscheidung folgt aus § 3 ZPO.