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Verkehrssicherungspflicht des Grundstückeigentümers für Bäume

OLG Brandenburg, Az: 5 U 104/13, Urteil vom 22.10.2015, Dokumenttyp:  Urteil

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 23. Oktober 2013 – Az. 14 O 75/13 – wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Dieses Urteil sowie das erstinstanzliche Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund dieser Urteile beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gegenstandswert für das Berufungsverfahren: 49.733,65 €

Gründe

I.

Verkehrssicherungspflicht des Grundstückeigentümers für BäumeDie Klägerin verfolgt Schadenersatzansprüche aus einem Baumschadensfall vom 29. Juni 2012. Die Parteien sind Grundstücksnachbarn, die Klägerin betreibt auf ihrem Grundstück eine Garagenanlage. Bei einem Gewittersturm mit einer Windgeschwindigkeit von 63,9 km/h (8 Beaufort) stürzten die Baumkronen von zwei Silberpappeln auf das klägerische Grundstück und dort auf die Dächer eines Teils der Garagenanlage. Über die Schäden holte die Klägerin ein Gutachten des Bausachverständigen Dipl.-Ing. R… H… vom 21.Dezember 2012 ein. Die Klägerin ist der Auffassung, dass der Beklagte als Eigentümer des Nachbargrundstücks für die durch die Pappeln entstandenen Schäden aus dem Gesichtspunkt der Verletzung der Verkehrssicherungspflicht einzutreten habe. Der Beklagte stellt sein Verschulden in Abrede und bestreitet die Höhe des geltend gemachten Schadens.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Feststellungen der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass eine Verletzung der Verkehrssicherungspflichten des Beklagten weder dargelegt noch ersichtlich sei. Dass von den streitbefangenen Pappeln auch für den Beklagten erkennbar eine Gefahrenlage ausgegangen sei, habe nicht vorgetragen werden können. Astabbrüche vor dem Sturmschaden oder Krankheiten, die den Beklagten zwingend hätten zum Kürzen der Pappeln bewegen müssen, seien nicht nachvollziehbar dargetan und auch nicht unter Beweis gestellt worden. Soweit die Klägerin im Termin zur letzten mündlichen Verhandlung Fotomaterial vorgelegt habe, ergebe sich daraus zwar, dass Äste teilweise abgebrochen seien, dass es sich hierbei aber um sogenannte alte Astabbrüche gehandelt habe, habe die Klägerin nicht dargetan, ebenso wenig könne festgestellt werden, dass von dem erkennbaren Mistelbewuchs eine Gefahr ausgegangen sei. Auch der Umstand, dass die Klägerin in den abgebrochenen Ästen möglicherweise eine Krankheit vermute, ändere an der Entscheidung des Gerichts nichts. Für Verkehrssicherungspflichten bei Grundstücken gelte, dass der Eigentümer eines Grundstücks zwar den an die Nachbargrundstücke angrenzenden Baumbestand darauf untersuchen muss, ob dieser von Windbruch oder Krankheitsbefall betroffen ist und den Anforderungen an die Verkehrssicherheit nach forstwirtschaftlichen Erkenntnissen noch entspreche, eine fachmännische Untersuchung sei indes nur bei erkennbaren Anzeichen für eine besondere Gefahrenlage erforderlich, derartiges sei im Streitfall nicht vorgetragen. Ein Anspruch komme nicht in Betracht, wenn die Beeinträchtigung Folge eines von niemandem zu beherrschenden Naturereignisses sei. Auch eine analoge Anwendung des § 906 Abs. 2 S. 2 BGB komme nicht in Frage, da es bereits an einem Primäranspruch fehle. Ein Anspruch aus § 1004 BGB könne nicht festgestellt werden. Dass von den beiden Pappeln eine konkrete Gefahrenlage ausgegangen sei, sei nicht hinreichend nachvollziehbar behauptet worden. Im Übrigen komme ein Anspruch aus der analogen Anwendung des § 906 Abs. 2 S. 2 BGB auch dann nicht in Betracht, wenn – wovon im Streitfall auszugehen sei – grundsätzlich die Möglichkeit bestanden hätte, dass die Klägerin einen vorrangigen Anspruch durchsetzt. Weswegen die Klägerin gehindert gewesen sei, dem Nachbarn zu untersagen, an der Grundstücksgrenze derart hohe Bäume anzupflanzen oder wachsen zu lassen, sei weder dargetan noch sonst ersichtlich.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung. Soweit das Landgericht in den Entscheidungsgründen darauf abstelle, dass eine Verletzung der Verkehrssicherungspflichten des Beklagen weder dargelegt noch ersichtlich sei, sei zunächst darauf hinzuweisen, dass der Geschäftsführer der Klägerin im Verlauf der streitigen Verhandlung darauf hingewiesen habe, dass eine weitere Silberpappel auf dem Grundstück des Beklagten zuvor von dem Beklagten heruntergesägt worden sei. Über die Beweisanträge im Schriftsatz vom 14. Oktober 2013 sei das Gericht hinweggegangen. Hinsichtlich der Verletzung von Verkehrssicherungspflichten sei auf die Entscheidung des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 16. April 2004 (7 U 208/03) hinzuweisen, in der ausgeführt werde, dass bei der Verletzung von Verkehrssicherungspflichten ein Anscheinsbeweis für die Ursächlichkeit einer Pflichtverletzung spreche, wenn sich in einem Schadensereignis gerade diejenige Gefahr verwirkliche, der durch die Auferlegung der Verhaltenspflichten begegnet werden soll. Die Sicherungspflichten Desjenigen, der die Verfügungsgewalt über ein mit Bäumen bestandenes Grundstück innehabe, seien insbesondere darauf gerichtet, dass eine Schädigung anderer Personen, insbesondere ein Umstürzen von Bäumen verhindert werde. Man habe es im Hinblick auf die unstreitige Windstärke von 8 Beaufort mit einem Naturereignis zu tun, welches grundsätzlich nicht geeignet sei, gesunde Bäume in ihrer Standsicherheit zu gefährden. Den Beklagten treffe schon deshalb eine Verkehrssicherungspflichtverletzung, weil er offenkundig die extrem alten Pappeln auf seinem Grundstück zu keinem Zeitpunkt einer Untersuchungsmaßnahme zugeführt habe. Darüber hinaus sei eine fachmännische Untersuchung bei Anzeichen für eine besondere Gefahrenlage erforderlich, die hier schon deshalb gegeben sei, weil der Baum äußerlich einen völlig ungepflegten und verwilderten Eindruck hinterlassen habe. Auch belegten die überreichten Fotografien, dass eine fachmännische Untersuchung notwendig gewesen sei. Mit Schriftsatz vom 2. Juni 2014 legt die Klägerin weitere Fotos vor, die nach ihrer Auffassung deutlich machen, dass der Zustand der zwischenzeitlich gefällten Pappel schon nach dem äußeren Anschein (Misteln) Anlass für eine genaue Untersuchung gegeben habe. Man habe an den Pappeln abgestorbene Äste ohne Laub und Rinde sowie Mistelbefall sehen können, so dass sich der Beklagte nicht mit einer äußeren Sichtprüfung habe begnügen dürfen.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 23. Oktober 2013 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 49.733,65 € sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 1.641,96 € nebst 5 Prozentpunktzinsen über den Basiszinssatz seit Zustellung des Mahnbescheides zu zahlen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Das Landgericht habe die Klage zu Recht abgewiesen, da eine Haftung des Beklagten aus Verkehrssicherungspflichtverletzung nicht bestehe. Die Klägerin habe erstinstanzlich nicht vorgetragen, wann der Beklagte aufgrund welcher konkreten Anhaltspunkte tatsächlich von Mängeln des Baumes hätte ausgehen können und müssen. Es sei weder vorgetragen noch belegt, dass die Pappeln bereits vor dem Baumschaden im Juli 2012 in einer Weise mangelhaft waren, dass der Beklagte dies habe erkennen können, um darauf zu reagieren. In diesem Zusammenhang verweist die Beklagte auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 06. März 2014 (III ZR 352/13), wonach ein natürlicher Astbruch, für den vorher keine besonderen Anzeichen bestanden hätten, auch bei für Astbrüche anfälligen Baumarten grundsätzlich zu den naturgebundenen und daher hinzunehmenden Lebensrisiken gehöre.

Innerhalb der ihm durch den Senat mit Beschluss vom 19. Juni 2014 eingeräumten Stellungnahmefrist hat der Beklagte vorgetragen, dass er als früherer Gärtner bei seinen regelmäßigen Besichtigungen vor Ort keinerlei Auffälligkeiten an den Pappeln festgestellt habe, die Anlass zu Maßnahmen gegeben hätten, ein Mistelnest allein stelle kein relevantes Gefährdungspotenzial dar.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens der Landschaftsarchitektin und Baumsachsachverständigen Dip. – Ing. J… W… sowie durch Anhörung der Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung vom 17. September 2015. Insoweit wird auf das Gutachten vom 3. Dezember 2014 sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 17. September 2015 Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Die Klägerin kann den Beklagten weder aus dem Gesichtspunkt der Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht nach § 823 BGB noch im Wege des verschuldensunabhängigen nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB in Anspruch nehmen.

1.

Die Klägerin hat nicht bewiesen, dass der Beklagte eine ihm obliegende Verkehrssicherungspflicht verletzt hat. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist derjenige, der eine Gefahrenlage – gleich welcher Art – schafft, grundsätzlich verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern. Die rechtlich gebotene Verkehrssicherung umfasst diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren (vgl. BGH NJW 2006, S. 610). Dabei muss nicht für alle denkbaren Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge getroffen werden. Es sind vielmehr nur die Vorkehrungen zu treffen, die geeignet sind, die Schädigung anderer tunlichst abzuwenden. Der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt ist genügt, wenn im Ergebnis derjenige Sicherheitsgrad erreicht ist, den die in dem entsprechenden Bereich herrschende Verkehrsauffassung für erforderlich hält. Daher reicht es anerkanntermaßen aus, diejenigen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, die ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger der betroffenen Verkehrskreise für ausreichend halten darf, um andere Personen vor Schäden zu bewahren, und die den Umständen nach zuzumuten sind (vgl. BGH NJW 2013, S. 48 f m. w. N.).

Es obliegt dem Eigentümer, die auf seinem Grundstück vorhandenen Bäume auf Schäden und Erkrankungen in regelmäßigen Abständen zu untersuchen und im Falle des Verlustes der Standfestigkeit zu entfernen, damit von ihnen keine Gefahr ausgeht. Die Kontrolle der im privaten Bereich unterhaltenen Bäume kann der Eigentümer selbst durchführen und muss sich hierbei keines Fachmannes bedienen. Schäden und Erkrankungen können in der Regel von einem Laien hinreichend (z. B. aufgrund abgestorbener Äste, brauner oder trockener Blätter, Verletzungen der Rinde und sichtbaren Pilzbefalls) erkannt werden und es kann darauf rechtzeitig reagiert werden. Dies gilt auch für ältere Bäume, denn ein allgemein anerkannter Grundsatz, dass von älteren (und in der Regel auch alt werdenden) Bäumen eine schwerer zu erkennende Gefahr ausginge, existiert nicht. Eine eingehende fachmännische Untersuchung ist erst bei Zweifelsfragen zu veranlassen, etwa beim Vorhandensein unbelaubter Äste, äußerer Verletzungen oder Pilzbefall. (Senatsentscheidung vom 18.7.2007; 5 U 174/06 m.w.N.; OLG Brandenburg, Urteil vom 16.4. 2004, 7 U 208/03 m.w N.; OLG Düsseldorf I – 9 U 38/13 m.w.N ; Palandt/Sprau, BGB, 74. Aufl., § 823, Rn. 190 ). Der Bundesgerichtshof hat ausgeführt, dass sich im Fall der Haftung eines privaten Grundstückseigentümers die Frage des Umfangs und der Intensität der erforderlichen Kontrollen nicht generell beantworten lässt, es komme insoweit auch auf das Alter, den Zustand und den Standort an (BGH NJW 2004,3328). Der Bundesgerichtshof hat eine Steigerung der Verkehrssicherungspflicht auch für straßenverkehrssicherungspflichtige Gemeinden hinsichtlich der für Astbrüche bekanntermaßen anfällige Bäume, wozu insbesondere Pappeln gehören, ausdrücklich verneint, wenn sich diese Bäume im gesunden Zustand befinden ( BGH NJW 2014, 445 ff).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist eine Haftung des Beklagten nicht gegeben. Die Klägerin hat zwar mit ihrem Vortrag, der Beklagte habe sich angesichts des von ihr näher beschriebenen Zustandes der Bäume nicht mit einer äußeren Sichtprüfung begnügen dürfen, ihrer Darlegungslast genügt, nachdem der Beklagte im Rahmen der ihm obliegenden sekundären Darlegungslast ( vgl. BGH NJW 2005,2395) nähere Angaben zur Erfüllung der Sicherungspflichten gemacht hat. Die Beweisaufnahme hat indes nicht ergeben, dass der Beklagte seiner Verkehrssicherungspflicht nicht nachgekommen ist. Die Sachverständige W… hat in ihrem schriftlichen Gutachten, welches sie in der mündlichen Verhandlung unter Berücksichtigung der vorgebrachten Einwendungen der Klägerin weiter erläutert hat, die vorgelegten Fotografien, die den Zustand der abgebrochenen Kronen abbilden, ausgewertet und zu jeder Fotografie eine ausführliche und detailliert beschriebene Einschätzung dazu abgegeben, ob sich Schadenssymptome gezeigt haben, aus denen die konkrete Gefahr des Abbrechens vorhersehbar bzw. erkennbar gewesen sei und dies im Ergebnis nachvollziehbar und überzeugend verneint. Auf den Fotografien seien keine Symptome erkennbar gewesen, die vor dem Schadensereignis erkennbar auf eine Bruchgefahr der Kronen hingewiesen hätten. Soweit Totäste erkennbar gewesen seien (Foto Nr. 06, 06A, 38), hätte dieses zwar den privaten Eigentümer zu einer Entnahme derselben veranlassen müssen, dies aber nur insoweit, als erkennbar die Gefahr des Herabfallens dieser Äste bestand. Eine Bruchgefahr für die Baumkronen – um die es allein gehe, weshalb auch kein Veranlassung für sie bestanden habe, die Stämme zu untersuchen – sei daraus indes nicht erkennbar gewesen. Auch soweit ein Teil der Äste ausweislich der vorgelegten Fotografien langsplittrige Bruchstellen aufgewiesen habe, ergebe dies nicht, dass die abgebrochenen Baumteile bereits vor dem Schadensereignis erkennbar bruchgefährdet gewesen seien. Gerade das Vorhandensein solcher langsplittriger Bruchstellen sei typisch für Sturmschäden, so dass nicht feststellbar sei, dass sie bereits vor dem Bruchereignis vorhanden gewesen und auf eine herabgesetzte Verkehrssicherheit der Kronen gedeutet hätten. Die Sachverständige hat sich auch mit der Frage der Ursächlichkeit eines Mistelbefalls befasst. Zwar könne massiver Mistelbefall an Grob- und Starkästen ein Verkehrssicherheitsrisiko und starkes Infektionsrisiko bedeuten, nicht aber eine kleine Mistel bzw. geringer Mistelbefall an einem starken Ast eines vitalen Baumes. Da die von der Klägerin als erkennbare Gefahrenquelle bewertete Mistel nach dem Schadensfall weiterhin in der verbliebenen Baumkrone vorhanden gewesen sei, sei der Ast, an dem sie haftete, offensichtlich vital gewesen ist. Auch sei es – entgegen dem Einwand der Klägerin – nicht so, dass für die Beurteilung der Verkehrssicherheit die Pappelart, das Alter und die Höhe maßgeblich seien. Es sei zwar nicht zu verkennen sei, dass Pappeln ab einem gewissen Alter bruchanfälliger würden, entscheidend sei aber allein, ob der Baum als solcher gesund sei. Auch der Umstand, dass der Beklagte früher Gärtner war – ohne dass diesbezüglich genauere Einzelheiten hinsichtlich der Qualifikation bekannt sind – rechtfertigt keine andere Bewertung. Unter der Prämisse, dass höhere Sachkunde nachvollziehbar andere Beurteilungsmaßstäbe bedingen kann, hat die Sachverständige ausgeführt, dass selbst sie als Baumsachverständige, das vorliegende Beweismaterial zu Grunde gelegt, keine Schäden habe erkennen können, die auf eine Gefahr hingedeutet hätten. Eine Ausnahme sei lediglich insoweit denkbar, dass die Kronenstellung der Pappeln sie mit ihrer speziellen Fachkenntnis möglicherweise zu einem Rückschnitt veranlasst hätte, wenn es sich um den Fall eines durch Fällen sogenannten „freigestellten Baumes“ gehandelt hätte, der ursprünglich in einer Gruppe gestanden habe, was jedoch nach dem Akteninhalt nicht ersichtlich sei. Gegen die überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen W…, die ihre Einschätzung nachvollziehbar und sachlich begründet hat, und denen der Senat sich anschließt, sind Einwände von keiner der Parteien erhoben worden. Soweit die Klägerin unter Hinweis auf § 404 Abs. 2 ZPO geltend gemacht hat, die Sachverständige sei nicht allgemein vereidigt, verkennt sie, dass es sich bei der vorgenannten Vorschrift um eine reine Ordnungsvorschrift handelt, die den Vorwurf fehlerhaften Ermessens bei der Sachverständigenauswahl nicht rechtfertigt (Zöller/Greger, ZPO, 30. Aufl., § 404 Rn. 2). Für die beantragte Einholung eines weiteren Gutachtens fehlt es angesichts der überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen ersichtlich an den Voraussetzungen des § 412 ZPO. Die Klägerin ist somit hinsichtlich einer Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch den Beklagten beweisfällig geblieben.

Der Beweis des ersten Anscheins kommt der Klägerin insoweit nicht zu Gute. Dieser Anscheinsbeweis gilt grundsätzlich nur bezüglich der Ursächlichkeit einer Pflichtverletzung für eine Rechtsgutsverletzung, nicht jedoch für das Vorliegen der Pflichtverletzung selbst (vgl. BGH NJW 2009, 3302 f.; OLG Celle NJW-RR 2003, 1536; OLG Hamm MDR 2000, 85; Palandt/Sprau, a.a.O.; § 823, Rn.54,80). Ebenso wenig kann sich die Klägerin auf eine Beweisvereitelung durch den Beklagten berufen, die nachteilig bei der Beweiswürdigung berücksichtigt werden könnte (Zöller/Greger, a.a.O., § 286, Rn. 14 a). Die Baumkronen sind auf ihr Grundstück gefallen, so dass eine Beweissicherung ohne weiteres möglich war, was zudem die Vielzahl der vorgelegten Fotografien anschaulich demonstriert.

2.

Der Klägerin steht auch kein verschuldensunabhängiger nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch zu. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB analog gegeben, wenn von einem Grundstück im Rahmen seiner privatwirtschaftlichen Benutzung Einwirkungen auf ein anderes Grundstück ausgehen, die das zumutbare Maß einer entschädigungslos hinzunehmenden Beeinträchtigung übersteigen, sofern der davon betroffene Eigentümer aus besonderen Gründen gehindert war, diese Einwirkungen gemäß § 1004 Abs. 1 BGB rechtzeitig zu unterbinden (BGHZ 160, 18 ff.; 142, 66; BGH NJW 2003, 1732). Ein Anspruch kommt danach insbesondere unter dem Gesichtspunkt einer rechtswidrigen Beeinträchtigung in Betracht, die in Folge faktischen Duldungszwanges nicht rechtzeitig verhindert werden konnte, etwa dann, wenn der Betroffene die abzuwehrende Gefahr nicht rechtzeitig erkannt hat und dies auch nicht rechtzeitig erkennen konnte. Die Voraussetzungen eines solchen Anspruchs sind im vorliegenden Fall jedoch nicht gegeben. Geht man davon aus, dass die Baumkronen allein in Folge des Sturmes als Naturereignis abgebrochen sind, bestand kein Zustand, der Gegenstand eines Beseitigungsanspruches nach § 1004 Abs. 1 BGB hätte sein können. Denn allein der Umstand, dass auf dem Grundstück der Beklagten standsichere Bäume stehen, löst noch keinen Beseitigungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 BGB aus. Nachbarn sind vielmehr nach § 1004 Abs. 2 BGB verpflichtet, solche – gesunden – Bäume zu dulden. Zwar ist auch dann, wenn sich ein Eigentümer im Rahmen bestimmungsgemäßer Nutzung seines Grundstücks gehalten hat, die Annahme der Störereigenschaft nicht generell ausgeschlossen, vielmehr kann auch bei bestimmungsgemäßer nicht gefahrgeneigter Nutzung des eigenen Grundstücks eine Haftung nach § 1004 Abs. 1 BGB in Betracht kommen, wenn Beeinträchtigungen des Nachbargrundstückes zu besorgen oder eingetreten sind (BGHZ 97, 231; 106, 142). Allerdings kommt ein Anspruch nicht in Betracht, wenn wie hier die Beeinträchtigung Folge eines von niemandem zu beherrschenden Naturereignisses war (BGHZ 142, 66; Senat, Urteil v. 18.10.2007; 5 U 174/06).

Geht man zu Gunsten der Klägerin davon aus, dass die Baumkronen nicht mehr hinreichend sicher waren, scheidet eine analoge Anwendung des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB als Sekundäranspruch ebenfalls aus, weil die Klägerin in diesem Fall die Möglichkeit gehabt hätte, ihren Primäranspruch durchzusetzen. Die analoge Anwendung des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB kommt nur in solchen Fällen in Betracht, in denen der betroffene Eigentümer aus besonderen Gründen gehindert war, die Einwirkung nach § 1004 Abs. 1 BGB rechtzeitig zu unterbinden. Dem Geschäftsführer der Klägerin waren Größe und Zustand der unmittelbar an der Grenze und in der Nähe der Garage stehenden Bäume bekannt. Er hat in der mündlichen Verhandlung sowohl vor dem Landgericht als auch vor dem Senat erklärt, dass man Mistelbefall und abgestorbene Äste mit einem Durchmesser von 25 bis 30 cm und einer Länge von geschätzt 8 bis 9 Metern habe sehen können, an denen auch keine Rinde mehr vorhanden gewesen sei. Damit waren der Klägerin Anhaltspunkte bekannt, die Veranlassung hätten geben müssen, die Voraussetzungen eines Anspruchs nach § 1004 Abs. 1 BGB – gegebenenfalls im Rahmen eines Beweissicherungsverfahrens – näher zu prüfen und eventuell geltend zu machen. Hätte somit die Klägerin bis zum Schadensfall einen Beseitigungsanspruch geltend machen können, ist sie deswegen gehindert, sich nunmehr auf den Sekundäranspruch zu berufen. Die Berufung war danach zurückzuweisen.

Gründe, die eine Zulassung der Revision rechtfertigen könnten (§ 543Abs. 2 ZPO) sind nicht ersichtlich.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97 Abs. 1 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 711, 709 S. 2 ZPO.

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