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Verkehrsunfall – ausfahrendes Fahrzeugs von Tankstelle mit rückwärtsfahrendem Fahrzeug

LG Karlsruhe – Az.: 1 S 107/10 – Urteil vom 22.12.2010

1.

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Bruchsal vom 01.06.2010 – 6 C 25/09 – unter Aufhebung der Kostenentscheidung wie folgt abgeändert:

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin EUR 1.147,97 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 25.11.2008 zu zahlen.

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin EUR 155,29 an vorgerichtlichen Kosten nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 06.06.2009 zu zahlen.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

2.

Die Kosten des Rechtsstreits in erster Instanz haben die Klägerin zu 43 % und die Beklagten als Gesamtschuldner zu 57 % zu tragen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

3.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

(abgekürzt gem. §§ 540 Abs. 2. 313 a ZPO):

I.

Die Klägerin verlangt von der Beklagten zu 1 und ihrer Haftpflichtversicherung, der Beklagten zu 2, Ersatz für die Schäden, die ihr infolge eines Verkehrsunfalls am 03.11.2008 entstanden sind. Das Amtsgericht hat der Klage in Höhe von EUR 1.770,16 stattgegeben. Dagegen wendet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie ihren erstinstanzlichen Antrag auf Klageabweisung weiterverfolgen, soweit sie in der Hauptsache zur Zahlung eines höheren Betrags als EUR 1.147,97 sowie höherer vorprozessual angefallener Rechtsanwaltskosten als  EUR 155,29 verurteilt worden sind.

II.

Die Berufung der Beklagten hat in vollem Umfang Erfolg.

Der Klägerin steht gegen die Beklagten wegen des Verkehrsunfalls vom 03.11.2008 lediglich ein Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von insgesamt EUR 1.147,97 zu (§§ 7 Abs. 1, 17 StVG, 115 VVG).

1.

Der Klägerin kann von den Beklagten die Hälfte der ihr bei dem Unfall entstandenen Schäden ersetzt verlangen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist der Unfall in gleichem Maße von beiden Parteien verursacht worden.

Zu Lasten der Klägerin ist davon auszugehen, dass ihr Ehemann als Fahrer ihres Fahrzeugs erheblich zu dem Unfall beigetragen hat, weil er gegen die ihm obliegenden gesteigerten Sorgfaltspflichten verstoßen hat, als er vom Tankstellengelände auf die Straße gefahren ist.

Verkehrsunfall - ausfahrendes Fahrzeugs von Tankstelle mit rückwärtsfahrendem Fahrzeug
(Symbolfoto: Von footageclips/Shutterstock.com)

Wer aus einem Grundstück auf eine Straße einfahren will, hat sich dabei so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist (§ 10 StVO). Grundstück im Sinne dieser Vorschrift ist auch ein Tankstellengelände (LG Karlsruhe, VM 2003, 48, OLG Karlsruhe, NJW RR 1989, 1112). Danach hat der fließende Verkehr Vorrang gegenüber demjenigen, der aus einem Grundstück auf eine öffentliche Straße fährt. Dies gilt auch für ein Fahrzeug des fließenden Verkehrs, das rückwärts fährt (KG Berlin, Urteil vom 21.10.1993, 12 U 1069/92). Kommt es im Zusammenhang mit dem Ausfahren aus einem Grundstück zu einem Zusammenstoß mit einem Fahrzeug des fließenden Verkehrs, spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass der aus der Grundstücksausfahrt auf die Straße Fahrende die ihm obliegende gesteigerte Sorgfaltspflicht schuldhaft verletzt hat (KG Berlin, a.a.O.).

Die Voraussetzungen für diesen Anscheinsbeweis sind hier gegeben. Dass es zu dem Zusammenstoß der Fahrzeuge der Parteien im Zusammenhang mit dem Einfahren des Klägerfahrzeugs auf die Straße gekommen ist, ist wird durch die Unfallendstellung der Fahrzeuge belegt. Danach stand das Klägerfahrzeug unstreitig noch zu einem Gutteil auf dem Tankstellengelände, ragte aber mit der Front schon in die …Str. hinein.

Bei dieser Sachlage rechtfertigt es keine andere Entscheidung, dass der Sachverständige und mit ihm das Amtsgericht zu dem Ergebnis gekommen ist, dass das Klägerfahrzeug zum Zeitpunkt des Zusammenstoßes gestanden hat. Im Hinblick auf den gegen die Klägerin sprechenden Anscheinsbeweis hätte es ihr oblegen zu beweisen, dass ihr Fahrzeug nicht unmittelbar vor dem Unfall zum Halten gekommen ist, sondern schon längere Zeit auf der Fahrbahn gestanden hat und dass die Beklagte in Folge Unaufmerksamkeit rückwärts auf das sichtbar auf der Fahrbahn stehende Fahrzeug aufgefahren ist. Dies lässt sich jedoch gerade nicht feststellen.

Demgegenüber ist zu Lasten der Beklagten zu berücksichtigen, dass diese die ihnen beim Rückwärtsfahren obliegende Sorgfaltspflicht (§ 9 StVO) missachtet haben mag. Dies rechtfertigt aber jedenfalls keine höhere Haftung als 50 %, wie sie die Beklagten mit ihrer Berufung hinnehmen.

2.

Der ersatzfähige Schaden der Klägerin, von dem sie danach die Hälfte in Höhe von 1.147,97 ersetzt verlangen kann, beläuft sich auf EUR 2.295,94.

a.

Bei der Schadensberechnung ist nicht von den fiktiven Reparaturkosten gemäß Sachverständigengutachten sondern vom Wiederbeschaffungsaufwand für das beschädigte Fahrzeug in Höhe von EUR 1.850,00 (Wiederbeschaffungswert EUR 2.400,00 abzüglich Restwert EUR 550,00) auszugehen.

aa.

Übersteigt ein Kraftfahrzeugschaden den Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs, können im Rahmen der 130 %-Grenze Reparaturkosten, die über dem Wiederbeschaffungsaufwand eines Fahrzeugs liegen, grundsätzlich nur dann zuerkannt werden, wenn die Reparatur fachgerecht und in einem Umfang durchgeführt wird, wie ihn der Sachverständige zur Grundlage seiner Kostenschätzung gemacht hat, und wenn diese Reparaturkosten konkret angefallen sind oder wenn der Geschädigte nachweisbar wertmäßig in einem Umfang repariert hat, der den Wiederbeschaffungsaufwand übersteigt. Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, ist die Höhe des Ersatzanspruchs auf den Wiederbeschaffungsaufwand – also Wiederbeschaffungswert abzüglich Restwert – beschränkt (BGH NJW 2009, 1340).

Hier liegen die Reparaturkosten über dem Wiederbeschaffungswert. Für die Frage, ob die Reparaturkosten den Wiederbeschaffungswert übersteigen oder nicht, sind die Bruttoreparaturkosten mit dem Wiederbeschaffungswert zu vergleichen (BGH NJW 2009, 1340). Die Bruttoreparaturkosten liegen nach den von den Parteien nicht angegriffenen Feststellungen des Sachverständigen … einschließlich UPE-Aufschläge bei EUR 2.465,85. Bei der Berechnung der Bruttoreparaturkosten sind die UPE-Aufschläge, also die von Fachwerkstätten für Ersatzteile berechneten Aufschläge, mit anzusetzen. UPE-Aufschläge sind bei einer fiktiven Schadensabrechnung dann zu berücksichtigen, wenn sie in der Werkstatt, deren Kosten der Sachverständige seinem Gutachten zugrundegelegt hat, auch tatsächlich anfallen (KG Berlin, Urteil vom 11.10.2010, 12 U 148/09; Beschluss vom 07.01.2010, 12 U 20/09, MdR 2010, 748). So liegt der Fall hier. Sowohl in dem Gutachten, das die Klägerin ihrer Klage zugrundegelegt hat wie auch bei der Schadensberechnung des Sachverständigen … sind die UPE-Aufschläge mit berücksichtigt worden.

Der Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs der Klägerin liegt nach den Feststellungen des Sachverständigen … bei EUR 2.400,00.

bb.

Selbst wenn man die UPE-Aufschläge aber unberücksichtigt lassen oder wenn man die nur geringfügige Überschreitung des Wiederbeschaffungswertes durch die Reparaturkosten bei Berücksichtigung der UPE-Aufschläge für unerheblich halten würde, wäre keine andere Entscheidung geboten. Ein Unfallgeschädigter kann die vom Sachverständigen geschätzten Reparaturkosten bis zur Höhe des Wiederbeschaffungswerts jedenfalls nur dann fiktiv abrechnen, wenn er das Fahrzeug mindestens 6 Monate weiter nutzt und zu diesem Zweck verkehrssicher reparieren lässt (BGH NJW 2008, 1941). Dass dies hier der Fall ist, steht jedoch nicht fest. Der Klägervertreter hat zwar in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, das Fahrzeug sei mittlerweile repariert und werde von der Klägerin weiter benutzt. Die Klägerin hat diese bestrittene Behauptung aber trotz rechtlichen Hinweises nicht unter Beweis gestellt.

b.

Zu dem Wiederbeschaffungsaufwand für das beschädigte Fahrzeug in Höhe von EUR 1.850,00 sind die unstreitig angefallenen Sachverständigenkosten in Höhe von EUR 420,94 sowie die von der Beklagten nicht angegriffene Auslagenpauschale, die die Klägerin mit EUR 25,00 angesetzt hat, hinzuzurechnen.

3.

Bei dieser Sachlage stehen der Klägerin Zinsen, vorprozessual angefallene Anwaltskosten und Zinsen hieraus nur in dem Umfang zu, in dem die Beklagten das erstinstanzliche Urteil nicht angegriffen haben.

4.

Die Kosten des Rechtsstreits haben entsprechend ihrem jeweiligen Anteil am Obsiegen und Unterliegen unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Streitwerte in beiden Instanzen die Parteien in dem im Tenor genannten Umfang zu tragen (§ 92 Abs. 1 ZPO).

Die Entscheidung ist ohne Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar zu erklären, weil es sich um ein Berufungsurteil in einer vermögensrechtlichen Streitigkeit handelt und weil die Voraussetzungen, unter denen ein Rechtsmittel gegen das Urteil stattfindet, unzweifelhaft nicht vorliegen (§§ 708 Nr. 10, 713 ZPO).

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO).

 

 

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