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Verkehrsunfall bei Haftung bei Fahren gegen offene Fahrzeugtür

Offene Fahrzeugtür: Wer haftet bei Unfall?

Im Zentrum rechtlicher Auseinandersetzungen bei Verkehrsunfällen steht häufig die Frage der Haftung. Besonders komplex wird es, wenn es um Situationen geht, in denen Fahrzeuge gegen offene Türen anderer Fahrzeuge stoßen. Solche Fälle werfen wichtige Fragen auf: Wer trägt die Verantwortung, wenn eine Fahrzeugtür unerwartet geöffnet wird und es zu einer Kollision kommt? Wie werden die Haftungsvoraussetzungen bewertet, und welche Rolle spielen dabei die Handlungen der beteiligten Verkehrsteilnehmer?

Diese Thematik betrifft grundlegende Aspekte des Verkehrsrechts, insbesondere die Abwägung von Betriebsgefahren und das Verhalten im Straßenverkehr. Es geht darum zu klären, inwieweit die beteiligten Parteien für die entstandenen Schäden verantwortlich sind. Dabei spielt nicht nur die direkte Kollision eine Rolle, sondern auch das Verhalten vor dem Unfall, wie etwa die Sorgfalt beim Öffnen der Fahrzeugtür oder die Aufmerksamkeit beim Fahren.

In solchen Fällen sind oft Schadensersatzansprüche zentral, wobei der Anspruch sowohl materielle als auch immaterielle Schäden umfassen kann. Die juristische Herausforderung liegt in der Ermittlung des Grades der Verantwortlichkeit jedes Einzelnen und in der Festlegung der daraus resultierenden finanziellen Verpflichtungen.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 1 O 219/22   >>>

Das Wichtigste in Kürze


Das Landgericht Aachen hat im Fall des Verkehrsunfalls bei Haftung bei Fahren gegen eine offene Fahrzeugtür entschieden, dass die Beklagten als Gesamtschuldner der Klägerin einen umfassenden Schadensersatz zu leisten haben.

Zentrale Punkte aus dem Urteil:

  1. Verurteilung der Beklagten: Die Beklagten wurden zur Zahlung von 8.460,04 Euro sowie zusätzlichen 887,03 Euro als nicht anrechenbare Kosten der vorgerichtlichen Interessenwahrnehmung verurteilt.
  2. Haftungsvoraussetzungen: Das Gericht stellte fest, dass die Haftungsvoraussetzungen nach § 7 Abs. 1 StVG gegeben sind, da das klägerische Fahrzeug beim Betrieb des Beklagtenfahrzeuges beschädigt wurde.
  3. Alleinhaftung des Beklagten: Der Beklagte zu 1 wurde für alleinverantwortlich für den Unfall erklärt, basierend auf § 17 Abs. 2 StVG.
  4. Kein unabwendbares Ereignis: Das Gericht entschied, dass kein unabwendbares Ereignis vorlag und somit eine Abwägungsentscheidung erforderlich war.
  5. Glaubhafte Zeugenaussage: Die Aussage des Zeugen R., der das klägerische Fahrzeug parkte und die hintere linke Tür öffnete, wurde als glaubhaft eingestuft.
  6. Reparaturkosten: Die Reparaturkosten in Höhe von 6.578,34 Euro brutto sowie weitere Sachverständigenkosten wurden als ersatzfähig angesehen.
  7. Nutzungsausfall und Unfallkostenpauschale: Der Klägerin wurde ein Nutzungsausfall von 874,00 Euro und eine Unfallkostenpauschale von 25,00 Euro zugesprochen.
  8. Prozesszinsen und Kostenentscheidung: Der Klägerin wurden Prozesszinsen zugesprochen, und die Kostenentscheidung basierte auf den entsprechenden Paragrafen des BGB und der ZPO.

Der Verkehrsunfall und die Haftung: Eine detaillierte Betrachtung

Der Verkehrsunfall, der auf der D.-straße in N. stattfand, führt zu einer intensiven rechtlichen Auseinandersetzung vor dem Landgericht Aachen. Die Klägerin, Halterin eines schwarzen VW Golfs, verlangt Schadensersatz für die Beschädigung ihres Fahrzeugs. Dieser Unfall ereignete sich, als der Zeuge R., der das klägerische Fahrzeug parkte, die hintere linke Tür öffnete, um Einkäufe auszuladen. In diesem Moment kollidierte das Fahrzeug des Beklagten zu 1), welches bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversichert ist, mit der offenen Tür.

Schadensersatzforderungen und die rechtliche Argumentation

Offene Fahrzeugtür: Wer haftet bei Unfall?
(Symbolfoto: Jne Valokuvaus /Shutterstock.com)

Die Klägerin fordert einen Gesamtschadensersatz von 8.460,04 Euro, was die Reparaturkosten, Sachverständigenkosten, Nutzungsausfall und eine Auslagenpauschale umfasst. Die Beklagte zu 2) lehnte zunächst die Schadensregulierung ab, was zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung führte. Die Beklagten argumentieren, dass die Dämmerung und das unbeleuchtete schwarze Fahrzeug der Klägerin den Unfall begünstigt hätten. Sie behaupten, der Zeuge R. habe den Unfall durch das Öffnen der Tür verschuldet, was einen Verstoß gegen § 14 StVO darstelle.

Die Urteilsfindung: Haftung und Verantwortung

Das Gericht stellt fest, dass die Beklagten als Gesamtschuldner haftbar sind und die Klägerin einen Anspruch auf Schadensersatz hat. Dies basiert auf der Haftungsvoraussetzung gemäß § 7 Abs. 1 StVG. Interessanterweise lehnt das Gericht die Theorie eines unabwendbaren Ereignisses ab und hält den Beklagten zu 1) für alleinverantwortlich. Trotz der Baustelle und der Verengung der Fahrbahn hätte der Beklagte zu 1) seinen Wagen rechtzeitig anhalten können. Zudem war die geöffnete Tür des Klägerfahrzeugs über einen längeren Zeitraum sichtbar und mit einem Reflektor beleuchtet.

Auswirkungen des Urteils auf Schadensersatz und Haftungsfragen

Die detaillierte Urteilsbegründung zeigt auf, dass die Reparaturkosten, Sachverständigenkosten und der Nutzungsausfall der Klägerin vollständig erstattungsfähig sind. Das Gericht betont, dass bei der Instandsetzung eines beschädigten Fahrzeugs der Schädiger auch für Mehrkosten aufkommen muss, die durch die Werkstatt ohne Verschulden des Geschädigten entstehen. Dieses Urteil verdeutlicht wichtige Aspekte der Haftung und des Schadensersatzes bei Verkehrsunfällen, insbesondere wenn es um offene Fahrzeugtüren und die daraus resultierenden Gefahren geht.

Insgesamt liefert das Urteil des LG Aachen ein prägnantes Beispiel dafür, wie im deutschen Verkehrsrecht mit Haftungsfragen umgegangen wird. Es stellt die Bedeutung der Sorgfaltspflicht jedes Verkehrsteilnehmers heraus und zeigt, dass die Haftung nicht immer intuitiv zuordenbar ist, sondern einer sorgfältigen rechtlichen Prüfung bedarf.

Wichtige Begriffe kurz erklärt


Welche Kriterien sind bei der Haftungsabwägung nach § 17 StVG zu berücksichtigen?

Die Haftungsabwägung nach § 17 StVG kommt zur Anwendung, wenn mehrere Fahrzeughalter einem Dritten kraft Gesetzes zum Schadensersatz verpflichtet sind. Dies ist ein besonderer Fall der Gesamtschuldnerschaft und verdrängt § 426 I BGB. Für den Einzelfall ist eine Abwägung nach den Verursachungsbeiträgen der einzelnen Halter vorzunehmen. Halter und Fahrzeugführer desselben Kraftfahrzeugs bilden dabei aber immer eine Haftungseinheit.

Die Haftungsabwägung nach § 17 StVG berücksichtigt sowohl die Betriebsgefahr als auch das Verschulden oder Mitverschulden der beteiligten Parteien. Die Betriebsgefahr bezieht sich auf das Risiko, das von einem Fahrzeug im Betrieb ausgeht, während das Verschulden oder Mitverschulden sich auf das Fehlverhalten der beteiligten Parteien bezieht.

Ein wichtiger Faktor bei der Haftungsabwägung ist der Verursachungsbeitrag. Dieser bezieht sich auf den Anteil, den jede Partei zur Entstehung des Schadens beigetragen hat. Der Verursachungsbeitrag wird dann gegebenenfalls durch Verschulden oder Mitverschulden erhöht. Der Anspruch des Geschädigten wird dann entsprechend ausgeschlossen, nach seinem Verursachungsbeitrag gekürzt oder er bleibt voll bestehen.

Ein weiterer Faktor ist das Verschulden des Fahrers. Der Halter muss sich ein Verschulden des Fahrers anrechnen lassen. Dies gilt sowohl in § 17 I StVG als auch § 17 II StVG.

Es ist auch zu beachten, dass die Betriebsgefahr des Fahrzeugs des Geschädigten unberücksichtigt bleibt, wenn dem Schädiger aufgrund einer schuldhaft erhöhten Betriebsgefahr ein überragendes Fehlverhalten zur Last fällt.

Schließlich ist zu erwähnen, dass die Haftungsabwägung nach § 17 StVG nur anzuwenden ist, wenn auch der Geschädigte nach den Bestimmungen des StVG haftet.


Das vorliegende Urteil

LG Aachen – Az.: 1 O 219/22 – Urteil vom 23.02.2023

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 8.460,04 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 00.00.0000 zu zahlen.

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin weitere 887,03 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 00.00.0000 als nicht anrechenbare Kosten der vorgerichtlichen Interessenwahrnehmung der C. Rechtsanwälte zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagten als Gesamtschuldner.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Parteien streiten über Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall vom 00.00.0000, der sich auf der D.-straße in N. ereignete.

Die Klägerin ist Halterin des schwarzen Fahrzeugs VW Golf mit dem amtlichen Kennzeichen M. (vgl. verbindliche Bestellung vom 19.09.2011, Anlage K1, Bl. 7 d.A.; Rechnung vom 26.09.2011, Anlage K2, Bl. 11 d.A.).

Der Zeuge R.. parkte das klägerische Fahrzeug am Unfalltag in Fahrtrichtung auf einem Parkstreifen in Höhe der Z.. Er stieg aus, schloss die Fahrertür und begab sich an die hintere linke Tür des Fahrzeugs, da er die Einkäufe von der Rücksitzbank in einen Rucksack packen wollte.

Rechts neben dem Parkstreifen befinden sich ein Fahrradweg und ein Gehweg. Links neben dem Parkstreifen befindet sich die gerade zweispurige Fahrbahn, die durch eine Baustelle auf eine Fahrbahn verengt war (vgl. Lichtbilder des Unfallortes, Anlage K7, B. 17 d.A. und Anlage K8, Bl. 18 d.A.; Skizze des Unfallortes, Anlage K5, Bl. 15 d.A.).

Der Beklagte zu 1) fuhr in gleicher Fahrtrichtung die D.-straße mit seinem Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen F., das bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversichert ist. Es kam zu einer Kollision des Beklagtenfahrzeugs mit der geöffneten hinteren linken Tür des klägerischen Fahrzeugs (vgl. Lichtbilder des klägerischen Fahrzeugs, Bl. 125 d.A.).

Die Polizei nahm den Unfall auf und verwarnte den Beklagten zu 1) mit 35,00 Euro (vgl. Unfallmitteilung, Anlage K12, Bl. 39 d.A.).

Infolge des Unfalls entstanden auf Seiten der Klägerin im Einzelnen folgende materielle Schäden:

Reparaturkosten brutto      6.578,34 Euro

Sachverständigenkosten brutto      982,70 Euro

Nutzungsausfall        874,00 Euro

Auslagenpauschale        25,00 Euro

Gesamt        8.460,04 Euro

Laut der Rechnung des Autohauses Y. vom 00.00.0000 (vgl. Anlage K9, Bl. 19 d.A.) betragen die Reparaturkosten 6.578,34 Euro brutto. Ausweislich des Gutachtens vom 12.11.2021 (vgl. Anlage K10, Bl. 24 d.A.) betragen die Reparaturkosten 5.850,04 Euro brutto. Die Kosten der Sachverständigen B. Schaden- und Wertgutachten GmbH betragen ausweislich der Rechnung vom 12.11.2021 (vgl. Anlage K11, Bl. 37 d.A.) 982,70 Euro brutto. Die Ansprüche hinsichtlich der Sachverständigenkosten wurden an die Klägerin zurückabgetreten (vgl. Rückabtretung vom 27.04.2022, Anlage K3, Bl. 12 d.A.). Die Klägerin macht vom N01 bis zum 00.00.0000 einen Nutzungsausfallschaden in Höhe von 874,00 Euro (23 Tage x 38,00 Euro) geltend. Letztlich beansprucht sie eine Auslagenpauschale in Höhe von 25,00 Euro.

Mit Schreiben vom 25.01.2022 (vgl. Anlage K6, Bl. 16 d.A.) lehnte die Beklagte zu 2) die Regulierung des Schadens ab.

Die Klägerin behauptet, zum Zeitpunkt der Öffnung der hinteren linken Fahrzeugtür sei kein Verkehr erkennbar gewesen. Danach habe sich der Zeuge R.. auch einmalig vergewissert, ob von hinten Fahrzeuge kommen. Die hintere linke Fahrzeugtür sei etwa 30 Sekunden geöffnet gewesen, während der Zeuge R.. in der geöffneten Tür gestanden habe. Die Tür sei vor der Kollision über einen längeren Zeitraum geöffnet gewesen und nicht bewegt worden.

Die Klägerin beantragt,

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 8.460,04 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie weitere 887,03 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit als nicht anrechenbare Kosten der vorgerichtlichen Interessenwahrnehmung der C. Rechtsanwälte zu zahlen.

Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.

Sie behaupten, aufgrund der bereits eingesetzten Dämmerung sei das unbeleuchtete schwarze klägerische Fahrzeug nicht zu erkennen gewesen. Eine offenstehende Tür sei für den Beklagten zu 1) nicht erkennbar gewesen. Zudem hätte der Beklagte zu 1) wegen der beengten Fahrbahn nicht ausweichen können.

Die Beklagten meinen, der Zeuge R.. habe den Unfall alleinschuldhaft verursacht, indem er unachtsam die Fahrertür des klägerischen Fahrzeugs geöffnet habe. Aufgrund des damit vorliegenden Verstoßes gegen § 14 StVO spreche für ein klägerisches Alleinverschulden der Anscheinsbeweis.

Hinsichtlich der Schadenshöhe sind die Beklagten der Auffassung, dass ausweislich des Prüfberichts vom 17.12.2021 (vgl. Anlage B1, Bl. 73 d.A.) die Lachvorbereitungsposition 51017197 in Höhe von 82,42 Euro, die Farbtonangleichung/ Beilackierung des Türgriffs/ der Blende in Höhe von 27,47 Euro und die Desinfektionskosten in Höhe von 63,00 Euro nicht erforderlich gewesen seien. Die unfallbedingt entstandenen und erforderlichen Reparaturkosten würden lediglich 6.339,90 Euro betragen.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

Die Klage ist den Beklagten am 00.00.0000 (vgl. Bl. 48 ff. d.A.) zugestellt worden.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch die Vernehmung des Zeugen R… Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 00.00.0000 verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet.

I.

1.

Die Klägerin hat gegen die Beklagten als Gesamtschuldner infolge des streitbefangenen Unfalls einen Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 8.460,04 Euro gemäß § 7 Abs.1 StVG i.V.m. § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG i.V.m. §§ 1, 2 PflVG.

Die Haftungsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 StVG liegen vor. Das klägerische Fahrzeug ist beim Betrieb des Beklagtenfahrzeuges beschädigt worden. Den Beklagten zu 1) trifft eine Alleinhaftung. Gemäß § 17 Abs. 2 StVG ist bei Unfällen zwischen zwei Kraftfahrzeugen die Haftungsverteilung durch Abwägen der wechselseitig verwirklichten Betriebsgefahren unter Berücksichtigung von auf Fahrfehlern beruhenden Mitverursachungsbeiträgen zu ermitteln, wenn kein unabwendbares Ereignis nach § 17 Abs. 3 StVG vorliegt und wenn dem Grunde nach auch die Klägerin aus dem Verkehrsunfall haftet.

a.

Die Voraussetzungen eines unabwendbaren Ereignisses gemäß § 17 Abs. 3 StVG und damit die Entbehrlichkeit einer Abwägungsentscheidung gemäß § 17 Abs. 2 StVG sind im vorliegenden für keine der Parteien gegeben.

Unabwendbarkeit liegt vor, wenn selbst ein Idealfahrer den Unfall bei äußert möglicher Sorgfalt nicht hätte vermeiden können (vgl. Heß/ Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 27. Aufl., 2022, § 17 Rn. 8).

Vorliegend war der Unfall für den Beklagten zu 1) vermeidbar. Zwar war die zweispurige Fahrbahn am Unfalltag durch eine Baustelle verengt (vgl. Lichtbilder des Unfallortes, Anlage K7, B. 17 d.A. und Anlage K8, Bl. 18 d.A.; Skizze des Unfallortes, Anlage K5, Bl. 15 d.A.), aber dennoch hätte der Beklagte zu 1) sein Fahrzeug vor der klägerischen Fahrzeugtür zum Stillstand bringen können.

Auch der Zeuge R.., der als Fahrer eine Haftungseinheit mit der Klägerin bildet, hätte den Unfall vermeiden können. Er hätte das Auto von der Beifahrerseite ausräumen können.

b.

Die nach § 17 Abs. 1, Abs. 2 StVG vorzunehmende Abwägung führt zu einer Alleinhaftung des Beklagten zu 1). Bei Unfällen zwischen zwei Kraftfahrzeugen ist die Haftungsverteilung gemäß § 17 Abs. 1, 2 StVG durch Abwägen der wechselseitig verwirklichten Betriebsgefahren unter Berücksichtigung von auf Fahrfehlern beruhenden Mitverursachungsbeiträgen zu ermitteln. Im Verhältnis der Fahrzeughalter untereinander hängt die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Diese Abwägung ist allein aufgrund der unstreitigen, zugestandenen oder erwiesenen Tatsachen vorzunehmen (vgl. BGH, NVZ 2005, 407).

Vorliegend steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die klägerische linke hintere Fahrzeugtür über einen längeren Zeitraum geöffnet gewesen ist und der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs sich vor und während der Öffnung der Tür nach anderen Verkehrsteilnehmer vergewissert hat. Ein Beweis ist erbracht, wenn das Gericht unter Berücksichtigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme und der sonstigen Wahrnehmungen in der mündlichen Verhandlung von der Richtigkeit einer Tatsachenbehauptung überzeugt ist und vernünftige Zweifel ausgeräumt sind. Die im § 286 Abs. 1 S. 1 ZPO genannten Überzeugung erfordert keine absolute Gewissheit und auch keine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit, es reicht ein für das praktische Leben brauchbaren Grad an Gewissheit aus, der Zweifeln Schweigen gebietet. Gemessen an diesen Grundsätzen ist ein solcher Grad an Gewissheit vorliegend für das Gericht gegeben.

Auf Seiten der Klägerin kann weder ein Verstoß gegen § 14 StVO noch gegen § 1 Abs. 2 StVO festgestellt werden. Zwar muss sich nach § 14 StVO, wer ein- oder aussteigt, so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Diese Sorgfaltsanforderung gilt für die gesamte Dauer eines Ein- oder Aussteigevorgangs, also für alle Vorgänge, die in einem unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang damit stehen. Wird beim Ein- oder Aussteigen ein anderer Verkehrsteilnehmer geschädigt, so spricht der Beweis des ersten Anscheins für eine fahrlässige Sorgfaltspflichtverletzung des Ein- oder Aussteigenden (vgl. BGH NJW 2009, 3791 = NZV 2010, 24; OLG Köln, Urteil vom 01.04.1992 – 11 U 234/91 = OLGR Köln 1992, 231). Hier hat die Klägerin den Anscheinsbeweis erschüttert. Der Zeuge R.. hat positiv ergiebig bekundet, dass die hintere linke Fahrzeugtür ca. eine halbe Minute geöffnet gewesen sei, während er die Einkäufe zusammen gepackt habe. Das Gericht ist zu der Überzeugung gelangt, dass sich der Unfall nicht im engen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Türöffnen ereignet hat. Der Zeuge hat bestätigt, dass die Tür über einen längeren Zeitraum geöffnet gewesen ist. Die Aussage ist glaubhaft. Der Zeuge hat widerspruchsfrei und konstant, insbesondere vor dem Hintergrund seiner schriftlichen Unfallschilderung (vgl. Bl. 13 d.A.), das Geschehen erklärt. Zudem sprechen die Ausführungen zu dem Randgeschehen, wie die Diabetes und McDonald’s, für die Glaubhaftigkeit seiner Aussage. Er hat auch Erinnerungslücken eingeräumt, indem er sich beispielsweise nicht mehr an seine Kleidung erinnern kann. Gegen einen Anscheinsbeweis spricht zudem, dass die beschädigte Tür sogar die zweite Tür gewesen ist, die der Zeuge geöffnet hat. Darüber hinaus hat der Zeuge auch nicht gegen das allgemeine Rücksichtsgebot verstoßen. Er hat bekundet, dass bevor er ausgestiegen sei, in den Rückspiegel nach Autos geguckt habe. Bevor er danach die hintere Tür geöffnet habe, habe er erneut nach Autos geschaut. Während des Einpackens der Einkäufe habe er sich auch noch einmal vergewissert, dass keine Autos von hinten kommen. Das Gericht ist davon überzeugt, dass der Zeuge sich weder unachtsam noch unvorsichtig vor der Öffnung und während der Öffnung der Türen verhalten hat. Er ist seiner Vorsichtspflicht gegenüber dem bevorrechtigten fließenden Verkehr nachgekommen. Weiter hat er das klägerische Fahrzeug auch ordnungsgemäß in der Parkbucht abgestellt.

Die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs tritt vollständig hinter den Verstoß des Beklagten zu 1) gegen das allgemeine Rücksichtsgebot gemäß § 1 Abs. 2 StVO zurück. Der Beklagte hat im Rahmen seiner informatorischen Anhörung selbst erklärt, dass er die Tür nicht gesehen habe und er schuld gewesen sei. Er sei drauf gefahren. Insbesondere spricht für eine Unaufmerksamkeit, dass er nach seiner eigenen Erklärung aufgrund der Baustelle 30-40 km/h gefahren ist. Trotz dieser geringen Geschwindigkeit hat er die über einen längeren Zeitraum geöffnete Fahrzeugtür nicht erkannt. Zwar ist das klägerische Fahrzeug ein schwarzer Golf, aber die Straße ist an der Unfallstelle gerade. Zudem war die Fahrzeugtür von innen mit einem Reflektor beleuchtet. Aufgrund dieser Gesamtumstände ist das Gericht, unabhängig von den Wetterbedingungen, von guten Sichtverhältnissen überzeugt.

c.

Die Beklagten haben die Klägerin gemäß § 249 Abs. 1 BGB schadlos zu halten. Daraus folgen die Zahlungsansprüche im tenorierten Umfang.

Entgegen der Ansicht der Beklagten sind die Reparaturkosten in Höhe von 6.578,34 Euro brutto ausweislich der Rechnung des Autohauses Y. vom 00.00.0000 (vgl. Anlage K9, Bl. 19 d.A.) zu ersetzen. Da die streitigen Positionen nach dem Prüfbericht vom 17.12.2021 (vgl. Anlage B1, Bl. 73 d.A.) tatsächlich durchgeführt wurden, sind die dadurch entstandenen Kosten unabhängig von der Frage erstattungsfähig, ob sie objektiv erforderlich waren, solange die Klägerin im Zusammenhang mit der Beauftragung der Werkstatt kein Verschulden trifft. Bei der Instandsetzung eines beschädigten Fahrzeugs schuldet der Schädiger als Herstellungsaufwand nach § 249 S. 2 BGB grundsätzlich auch die Mehrkosten, die ohne eigene Schuld des Geschädigten die von ihm beauftragte Werkstatt infolge unwirtschaftlicher oder unsachgemäßer Maßnahmen verursacht hat. Es darf nicht außer Acht gelassen werden, dass seinen Erkenntnis- und Einwirkungsmöglichkeiten bei der Schadensregulierung regelmäßig Grenzen gesetzt sind, dies vor allem, wenn er den Reparaturauftrag erteilt und das Unfallfahrzeug in die Hände von Fachleuten übergeben hat. Es würde dem Sinn und Zweck des § 249 S. 2 BGB widersprechen, wenn der Geschädigte bei Ausübung der ihm durch das Gesetz eingeräumten Ersetzungsbefugnis im Verhältnis zu dem ersatzpflichtigen Schädiger mit Mehraufwendungen der Schadensbeseitigung belastet bliebe, deren Entstehung seinem Einfluss entzogen ist und die ihren Grund darin haben, dass die Schadensbeseitigung in einer fremden, vom Geschädigten, wohl auch nicht vom Schädiger kontrollierbaren Einflusssphäre stattfinden muss. Weist der Geschädigte nach, dass er die Instandsetzungsarbeiten unter Beachtung der vorstehenden Grundsätze veranlasst hat, so können deshalb die „tatsächlichen“ Reparaturkosten regelmäßig auch dann für die Bemessung des „erforderlichen“ Herstellungsaufwandes herangezogen werden, wenn diese Kosten ohne Schuld des Geschädigten etwa wegen überhöhter Ansätze von Material oder Arbeitszeit wegen unsachgemäßer oder unwirtschaftlicher Arbeitsweise im Vergleich zu dem, was für eine solche Reparatur sonst üblich ist, unangemessen sind. Das Werkstattrisiko verbleibt beim Schädiger (vgl. BGH, Urteil vom 29.10.1974 – VI ZR 42/73 -, BGHZ 63, 182 ff.; BGH, Urteil vom 26.04.2022 – VI ZR 147/21 -). Vorliegend hat die Klägerin die vollständige Reparatur gemäß Gutachten beauftragt. Sie hat keine Möglichkeit auf das Reparaturgeschehen einzugreifen. Zudem hat sie alles ihr Mögliche getan, indem sie ein Sachverständigengutachten eingeholt hat. Es bestehen auch keine Zweifel, dass die Werkstatt Autohaus Y. die Reparaturarbeiten auftragsgemäß vollständig durchgeführt hat. Insbesondere genügt der bloße Umstand, dass der von der Werkstatt nach Durchführung der Reparatur abgerechnete Betrag von 6.578,34 Euro rund 12 % über der Kalkulation im Gutachten 5.850,04 Euro liegt, für die Annahme eines solchen Verschuldens nicht.

Die von der Klägerin geltend gemachten Sachverständigenkosten in Höhe von 982,70 Euro (vgl. Rechnung vom 12.11.2021, Anlage K11, Bl. 37 d.A.) sind gemäß § 249 Abs. 2 BGB ersatzfähig. Insbesondere ist die Klägerin durch die Rückabtretung (vgl. Anlage K3, Bl. 12 d.A.) aktivlegitimiert.

Ersatzfähig ist auch der Nutzungsausfall. Das Gericht schätzt die Höhe nach § 287 ZPO auf 874,00 Euro. Ausweislich des unbestrittenen Vortrages der Klägerin wurde das Fahrzeug vom N01 bis zum 00.00.0000 – also 23 Tage – repariert. Die Reparaturdauer ergibt sich auch aus der Rechnung des Autohauses Y. vom 00.00.0000 (vgl. Anlage K9, Bl. 19 d.A.).

Der Klägerin steht eine Unfallkostenpauschale zu. Das Gericht erachtet einen Betrag von 25,00 Euro im Wege der Schätzung § 287 ZPO für angemessen. Konkrete Umstände, die einen geringeren Betrag rechtfertigten, haben die Beklagten nicht vorgetragen.

Die beantragten Prozesszinsen stehen der Klägerin aus §§ 291, 288 Abs. 1 S. 2 BGB i.V.m.§ 261 Abs. 1 ZPO, § 187 Abs. 1 BGB analog ab dem Tag nach Eintritt der Rechtshängigkeit, dem 06.08.2022 (vgl. Bl. 48 ff. d.A.), zu.

2.

Die Klägerin kann auch den Ersatz ihrer außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 87,03 Euro gemäß § 249 Abs. 2 BGB verlangen. Die Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts war vorliegend erforderlich und zweckmäßig (vgl. Grüneberg/ Grüneberg, BGB, 82. Aufl. 2023, § 249 Rn. 57).

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1 S. 1, 100 Abs. 4 ZPO.

Die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 2 ZPO.

III.

Streitwert bis 8.460,04 Euro

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