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Verkehrsunfall – Kollision an engen und unübersichtlichen Kreuzung

LG Osnabrück – Az.: 1 S 261/17 – Urteil vom 13.12.2017

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das am 14.06.2017 verkündete Urteil des Amtsgerichts Bad Iburg geändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 936,46 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 23.02.2017 sowie 664,62 € vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 23.02.2017 zu zahlen; die Beklagte zu 2) wird weiter verurteilt, an die Klägerin Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz vom 19.02.2017 bis zum 22.02.2017 aus 1601,08 € zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

2. Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen die Klägerin 20 % und die Beklagten als Gesamtschuldner 80 %; von den Kosten der Berufung tragen die Klägerin 62 % und die Beklagten als Gesamtschuldner 38 %.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Der Streitwert für die Berufungsinstanz wird auf 2486,16 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Klägerin nimmt die Beklagten auf Schadensersatz wegen eines Verkehrsunfalls in Anspruch.

Verkehrsunfall - Kollision an engen und unübersichtlichen Kreuzung
(Symbolfoto: Dmitry Kalinovsky/Shutterstock.com)

Die Klägerin befuhr mit dem zum damaligen Zeitpunkt in ihrem Eigentum stehenden VW Touran, amtliches Kennzeichen O., am 29.10.2016 gegen 9:35 Uhr die H-Straße in B.. Die Klägerin fuhr auf dieser Straße geradeaus; dabei hielt sie sich nicht am rechten Fahrbahnrand, sondern fuhr mittig auf der H-Straße. Im weiteren Verlauf mündete von links die Zufahrt zu den Hausnummern 26 bis 28 in die H-Straße ein. Als sich die Klägerin im Bereich dieser Einmündung befand, bog der Beklagte zu 1) mit seinem zum Unfallzeitpunkt bei der Beklagten zu 2) versicherten Pkw, amtliches Kennzeichen O., aus der Einmündung kommend nach rechts in die H-Straße ein, wobei er das Vorfahrtsrecht der entgegen kommenden Klägerin nicht beachtete. Dabei war sowohl für den Beklagten zu 1) die Sicht nach rechts auf die H-Straße als auch für die Klägerin die Sicht in den Einmündungsbereich wegen einer Hecke eingeschränkt. Es kam zum Zusammenstoß der Fahrzeuge.

Infolge des Unfalls ist der Klägerin unstreitig ein Sachschaden in Höhe von 7728,49 € entstanden. Ein Teil dieses Sachschadens beruht darauf, dass bei dem Verkehrsunfall auch ein auf der Rückbank des Fahrzeugs der Klägerin eingebauter Kindersitz beschädigt wurde, der für die Verwendung bis zum Ende der Kindersitzpflicht geeignet war. Diesen hatte die Klägerin am 5.3.2016 für 162,50 € erworben. Das Kind der Klägerin war im Zeitpunkt des Unfalls 2 Jahre alt.

Unmittelbar nach dem Unfallereignis beauftragte die Klägerin ihre nunmehrigen Prozessbevollmächtigten mit der außergerichtlichen Wahrnehmung ihrer Interessen. Hierfür sind ihr Kosten in Höhe von 743,51 € entstanden.

Die Beklagte zu 2) hat auf der Grundlage einer Haftungsquote von 2/3 vorgerichtlich Zahlungen in Höhe von 5262,33 € an die Klägerin geleistet.

Die Klage ist dem Beklagten zu 1) am 22.2.2017 und der Beklagten zu 2) am 18.2.2017 zugestellt worden.

Die Klägerin behauptet, bei der Einmündung zu den Hausnummern 26 bis 28 handele es sich um einen nicht-öffentlichen Vorplatz; auch sei die H-Straße in diesem Bereich relativ schmal. Sie ist der Ansicht, dass der bei dem Unfall beschädigte Kindersitz mit einem Zeitwert von 140 € bei der Schadensregulierung zu berücksichtigen sei. Weiter meint sie, dass die Beklagten aufgrund des Vorfahrtsverstoßes des Beklagten zu 1) vollumfänglich hafteten.

Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 2486,16 € sowie vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 743,51 €, jeweils nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie behaupten, dass es sich auch bei der Zufahrt zu den Grundstücken mit den Häusern 26 bis 28 um öffentlichen Verkehrsraum handele. Zu dem Unfall wäre es nicht gekommen, wenn die Klägerin auf der rechten Straßenseite gefahren wäre; ihr falle daher ein Mitverschulden zur Last. Der Verkehrswert des beschädigten Kindersitzes sei mit 120 € anzusetzen.

Mit am 14.6.2017 verkündetem und der Klägerin am 19.6.2017 zugestelltem Urteil hat das Amtsgericht der Klage in Höhe von 474,77 € stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass eine Mithaftung der Klägerin von 1/3 anzunehmen sei. Der Verkehrsunfall sei für beide Parteien kein unabwendbares Ereignis im Sinne von § 17 Abs. 3 StVG gewesen. Bei der gemäß § 17 Abs. 1 StVG vorzunehmenden Abwägung sei zu Lasten der Beklagten die Verletzung des Vorfahrtsrechts der Klägerin zu berücksichtigen gewesen. Zu Lasten der Klägerin sei der Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot ins Gewicht gefallen. Dadurch habe sie die Betriebsgefahr ihres Fahrzeugs erheblich erhöht. Da die Beklagte zu 2) außergerichtlich bereits eine Schadensregulierung auf Grundlage einer Haftungsquote von 1/3 zu 2/3 vorgenommen habe, bestünden weitergehende Zahlungsansprüche der Klägerin nur noch hinsichtlich der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe des zuerkannten Betrages.

Die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin ist am 29.6.2017 beim Landgericht eingegangen und mit Schriftsatz vom 31.8.2017 begründet worden. Sie begehrt weiterhin eine Schadensregulierung auf der Grundlage einer 100-prozentigen Haftung der Beklagten.

Die Klägerin rügt die Verletzung materiellen Rechts. Das Amtsgericht habe zu Unrecht den Verstoß der Klägerin gegen das Rechtsfahrgebot als haftungserhöhend gewertet. Da das Rechtsfahrgebot den von untergeordneten Straßenbereichen einfahrenden Verkehr nicht schütze, könne aus einem Verstoß bei einer infolge eines Vorfahrtsverstoßes erfolgten Kollision keine Erhöhung der Betriebsgefahr hergeleitet werden. Da das Amtsgericht zudem ihrem Beweisantritt hinsichtlich der Frage der Unvermeidbarkeit des Unfallgeschehens nicht nachgegangen sei, habe es auch ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt.

Die Klägerin beantragt, die Beklagten unter teilweiser Aufhebung des Urteils des Amtsgerichts Bad Iburg vom 14.6.2017 zum Aktenzeichen 4 C 96/17 zu verurteilen, als Gesamtschuldner an die Klägerin 2486,16 € nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, als Gesamtschuldner an die Klägerin vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von noch 268,74 € nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagten beantragen, die Berufung zurückzuweisen.

Sie wiederholen und vertiefen ihr erstinstanzliches Vorbringen.

II.

Die Berufung ist zulässig; in der Sache hat sie teilweise Erfolg.

Die Beklagten haften der Klägerin dem Grunde nach als Gesamtschuldner zu 80 % für den durch den Verkehrsunfall vom 29.10.2016 entstandenen Schaden aus §§ 7, 17, 18 StVG i.V.m. § 115 VVG.

a)

Der Unfall hat sich, wie von § 7 Abs. 1 StVG vorausgesetzt, beim Betrieb des Fahrzeugs des Beklagten zu 1) ereignet.

b)

Weiter war, wie auch das Amtsgericht rechtsfehlerfrei angenommen hat, der Unfall für keinen der Beteiligten unabwendbar i.S. von § 17 Abs. 3 StVG.

Als unabwendbar gilt ein Ereignis dann, wenn sowohl der Halter als auch der Führer des Fahrzeugs jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beobachtet haben. Ein unabwendbares Ereignis im Sinne von § 17 Abs. 3 Satz 1, 2 StVG liegt nicht nur bei absoluter Unvermeidbarkeit des Unfalls vor, sondern auch dann, wenn dieser bei Anwendung der äußersten möglichen Sorgfalt nicht abgewendet werden konnte. Hierzu gehört ein sachgemäßes, geistesgegenwärtiges Handeln über den Maßstab der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt im Sinne von § 276 BGB hinaus, so dass der Fahrer, der mit Erfolg die Unabwendbarkeit des Unfalls geltend machen will, sich wie ein „Idealfahrer“ verhalten haben muss. Damit verlangt § 17 Abs. 3 S. 1, 2 StVG, dass der „Idealfahrer“ in seiner Fahrweise auch die Erkenntnisse berücksichtigt, die nach allgemeiner Erfahrung geeignet sind, Gefahrensituationen nach Möglichkeit zu vermeiden (BGH, Urt. v. 13.12.2005, VI ZR 68/04, Rn. 21 m.w.N., zitiert nach juris). Für die Unabwendbarkeit im Rahmen des § 17 Abs. 3 StVG ist derjenige beweisbelastet, der sich auf sie beruft (OLG München, Urt. v. 12.08.2011, 10 U 3150/10, zitiert nach juris).

Für den Beklagten zu 1.) war der streitgegenständliche Unfall bereits deshalb nicht unabwendbar, weil er das Vorfahrtsrecht der Klägerin nicht beachtet hat.

Aber auch die Klägerin hat die Unabwendbarkeit der Kollision unter Berücksichtigung der vorstehenden Maßstäbe nicht dargelegt. Sie macht insoweit lediglich geltend, dass es auch dann zu dem Zusammenstoß gekommen wäre, wenn sie sich äußerst rechts gehalten hätte. Damit ist jedoch nicht vorgetragen, dass die im vorliegenden Fall an einen Idealfahrer zu stellenden Anforderungen erfüllt wurden. Nach dem unstreitigen Parteivortrag, war die Sicht auf den Einmündungsbereich für die Klägerin einschränkt. Zudem führt die H-Straße, wie die Fotografien von der Unfallstelle zeigen (vgl. S. 7 ff. d. Bußgeldakte), durch ein Wohngebiet, auch sind die Fahrspuren nicht durch eine Mittellinie voneinander abgegrenzt. Ein Idealfahrer hätte seine Fahrweise auf diese Bedingungen eingestellt. Er wäre mit angepasster Geschwindigkeit gefahren, die auch Sichtbeschränkungen aufgrund von Anpflanzungen Rechnungen trägt und hätte aufgrund der Wohnbebauung auch mit aus Grundstücksauffahrten ausfahrenden Fahrzeugen gerechnet. Entsprechendes ergibt sich aus dem Klägervortrag nicht.

c)

Inwieweit die Parteien einander zum Schadensersatz verpflichtet sind, hängt daher gem. § 17 Abs. 2 und 1 StVG von den Umständen ab. Der Haftungsanteil ergibt sich dabei aus einer Gesamtbetrachtung der aus § 7 Abs. 1 StVG folgenden, grundsätzlich bestehenden Betriebsgefahr sowie aus gefahrerhöhenden Umständen, die sich die Kfz-Halter im konkreten Fall zurechnen lassen müssen. Bestehen keine relevanten Unterschiede zwischen den beteiligten Kfz, ist die Betriebsgefahr zunächst gleich groß anzusetzen; bei einem Unfall unter Beteiligung zweier Pkw haftet demnach im Ausgangspunkt jeder Halter aufgrund seiner Betriebsgefahr zu 50 %.

Die konkrete Abwägung ist sodann aufgrund aller festgestellten, das heißt unstreitigen, zugestandenen oder nach § 286 ZPO bewiesenen Umstände des Einzelfalls vorzunehmen, die sich auf den Unfall ausgewirkt haben; in erster Linie ist hierbei das Maß der Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben; ein Faktor bei der Abwägung ist dabei das beiderseitige Verschulden (st. Rspr., vgl. z.B. BGH, Urt. v. 13.12.2016, VI ZR 32/16, Rn. 8, zitiert nach juris).

Auf Grundlage dieser Maßstäbe sowie unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu der Frage, wie sich ein Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot des Vorfahrtsberechtigten im Fall einer Vorfahrtsverletzung auswirkt (vgl. BGH, Urt. v. 20.09.2011, VI ZR 282/10), ergibt sich vorliegend eine Haftungsquote für die Beklagten von 80 % sowie für die Klägerin – aufgrund der einfachen Betriebsgefahr ihres Pkw – von 20 %.

aa)

Das Amtsgericht hat insoweit zutreffend angenommen, dass im Hinblick auf den Beklagten zu 1) ein Verkehrsverstoß bereits aufgrund des unstreitigen Parteivorbringens feststeht. Der Beklagte hat bei der Auffahrt auf die H-Straße das Vorfahrtsrecht der Klägerin missachtet, unabhängig davon, ob es sich bei der Zufahrt zu den Grundstücken H-Straße 26 bis 28 um einen öffentlichen Verkehrsraum oder eine Grundstücksauffahrt handelt (vgl. §§ 8, 10 StVO).

Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass die Klägerin über der Fahrbahnmitte fuhr. §§ 8 Abs. 1, 10 Satz 1 StVO legen dem auf eine bevorrechtigte Straße einfahrenden Fahrzeugführer gesteigerte Pflichten auf. Die Pflichten werden nicht dadurch gemindert, dass der Vorfahrtsberechtigte unter Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot die linke Straßenseite benutzt. Das Vorfahrtsrecht der auf der Straße fahrenden Fahrzeuge gegenüber einem auf eine Straße Einfahrenden gilt grundsätzlich für die gesamte Fahrbahn. Der aus einer untergeordneten Straße kommende Fahrzeugführer hat sich grundsätzlich darauf einzustellen, dass der ihm gegenüber Vorfahrtsberechtigte von seinem Recht Gebrauch macht. Selbst das Befahren der linken Fahrbahn beseitigt nicht die Verpflichtung des Einfahrenden, dem fließenden Verkehr den Vorrang zu belassen und diesen nicht zu behindern (vgl. BGH, Urt. v. 20.09.2011, VI ZR 282/10 Rn. 7 f., zitiert nach juris).

Die Verletzung des Vorfahrtsrechts durch den in die Straße Einfahrenden indiziert sein Verschulden (BGH a.a.O., Rn. 9).

bb)

Demgegenüber können sich die Beklagten nicht auf eine Mitverursachung der Kollision durch die Klägerin oder ein zu ihren Lasten zu berücksichtigendes Mitverschulden berufen.

(1)

Zwar hat die Klägerin unstreitig das Rechtsfahrgebot gem. § 2 Abs. 2 StVO nicht beachtet.

(2)

Allerdings soll das Rechtsfahrgebot sicherstellen, dass Fahrzeuge sich gefahrlos begegnen und überholen können. Es dient also dem Schutz der Verkehrsteilnehmer, die sich in Längsrichtung auf derselben Straße bewegen. Hingegen sollen solche Verkehrsteilnehmer nicht geschützt werden, die diese Straße überqueren oder – wie der Beklagte zu 1) – in sie einbiegen wollen. Die Regelung schützt nicht den einbiegenden wartepflichtigen Verkehr aus der untergeordneten Straße (vgl. BGH a.a.O., Rn. 11). Das Rechtsfahrgebot begründet für den auf die bevorrechtigte Straße Einbiegenden demnach keine Rechtsposition in dem Sinne, dass ein Verstoß per se haftungsbegründend ist.

Aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs folgt mithin, dass ein Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot gegenüber dem auf die bevorrechtigte Straße unter Missachtung der Vorfahrt Einbiegenden solange der Annahme einer Mitverursachung des Vorfahrtsberechtigten entgegensteht, bis dieser aus besonderen Umständen erkennt oder bei gebotener Sorgfalt erkennen kann, dass ihm der Wartepflichtige die Vorfahrt nicht einräumen wird. Dafür, dass solche Umstände vorlagen, ist jedoch nichts dargelegt und auch nichts ersichtlich.

(3)

Ebenso kann auch ein Mitverschulden der Klägerin an der streitgegenständlichen Kollision nicht angenommen werden. Nach der in Bezug genommenen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darf der sich im fließenden Verkehr bewegende Vorfahrtsberechtigte grundsätzlich, sofern nicht Anzeichen für eine bestehende Vorfahrtsverletzung sprechen, darauf vertrauen, dass der Einbiegende sein Vorrecht beachten werde. Dieses Recht entfällt nicht, wenn ein Fahrzeugführer  pflichtwidrig zu weit links gefahren ist. Vielmehr braucht der Vorfahrtsberechtigte mit der Missachtung seines Vorrechts solange nicht zu rechnen, wie der Wartepflichtige noch die Möglichkeit hat, sein Fahrzeug durch eine gewöhnliche Bremsung rechtzeitig anzuhalten, so dass der Vorfahrtsberechtigte ungefährdet vor ihm vorüberfahren kann (BGH a.a.O., Rn. 12).

Dafür, dass die Vorfahrtsverletzung im vorstehenden Sinne rechtzeitig für die Klägerin erkennbar war, bietet das Parteivorbringen keinerlei Anhaltspunkte.

cc)

Da nach den vorhergehenden Ausführungen weder eine Mitverursachung noch ein Mitverschulden der Klägerin an dem streitgegenständlichen Unfall anzunehmen ist, beträgt ihre Mithaftung nicht wie vom Amtsgericht angenommen 1/3, sondern sie haftet grundsätzlich nur für die einfache Betriebsgefahr ihres Fahrzeugs.

Anders als die Klägerin meint, tritt die Betriebsgefahr vorliegend jedoch nicht aufgrund der Vorfahrtsverletzung des Beklagten zu 1) zurück. Zwar wird in der Rechtsprechung für den Fall, dass der Unfallgegner des Wartepflichtigen gegen das Rechtsfahrgebot verstoßen hat, unter bestimmten Voraussetzungen eine Alleinhaftung des Wartepflichtigen angenommen, da die Vorfahrtsregelung dem wartepflichtigen Verkehrsteilnehmer die Pflicht zu erhöhter Sorgfalt auferlegt und eine Verletzung besonders schwer wiegt (vgl. BGH a.a.O., Rn. 16; LG Saarbrücken, Urt. v. 29.04.2016, 13 S 3/16, Rn. 26, zitiert nach juris). So wird eine Alleinhaftung des Wartepflichtigen beispielsweise dann angenommen, wenn dieser eine bessere Sichtposition als der Vorfahrtsberechtigte hatte (BGH a.a.O., Rn. 16).

Vergleichbare, eine Alleinhaftung des wartepflichtigen Beklagten zu 1) begründende Umstände sind vorliegend jedoch nicht gegeben; vielmehr verbleibt es bei einer Mithaftung der Klägerin aufgrund der Betriebsgefahr ihres Pkw. Der Beklagte zu 1) hatte insbesondere keine bessere Sichtposition als die Klägerin, vielmehr war seine Sicht – auch für die Klägerin erkennbar – aufgrund der Heckenpflanzen eingeschränkt; die Klägerin hätte daher bei entsprechender Umsicht erkennen können, dass ihr Fahrzeug umso schwerer für einbiegende Fahrzeuge sichtbar ist, je weiter links sie die Fahrbahn befährt. Dies rechtfertigt eine Mithaftung in Höhe der einfachen Betriebsgefahr von 20 %.

d)

Danach ergibt sich ein weiterer Zahlungsanspruch der Klägerin gegen die Beklagte in Höhe von 936,46 €.

Der Klägerin ist unstreitig ein Schaden in Höhe von 7728,49 € entstanden.

Ein weiterer Schaden in Höhe von zusätzlichen 20,- € ergibt sich daraus, dass der Zeitwert des beschädigten Kindersitzes mit 140,- € anzusetzen ist. Die Kammer schätzt diesen Zeitwert gem. § 287 ZPO unter Berücksichtigung einer Gesamtnutzungsdauer von zumindest 8 Jahren sowie des Alters des Sitzes von ca. 7 Monaten; auf dieser Grundlage erscheint die Annahme eines Wertverlustes von 20,- € für das laufende erste Nutzungsjahr angemessen.

Der Zahlungsanspruch der Klägerin errechnet sich demnach wie folgt:

Gesamtschaden: 7.748,49 € davon 80%: 6.198,79 € bereits bezahlt: 5.262,33 € noch zu zahlen:      936,46 €

e)

Der Klägerin steht darüber hinaus ein Anspruch auf Erstattung der Kosten für die außergerichtliche Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts auf Grundlage eines Gegenstandswerts von 6.198,79 € unter Ansatz einer 1,3-Gebühr zzgl. 20 € Post- und Telekommunikationspauschale und 12 € für Akteneinsicht sowie zzgl. 19 % Mehrwertsteuer, mithin in Höhe von 664,62 € zu.

f)

Die Zahlungsansprüche der Klägerin sind gem. §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1, 291 S. 1 i.V.m. § 187 Abs. 1 BGB ab dem Tag, der auf die jeweilige Klagezustellung folgt, zu verzinsen.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1, 100 Abs. 4 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht gem. §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

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