Skip to content
Menu

Verkehrsunfall – Wartepflichtiger mit Vorfahrtsberechtigtem nach Fahrstreifenwechsel

Vorfahrtsverstoß: Juristische Niederlage nach folgenschwerem Verkehrsunfall

Im Fall AG Hamburg, Az.: 32 C 394/14, wurde die Beklagte zur Zahlung von Schadensersatz und vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten an den Kläger verurteilt, nachdem sie beim Einbiegen in eine vorfahrtsberechtigte Straße mit dem Fahrzeug des Klägers kollidierte; das Gericht wies die Widerklage der Beklagten ab und bestätigte die volle Haftung der Beklagten für den Unfall aufgrund eines Vorfahrtsverstoßes.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 32 C 394/14 >>>

✔ Das Wichtigste in Kürze

  • Die Beklagte wurde zur Zahlung von 996,22 € sowie vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 147,56 € an den Kläger verurteilt.
  • Der Unfall ereignete sich, als die Beklagte aus einer untergeordneten Straße in eine vorfahrtsberechtigte Straße einbog und dabei mit dem Fahrzeug des Klägers kollidierte.
  • Die Widerklage der Beklagten wurde abgewiesen; das Gericht sah keine Erschütterung des Anscheinsbeweises für einen Vorfahrtsverstoß der Beklagten.
  • Die Haftungsquote wurde zu 100 % zu Lasten der Beklagten festgelegt, da keine ausreichenden Beweise für ein Fehlverhalten des Klägers oder der Drittwiderbeklagten vorlagen.
  • Das Gericht erklärte, dass der Schadensersatzanspruch des Klägers gemäß §§ 823 BGB, 18 i.V.m. 7 Abs. 1, 17 StVG begründet ist.
  • Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten sind gemäß der Rechtsprechung vom Schädiger zu tragen, auch wenn die Abrechnung gegenüber dem Mandanten formalen Anforderungen nicht entspricht.
  • Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens und die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den entsprechenden gesetzlichen Vorschriften.

Vorfahrtsregeln im Straßenverkehr

Bei Vorfahrtssituationen im Straßenverkehr müssen Verkehrsteilnehmer höchste Aufmerksamkeit walten lassen. Die Straßenverkehrsordnung (StVO) regelt verbindlich, wer zu warten und wer vorzufahren hat. Eine besondere Herausforderung ist es, wenn Fahrspurwechsel ins Spiel kommen.

Nicht immer sind die Verkehrssituationen eindeutig. Es kann zu Fehleinschätzungen kommen, wer nun eigentlich vorfahrtsberechtigt ist. Missverständnisse und vorschnelle Aktionen können dann leicht zu folgenschweren Unfällen führen. Klarheit über die geltenden Regeln ist für alle Verkehrsteilnehmer oberstes Gebot.

Haben Sie einen ähnlichen Verkehrsunfall erlitten? Holen Sie sich jetzt eine unverbindliche Ersteinschätzung von unseren Experten. Wir beraten Sie kompetent und zügig, damit Sie Ihre Ansprüche geltend machen können.

➜ Der Fall im Detail


Verkehrsunfall in Hamburg: Vorfahrtsrecht führt zu Rechtsstreit

An einem sonnigen Tag im Mai 2014 ereignete sich an der Kreuzung Grindelberg/Hallerstraße in Hamburg ein Verkehrsunfall, der zu einem bemerkenswerten juristischen Nachspiel führte. Beteiligt waren zwei Fahrzeuge: Ein Pkw Hyundai, gefahren von der Drittwiderbeklagten und im Eigentum des Klägers, sowie ein weiterer Pkw, gesteuert von der Beklagten, die im Fahrzeug ihres Ehemannes unterwegs war. Die Drittwiderbeklagte befuhr die vorfahrtsberechtigte Straße Grindelberg, während die Beklagte aus der untergeordneten Hallerstraße kam. Im Zuge des Unfalls, der sich beim Einmünden der Beklagten in den Grindelberg ereignete, entstanden an beiden Fahrzeugen erhebliche Schäden. Die Reparaturkosten sowie ein Nutzungsausfall für den Hyundai beliefen sich auf insgesamt 996,22 €, die durch den Kläger geltend gemacht wurden. Der Beklagten entstand ein Schaden von 1.105,52 € brutto. Trotz vorgerichtlicher Aufforderung zur Regulierung der Schäden wies die Beklagte die Ansprüche des Klägers zurück, was zur rechtlichen Auseinandersetzung führte.

Gerichtliches Urteil: Vollständige Haftung der Beklagten

Das Amtsgericht Hamburg entschied im Februar 2015 unter dem Aktenzeichen 32 C 394/14 zugunsten des Klägers. Die Beklagte wurde zur Zahlung von 996,22 € nebst Zinsen sowie zur Übernahme der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 147,56 € verurteilt. Die Widerklage der Beklagten, mit der sie Schadensersatzansprüche gegen den Kläger und die Drittwiderbeklagte geltend machte, wurde abgewiesen. Das Gericht begründete seine Entscheidung mit einem Verstoß der Beklagten gegen das Vorfahrtsrecht. Es hielt fest, dass beim Einbiegen in eine vorfahrtsberechtigte Straße besondere Sorgfaltspflichten gelten, die im vorliegenden Fall von der Beklagten nicht erfüllt wurden. Trotz der Behauptung, die Drittwiderbeklagte habe unmittelbar vor der Kollision den Fahrstreifen gewechselt, konnte die Beklagte den Anschein des schuldhaften Vorfahrtverstoßes nicht entkräften.

Rechtliche Bewertung und Haftungsquote

Die rechtliche Bewertung des Unfalls basierte maßgeblich auf den Bestimmungen des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) und des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB). Dabei spielte insbesondere § 17 StVG eine zentrale Rolle, der eine Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge fordert. Das Gericht kam zu dem Schluss, dass die Beklagte aufgrund ihres Verstoßes gegen die Vorfahrtregelung nach § 8 StVO die alleinige Verantwortung für den Unfall trägt. Ein etwaiger Fahrstreifenwechsel der Drittwiderbeklagten kurz vor der Kollision hatte keinen Einfluss auf die Haftungsverteilung, da das Vorfahrtsrecht die Fahrbahn in ihrer gesamten Breite schützt.

Folgen des Urteils für die Beklagte

Neben der finanziellen Belastung durch Schadensersatz und Anwaltskosten hat die Beklagte auch die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Das Urteil unterstreicht die Bedeutung des Vorfahrtsrechts im Straßenverkehr und dient als Mahnung für alle Verkehrsteilnehmer, die Regeln der StVO sorgfältig zu beachten. Die Entscheidung des Amtsgerichts Hamburg zeigt einmal mehr, dass bei Unfällen im Zusammenhang mit Vorfahrtsverletzungen oft eine eindeutige Haftungszuweisung erfolgt, die für die betroffenen Fahrzeugführer erhebliche finanzielle Konsequenzen haben kann.

Rechtliche Einordnung und Verfahrensablauf

Das Gerichtsverfahren zeichnete sich durch eine umfassende Beweisaufnahme aus, einschließlich der persönlichen Anhörung der Drittwiderbeklagten. Die Beklagte hingegen erschien nicht zur mündlichen Verhandlung. Die sorgfältige Prüfung aller Umstände und Beweismittel führte zu einem Urteil, das die Rechtspositionen der Beteiligten klar definiert und zur Rechtssicherheit im Bereich des Verkehrsrechts beiträgt. Die Entscheidung basierte auf einer gründlichen Abwägung der Sachlage und verdeutlicht die rechtlichen Pflichten, die beim Befahren von Straßenkreuzungen bestehen.

✔ Häufige Fragen – FAQ

Welche Rolle spielt der § 17 StVG bei Verkehrsunfällen?

§ 17 StVG spielt eine zentrale Rolle bei der Schadensverteilung nach Verkehrsunfällen, an denen mehrere Kraftfahrzeuge beteiligt sind:

  • § 17 Abs. 1 StVG regelt die Haftung der Fahrzeughalter untereinander, wenn durch den Unfall ein Schaden bei einem unbeteiligten Dritten entstanden ist. Die Haftung richtet sich dann nach dem Verursachungsbeitrag der beteiligten Fahrzeuge.
  • § 17 Abs. 2 StVG bestimmt, dass Abs. 1 auch gilt, wenn der Schaden einem der unfallbeteiligten Fahrzeughalter selbst entstanden ist. Auch dann hängt die Haftung vom jeweiligen Verursachungsbeitrag ab.
  • Nach § 17 Abs. 3 StVG ist die Haftung ausgeschlossen, wenn der Unfall durch ein unabwendbares Ereignis verursacht wurde, das weder auf einem Fehler des Fahrzeugs noch einem Versagen seiner Vorrichtungen beruht. Ein Ereignis ist nur dann unabwendbar, wenn Halter und Fahrer jede nach den Umständen gebotene Sorgfalt beachtet haben.
  • Bei der Abwägung nach § 17 StVG sind neben den Verursachungsbeiträgen auch Verschulden und Betriebsgefahr der Fahrzeuge zu berücksichtigen. Maßgeblich ist in erster Linie die Verursachung, modifiziert durch etwaige Verschuldensbeiträge.
  • § 17 StVG geht als speziellere Regelung der allgemeinen Vorschrift des § 254 BGB über das Mitverschulden vor, wenn es um den Ausgleich zwischen mehreren unfallbeteiligten Kraftfahrzeugen geht.

Zusammengefasst ermöglicht § 17 StVG eine sachgerechte Verteilung der Haftung und Schadensersatzpflichten zwischen den Unfallbeteiligten. Die Vorschrift trägt so maßgeblich zur Klärung von Haftungsfragen und zur Schadensregulierung nach Verkehrsunfällen bei.

§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils

  • § 823 BGB (Schadensersatzpflicht): Regelung der Schadensersatzpflicht bei zugefügtem Schaden, einschließlich Körperverletzung, Sachbeschädigung oder anderen Rechtsgutverletzungen. Im vorliegenden Fall bildet es die Grundlage für den Anspruch des Klägers auf Schadensersatz wegen der durch den Unfall entstandenen Schäden.
  • §§ 7 Abs. 1, 17 StVG (Haftung bei Betrieb eines Kraftfahrzeugs): Diese Paragraphen regeln die Haftung für Schäden, die beim Betrieb eines Kraftfahrzeugs entstehen. § 17 StVG befasst sich mit der Schadensverteilung bei mehreren Beteiligten und ist entscheidend für die Bestimmung der Haftungsquote bei Verkehrsunfällen.
  • § 8 StVO (Vorfahrt): Definiert die Vorfahrtsregeln im Straßenverkehr, insbesondere die Pflichten des Wartepflichtigen und des Vorfahrtsberechtigten. Im Kontext des Urteils ist dieser Paragraph relevant, da der Unfall auf einem Vorfahrtsverstoß beruht.
  • § 249 BGB (Art und Umfang der Schadensersatzleistung): Legt fest, dass der Schädiger den Zustand herzustellen hat, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. Im vorliegenden Fall betrifft dies die Erstattung der Reparaturkosten und des Nutzungsausfalls.
  • § 91 ZPO (Kostenentscheidung): Regelung der Kostenverteilung in einem Gerichtsverfahren. Das Urteil ordnet an, dass die Beklagte die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat, was die Anwendung dieses Paragraphen impliziert.
  • § 45 GKG (Gerichtskostengesetz – Streitwertfestsetzung): Bestimmt, wie der Streitwert in gerichtlichen Verfahren festgesetzt wird, was wiederum Einfluss auf die Höhe der Gerichtskosten hat. Im Urteil wird die Festsetzung des Streitwerts für verschiedene Zeiträume des Verfahrens erwähnt.


Das vorliegende Urteil

AG Hamburg – Az.: 32 C 394/14 – Urteil vom 12.02.2015

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 996,22 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.06.2014 zu zahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 147,56 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.08.2014 zu zahlen.

3. Die Widerklage wird abgewiesen.

4. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung des Klägers bzw. der Drittwiderbeklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger bzw. die Drittwiderbeklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

6. Der Streitwert wird für die Zeit bis zum 07.09.2014 auf 752,12 €, für die Zeit vom 08.09.2014 bis zum 20.10.2014 auf 1.882,64 € und für die Zeit ab dem 21.10.2014 auf 2.126,74 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten im Rahmen der Klage und der Widerklage um Schadensersatzansprüche aufgrund eines Verkehrsunfalles, der sich am 14.05.2014 an der Kreuzung Grindelberg/Hallerstraße in Hamburg ereignet hat.

An dem Unfall waren als Fahrerin des im Eigentum des Klägers stehenden Pkw Hyundai mit dem amtlichen Kennzeichen … die Drittwiderbeklagte sowie als Fahrerin des im Eigentum des Ehemannes der Beklagten, dem Zendenten …, stehenden Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen … die Beklagte/Widerklägerin beteiligt.

Die Drittwiderbeklagte befuhr am Unfalltag die vorfahrtsberechtigte Straße Grindelberg in Richtung stadtauswärts. Die Beklagte befuhr hingegen die in die Straße Grindelberg einmündende untergeordnete Hallerstraße. Im Bereich der Einmündung der Hallerstraße in die Straße Grindelberg kam es zur Kollision zwischen den beiden Fahrzeugen.

Der Pkw des Klägers wurde an der rechten hinteren Seite, der Pkw der Beklagten an der linken Seite des vorderen Stoßfängers beschädigt.

Die aufgrund des Unfalles entstandene Schadenshöhe ist zwischen den Parteien unstreitig. Die tatsächlich aufgewandten Reparaturkosten für die Reparatur des klägerischen Pkw betrugen 871,22 € brutto. Die entsprechende Reparatur wurde am 02.09.2014 durchgeführt. Für die Reparaturdauer von drei Tagen entstand dem Kläger zudem ein Nutzungsausfallschaden in Höhe von insgesamt 105,00 €. An dem durch die Beklagte gefahrenen Pkw entstand ein Schaden in Höhe von 1.105,52 € brutto/929,91 € netto.

Der Prozessbevollmächtigte des Klägers forderte die Beklagte mit Schreiben vom 12.06.2014 zur Regulierung auf. Die Beklagte wies Zahlungsansprüche des Klägers jedoch mit Schreiben vom 25.06.2014 zurück.

Der Kläger behauptet, die Kollision sei zustande gekommen, da die Beklagte, als sie aus der untergeordneten … in die Straße … einbog, das Fahrzeug des Klägers, mit welchem die Drittwiderbeklagte auf der rechten Spur der Straße Grindelberg gefahren sei, übersehen habe. Die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten seien in einer den Anforderungen des § 10 Abs. 1 RVG genügenden Form gegenüber dem Kläger abgerechnet worden.

Der Kläger ist der Auffassung, er habe gegen die Beklagten einen Anspruch auf vollumfängliche Erstattung des Gesamtschadens in Höhe von 996,22 € nebst Zinsen, der sich aus den Reparaturkosten in Höhe von 871,22 € brutto, dem Nutzungsausfallschaden in Höhe von 105,00 € und einer Schadenspauschale in Höhe von 20 € zusammensetze. Des Weiteren habe er einen Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von insgesamt 147,56 € (104,00 € Geschäftsgebühr 1,3 + 20,00 € Post- und Kommunikationspauschale + 23,56 € MwSt) nebst Zinsen.

Nachdem der Kläger vor Durchführung der Reparatur zunächst lediglich einen Betrag in Höhe von 752,12 € nebst Zinsen und vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten gegen die Beklagte geltend gemacht hat, beantragt der Kläger nunmehr,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 996,22 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.06.2014 sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 147,56 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Widerklagend beantragt die Beklagte, den Kläger und die Drittwiderbeklagte als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Beklagte 1.385,85 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Der Kläger und die Drittwiderbeklagte beantragen, die Widerklage abzuweisen.

Die Beklagte behauptet, sie sei aufgrund einer Abtretung der Schadensersatzansprüche durch ihren Ehemann, den Zendenten …, aktivlegitimiert für die Widerklage. Die Drittwiderbeklagte habe zunächst den linken Fahrstreifen der Straße … stadtauswärts befahren. Da der rechte Fahrstreifen frei gewesen sei, sei die Beklagte auf den rechten Fahrstreifen eingebogen, wobei die Drittwiderbeklagte im unmittelbaren Kreuzungsbereich als sie die Einfahrt … passierte überraschend und ohne den Blinker zu setzen sowie ohne auf das rechts hinter ihr befindliche Fahrzeug zu achten, auf die rechte Fahrspur gewechselt sei und den Pkw der Beklagten tuschiert habe. Die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten seien in einer den Anforderungen des § 10 Abs. 1 RVG genügenden Form gegenüber der Beklagten abgerechnet worden. Eine Rechtsschutzversicherung habe die Beklagte nicht.

Die Beklagte ist der Auffassung, gegen sie selbst spreche kein Anscheinsbeweis, da dieser erschüttert sei. Vielmehr führe eine Abwägung der Verursachungsbeiträge zu einer vollständigen Haftung des Klägers. Sie habe daher gegen den Kläger und die Drittwiderbeklagte aus abgetretenem Recht einen Anspruch auf Ersatz der an dem Pkw entstandenen Schäden in Höhe von insgesamt 1.130,52 € € (1.105,52 € fiktive Reparaturkosten + 25,00 € Kostenpauschale) und auch der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten aus einem Gegenstandswert in Höhe von 1.900,00 € (1.130,52 € eigener Schadensersatz + 752,12 € verlangter Schadensersatz des Klägers) in Höhe von 255,85 € jeweils nebst Zinsen.

Der Kläger und die Drittwiderbeklagte sind replizierend der Auffassung, es sei unerheblich, ob die Drittwiderbeklagte einen Fahrspurwechsel vorgenommen habe, da § 7 Abs. 5 StVG nicht den untergeordneten Verkehr schütze. Zudem seien lediglich fiktive Nettoreparaturkosten, nicht aber Bruttoreparaturkosten ersatzfähig. Die übliche Schadenspauschale würde im hiesigen Gerichtsbezirk lediglich mit 20,00 € bemessen werden.

Das Gericht hat die Drittwiderbeklagte persönlich angehört. Die Beklagte konnte nicht persönlich angehört werden, da sie zur mündlichen Verhandlung trotz Anordnung des persönlichen Erscheinens nicht erschienen ist. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und das Protokoll zur mündlichen Verhandlung vom 15.01.2015 verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.

Die Klage ist zulässig und in vollem Umfang begründet (dazu unter 1.). Die Widerklage/Drittwiderklage ist zwar zulässig, aber unbegründet (dazu unter 2.).

1.

a)

Der Kläger hat gegen die Beklagte gem. § 823 BGB, §§ 18 i.V.m. 7 Abs. 1, 17 StVG einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 996,22 €.

Der Verkehrsunfall hat sich bei Betrieb des Pkws des Klägers und des durch die Beklagte gefahrenen Pkws ereignet. Die tatsächlichen Voraussetzungen eines Ausschlusses der Haftung aufgrund höherer Gewalt (§ 7 Abs. 2 StVG) oder eines unabwendbaren Ereignisses (§ 17 Abs. 3 StVG) sind nicht erwiesen. Unabwendbar ist ein Ereignis, das durch äußerste mögliche Sorgfalt nicht abgewendet werden kann. Abzustellen ist insoweit auf das Verhalten des sog. „Idealfahrers“ (König in: Hentschel/König/Dauer, 41. Aufl., § 17 StVG Rn. 22). Es kann vorliegend nicht ausgeschlossen werden, dass ein solcher „Idealfahrer“ die Kollision verhindert hätte. Damit sind die beiderseitigen Verursachungsbeiträge gemäß § 17 Abs. 1 und 2 StVG unter Berücksichtigung der Betriebsgefahren gegeneinander abzuwägen. Dieser Abwägung kann das Gericht ausschließlich unstreitige oder erwiesene Tatsachen zu Grunde legen. Auf dieser Grundlage haftet die Beklagte mit einer Haftungsquote von 100 %. Dies beruht auf folgenden Erwägungen:

Im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung ist zulasten der Beklagten als Verursachungsbeitrag ein Verstoß gegen § 8 Abs. 1 StVO zu berücksichtigen.

Danach hat derjenige, der die Vorfahrt zu beachten hat, rechtzeitig durch sein Fahrverhalten zu erkennen zu geben, dass er warten wird. Er darf nur weiterfahren, wenn er übersehen kann, dass er denjenigen, der die Vorfahrt hat, weder gefährdet noch wesentlich behindert. Kann er das nicht übersehen, weil die Straßenstelle unübersichtlich ist, so darf er sich vorsichtig in die Kreuzung oder Einmündung hinein tasten, bis er die Übersicht hat. Kommt es in einem engen räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Einbiegen zwischen einem Vorfahrtsberechtigten und einem Wartepflichtigen Fahrzeug zu einer Kollision, so hat der Wartepflichtige den Anscheinsbeweis einer schuldhaften Unfallverursachung gegen sich (vgl. BGH, NJW 1976, 1317; LG Hamburg, Urteil v. 01.10.2014, Az. 331 O 76/14 m.w.N.). Dies gilt insbesondere auch dann, wenn – wie hier

– der Wartepflichtige beim Einbiegen nach rechts mit einem sich von links nähernden Vorfahrtberechtigten zusammenstößt (BGH, NJW 1982, 2668).

Es ist unstreitig, dass sich die Kollision im engen räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Einbiegen der Beklagten aus einer untergeordneten Straße (Hallerstraße) in eine bevorrechtigte Straße (Grindelberg) ereignete.

Der Beklagten ist es auch nicht gelungen, einen atypischen Geschehensverlauf nachzuweisen, durch den der Anschein des schuldhaften Vorfahrtverstoßes erschüttert worden wäre. Es sind insbesondere keine Tatsachen vorgetragen und bewiesen, aus denen sich ergäbe, dass die Beklagte das bevorrechtigte Klägerfahrzeug bei der nach § 8 Abs. 2 Satz 2 StVO gebotenen Sorgfalt nicht hätte rechtzeitig wahrnehmen können. Soweit sie behauptet, die Drittwiderbeklagte habe vorkollisionär den Fahrstreifen gewechselt, so steht diese Behauptung – selbst wenn sie zur Überzeugung des Gerichts feststünde – dem Anscheinsbeweis gegen die Beklagte schon aus Rechtsgründen nicht entgegen (vgl. LG Hamburg, Urteil v. 01.10.2014, Az. 331 O 76/14). Das beklagtenseits als Beweis für den bestrittenen Fahrstreifenwechsel der Drittwiderbeklagten angebotene Sachverständigengutachten brauchte daher durch das Gericht nicht eingeholt werden. Ein zeitlich unmittelbar vor der Kollision erfolgter Fahrstreifenwechsel des Vorfahrtberechtigten vermag nicht die Typizität einer Vorfahrtsverletzung aufzuheben (vgl. LG Essen, Urteil v. 28. Februar 2013, Az. 10 S 358/12; LG Saarbrücken, Urteil v. 10. Juni 2011, Az. 13 S 40/11). Das Vorfahrtsrecht erstreckt sich nach ständiger höchstgerichtlicher Rechtsprechung auf die Fahrbahn in ihrer gesamten Breite (vgl. BGH, VersR 197, 38; OLG Hamburg, VersR 1976, 893 m.w.N.). Die Beklagte konnte zudem als auf die Vorfahrtstraße Einbiegende nicht grundsätzlich darauf vertrauen, dass die auf der vorfahrtsberechtigten Straße fahrende Drittwiderbeklagte den gewählten Fahrstreifen einhält und jedenfalls nicht ohne Ankündigung durch Blinkzeichen die Fahrspur wechselt. Vielmehr musste sie selbst mit Verkehrsverstößen des Vorfahrtsberechtigten rechnen (LG Hamburg, a.a.O. m.w.N.).

Im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung ist hingegen zulasten des Klägers und der Drittwiderbeklagten kein Verursachungsbeitrag zu berücksichtigen.

Die Beklagte kann sich insbesondere nicht auf einen Verstoß der Drittwiderbeklagten gegen die Regelungen des § 7 Abs. 5 StVO berufen. Gegenüber der Beklagten ist der Schutzbereich des § 7 Abs. 5 StVO, der die Einhaltung eines gewählten Fahrstreifens gebietet und einen Fahrspurwechsel nur unter Einhaltung größtmöglicher Sorgfalt gegenüber dem übrigen Verkehr erlaubt, schon nicht eröffnet, denn diese Vorschrift dient dem Schutz des gleichgerichteten fließenden Verkehrs, nicht aber des Gegenverkehrs oder – wie hier – des kreuzenden bzw. einmündenden Verkehrs (vgl. LG Saarbrücken, a.a.O. m.w.N.; LG Hamburg, a.a.O.).

Ein Verursachungsbeitrag der Drittwiderbeklagten könnte sich vorliegend allenfalls aus einem Verstoß gegen das allgemeine Rücksichtnahmegebot des § 1 Abs. 2 StVO ergeben, wenn feststünde, dass die Drittwiderbeklagte, als die Vorfahrtsverletzung für sie erkennbar werden musste, noch so weit entfernt war, dass sie unfallverhütend hätte reagieren können und müssen (vgl. LG Hamburg, a.a.O.). Ein diesbezügliches Verschulden der Drittwiderbeklagten wurde durch die Beklagtenseite jedoch schon nicht behauptet und dargelegt. Auch sind aus dem unstreitigen Vorbringen der Klägerseite bzw. aus der persönlichen Anhörung der Drittwiderbeklagten keine Umstände ersichtlich, die Rückschlüsse auf ein derartiges Verschulden der Drittwiderbeklagten zuließen. Ob und in welchem Umfang ein solcher Pflichtverstoß überhaupt eine (Mit)Haftung des Klägers/der Widerbeklagten begründen würde, kann daher offen bleiben.

Die Betriebsgefahr des Fahrzeugs des Klägers tritt bei der Abwägung sämtlicher vorgenannter Umstände hinter dem Verursachungsanteil der Beklagten vollständig zurück (vgl. auch LG Hamburg, a.a.O.).

Gemäß § 249 BGB sind die durch den Kläger geltend gemachten unstreitig angefallenen und erforderlichen Reparaturkosten in Höhe von 871,22 €, der Nutzungsausfall in Höhe von 105,00 € und die Kostenpauschale in Höhe von 20,00 € in voller Höhe erstattungsfähig und begründet.

b)

Der Kläger hat im Rahmen des unter a) näher begründeten Schadensersatzanspruchs gem. § 823 BGB, §§ 18 i.V.m. 7 Abs. 1, 17 StVG gegen die Beklagte auch einen Anspruch auf Zahlung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 147,56 € (104,00 € Geschäftsgebühr 1,3 + 20,00 € Post- und Telekommunikationspauschale + 23,56 € MwSt). Soweit die Beklagte einwendet, dass diese vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten gegenüber dem Kläger nicht in einer den Anforderungen des § 10 Abs. 1 RVG genügenden Form abgerechnet worden seien, ist dieser Einwand unerheblich. Die Bestimmung des § 10 Abs. 1 RVG betrifft lediglich die Frage, wann eine entstandene und nach § 8 Abs. 1 Satz 1 RVG mit Erledigung des Auftrags oder Beendigung der Angelegenheit fällige Gebühr von dem Mandanten einforderbar ist. Hiervon zu unterscheiden ist der im Streitfall geltend gemachte materiell-rechtliche Kostenerstattungsanspruch. Der Gegner kann hier nicht einwenden, dass er nicht zur Zahlung verpflichtet sei, weil ihm keine Berechnung vorgelegt worden sei, die den Anforderungen der §§ 10 RVG, 14 UStG entspreche. Dies betrifft lediglich das Innenverhältnis zum Mandanten (BGH, Urteil v. 22. März 2011, Az. VI ZR 63/10).

c)

Der Zinsanspruch des Klägers ergibt sich aus §§ 280, 286, 288, 291 BGB.

2.

Die Widerklage/Drittwiderklage ist unbegründet. Da die Beklagte aufgrund der unter 1. ausgeführten Gründen mit einer Quote von 100 : 0 wegen des streitgegenständlichen Verkehrsunfalles haftet, kann sie selbst weder Ansprüche gegen den Kläger noch gegen die Drittwiderbeklagte erfolgreich geltend machen.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

III.

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 45 Abs. 1 Satz 1 GKG. Die Nebenforderungen waren gem. § 43 GKG nicht zu berücksichtigten. Der Kläger hat zunächst als Hauptforderung lediglich einen Betrag in Höhe von 752,12 € geltend gemacht. Am 08.09.2014 hat die Beklagte sodann Widerklage erhoben, wobei als Hauptforderung ein Betrag in Höhe von 1.130,52 € geltend gemacht worden ist. Die Widerklage betrifft nicht denselben Gegenstand im Sinne des § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG. Am 21.10.2014 ist die Klage durch den Kläger sodann um 244,10 € auf 996,22 € erweitert worden.

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Wie können wir Ihnen helfen?

Wir sind Ihr Ansprechpartner in allen rechtlichen Angelegenheiten. Rufen Sie uns an um einen Beratungstermin zu vereinbaren oder nutzen Sie unser Kontaktformular für eine unverbindliche Ersteinschätzung.

Rechtsanwälte Kotz - Kreuztal

Urteile und Rechtstipps

Unsere Kontaktinformationen

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
info@ra-kotz.de
ra-kotz@web.de

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!