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Wartepflicht nach § 9 Abs. 4 Satz 1 StVO – Voraussetzungen

Ein folgenreicher Zusammenstoß zweier Fahrzeuge beim Abbiegen in dieselbe Straße beschäftigt das Oberlandesgericht Nürnberg. Im Mittelpunkt steht die Frage, wer die Schuld an der Kollision trägt und wie der Schaden zwischen den Unfallbeteiligten aufgeteilt werden soll. Das Gericht bestätigt die Entscheidung der Vorinstanz und legt eine hälftige Schadensteilung fest, da beide Fahrerinnen gegen Verkehrsregeln verstoßen haben.

Das Wichtigste: Kurz & knapp

  • Das Gericht sieht keine Erfolgsaussichten für die Berufung des Klägers.
  • Der Kläger wollte vollen Schadenersatz für sein beschädigtes Fahrzeug.
  • Der Unfall entstand durch eine Kollision zwischen einem links abbiegenden und einem rechts abbiegenden Fahrzeug.
  • Das Landgericht hat den Schadenersatzanspruch des Klägers nur teilweise anerkannt.
  • Der Kläger argumentierte, dass sein Fahrzeug bereits geradeaus fuhr und keine Vorfahrtverletzung vorlag.
  • Das Gericht entschied, dass der Kläger die Wartepflicht als Linksabbieger verletzt hat.
  • Das Landgericht stellte fest, dass beide Parteien gleichermaßen schuld am Unfall sind.
  • Die Wartepflicht entfällt nicht, wenn der Linksabbieger seinen Abbiegevorgang fortsetzt.
  • Die Entscheidung des Gerichts beruht auf der rechtlichen Grundlage der StVO, die Linksabbiegern eine klare Wartepflicht gegenüber entgegenkommenden Rechtsabbiegern auferlegt.
  • Die Berufung des Klägers wurde zurückgewiesen, da keine grundlegende Bedeutung oder Fortbildung des Rechts erforderlich ist.

Wartepflicht vor Fußgängern: Gerichtsentscheidung mit Relevanz für Verkehrssicherheit

Die Straßenverkehrsordnung (StVO) regelt das Zusammenspiel von Fußgängern, Radfahrern und Kraftfahrern im Straßenverkehr und soll so die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer gewährleisten. Ein wichtiger Bestandteil der StVO ist die Wartepflicht, die in § 9 Abs. 4 Satz 1 StVO geregelt ist. Diese Vorschrift räumt Fußgängern und Radfahrern das Vorrecht ein, bestimmte Straßen und Kreuzungen zu überqueren, während Kraftfahrzeuge warten müssen. Doch wann genau gilt diese Wartepflicht und welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit sie greift?

Diese Fragen werden in der Rechtsprechung immer wieder diskutiert. Oftmals kommt es zu Konflikten, wenn es um die Frage geht, ob ein Fahrzeugführer tatsächlich warten musste oder ob der Fußgänger bzw. Radfahrer die Straße aufgrund der Verkehrssituation bereits hätte überqueren können. Die Gerichte müssen dabei die Interessen aller Verkehrsteilnehmer gegeneinander abwägen und entscheiden, ob der Vorrang des Fußgängers bzw. Radfahrers trotz der gegebenen Situation gerechtfertigt war.

Im Folgenden soll ein Gerichtsurteil zum Thema Wartepflicht vorgestellt werden und es soll erläutert werden, welche Bedeutung dieses Urteil für die Praxis hat.

Wartepflicht im Straßenverkehr: Unsicher über Ihre Rechte?

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Der Fall vor Gericht


Gerichtsentscheidung: Geteilte Haftung bei Kollision zwischen Links- und Rechtsabbieger

Der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg hat in einem Berufungsverfahren (Az. 3 U 746/24) eine wichtige Entscheidung zur Haftungsverteilung bei Verkehrsunfällen zwischen links- und rechtsabbiegenden Fahrzeugen getroffen. Das Gericht bestätigte das Urteil der Vorinstanz, welches eine hälftige Schadensteilung zwischen den beteiligten Parteien festgelegt hatte.

Unfallhergang und Streitgegenstand

Der Fall ereignete sich am 8. Februar 2023 gegen 14:00 Uhr in einer nicht näher benannten Ortschaft. Beteiligt waren ein VW Tiguan, gefahren von der Ehefrau des Klägers, und ein Toyota Yaris, gesteuert von der Beklagten. Die Fahrzeuge kollidierten beim Abbiegen in dieselbe Straße, wobei der VW Tiguan von links und der Toyota Yaris von rechts in die Straße einbogen.

Der Kläger forderte vollständigen Schadensersatz für die Beschädigung seines Fahrzeugs, da er der Ansicht war, seine Ehefrau habe den Abbiegevorgang bereits beendet gehabt, als es zum Zusammenstoß kam. Das Landgericht Regensburg hatte in erster Instanz jedoch eine Schadensteilung von 50:50 festgelegt, wogegen der Kläger Berufung einlegte.

Rechtliche Bewertung des OLG Nürnberg

Das OLG Nürnberg bestätigte die Entscheidung des Landgerichts und wies die Berufung des Klägers zurück. Die Richter begründeten ihre Entscheidung wie folgt:

  1. Wartepflicht des Linksabbiegers: Gemäß § 9 Abs. 4 S. 1 StVO hat ein Linksabbieger die Pflicht, entgegenkommende Fahrzeuge, die nach rechts abbiegen wollen, durchfahren zu lassen. Diese Wartepflicht besteht bereits dann, wenn der Linksabbieger erkennen kann, dass ein entgegenkommendes Fahrzeug nach rechts abbiegen will.
  2. Zeitpunkt der Wartepflicht: Das Gericht stellte klar, dass für die Beurteilung der Wartepflicht nicht der Moment der Kollision entscheidend ist, sondern der Beginn und Verlauf des Abbiegevorgangs. Selbst wenn der Linksabbieger zum Zeitpunkt des Zusammenstoßes bereits vollständig in die neue Fahrtrichtung eingeschwenkt war, entbindet ihn dies nicht von seiner ursprünglichen Wartepflicht.
  3. Erkennbarkeit des Rechtsabbiegers: Basierend auf einem Sachverständigengutachten kam das Gericht zu dem Schluss, dass die Fahrerin des VW Tiguan die Annäherung und Abbiegeabsicht des Toyota Yaris hätte erkennen müssen, bevor sie ihren eigenen Abbiegevorgang begann oder spätestens während dessen Verlaufs.

Haftungsverteilung und Begründung

Das OLG Nürnberg bestätigte die vom Landgericht vorgenommene hälftige Schadensteilung. Dabei wurden folgende Aspekte berücksichtigt:

  • Der Fahrerin des VW Tiguan wurde ein Verstoß gegen die Wartepflicht nach § 9 Abs. 4 S. 1 StVO zur Last gelegt.
  • Der Fahrerin des Toyota Yaris wurde ein Verstoß gegen das allgemeine Gebot der Rücksichtnahme vorgeworfen, da sie die Kollision hätte vermeiden können und müssen.

Das Gericht betonte, dass Verstöße gegen konkrete Verkehrsregeln und Wartepflichten grundsätzlich schwerer wiegen als Verletzungen allgemeiner Vorsichts- und Rücksichtnahmepflichten. Die Gleichgewichtung beider Verschuldensanteile stelle daher keinen Fehler zum Nachteil des Klägers dar.

Die Schlüsselerkenntnisse


Die Entscheidung verdeutlicht, dass die Wartepflicht des Linksabbiegers bereits mit Beginn des Abbiegevorgangs einsetzt und nicht erst mit der Kollision. Selbst wenn der Linksabbieger zum Unfallzeitpunkt bereits eingeschwenkt ist, entbindet ihn dies nicht von seiner ursprünglichen Wartepflicht. Bei der Haftungsverteilung wird der Verstoß gegen konkrete Verkehrsregeln stärker gewichtet als die Verletzung allgemeiner Rücksichtnahmepflichten, was die hälftige Schadensteilung rechtfertigt.


Was bedeutet das Urteil für Sie?

Dieses Urteil hat wichtige Konsequenzen für alle Verkehrsteilnehmer, insbesondere für Linksabbieger. Es unterstreicht, dass die Wartepflicht bereits mit dem Beginn des Abbiegevorgangs einsetzt und nicht erst beim Einfahren in die neue Straße endet. Als Linksabbieger müssen Sie besonders aufmerksam sein und den gesamten Kreuzungsbereich im Blick haben, auch wenn Sie Ihren Abbiegevorgang schon fast beendet haben. Selbst wenn Sie bereits parallel zur neuen Fahrtrichtung stehen, können Sie noch wartepflichtig sein. Um Unfälle und rechtliche Konsequenzen zu vermeiden, sollten Sie im Zweifel immer warten und dem entgegenkommenden Verkehr Vorrang gewähren. Bedenken Sie: Ein vorsichtiges Abwarten ist sicherer als ein voreiliges Einfahren, das zu einer Kollision und einer möglichen Mithaftung führen kann.


FAQ – Häufige Fragen

Wer kennt sie nicht, die kniffligen Situationen im Straßenverkehr, die uns vor ein Rätsel stellen? Wartepflicht ist ein Thema, das viele Autofahrer verunsichert. Diese FAQ soll Ihnen Klarheit verschaffen und Ihnen die wichtigsten Regeln verständlich erklären.


Wann muss ein Linksabbieger im Straßenverkehr warten?

Die Wartepflicht für Linksabbieger im Straßenverkehr ist eine wichtige Regelung, die in § 9 Abs. 3 und 4 der Straßenverkehrsordnung (StVO) festgelegt ist. Grundsätzlich muss ein Linksabbieger immer dann warten, wenn entgegenkommende Fahrzeuge vorfahrtsberechtigt sind. Dies gilt insbesondere für entgegenkommende Fahrzeuge, die geradeaus fahren oder nach rechts abbiegen wollen.
Ein Linksabbieger hat auch dann zu warten, wenn die Ampel für ihn grünes Licht zeigt. Nur wenn das Grünlicht einen Pfeil aufweist, kann sich der Linksabbieger darauf verlassen, dass der Gegenverkehr durch Rotlicht gestoppt wird. Bei normalem Grünlicht ohne Pfeil besteht weiterhin die Pflicht, den Gegenverkehr durchfahren zu lassen.
Besondere Vorsicht ist beim Linksabbiegen an Kreuzungen geboten. Hier müssen Linksabbieger nicht nur auf den entgegenkommenden Verkehr achten, sondern auch auf Fußgänger und Radfahrer, die die Straße überqueren möchten. Die Wartepflicht erstreckt sich auch auf Schienenfahrzeuge, Fahrräder mit Hilfsmotor und Elektrokleinstfahrzeuge, selbst wenn diese in gleicher Richtung auf oder neben der Fahrbahn fahren.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Vorfahrtsregelung zwischen zwei Linksabbiegern. Treffen an einer Kreuzung zwei Fahrzeuge aufeinander, die beide nach links abbiegen wollen, müssen sie voreinander abbiegen. Eine Ausnahme besteht nur, wenn die Verkehrslage oder die Gestaltung der Kreuzung es erfordern, dass die Fahrzeuge erst aneinander vorbeifahren.
Die Rechtsprechung hat die Wartepflicht des Linksabbiegers in verschiedenen Urteilen bekräftigt und präzisiert. So wurde festgestellt, dass die Missachtung des Vorfahrtsrechts des entgegenkommenden Verkehrs durch den Linksabbieger als besonders schwerwiegender Verkehrsverstoß gilt. Dies kann im Falle eines Unfalls zu einer weitreichenden Haftung des Linksabbiegers führen, selbst wenn der Unfallgegner möglicherweise bei Gelb oder frühem Rot in die Kreuzung eingefahren ist.
Um Unfälle zu vermeiden, sollten Linksabbieger stets besondere Vorsicht walten lassen. Es empfiehlt sich, vor dem Abbiegen mehrfach nach links und rechts zu schauen und im Zweifelsfall lieber einmal zu viel als zu wenig zu warten. Die Einschätzung von Geschwindigkeiten und Entfernungen kann gerade in komplexen Verkehrssituationen schwierig sein. Daher ist es ratsam, im Interesse der eigenen und der Sicherheit anderer Verkehrsteilnehmer eher defensiv zu fahren.
Die Wartepflicht des Linksabbiegers dient letztlich dazu, den Verkehrsfluss zu optimieren und die Sicherheit aller Beteiligten zu gewährleisten. Durch die konsequente Beachtung dieser Regel können viele gefährliche Situationen und Unfälle vermieden werden.

Wann beginnt die Wartepflicht für einen Linksabbieger?

Die Wartepflicht für einen Linksabbieger beginnt bereits vor dem eigentlichen Abbiegevorgang. Gemäß § 9 Abs. 3 Satz 1 der Straßenverkehrsordnung (StVO) muss der Linksabbieger entgegenkommende Fahrzeuge durchfahren lassen. Diese Pflicht setzt ein, sobald der Fahrer die Absicht hat abzubiegen und nicht erst im Moment einer möglichen Kollision.
Konkret beginnt die Wartepflicht, wenn ein entgegenkommendes Fahrzeug so nah herangekommen ist, dass es durch das Abbiegen gefährdet oder in seiner zügigen Weiterfahrt wesentlich behindert würde. Der Linksabbieger muss also frühzeitig die Verkehrssituation einschätzen und entscheiden, ob er gefahrlos abbiegen kann oder warten muss.
Es ist wichtig zu verstehen, dass sich das Vorfahrtsrecht des entgegenkommenden Verkehrs auf beide Fahrstreifen erstreckt. Der Linksabbieger muss also nicht nur auf Fahrzeuge achten, die geradeaus fahren, sondern auch auf solche, die möglicherweise nach rechts abbiegen wollen.
Die Wartepflicht endet nicht abrupt, sondern erstreckt sich über den gesamten Abbiegevorgang. Sie gilt so lange, bis sich der vorfahrtsberechtigte Verkehrsteilnehmer vollständig in den Verkehr auf der Straße, in die er abbiegt, eingeordnet hat. Das bedeutet, der Linksabbieger muss warten, bis das entgegenkommende Fahrzeug in der neuen Fahrtrichtung eine dem dortigen Verkehr entsprechende Geschwindigkeit erreicht hat.
Ein häufiger Irrtum besteht darin, dass die Wartepflicht durch eine grüne Ampel aufgehoben wird. Tatsächlich gilt die Wartepflicht auch bei Grünlicht, es sei denn, es handelt sich um einen grünen Abbiegepfeil. Nur wenn das Grünlicht der Ampel einen Pfeil zeigt, kann sich der Linksabbieger darauf verlassen, dass für den Gegenverkehr Rot gilt.
Die strikte Einhaltung dieser Wartepflicht ist von großer Bedeutung für die Verkehrssicherheit. Bei Missachtung und daraus resultierenden Unfällen trägt der Linksabbieger in der Regel ein erhebliches Mitverschulden. Gerichte bewerten Verstöße gegen die Wartepflicht beim Linksabbiegen oft als schwerwiegend, was zu einer hohen Haftungsquote führen kann.
Um die Wartepflicht korrekt einzuhalten, sollten Linksabbieger besonders aufmerksam sein und im Zweifelsfall lieber einmal zu viel als zu wenig warten. Eine defensive und vorausschauende Fahrweise trägt wesentlich zur Vermeidung von Unfällen bei Abbiegevorgängen bei.

Welche Rolle spielt die Erkennbarkeit des entgegenkommenden Fahrzeugs bei der Wartepflicht?

Die Erkennbarkeit des entgegenkommenden Fahrzeugs spielt eine entscheidende Rolle bei der Wartepflicht des Linksabbiegers. Die Wartepflicht beginnt bereits dann, wenn der Linksabbieger die Annäherung und Abbiegeabsicht des entgegenkommenden Fahrzeugs wahrnehmen kann. Es ist nicht erforderlich, dass das entgegenkommende Fahrzeug bereits unmittelbar vor dem Linksabbieger steht.
Der Linksabbieger muss seine Fahrweise so einrichten, dass er jederzeit anhalten kann, um entgegenkommende Fahrzeuge durchfahren zu lassen. Dies gilt insbesondere für Rechtsabbieger im Gegenverkehr. Die Sorgfaltspflicht des Linksabbiegers erstreckt sich auf den gesamten Kreuzungsbereich und umfasst auch die Beobachtung des entgegenkommenden Verkehrs.
Bei der Beurteilung der Erkennbarkeit werden objektive Maßstäbe angelegt. Es kommt darauf an, was ein umsichtiger und aufmerksamer Verkehrsteilnehmer in der konkreten Situation hätte erkennen können. Subjektive Wahrnehmungen oder Fehleinschätzungen des Linksabbiegers sind hierbei unerheblich.
Die Wartepflicht besteht auch dann, wenn das entgegenkommende Fahrzeug noch relativ weit entfernt ist, aber seine Annäherung und Abbiegeabsicht erkennbar sind. Der Linksabbieger darf nicht darauf vertrauen, dass er den Abbiegevorgang noch vor dem Eintreffen des Gegenverkehrs abschließen kann. Er muss vielmehr sicherstellen, dass der Gegenverkehr nicht gefährdet oder behindert wird.
Die Erkennbarkeit kann durch verschiedene Faktoren beeinflusst werden, wie etwa Sichtverhältnisse, Witterungsbedingungen oder bauliche Gegebenheiten an der Kreuzung. Der Linksabbieger muss diese Umstände berücksichtigen und seine Sorgfalt entsprechend erhöhen, wenn die Sicht eingeschränkt ist.
In der Rechtsprechung wird die Wartepflicht des Linksabbiegers streng ausgelegt. Selbst wenn der Gegenverkehr sich verkehrswidrig verhält, etwa durch überhöhte Geschwindigkeit, entbindet dies den Linksabbieger nicht von seiner Wartepflicht. Die Vorfahrt des entgegenkommenden Verkehrs gilt absolut und ist unabhängig von dessen Verhalten zu beachten.
Bei Unfällen zwischen Linksabbiegern und entgegenkommenden Fahrzeugen wird regelmäßig eine überwiegende oder sogar alleinige Haftung des Linksabbiegers angenommen. Dies unterstreicht die besondere Verantwortung, die dem Linksabbieger im Hinblick auf die Erkennbarkeit des Gegenverkehrs zukommt.
Die strikte Auslegung der Wartepflicht dient der Verkehrssicherheit und soll Kollisionen im Kreuzungsbereich verhindern. Linksabbieger müssen daher besonders aufmerksam sein und im Zweifel lieber einmal zu viel als zu wenig warten.

Was passiert, wenn sowohl der Linksabbieger als auch der entgegenkommende Rechtsabbieger ihre Pflichten verletzen?

Bei Verkehrsunfällen zwischen einem Linksabbieger und einem entgegenkommenden Rechtsabbieger, bei denen beide Parteien ihre Pflichten verletzen, erfolgt in der Regel eine differenzierte Betrachtung der Pflichtverletzungen und deren Auswirkungen auf den Unfallhergang.
Grundsätzlich hat der Linksabbieger nach § 9 Abs. 3 StVO die Pflicht, den Gegenverkehr durchfahren zu lassen. Dies schließt auch entgegenkommende Rechtsabbieger ein. Der Rechtsabbieger wiederum muss sich nach § 9 Abs. 1 StVO rechtzeitig einordnen und den rückwärtigen Verkehr beachten. Beide Verkehrsteilnehmer unterliegen zudem der allgemeinen Sorgfaltspflicht nach § 1 StVO.
Kommt es zu einem Unfall, bei dem beide Parteien ihre Pflichten verletzt haben, wird das Verschulden in der Regel geteilt. Die genaue Haftungsquote hängt von der Schwere der jeweiligen Pflichtverletzung und deren Einfluss auf den Unfallhergang ab. Hierbei gilt: Je schwerwiegender die Pflichtverletzung und je größer ihr Einfluss auf den Unfall, desto höher fällt die Haftungsquote aus.
In der Praxis wird oft eine Haftungsverteilung von 2/3 zu 1/3 zu Lasten des Linksabbiegers angenommen, da dessen Wartepflicht als gewichtiger eingestuft wird. Dies ist jedoch keine feste Regel, sondern hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab.
Faktoren, die bei der Bemessung der Haftungsquoten eine Rolle spielen, sind unter anderem:
– Die Erkennbarkeit der Abbiegeabsicht des jeweils anderen Fahrzeugs
– Die Geschwindigkeit der beteiligten Fahrzeuge
– Die Übersichtlichkeit der Verkehrssituation
– Das Ausmaß der Missachtung der jeweiligen Pflichten
Besonders schwer wiegt es, wenn einer der Beteiligten grob fahrlässig oder vorsätzlich gehandelt hat. In solchen Fällen kann die Haftung auch vollständig zu Lasten einer Partei ausfallen.
Es ist wichtig zu betonen, dass jeder Fall individuell betrachtet wird. Gerichte berücksichtigen alle relevanten Umstände, um zu einer gerechten Haftungsverteilung zu gelangen. Dabei spielen auch Zeugenaussagen und gegebenenfalls Gutachten eine wichtige Rolle.
Für Verkehrsteilnehmer ergibt sich daraus die Notwendigkeit, stets besonders aufmerksam und vorsichtig zu sein, insbesondere in komplexen Verkehrssituationen wie beim Abbiegen an Kreuzungen. Die strikte Einhaltung der Verkehrsregeln und eine defensive Fahrweise können helfen, Unfälle zu vermeiden und im Falle eines Unfalls die eigene Haftung zu minimieren.
Die rechtliche Bewertung solcher Unfälle unterstreicht die Bedeutung der gegenseitigen Rücksichtnahme im Straßenverkehr. Sie verdeutlicht, dass jeder Verkehrsteilnehmer nicht nur für sein eigenes Verhalten, sondern auch für die Sicherheit anderer mitverantwortlich ist.

Welche allgemeinen Pflichten haben Verkehrsteilnehmer beim Abbiegen?

Die allgemeinen Pflichten von Verkehrsteilnehmern beim Abbiegen sind in § 9 der Straßenverkehrsordnung (StVO) geregelt. Diese Vorschriften dienen der Verkehrssicherheit und sollen Unfälle vermeiden.
Eine zentrale Pflicht beim Abbiegen ist die rechtzeitige und deutliche Ankündigung des Abbiegevorgangs. Hierfür müssen die Fahrtrichtungsanzeiger, umgangssprachlich auch Blinker genannt, benutzt werden. Dies ermöglicht es anderen Verkehrsteilnehmern, sich auf die Änderung des Fahrverhaltens einzustellen.
Vor dem Abbiegen müssen sich Fahrzeugführer korrekt einordnen. Wer nach rechts abbiegen möchte, muss sich möglichst weit rechts einordnen. Bei einem Linksabbieger gilt es, sich bis zur Fahrbahnmitte einzuordnen, auf Einbahnstraßen möglichst weit links. Dieses Einordnen muss rechtzeitig erfolgen, um andere nicht zu gefährden.
Besondere Vorsicht ist beim Linksabbiegen geboten. Hier besteht die Pflicht, entgegenkommende Fahrzeuge durchfahren zu lassen. Dies gilt auch für Schienenfahrzeuge, Fahrräder mit Hilfsmotor, normale Fahrräder und Elektrokleinstfahrzeuge, selbst wenn diese auf oder neben der Fahrbahn in gleicher Richtung fahren.
Eine weitere wichtige Pflicht ist die Rücksichtnahme auf Fußgänger. Abbiegende müssen besonders auf zu Fuß Gehende achten und gegebenenfalls warten. Dies unterstreicht den Grundsatz der gegenseitigen Rücksichtnahme im Straßenverkehr.
Für Radfahrer gelten beim Linksabbiegen Sonderregeln. Sie müssen sich nicht zwingend einordnen, wenn sie die Fahrbahn hinter der Kreuzung vom rechten Fahrbahnrand aus überqueren wollen. Allerdings müssen sie beim Überqueren den Fahrzeugverkehr aus beiden Richtungen beachten.
Eine oft übersehene Pflicht ist die Beachtung von Sonderfahrstreifen. Abbiegende müssen Linienomnibusse und andere Fahrzeuge, die gekennzeichnete Sonderfahrstreifen benutzen, durchfahren lassen.
Für Fahrer von Kraftfahrzeugen mit einer zulässigen Gesamtmasse über 3,5 Tonnen gilt innerorts beim Rechtsabbiegen eine besondere Sorgfaltspflicht. Sie müssen mit Schrittgeschwindigkeit fahren, wenn mit geradeaus fahrendem Radverkehr oder querenden Fußgängern zu rechnen ist.
Beim Abbiegen in ein Grundstück, beim Wenden und beim Rückwärtsfahren müssen sich Fahrzeugführer so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. In komplexen Situationen kann es erforderlich sein, sich einweisen zu lassen.
Die Einhaltung dieser Pflichten trägt wesentlich zur Verkehrssicherheit bei. Sie helfen, kritische Situationen zu vermeiden und ermöglichen ein reibungsloses Miteinander im Straßenverkehr.

Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt

  • Wartepflicht: Die Wartepflicht im Straßenverkehr bedeutet, dass ein Verkehrsteilnehmer, meist ein Fahrzeugführer, anderen Verkehrsteilnehmern Vorrang gewähren muss. Dies ist insbesondere beim Abbiegen von Bedeutung. Ein Linksabbieger muss entgegenkommende Fahrzeuge, die nach rechts abbiegen wollen, durchfahren lassen. Diese Pflicht besteht, sobald der Linksabbieger erkennen kann, dass das entgegenkommende Fahrzeug abbiegen möchte.
  • Vorfahrt: Vorfahrt bezeichnet das Recht eines Verkehrsteilnehmers, eine Straße oder Kreuzung vor einem anderen Verkehrsteilnehmer zu nutzen. Die Regeln zur Vorfahrt sind in der StVO festgelegt. Ein Verstoß gegen die Vorfahrtsregeln, wie im Fall des Linksabbiegers, kann zu Unfällen und Haftungsfragen führen.
  • Haftungsverteilung: Bei Verkehrsunfällen wird die Schuldfrage oft durch die Haftungsverteilung geklärt. Das Gericht entscheidet, wie der Schaden zwischen den Unfallbeteiligten aufgeteilt wird, basierend auf deren Verschulden. In dem vorliegenden Fall wurde eine hälftige Schadensteilung festgelegt, weil beide Fahrerinnen gegen Verkehrsregeln verstoßen haben.
  • Rücksichtnahmegebot: Das allgemeine Gebot der Rücksichtnahme verlangt, dass alle Verkehrsteilnehmer sich so verhalten, dass kein anderer gefährdet oder mehr als unvermeidbar behindert wird. Es gilt ergänzend zu den spezifischen Verkehrsregeln und kann im Einzelfall zu einer Mithaftung führen, wenn ein Unfall durch mangelnde Rücksichtnahme mitverursacht wurde.
  • Berufung: Die Berufung ist ein Rechtsmittel, mit dem eine Partei die Überprüfung eines Urteils durch eine höhere Instanz beantragen kann. In diesem Fall hat der Kläger Berufung gegen das Urteil des Landgerichts eingelegt, das eine hälftige Schadensteilung festgelegt hatte. Das Oberlandesgericht Nürnberg hat die Berufung zurückgewiesen, weil es keine Aussicht auf Erfolg sah.
  • Sachverständigengutachten: Ein Sachverständigengutachten ist eine fachkundige Bewertung, die von einem Experten erstellt wird, um technische oder spezialisierte Fragen im Rahmen eines Rechtsstreits zu klären. Im vorliegenden Fall stützte sich das Gericht auf ein Gutachten, um die Sichtbarkeit und Erkennbarkeit der Abbiegeabsicht des entgegenkommenden Fahrzeugs zu beurteilen.

Wichtige Rechtsgrundlagen


  • § 9 Abs. 4 S. 1 StVO (Linksabbiegen): Dieser Paragraph regelt die Wartepflicht von Linksabbiegern gegenüber Fahrzeugen, die ihrerseits nach rechts abbiegen wollen. Der Linksabbieger muss dem Rechtsabbieger die Vorfahrt gewähren. Im vorliegenden Fall hat die Fahrerin des VW Tiguan (Linksabbiegerin) gegen diese Wartepflicht verstoßen, da sie den Toyota Yaris (Rechtsabbieger) nicht durchfahren ließ.
  • § 9 Abs. 3 StVO (Vorrang des Gegenverkehrs): Dieser Paragraph besagt, dass beim Abbiegen auf eine andere Straße der Gegenverkehr Vorrang hat. Im vorliegenden Fall ist § 9 Abs. 3 StVO relevant, da er die allgemeine Vorfahrtsregelung beim Abbiegen festlegt und somit auch auf die Situation von Linksabbiegern gegenüber Rechtsabbiegern anwendbar ist.
  • § 522 Abs. 2 ZPO (Zurückweisung der Berufung): Dieser Paragraph ermöglicht es einem Gericht, eine Berufung zurückzuweisen, wenn sie offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat. Im vorliegenden Fall hat das Oberlandesgericht Nürnberg die Berufung des Klägers auf Grundlage dieses Paragraphen zurückgewiesen, da es die Entscheidung des Landgerichts für richtig hielt.
  • § 73 O 1463/23 (Landgericht Regensburg): Dies ist das Aktenzeichen des Urteils des Landgerichts Regensburg, gegen das der Kläger Berufung eingelegt hat. Das Landgericht hatte eine hälftige Schadensteilung zwischen den Parteien festgelegt, da es sowohl bei der Fahrerin des VW Tiguan als auch bei der Fahrerin des Toyota Yaris ein Verschulden sah.
  • 3 U 746/24 (Oberlandesgericht Nürnberg): Dies ist das Aktenzeichen des Berufungsverfahrens beim Oberlandesgericht Nürnberg. Das Gericht bestätigte das Urteil des Landgerichts und wies die Berufung des Klägers zurück.

Das vorliegende Urteil

OLG Nürnberg – Az.: 3 U 746/24 – Beschluss vom 03.06.2024


* Der vollständige Urteilstext wurde ausgeblendet, um die Lesbarkeit dieses Artikels zu verbessern. Klicken Sie auf den folgenden Link, um den vollständigen Text einzublenden.

→ Lesen Sie hier den vollständigen Urteilstext…

 

Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 14. März 2024, Az. 73 O 1463/23, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.

Gründe

I.

Die Parteien streiten darum, ob und in welchem Umfang die Beklagten dem Kläger zum Ersatz wegen der Beschädigung seines PKW verpflichtet sind.

Zwischen dem im Eigentum des Klägers stehenden PKW VW Tiguan, amtliches Kennzeichen … , welcher zu dem Zeitpunkt von seiner Ehefrau (Zeugin … ) gesteuert wurde, und dem im Eigentum des Beklagten zu 1) stehenden PKW Toyota Jaris, amtliches Kennzeichen … , kam es am 8. Februar 2023 gegen 14:00 Uhr in … auf der … , unmittelbar hinter der Einmündung der … und der … Straße, zu einer Kollision. Die Zeugin … bog, von der … her kommend, nach links in die … – stadteinwärts gerichtet – ein, die Beklagte zu 1) aus der entgegenkommenden … Straße nach rechts in dieselbe Richtung. Der von der Beklagten zu 1) gesteuerte und bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherte PKW beschädigte dabei den PKW des Klägers im Bereich der vor der Vordertüre, der Hintertüre und des Heckkotflügels rechts.

Der Kläger begehrt vollständigen Ersatz des durch die Beschädigung seines PKW verursachten Schadens. Die Beklagte zu 1) treffe das alleinige Verschulden an dem Unfall, weil die Zeugin ihren Abbiegevorgang bereits beendet gehabt habe, als es zu dem Zusammenstoß kam. Dementsprechend sei die Zeugin vom Vorwurf eine Ordnungswidrigkeit freigesprochen worden.

Das Landgericht hat nach Durchführung einer Beweisaufnahme der auf Zahlung von 8.662,59 € nebst Zinsen sowie 887,03 € vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten gerichteten Klage nur im Umfang von 4.278,79 € nebst Zinsen und 540,50 € entsprochen und sie im Übrigen als unbegründet abgewiesen. Die Beklagten schuldeten dem Kläger nur hälftigen Schadensersatz, weil auf Seiten beider Fahrzeuge ein gleich hohes Verschulden gegeben sei. Die Ehefrau des Klägers habe gegen § 9 Abs. 4 S. 1 StVO verstoßen, da sie als Linksabbiegerin der entgegenkommenden und nach rechts abbiegenden Beklagten zu 1) die Vorfahrt hätte einräumen müssen. Zu dem Zusammenstoß sei es zwar erst gekommen, als der beschädigte PKW bereits parallel zur … ausgerichtet gewesen sei, doch habe sich der unfallkausale Verstoß bereits vor Abschluss des Abbiegevorgangs dieses Fahrzeug ereignet. Die Beklagte zu 1) hätte allerdings den Abbiegevorgang der Zeugin … erkennen und ihrerseits eine Kollision vermeiden können und müssen. Bei der Schadenshöhe seien die Reparaturkosten mit 3.766,29 € und die Wertminderung mit 750,00 € jeweils im geltend gemachte Umfang zu berücksichtigen; Nutzungsausfall könne jedoch nur für 5 Tage und damit im Umfang von 250,00 € und die Schadenspauschale nur im Umfang von 25,00 € in Ansatz gebracht werden. Dementsprechend seien vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 540,25 € angefallen.

Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger seine Ansprüche insoweit weiter, als sie auf vollständigen Ersatz des vom Landgericht anerkannten Schadensbetrags und der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten gerichtet sind. Aufgrund der Aussagen der Zeuginnen … und … hätte das Landgericht zugrunde legen müssen, dass das Fahrzeug des Klägers bereits vollständig in die … eingefahren gewesen war, als die Beklagte zu 1) von rechts hinten in dessen rechte Seite fuhr. Damit liege keine Vorfahrtverletzung seitens der Zeugin … vor, sondern eine Vorfahrtverletzung durch die Beklagte zu 1), was deren Alleinverschulden begründe.

II.

Die zulässige Berufung des Klägers erweist sich zur Überzeugung der Senatsmitglieder als unbegründet.

1. Die Angriffe in der Berufungsbegründung, das Landgericht hätte aufgrund der Aussagen der Zeuginnen … und … zum Ergebnis kommen müssen, dass der PKW des Klägers sich bereits in Geradeausfahrtrichtung auf der … befunden habe, gehen insoweit ins Leere, als das Landgericht von einem solchen Sachverhalt ausgegangen ist. Entsprechendes geht klar aus den Ausführungen auf S. 9 des angegriffenen Urteils, unter f), hervor.

2. Das Landgericht hat aber zu Recht diesem Umstand nicht die Bedeutung beigemessen, die die Berufung für geboten hält.

a) Nach § 9 Abs. 4 S. 1 StVO hat derjenige, der nach links abbiegen will, entgegenkommende Fahrzeuge, die ihrerseits nach rechts abbiegen wollen, durchfahren zu lassen. Entsprechendes ordnet § 9 Abs. 3 StVO im Hinblick auf entgegenkommende Fahrzeuge an. Den Linksabbieger trifft mithin grundsätzlich eine Wartepflicht gegenüber dem entgegenkommenden Verkehr. Die in § 9 Abs. 3 u. 4 StVO geregelten Fälle stellen zwar keine Fälle der Vorfahrt im eigentlichen Sinn dar, da sie die Begegnung mit einem auf derselben Straße Entgegenkommenden betreffen, sind mit diesen aber nahe verwandt und unterliegen im Allgemeinen den gleichen Rechtsgrundsätzen (Burmann, in: Burmann/Heß/Hühnermann/ Jahnke, 28. Aufl. 2024, StVO § 9 Rn. 26; für den Charakter als echte Vorfahrtsregeln MüKoStVR/Bender, 1. Aufl. 2016, StVO § 9 Rn. 28).

Die sich aus dem vorfahrtsähnlichen Recht des Rechtsabbiegers ergebende Wartepflicht des Linksabbiegers entfällt noch nicht dadurch, dass sich der Linksabbieger in den Bereich der Vorfahrtstraße, in die er einbiegen will, begeben hat, weil er allein dadurch noch nicht zum Benutzer der Vorfahrtstraße und damit gegenüber dem Gegenverkehr bevorrechtigt wird (Burmann, in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, 28. Aufl. 2024, StVO § 9 Rn. 27; BeckOK StVR/Grabow, 23. Ed. 15.4.2024, StVO § 9 Rn. 49). Zu einem solchen wird er erst, wenn der Linksabbiegevorgang vollständig abgeschlossen ist, was angenommen werden kann, soweit keine Schrägstellung mehr vorliegt (OLG Karlsruhe, Urteil vom 18. Dezember 1996, 14 U 203/95, DAR 1997, 26).

Zu beachten ist weiter, dass die Wartepflicht gegenüber dem Entgegenkommenden besteht, wenn dieser so nahe gekommen ist, dass er durch das Abbiegen gefährdet oder auch nur in der zügigen Weiterfahrt wesentlich behindert würde; ihn trifft die Wartepflicht, wenn für ihn bei Beginn des Abbiegevorgangs der Gegenverkehr bereits sichtbar war (Burmann, in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, 28. Aufl. 2024, StVO § 9 Rn. 28). Eine Pflicht, am Straßenrand der Gegenrichtung stehende Kraftfahrzeuge daraufhin zu beobachten, ob sie alsbald anfahren, trifft den Linksabbieger nicht (Burmann, in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, 28. Aufl. 2024, StVO § 9 Rn. 28). Der Wartepflichtige muss allerdings in gewissem Umfang damit rechnen, dass sich der Entgegenkommende selbst verkehrswidrig verhält, so etwa, dass dieser bei entsprechenden Straßenverhältnissen die zulässige Geschwindigkeit mäßig überschreitet (Burmann, in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, 28. Aufl. 2024, StVO § 9 Rn. 26a; BeckOK StVR/ Grabow, 23. Ed. 15.4.2024, StVO § 9 Rn. 41; MüKoStVR/Bender, 1. Aufl. 2016, StVO § 9 Rn. 30).

b) Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das Landgericht zutreffend nicht als maßgeblich angesehen, dass im Moment der Kollision der PKW des Klägers bereits vollständig parallel zur … ausgerichtet war und damit den Linksabbiegevorgang bereits beendet hatte. Die Zeugin … hatte zu diesem Zeitpunkt bereits gegen die Wartepflicht verstoßen, was zu dem Unfall führte.

Aus den oben dargestellten Grundsätzen ergibt sich, dass die Wartepflicht einsetzt, sobald der Linksabbieger erkennen kann, dass das sich aus der Gegenrichtung nähernde Fahrzeug nach rechts abbiegen will und es daher zu einer Überschneidung der Fahrwege im Einmündungsbereich oder auf der nachfolgenden Straße kommen wird. Trifft den Linksabbieger danach eine Wartepflicht, entfällt diese nicht dadurch, dass er seinen Abbiegevorgang fortsetzt und so eine Situation herstellt, bei der er zum Benutzer der vorfahrtsberechtigten Straße wird. Dies folgt schon daraus, dass andernfalls ein Anreiz geschaffen würde, den an sich nicht zulässigen Linksabbiegevorgang möglichst schnell (und damit in einer die Unfallgefahr insgesamt steigerten Weise) zu vollziehen, um dann in den Genuss des Vorfahrtsrechts zu kommen. Die Wartepflicht beinhaltet gerade, dass der entgegenkommende Rechtsableger seinen Abbiegevorgang ungestört unternehmen darf, während der Linksabbieger sich nach diesem auszurichten hat; dies verbietet die Annahme, dass der Linksabbieger, der diesen Vorgang einmal verkehrswidrig begonnen oder fortgesetzt hat, im weiteren Verlauf das Vorrecht erlangen kann und nunmehr der Rechtsableger zum Warten gezwungen wird.

Im Übrigen spricht bereits der Wortlaut der Bestimmung dafür, dass für den Zeitpunkt, auf den wegen der Wartepflicht abzustellen ist, der Beginn des Abbiegevorgangs und dessen Verlauf, nicht aber ein etwaiger Kollisionszeitpunkt ist. § 9 Abs. 4 S. 1 StVO stellt insoweit darauf ab, dass jemand nach links abbiegen „will“.

c) Davon, dass die Zeugin … eine Wartepflicht traf, weil sie vor Beginn des Linksabbiegevorgangs die Annäherung und die Absicht der Beklagten zu 1), nach rechts abzubiegen, erkennen konnte, ist das Landgericht aufgrund der Ausführungen des Sachverständigen … fehlerfrei ausgegangen.

In den beiden von ihm exemplarisch modellierten Varianten war zu dem Zeitpunkt, als die Zeugin … den Abbiegevorgang durch Überfahren der gestrichelten Seitenlinie begann, sowohl der PKW der Beklagten zu 1) als solcher zu erkennen als auch der Umstand, dass diese entweder nach rechts abbiegen oder gerade aus fahren werde. So befand sich die Beklagte zu 1) selbst dann, wenn sie relativ schnell (50 km/h) an die Kreuzung herangefahren wäre, dann maximal verzögert hätte und wieder beschleunigt hätte, bei Beginn des Abbiegevorgangs durch die Zeugin … 5 1/2 – 6 Sekunden vor dem Zusammenstoß bereits (aus ihrer Sicht) hinter der Ein-/Ausfahrt zu dem Supermarkt, so dass die Zeugin … gewärtigen musste, dass dieser PKW entgegenkommt und alsbald in die Kreuzung einfahren werde. Die Angaben der Zeugin … , die den PKW der Beklagten zu 1) nicht gesehen haben will, können damit kaum zutreffen; dies kann auch ohne Weiteres damit erklärt werden, dass sie sich noch in erheblicher Distanz hinter dem PKW des Klägers befunden hatte, weshalb ihre Sicht eingeschränkt war und eine Abschätzung von Distanzen noch schwieriger war. Wäre die Beklagte zu 1) langsamer, etwa mit 30 km/h, an die Kreuzung herangefahren, errechnet sich der Beginn des Abbiegevorgangs durch die Zeugin … rund 4 1/2 Sekunden vor der Kollision; zu diesem Zeitpunkt musste sich dann die Beklagte zu 1) aber bereits noch näher an der Kreuzung befunden haben und ihr Fahrzeug noch deutlicher nach rechts ausgerichtet gewesen sein.

Bei beiden Annahmen wäre es auch so gewesen, dass während des Abbiegevorgangs der Zeugin … , als dieser PKW noch nicht in parallel Richtung zur … ausgerichtet war, die Annäherung und die Abbiegeabsicht der Beklagten zu 1) erkennbar gewesen sein muss. All dies löste jeweils die Wartepflicht für den PKW des Klägers aus.

Selbst wenn, was der Sachverständige in technischer Hinsicht nicht ausschließen konnte, die Beklagte zu 1) zunächst aus dem Supermarktparkplatz ausgefahren wäre, ergäbe sich nichts entscheidend anderes. Zwar wäre der PKW der Beklagten zu 1) dann in dem Moment, in dem die Zeugin … ihren Abbiegevorgang begonnen hat, noch nicht auf der … Straße gewesen; gemäß den oben dargestellten Grundsätzen hätte sie nach vorläufiger rechtliche Bewertung des Senats nicht ohne weiteres damit rechnen müssen, dass Fahrzeuge aus angrenzenden Grundstücken in die Straße einfahren und dann sogleich nach rechts abbiegen. Jedoch wäre wiederum während des weiteren Verlaufs des Linksabbiegens für die Zeugin … zu erkennen gewesen, dass sich die Beklagte zu 1) mit der Absicht, nach rechts abzubiegen, der Kreuzung näherte. Dies wäre auch deutlich vor Beginn der Phase der Fall gewesen, in der die Zeugin bereits so in die … eingefahren gewesen wäre, dass sie sich in dieser Fahrtrichtung bewegte und damit ein Vorfahrtsrecht erlangt hätte. Mit einer schnellen Annäherung der Beklagten zu 1) an den Kreuzungsbereich, d.h. eine Ausschöpfung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit, musste die Zeugin … dabei grundsätzlich rechnen.

3. Das Landgericht hat damit zutreffend bei der Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensbeiträge auf Seiten des Klägers einen Vorfahrtsverstoß nach § 9 Abs. 4 S. 1 StVO eingestellt. Die Beklagte zu 1) trifft demgegenüber der Vorwurf, gegen das allgemeine Gebot der Rücksichtnahme verstoßen zu haben. Wenn das Landgericht beide Verschuldensanteile als gleichwertig angesehen hat, stellt dies jedenfalls keinen Fehler zum Nachteil des Klägers dar. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass Verstöße gegen konkrete Verkehrsregeln und Wartepflichten grundsätzlich höheres Gewicht besitzen als die Verletzung der allgemeinen Vorsichts- und Rücksichtnahmepflichten. Eine gleich hohe Gewichtung beschwert daher den Kläger nicht.

Der Senat legt deshalb aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).

Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Hinweises.


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