Skip to content
Menu

Anscheinsbeweis gegen Auffahrenden – Alleinverursachung

Ein klassischer Auffahrunfall im dichten Feierabendverkehr – doch mit drei Fahrzeugen wurde die Sache schnell kompliziert. War es ein einziger großer Crash oder zwei separate Kollisionen, die das mittlere Auto vorne und hinten lädierten? Das Landgericht Stralsund stand vor der kniffligen Frage: Wer trägt die volle Verantwortung für eine solche Kettenreaktion? Ein Urteil, das tiefe Einblicke in die Tücken scheinbar klarer Verkehrsunfälle gibt.

Zum vorliegenden Urteil Az.: 2 O 204/24 | Schlüsselerkenntnis | FAQ  | Glossar  | Kontakt

Das Wichtigste in Kürze

  • Gericht: LG Stralsund
  • Datum: 27.05.2025
  • Aktenzeichen: 2 O 204/24
  • Rechtsbereiche: Verkehrsrecht, Versicherungsrecht, Zivilrecht

Beteiligte Parteien:

  • Kläger: Die Halterin eines der am Unfall beteiligten Fahrzeuge, die einen restlichen Schadensersatz für ihr Fahrzeug verlangt.
  • Beklagte: Der Fahrer und Halter des dritten am Unfall beteiligten Fahrzeugs sowie dessen Haftpflichtversicherung. Sie bestreiten eine Alleinhaftung und fordern die Klageabweisung.

Worum ging es in dem Fall?

  • Sachverhalt: Der Fall betrifft einen Verkehrsunfall mit drei hintereinander fahrenden Fahrzeugen auf der B 105. Es kam zu einer Kollision, bei der das Klägerfahrzeug zwischen dem vordersten und dem dritten Fahrzeug eingeklemmt wurde.
  • Kern des Rechtsstreits: Die zentrale Frage war, ob das Fahrzeug der Klägerin vor dem Aufprall des Beklagtenfahrzeugs bereits zum Stillstand gekommen war. Davon hing die vollständige Haftung der Beklagten für den gesamten Schaden ab.

Was wurde entschieden?

  • Entscheidung: Das Gericht verurteilte die Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung von 6.959,75 € nebst Zinsen an die Klägerin. Die Beklagten müssen auch die Kosten des Rechtsstreits tragen.
  • Begründung: Das Gericht stellte nach der Beweisaufnahme fest, dass das Fahrzeug der Klägerin vor dem Aufprall des Beklagtenfahrzeugs bereits zum Stillstand gekommen war. Daher haften die Beklagten für den gesamten Schaden. Ein Anscheinsbeweis spricht grundsätzlich für eine Alleinverursachung durch den Auffahrenden, auch bei Kettenauffahrunfällen, wenn das mittlere Fahrzeug bereits stand.
  • Folgen: Die Beklagten müssen den gesamten Sachschaden am Fahrzeug der Klägerin, sowohl Front- als auch Heckschaden, vollständig übernehmen. Zudem tragen sie die Kosten des Rechtsstreits.

Der Fall vor Gericht


Der alltägliche Albtraum: Eine Kettenreaktion im Feierabendverkehr

Jeder Autofahrer kennt die Situation: Man fährt im dichten Verkehr auf einer mehrspurigen Straße, die Autos vor einem bremsen plötzlich stark ab. Man reagiert, tritt selbst auf die Bremse und hofft, rechtzeitig zum Stehen zu kommen. Doch dann knallt es von hinten. Ein klassischer Auffahrunfall. Aber was passiert, wenn bei diesem Manöver nicht nur zwei, sondern drei Autos beteiligt sind? Wer ist schuld, wenn das mittlere Fahrzeug sowohl einen Schaden am Heck als auch an der Front hat? Genau mit dieser komplizierten Frage musste sich das Landgericht Stralsund in einem Urteil befassen.

Drei Autos, zwei Unfälle? Der Streit vor Gericht

Auffahrunfall im Feierabendverkehr: Auto durch Kollision gestaucht, Trümmer fliegen
Auffahrunfall im Feierabendverkehr: Drei Fahrzeuge krachen zusammen. Extreme Aufprallwucht verformt Metall. | Symbolbild: KI-generiertes Bild

In dem Fall ging es um einen Unfall auf einer Bundesstraße, an dem drei hintereinander fahrende Autos beteiligt waren. Die Eigentümerin des mittleren Fahrzeugs, nennen wir sie die Klägerin, zog vor Gericht. Sie forderte den vollen Ersatz ihres Schadens vom Fahrer des hintersten Wagens und dessen Haftpflichtversicherung. Eine Haftpflichtversicherung ist die gesetzlich vorgeschriebene Versicherung, die für Schäden aufkommt, die man mit seinem Fahrzeug bei anderen verursacht. Der Fahrer des hintersten Wagens und seine Versicherung werden hier als die Beklagten bezeichnet.

Doch die beiden Parteien erzählten dem Gericht zwei völlig unterschiedliche Geschichten darüber, wie sich der Unfall ereignet hatte. Um zu verstehen, worüber das Gericht entscheiden musste, müssen wir uns beide Versionen genau ansehen.

Was genau musste das Gericht klären?

Die Kernfrage war denkbar einfach, aber entscheidend für die Verteilung der Kosten: Kam es zu einem oder zu zwei separaten Aufprallereignissen? Die Antwort darauf würde bestimmen, wer für welchen Schaden aufkommen muss.

Die Version der Klägerin: Ein unverschuldeter Doppelschaden

Die Klägerin schilderte den Ablauf so: Das vorderste Auto bremste stark. Der Fahrer ihres Wagens, ein Zeuge im Verfahren, schaffte es, ebenfalls rechtzeitig zu bremsen und das Fahrzeug genau hinter dem ersten Auto zum Stillstand zu bringen – ohne eine Berührung. Erst in diesem Moment, als ihr Auto bereits stand, sei der Beklagte von hinten aufgefahren. Durch die Wucht dieses Aufpralls sei ihr Auto dann nach vorne geschoben worden und erst dadurch mit dem vordersten Fahrzeug kollidiert.

Was bedeutet das konkret? Nach dieser Version wäre der Fahrer des hintersten Wagens allein für den gesamten Schaden verantwortlich – sowohl für den Heckschaden am Auto der Klägerin als auch für den Frontschaden, der durch das Aufschieben entstand.

Die Version der Beklagten: Ein erster Aufprall mit Folgen

Die Beklagten, also der Fahrer des letzten Wagens und seine Versicherung, stellten die Situation anders dar. Sie behaupteten, das Fahrzeug der Klägerin sei bereits auf das vorderste Auto aufgefahren, bevor der Beklagte seinerseits auffuhr. In ihren Augen gab es also zwei getrennte Unfälle. Zuerst sei der mittlere auf den vorderen Wagen geprallt, und erst danach sei der hinterste Wagen auf den mittleren aufgefahren.

Warum ist diese Version so wichtig für die Beklagten? Wenn das mittlere Auto bereits einen Unfall verursacht hatte, hätte sein Fahrer den Bremsweg für den nachfolgenden Verkehr unerwartet verkürzt. Die Beklagten argumentierten, dass sie deshalb nicht für den gesamten Schaden haften müssten. Sie hatten zwar einen Teil des Heckschadens bezahlt (70 Prozent), weigerten sich aber, für den Frontschaden aufzukommen und den restlichen Heckschaden zu begleichen.

Das Urteil des Gerichts: Voller Schadensersatz für die Klägerin

Das Gericht entschied am Ende vollständig zugunsten der Klägerin. Die Beklagten wurden verurteilt, den restlichen ausstehenden Schaden in Höhe von 6.959,75 € samt Zinsen zu zahlen. Zinsen sind eine Art Entschädigung dafür, dass die Klägerin auf ihr Geld warten musste. Außerdem müssen die Beklagten die gesamten Kosten des Gerichtsverfahrens tragen.

Die Beklagten wurden als sogenannte Gesamtschuldner verurteilt. Das ist ein juristischer Begriff, der für die Klägerin sehr vorteilhaft ist. Er bedeutet, dass sie sich aussuchen kann, von wem sie das Geld verlangt: vom Fahrer, von seiner Versicherung oder von beiden zusammen. Wie der Fahrer und seine Versicherung das Geld untereinander aufteilen, ist dann deren Problem, nicht das der Klägerin.

Die entscheidende Frage der Beweise: Wem glaubt das Gericht?

Aber wie kam das Gericht zu dieser klaren Entscheidung? In einem Zivilprozess, also einem Streit zwischen Privatpersonen oder Unternehmen, muss der Richter aufgrund der vorgelegten Beweise eine Überzeugung gewinnen. Er muss nicht zu 100 % sicher sein, aber er muss einen Grad an Gewissheit erreichen, der vernünftige Zweifel ausschließt. Diesen Vorgang nennt man Beweisaufnahme. Das Gericht hörte hierzu den Fahrer des Beklagtenfahrzeugs an, befragte mehrere Zeugen – darunter die Insassen des Klägerfahrzeugs und den Fahrer des vordersten Wagens – und beauftragte einen Sachverständigen. Ein Sachverständiger ist ein unabhängiger Experte, der dem Gericht hilft, technische oder komplizierte Fakten zu verstehen, in diesem Fall also, wie der Unfall physikalisch abgelaufen sein könnte.

Der „Anscheinsbeweis“: Warum der Auffahrende meistens haftet

Um die Logik des Gerichts zu verstehen, müssen wir einen wichtigen Grundsatz im Verkehrsrecht kennen: den sogenannten Anscheinsbeweis. Das klingt kompliziert, ist aber eigentlich ganz logisch. Der Anscheinsbeweis ist eine Art juristische Faustregel, die auf allgemeiner Lebenserfahrung beruht. Bei einem typischen Auffahrunfall spricht der erste Anschein dafür, dass derjenige, der aufgefahren ist, die Schuld trägt.

Warum ist das so? Die Straßenverkehrs-Ordnung verlangt von jedem Fahrer, immer so viel Abstand zu halten, dass er auch bei einer plötzlichen Bremsung des Vordermanns noch rechtzeitig anhalten kann. Fährt man trotzdem auf, spricht alles dafür, dass man entweder unaufmerksam war, zu schnell fuhr oder zu wenig Abstand hielt.

Wie ein Alltagsbeispiel den Anscheinsbeweis erklärt

Stellen Sie sich vor, in einer Küche liegt eine zerbrochene Vase auf dem Boden, und nur eine Person steht daneben. Der erste Anschein spricht dafür, dass diese Person die Vase umgestoßen hat. Diese Person könnte nun versuchen, den Anscheinsbeweis zu erschüttern, indem sie einen untypischen Ablauf beweist – zum Beispiel, dass die Katze vom Regal gesprungen ist und die Vase heruntergerissen hat. Gelingt ihr das nicht, bleibt es bei der Vermutung.

Genau das Gleiche gilt beim Auffahrunfall. Der Auffahrende muss beweisen, dass etwas völlig Untypisches passiert ist, das den Unfall erklärt, zum Beispiel ein grundloses und völlig unerwartetes Bremsmanöver des Vordermanns in einer Situation, in der niemand damit rechnen musste. Im vorliegenden Fall behaupteten die Beklagten, der untypische Ablauf sei gewesen, dass das mittlere Auto schon vorher einen Unfall hatte.

Warum die Zeugen und der Sachverständige den Ausschlag gaben

Das Gericht kam nach der Beweisaufnahme zu dem Schluss, dass es den Beklagten nicht gelungen war, ihre Version der Geschichte zu beweisen. Im Gegenteil, die Beweise stützten die Darstellung der Klägerin.

Erstens konnte der Fahrer des Beklagtenfahrzeugs selbst keine klaren Angaben machen. Er wusste nicht genau, ob das Auto vor ihm bereits stand oder noch rollte, als er aufprallte. Seine Aussage half also nicht, den Anscheinsbeweis zu erschüttern.

Zweitens bestätigten der Fahrer und die Beifahrerin im Auto der Klägerin übereinstimmend und glaubhaft, dass ihr Fahrzeug bereits stand, als der Aufprall von hinten kam. Sie blieben auch bei wiederholter Nachfrage bei dieser Version.

Drittens konnte sich auch der Fahrer des vordersten Wagens nur an einen einzigen Stoß erinnern, nämlich den, der sein Auto von hinten traf. Das passt perfekt zur Geschichte der Klägerin, wonach es nur einen Aufprall (von hinten nach vorne) gab.

Viertens und letztlich entscheidend war das Gutachten des Sachverständigen. Der Experte erklärte dem Gericht, dass die Schilderung der Klägerin aus technischer und physikalischer Sicht absolut plausibel sei. Die Art und das Ausmaß der Schäden an den Fahrzeugen passten zu der Version, dass das mittlere Auto erst durch den Aufprall des hinteren Wagens auf das vorderste Fahrzeug geschoben wurde.

Die rechtlichen Konsequenzen: Wer muss am Ende zahlen?

Weil das Gericht davon überzeugt war, dass das Auto der Klägerin erst durch den Aufprall des Beklagtenfahrzeugs auf das vorderste Auto geschoben wurde, griff der Anscheinsbeweis voll durch. Der Fahrer des hintersten Wagens trug die alleinige Verantwortung für den gesamten Unfall.

Rechtlich bedeutet das: Er haftet nach dem Straßenverkehrsgesetz als Halter des Fahrzeugs, von dem die Gefahr ausging. Seine Versicherung muss aufgrund des Pflichtversicherungsgesetzes für diesen Schaden geradestehen. Und weil sie als Gesamtschuldner haften, hat die Klägerin nun den rechtlichen Anspruch, sich die volle Summe von einem der beiden zu holen, um endlich ihren gesamten Schaden reparieren zu lassen.



Die Schlüsselerkenntnisse

Das Urteil zeigt, dass bei einem Auffahrunfall mit drei Fahrzeugen derjenige für alle Schäden haftet, der die Kettenreaktion auslöst – auch wenn das aufgeschobene mittlere Auto dadurch auf ein vorderes Fahrzeug prallt. Entscheidend ist die Beweislage: Können Zeugen und ein Sachverständiger bestätigen, dass das mittlere Auto bereits stand, bevor es von hinten getroffen wurde, muss der Auffahrende den kompletten Schaden bezahlen. Die Versicherung des Verursachers kann sich nicht mit der Ausrede herausreden, es habe zwei getrennte Unfälle gegeben, wenn die Beweise das Gegenteil belegen. Für Betroffene bedeutet das: Mit glaubwürdigen Zeugen und einem technischen Gutachten lassen sich auch bei komplexeren Unfallabläufen die vollen Ansprüche durchsetzen.

Befinden Sie sich in einer ähnlichen Situation? Fragen Sie unsere Ersteinschätzung an.

Häufig gestellte Fragen (FAQ)

Was bedeutet der Anscheinsbeweis bei einem Auffahrunfall und welche Folgen hat er?

Der Anscheinsbeweis ist eine juristische Regel, die auf der allgemeinen Lebenserfahrung basiert. Sie kommt zum Tragen, wenn ein bestimmter Unfallhergang so typisch ist, dass man daraus schließen kann, wer für den Unfall verantwortlich ist. Es ist eine Art „juristische Faustregel“, die in bestimmten Fällen eine anfängliche Vermutung begründet.

Was der Anscheinsbeweis bei einem Auffahrunfall bedeutet

Bei einem Auffahrunfall gilt es als typisch und nachvollziehbar, dass derjenige, der von hinten auf ein anderes Fahrzeug auffährt, den Unfall verursacht hat. Dies beruht auf der Annahme, dass jeder Fahrzeugführer einen ausreichenden Sicherheitsabstand zum vorausfahrenden Fahrzeug halten und aufmerksam sein muss, um auch bei einem plötzlichen Bremsvorgang des Vordermanns rechtzeitig anhalten zu können.

Stellen Sie sich vor, Sie fahren im Straßenverkehr. Es wird erwartet, dass Sie immer genug Abstand halten, um auf Überraschungen reagieren zu können. Wenn Sie auffahren, deutet das nach der allgemeinen Lebenserfahrung darauf hin, dass Sie entweder zu wenig Abstand hatten oder unaufmerksam waren. Genau diese typische Situation ist die Grundlage für den Anscheinsbeweis bei Auffahrunfällen.

Die Folgen des Anscheinsbeweises

Die wichtigste Folge des Anscheinsbeweises ist die Umkehr der Beweislast. Das bedeutet:

  • Vermutung der Alleinschuld: Durch den Anscheinsbeweis wird zunächst angenommen, dass der auffahrende Fahrer die Alleinschuld am Unfall trägt. Er gilt als der Verursacher.
  • Beweislastumkehr: Der auffahrende Fahrer muss nun beweisen, dass der Unfall nicht auf sein Verschulden zurückzuführen ist oder dass der Vordermann eine Mitschuld trägt. Er muss also Tatsachen vorbringen und belegen, die diese typische Annahme widerlegen. Beispiele hierfür könnten ein plötzlicher, grundloser Fahrstreifenwechsel des Vordermanns, ein extrem starkes und unerwartetes Abbremsen ohne Notwendigkeit oder andere ungewöhnliche Umstände sein, die den Auffahrenden am Reagieren hinderten.

Für Sie bedeutet das: Wenn Sie derjenige sind, der aufgefahren ist, gehen Gerichte im Regelfall davon aus, dass Sie für den Unfall verantwortlich sind. Sie müssen dann aktiv darlegen und Beweise vorlegen, warum diese Vermutung in Ihrem speziellen Fall nicht zutrifft. Ohne einen solchen Gegenbeweis wird Ihre Schuld am Unfall angenommen, was Ihre Ausgangsposition in einem möglichen Gerichtsverfahren erheblich beeinflusst.


zurück

Unter welchen Voraussetzungen kann der Anscheinsbeweis bei einem Auffahrunfall entkräftet werden?

Wenn es zu einem Auffahrunfall kommt, geht die Rechtsprechung in der Regel zunächst davon aus, dass der Auffahrende den Unfall verschuldet hat. Diesen Grundsatz nennt man Anscheinsbeweis. Er beruht auf der Erfahrung, dass ein Auffahrunfall meist passiert, weil der Auffahrende entweder zu dicht aufgefahren ist, zu schnell gefahren ist oder unaufmerksam war.

Den Anscheinsbeweis entkräften: Das untypische Geschehen

Den Anscheinsbeweis können Sie entkräften, wenn Sie als auffahrende Person nachweisen, dass der Unfall nicht auf einem typischen, sondern auf einem untypischen Geschehen beruhte. Das bedeutet, Sie müssen beweisen, dass der Unfall aufgrund von Umständen zustande kam, die untypisch für einen Auffahrunfall sind und daher nicht Ihrer alleinigen Verantwortung zugerechnet werden können.

Dabei geht es darum, die Regelmäßigkeit des Geschehens zu erschüttern. Sie müssen als auffahrende Person belegen, dass der Vordermann den Unfall durch ein unvorhersehbares oder verkehrswidriges Verhalten mitverursacht hat.

Beispiele für ein untypisches Geschehen:

Ein untypischer Geschehensablauf, der den Anscheinsbeweis entkräften kann, liegt beispielsweise vor, wenn:

  • Der Vordermann grundlos und völlig überraschend stark abbremst: Dies ist der Fall, wenn der Vorausfahrende ohne erkennbaren Grund (z.B. Hindernis, Ampel, Stau) plötzlich und sehr stark bremst, sodass selbst ein umsichtiger Fahrer mit ausreichendem Sicherheitsabstand nicht mehr rechtzeitig reagieren kann.
  • Der Vordermann plötzlich die Spur wechselt: Wenn der Vordermann unmittelbar vor dem Auffahren plötzlich und ohne ausreichende Sicherung die Fahrspur wechselt und Sie dadurch keine Möglichkeit mehr haben, auszuweichen oder zu bremsen.
  • Ein technischer Defekt am vorausfahrenden Fahrzeug vorliegt: Zum Beispiel, wenn die Bremslichter des Vordermanns vor dem Unfall ausgefallen waren und dieser trotz Bremsung kein Bremslicht zeigte.

Die Beweislast liegt beim Auffahrenden

Es ist wichtig zu verstehen, dass die Beweislast in diesem Fall bei Ihnen als auffahrender Person liegt. Sie müssen die konkreten Tatsachen darlegen und beweisen, die für ein untypisches Geschehen sprechen. Bloße Behauptungen, dass der Vordermann „plötzlich“ gebremst hat, reichen in der Regel nicht aus. Es müssen vielmehr konkrete Anhaltspunkte oder Beweise wie Zeugenaussagen, Spuren am Unfallort oder Gutachten vorliegen, die den untypischen Ablauf belegen.

Kann der Anscheinsbeweis erfolgreich entkräftet werden, bedeutet dies nicht automatisch, dass der Vordermann die alleinige Schuld trägt. Es kann dann aber zu einer Teilschuldverteilung kommen, bei der die Verantwortung für den Unfall zwischen den beteiligten Parteien aufgeteilt wird.


zurück

Was ist, wenn bei einem Auffahrunfall mehrere Fahrzeuge hintereinander beteiligt sind und das mittlere Fahrzeug sowohl vorne als auch hinten beschädigt ist?

Ein Auffahrunfall mit mehreren hintereinander beteiligten Fahrzeugen, bei dem ein mittleres Fahrzeug sowohl vorne als auch hinten beschädigt wird, ist ein komplexes Szenario. Die entscheidende Frage für die Klärung der Verantwortlichkeiten ist, ob es sich um einen einzigen Unfall mit einer Kettenreaktion handelt oder um mehrere voneinander unabhängige Kollisionen.

Die Bedeutung der Ereignisabfolge

Für die rechtliche Beurteilung und die Zuweisung der Verantwortlichkeiten ist der genaue Ablauf des Geschehens von größter Bedeutung. Stellen Sie sich vor, es sind drei Fahrzeuge beteiligt: Fahrzeug A (vorne), Fahrzeug B (mittig) und Fahrzeug C (hinten). Fahrzeug B hat Schäden sowohl an der Front als auch am Heck.

  1. Kettenreaktion (Ein einziges Ereignis):
    Wenn Fahrzeug C auf Fahrzeug B auffährt und dieses durch die Wucht des Aufpralls unkontrolliert auf Fahrzeug A geschoben wird, spricht man oft von einer Kettenreaktion oder einem zusammenhängenden Unfallereignis. In diesem Fall wird der Fahrer von Fahrzeug C als Hauptverursacher des gesamten Schadens angesehen, da er die Kette der Kollisionen ausgelöst hat. Das mittlere Fahrzeug B wäre hier meist das „Opfer“, das unverschuldet sowohl von hinten getroffen als auch nach vorne geschoben wurde.
  2. Mehrere unabhängige Kollisionen (Getrennte Ereignisse):
    Es kann aber auch sein, dass Fahrzeug B zunächst selbst auf Fahrzeug A auffährt – möglicherweise, weil es den Sicherheitsabstand nicht eingehalten oder zu spät gebremst hat. Erst danach oder mit einer zeitlichen Verzögerung fährt Fahrzeug C auf das bereits stehende oder gerade aufgefahrene Fahrzeug B auf. In diesem Fall werden die Kollisionen oft als zwei getrennte Unfälle behandelt.

    • Fahrzeug B wäre dann für den Schaden an der Front von Fahrzeug A verantwortlich.
    • Fahrzeug C wäre für den Schaden am Heck von Fahrzeug B verantwortlich.

Wer muss was beweisen?

Grundsätzlich gilt bei Auffahrunfällen der sogenannte Anscheinsbeweis: Wer auf ein vorausfahrendes Fahrzeug auffährt, hat in der Regel den Unfall verschuldet, da der notwendige Sicherheitsabstand nicht eingehalten wurde.

Im Falle eines mittleren Fahrzeugs mit Schäden vorne und hinten muss dieses Fahrzeug beweisen, dass es nicht selbst auf das vordere Fahrzeug aufgefahren ist, sondern lediglich durch den Aufprall von hinten nach vorne geschoben wurde. Dies kann oft herausfordernd sein.

Entscheidende Faktoren für die Beurteilung

Um den tatsächlichen Hergang zu ermitteln und die Verantwortlichkeiten zu klären, sind folgende Punkte wichtig:

  • Stand das mittlere Fahrzeug bereits, als es von hinten erfasst wurde?
  • War das mittlere Fahrzeug noch in Bewegung (z.B. beim Bremsen), als es von hinten getroffen wurde, und wurde es dadurch nach vorne geschleudert?
  • Zeugenaussagen von unbeteiligten Dritten.
  • Schadensbilder an den Fahrzeugen: Entsprechen die Art und das Ausmaß der Schäden dem geschilderten Ablauf (z.B. typische Schiebe- oder Stoßspuren)?
  • Spuren am Unfallort, wie Bremsspuren oder Trümmerfelder.
  • Polizeiliche Unfallaufnahme, falls erfolgt.

Die genaue Rekonstruktion des Unfallhergangs ist für die Zuordnung der Haftung und die Regulierung der Schäden von zentraler Bedeutung.


zurück

Welche Arten von Beweismitteln sind bei der Klärung der Schuldfrage nach einem Auffahrunfall besonders hilfreich?

Bei der Klärung der Schuldfrage nach einem Auffahrunfall sind verschiedene Arten von Beweismitteln von großer Bedeutung, um den Hergang und die Verantwortlichkeiten zu dokumentieren. Die zeitnahe und sorgfältige Sammlung dieser Informationen ist entscheidend für die spätere Bewertung. Im Allgemeinen gilt der Grundsatz, dass der Auffahrende die Schuld trägt, dies kann jedoch durch geeignete Beweismittel widerlegt werden.

Fotos vom Unfallort und den Fahrzeugschäden

Fotos sind oft die ersten und unmittelbarsten Beweismittel. Sie dokumentieren nicht nur die entstandenen Schäden an beiden Fahrzeugen detailliert, sondern auch die Unfallstelle selbst: die genaue Position der Fahrzeuge nach dem Aufprall, Bremsspuren, die allgemeine Verkehrssituation, Ampelschaltungen oder Straßengegebenheiten zum Unfallzeitpunkt. Diese visuellen Informationen helfen maßgeblich, den Unfallhergang nachvollziehbar zu machen und die Plausibilität von Aussagen zu überprüfen.

Zeugenaussagen

Unabhängige Zeugen, die den Unfall beobachtet haben, können wertvolle Informationen liefern. Ihre Aussagen sind besonders wichtig, da sie oft eine objektive Perspektive auf das Geschehen bieten. Das können andere Verkehrsteilnehmer, Fußgänger oder Anwohner sein. Die Kontaktdaten von Zeugen – Name, Adresse und Telefonnummer – sollten direkt am Unfallort aufgenommen werden, um ihre späteren Aussagen einholen zu können. Die Glaubwürdigkeit eines Zeugen und die Übereinstimmung seiner Aussage mit anderen Beweismitteln sind dabei entscheidend.

Polizeilicher Unfallbericht

Wird die Polizei zum Unfallort gerufen, nimmt sie in der Regel einen Unfallbericht auf. Dieser Bericht enthält amtliche Feststellungen zum Unfallhergang, zu den beteiligten Personen und Fahrzeugen sowie oft auch zu sichtbaren Spuren oder Zeugenaussagen. Obwohl der Polizeibericht kein bindendes Urteil über die Schuldfrage darstellt, dient er als wichtige Grundlage für die weitere Sachverhaltsaufklärung und kann von Versicherungen oder Gerichten herangezogen werden. Er dokumentiert objektiv die Situation zum Zeitpunkt der polizeilichen Aufnahme.

Sachverständigengutachten

In Fällen, in denen der Unfallhergang komplex ist, die Schäden erheblich sind oder die Schuldfrage strittig bleibt, kann ein Sachverständigengutachten von großer Bedeutung sein. Ein unabhängiger Sachverständiger analysiert die Schäden an den Fahrzeugen, die Unfallspuren und die physikalischen Gegebenheiten. Er kann auf dieser Basis den Hergang des Unfalls rekonstruieren, die Geschwindigkeiten der beteiligten Fahrzeuge einschätzen und die Plausibilität der jeweiligen Darstellungen bewerten. Das Gutachten eines Sachverständigen ist ein hochtechnisches Beweismittel, das oft ausschlaggebend für die Beurteilung der Schuldfrage ist. Es hilft beispielsweise zu klären, ob der Auffahrende wirklich der Alleinschuldige ist, oder ob der Vorausfahrende möglicherweise unbegründet scharf gebremst hat.


zurück

Wer kommt für die Schäden auf, wenn bei einem Auffahrunfall die Schuldfrage nicht eindeutig ist oder mehrere Beteiligte genannt werden?

Wenn bei einem Auffahrunfall die Schuldfrage nicht klar ist oder mehrere Fahrzeuge beteiligt sind, werden die entstandenen Schäden in der Regel nicht von einer einzelnen Person allein getragen. Stattdessen erfolgt eine Aufteilung der Haftung zwischen den Beteiligten, die sich nach ihrem jeweiligen Anteil am Unfallgeschehen richtet. Dies wird auch als Mithaftung bezeichnet.

Wie die Haftung aufgeteilt wird

Bei einem Auffahrunfall gilt oft der Grundsatz, dass der Auffahrende die Hauptschuld trägt, da er den notwendigen Sicherheitsabstand nicht eingehalten hat. Es gibt jedoch Ausnahmen: Wenn der Vorausfahrende beispielsweise plötzlich und ohne triftigen Grund scharf bremst oder wenn es sich um eine Kettenreaktion mit mehreren aufeinanderfolgenden Auffahrunfällen handelt. In solchen komplexen Situationen oder bei unklarer Sachlage wird der Anteil der Schuld (Verursachungsanteil) jedes Beteiligten geprüft. Dieser Anteil kann zum Beispiel 70 zu 30 Prozent, 50 zu 50 Prozent oder in anderen Verhältnissen liegen. Die Klärung erfolgt oft durch die beteiligten Versicherungen, basierend auf Unfallberichten, Zeugenaussagen und gegebenenfalls Sachverständigengutachten.

Die Bedeutung der Kfz-Haftpflichtversicherung

Jedes in Deutschland zugelassene Fahrzeug muss über eine Kfz-Haftpflichtversicherung verfügen. Diese Versicherung ist dazu da, Schäden zu regulieren, die der Fahrzeughalter oder Fahrer anderen Personen oder deren Eigentum zufügt. Wenn also bei einem Unfall mehrere Beteiligte zur Verantwortung gezogen werden, tritt die Kfz-Haftpflichtversicherung jedes Schuldigen für den von ihm zu verantwortenden Schadenanteil ein. Für Sie als Geschädigten bedeutet das, dass Sie Ihre Ansprüche direkt gegenüber den Versicherungen der Unfallverursacher geltend machen können.

Der Vorteil der Gesamtschuldnerschaft für den Geschädigten

Ein wichtiger Aspekt bei Unfällen mit mehreren Beteiligten ist das Prinzip der Gesamtschuldnerschaft. Dies ist ein großer Vorteil für den Geschädigten. Wenn mehrere Personen (oder deren Versicherungen) für denselben Schaden haften, muss der Geschädigte nicht warten, bis die Schuldanteile unter den Verursachern geklärt sind. Stattdessen kann der Geschädigte den gesamten Schaden von einer der haftenden Parteien oder deren Versicherung einfordern.

Stellen Sie sich vor, bei einem Kettenauffahrunfall sind Person A, Person B und Person C beteiligt und alle tragen einen Teil der Schuld am Schaden von Person D. Person D könnte sich aussuchen, ob sie ihren gesamten Schaden beispielsweise nur von der Versicherung der Person B verlangt. Die beteiligten Verursacher (bzw. deren Versicherungen) müssen dann im Anschluss untereinander regeln, wer welchen Anteil am gezahlten Schaden endgültig trägt. Für Sie als Geschädigten bedeutet dies eine erhebliche Erleichterung, da Sie Ihren Schaden schneller und unkomplizierter reguliert bekommen, ohne sich um die interne Aufteilung der Schuld kümmern zu müssen.


zurück

Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.


Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt

Anscheinsbeweis

Der Anscheinsbeweis ist eine juristische Vermutung, die sich aus der allgemeinen Lebenserfahrung ableitet. Bei einem typischen Auffahrunfall spricht er dafür, dass der Fahrer des auffahrenden Fahrzeugs die Schuld am Unfall trägt, weil dieser in der Regel den erforderlichen Sicherheitsabstand nicht eingehalten oder unaufmerksam gehandelt hat. Diese Vermutung führt zu einer Umkehr der Beweislast, das heißt, der Auffahrende muss beweisen, dass nicht er oder nicht allein er schuld ist. Beispiel: Wenn ein Auto von hinten auffährt, gilt zunächst als wahrscheinlich, dass der Auffahrende zu dicht war – es sei denn, er kann nachweisen, dass der Vordermann plötzlich und unerwartet bremste.

Zurück

Kettenreaktion

Eine Kettenreaktion im Straßenverkehr bezeichnet einen Unfall mit mehreren Fahrzeugen, bei dem der Schaden durch eine aufeinanderfolgende Folge von Kollisionen entsteht. Dabei wird meist nur von einem einzigen Ereignis ausgegangen, bei dem das erste Auffahren das gesamte Unfallgeschehen verursacht und die nachfolgenden Schäden mitverursacht. Wichtig ist, dass alle Schäden als Folge dieses einen Vorgangs angesehen werden, was die Haftung auf den letztbeteiligten Fahrer konzentriert. Beispiel: Fahrzeug C fährt auf Fahrzeug B auf, das dadurch auf Fahrzeug A geschoben wird – dabei wird der gesamte Schaden oft dem Fahrer von Fahrzeug C zugerechnet.

Zurück

Gesamtschuldner

Gesamtschuldner sind mehrere Personen oder Parteien, die für denselben Schaden gemeinsam haften, sodass der Geschädigte von jeder einzelnen Partei die volle Schadenszahlung verlangen kann. Das bedeutet, der Geschädigte muss sich nicht an alle Beteiligten separat wenden und kann die gesamte Summe von einem der Gesamtschuldner einfordern; diejenigen müssen dann untereinander regeln, wie sie die Kosten aufteilen. Im Unfallfall ermöglicht dies dem Geschädigten eine einfachere Schadensregulierung. Beispiel: Bei einem Unfall haften Fahrer und deren Versicherung gesamtschuldnerisch, sodass der Geschädigte seine Forderung auch nur bei der Versicherung geltend machen kann.

Zurück

Beweislastumkehr

Die Beweislastumkehr ist ein Rechtsprinzip, bei dem die Verantwortung zur Beweisführung vom Kläger auf den Beklagten übergeht. Im Zusammenhang mit dem Anscheinsbeweis bei einem Auffahrunfall bedeutet dies, dass der aufgefahrene Fahrer beweisen muss, dass er den Unfall nicht oder nicht allein verursacht hat. Ohne diesen Gegenbeweis wird ihm die Schuld am Unfall zugeschrieben. Beispiel: Der hintere Fahrer muss nachweisen, dass der Vordermann unvermittelt und grundlos gebremst hat, um die Schuldumkehr zu entkräften.

Zurück

Sachverständigengutachten

Ein Sachverständigengutachten ist ein fachlich qualifizierter Bericht eines neutralen Experten, der das Gericht bei der Beurteilung komplexer technischer oder spezieller Fragen unterstützt. Beim Unfall wird hiermit zum Beispiel der Unfallhergang, die Schadensursachen und -auswirkungen wissenschaftlich und objektiv analysiert. Das Gutachten hilft dem Gericht, die Plausibilität der unterschiedlichen Unfallversionen zu bewerten und eine fundierte Entscheidung zu treffen. Beispiel: Ein Sachverständiger untersucht die Beschädigungen an den Fahrzeugen und stellt fest, ob es sich technisch um eine Kettenreaktion oder zwei einzelne Unfälle handelt.

Zurück


Wichtige Rechtsgrundlagen


  • Straßenverkehrsgesetz (StVG), insbesondere § 7 Abs. 1 StVG und § 17 Abs. 1 StVG: Das Straßenverkehrsgesetz regelt die Haftung für Schäden, die durch den Betrieb eines Kraftfahrzeugs entstehen. Nach § 7 Abs. 1 StVG haftet der Halter eines Fahrzeugs auch ohne eigenes Verschulden, wenn bei dessen Betrieb Schäden an Personen oder Sachen entstehen – dies wird als Gefährdungshaftung bezeichnet, da vom Betrieb eines Fahrzeugs stets eine abstrakte Gefahr ausgeht. § 17 Abs. 1 StVG regelt die Schadensteilung, wenn mehrere Fahrzeuge sind und sich die Schäden gegenseitig verursachen. → Bedeutung im vorliegenden Fall: Diese Vorschriften bilden die primäre rechtliche Grundlage für den Schadensersatzanspruch der Klägerin, da der Unfall durch den Betrieb des Beklagtenfahrzeugs verursacht wurde und es um die Verteilung der Haftung zwischen beteiligten Fahrzeugen ging.
  • Der Rechtsgrundsatz des Anscheinsbeweises (im Zusammenhang mit § 286 ZPO): Der Anscheinsbeweis ist ein im Zivilprozess entwickelter Grundsatz, der die Beweislastverteilung erleichtert und auf allgemeiner Lebenserfahrung beruht. Bei typischen Unfallereignissen, wie einem Auffahrunfall, spricht der erste Anschein (prima facie) dafür, dass der Auffahrende den Unfall verschuldet hat, da er üblicherweise den erforderlichen Sicherheitsabstand nicht eingehalten hat. Es obliegt dann dem Auffahrenden, diesen Anschein durch den Beweis eines atypischen Geschehensablaufs zu widerlegen. Dies ist eine spezielle Anwendung der freien Beweiswürdigung nach § 286 der Zivilprozessordnung. → Bedeutung im vorliegenden Fall: Dieser Grundsatz war entscheidend für das Urteil, da das Gericht davon ausging, dass der Beklagte als Auffahrender die alleinige Schuld trägt, weil er den Anscheinsbeweis nicht widerlegen konnte.
  • Straßenverkehrs-Ordnung (StVO), insbesondere § 4 Abs. 1 StVO (Abstand): Die Straßenverkehrs-Ordnung regelt die Verhaltenspflichten im Straßenverkehr, um die Sicherheit zu gewährleisten. Nach § 4 Abs. 1 StVO muss ein ausreichender Sicherheitsabstand zum vorausfahrenden Fahrzeug eingehalten werden, damit auch bei einer plötzlichen Bremsung des Vordermanns noch rechtzeitig angehalten werden kann. Die Nichteinhaltung dieses Abstands ist eine der häufigsten Ursachen für Auffahrunfälle. → Bedeutung im vorliegenden Fall: Die Pflicht zur Einhaltung des Sicherheitsabstandes ist der maßgebliche Verhaltensstandard, dessen Missachtung in der Regel den Anscheinsbeweis für ein Verschulden des Auffahrenden begründet und somit die Haftung des Beklagten im vorliegenden Fall untermauert.
  • Pflichtversicherungsgesetz (PflVG), insbesondere § 1 PflVG: Das Pflichtversicherungsgesetz schreibt vor, dass jeder Halter eines Kraftfahrzeugs eine Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung abschließen muss. Diese Versicherung kommt für Schäden auf, die der Versicherungsnehmer mit seinem Fahrzeug anderen Personen zufügt. Sie dient dem Schutz der Unfallopfer, indem sie die finanzielle Entschädigung der Geschädigten sicherstellt, auch wenn der Verursacher selbst zahlungsunfähig ist. → Bedeutung im vorliegenden Fall: Aufgrund des Pflichtversicherungsgesetzes konnte die Klägerin ihren Anspruch direkt gegen die Haftpflichtversicherung des Beklagten geltend machen, was die Durchsetzung des Schadensersatzes sicherstellte.
  • Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), insbesondere § 421 BGB (Gesamtschuld): Das Bürgerliche Gesetzbuch regelt im Bereich der Gesamtschuld, dass ein Gläubiger (hier: die Klägerin) von mehreren Schuldnern (hier: Fahrer und dessen Versicherung) die gesamte Leistung fordern kann, wenn diese ihm gegenüber als Gesamtschuldner haften. Der Gläubiger kann sich aussuchen, ob er die Leistung nur von einem, von mehreren oder von allen Schuldnern verlangt. Die Aufteilung unter den Schuldnern ist dann eine interne Angelegenheit. → Bedeutung im vorliegenden Fall: Die Verurteilung der Beklagten als Gesamtschuldner war für die Klägerin vorteilhaft, da sie nun die volle Schadensersatzsumme wahlweise vom Fahrer oder dessen Versicherung fordern kann, was die Beitreibung des Geldes erheblich vereinfacht.

Das vorliegende Urteil


LG Stralsund – Az.: 2 O 204/24 – Urteil vom 27.05.2025


* Der vollständige Urteilstext wurde ausgeblendet, um die Lesbarkeit dieses Artikels zu verbessern. Klicken Sie auf den folgenden Link, um den vollständigen Text einzublenden.

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Wie können wir Ihnen helfen?

Wir sind Ihr Ansprechpartner in allen rechtlichen Angelegenheiten. Rufen Sie uns an um einen Beratungstermin zu vereinbaren oder nutzen Sie unser Kontaktformular für eine unverbindliche Ersteinschätzung.

Rechtsanwälte Kotz - Kreuztal

Urteile und Rechtstipps

Unsere Kontaktinformationen

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
info@ra-kotz.de
ra-kotz@web.de

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!