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Hundehalterhaftung – Haftungsausschluss wegen Handeln des Geschädigten auf eigene Gefahr

AG Erfurt – Az.: 5 C 265/18 – Urteil vom 12.12.2018

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, falls nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der Kläger beansprucht Schadenersatz und Schmerzensgeld anlässlich eines Vorfalls vom … in … . Der Kläger passierte zum Vorfallzeitpunkt die o. g. Örtlichkeit. Dabei stellte er fest, dass sich inmitten einer Menschenmenge (ca. 20 bis 30 Personen) der Hund des Beklagten befand und einen anderen Hund (Dackel) im Maul hatte. Der ebenfalls anwesende Beklagte schlug währenddessen auf seinen Hund ein und gab Kommandos. Weiterhin befanden sich in der Menschenmenge zwei Mitarbeiterinnen des dort befindlichen Drogeriemarktes, die versuchten, dem Beklagten Unterstützung zukommen zu lassen, u.a. indem Wassereimer gereicht wurden, welche auf den Hund des Beklagten geschüttet wurden.

Der Kläger, selber Hundehalter, griff in das Geschehen ein und versuchte durch Umklammerung des Hundes sowie Lösen des Kiefers, den Dackel aus dem Maul zu befreien.

Anlässlich dieses Vorfalls behauptet der Kläger, vom Hund des Beklagten in die rechte Hand gebissen worden zu sein. Dadurch habe er insbesondere längere Zeit Probleme gehabt, den Mittelfinger zu beugen bzw. durchzustrecken und deshalb seinen Beruf als Zahntechniker über einen Zeitraum von vier Wochen nicht ausüben können. Er habe vor dem Eingreifen seine Hilfe angeboten, welche der Beklagten daraufhin angenommen habe. Beim Ausschütten der Wassereimer sei das Mobilfunkgerät des Klägers getroffen und die Platine beschädigt worden. Auch seine Jeans und Jacke seien beschädigt worden. Des Weiteren beansprucht der Kläger Ersatz für nutzlose Aufwendungen infolge verletzungsbedingter Absage eines Yoga-Kurses.

Der Kläger beantragt: Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld von mindestens 1.000,00 € anlässlich des Vorfalls vom 03.11.2015 zu zahlen.

Die Beklagte wird weiter verurteilt, an den Kläger 483,10 € nebst Zinsen über Basiszinssatz seit 03.11.2015 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche materiellen und immateriellen Schäden aus dem Schadensereignis vom 03.11.2015 zu ersetzen.

Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, den Kläger von den Kosten der vorgerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 255,85 € freizustellen.

Der Beklagte beantragt: Die Klage wird abgewiesen.

Er trägt vor, der Kläger habe sich unaufgefordert in das Geschehen eingemischt und die „Regie übernommen“. Der Hund des Beklagten habe den Kläger nicht gebissen; vielmehr habe der Kläger seine Hand vollständig in das Maul des Hundes eingeführt, um den Biss des Hundes zu lockern. Dabei habe er sich aufgrund des Hin- und Herbewegens an den scharfen Zähnen des Hundes geschnitten. Im Übrigen habe nicht der Beklagte Wasser auf den Hund bzw. den Körper des Klägers geschüttet, sondern vielmehr die ebenfalls anwesende Drogeriemitarbeiterin. Der Beklagte ist der Auffassung, der Kläger habe auf eigene Gefahr und dadurch haftungsausschließend gehandelt.

Wegen der weitergehenden Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Der Kläger ist informatorisch zum Vorfall angehört worden.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig, in der Sache aber nicht erfolgreich.

Dem Kläger steht Anspruch auf Ersatz etwaiger Sachschäden weder gemäß § 833 S. 1 BGB noch gemäß § 677 i.V.m. §§ 670, 673 BGB (Geschäftsführung ohne Auftrag wegen sogenannter Selbstaufopferung) und darüber hinaus auch kein Schmerzensgeldanspruch (§§ 253 Abs. 2, 833 S. 1 BGB) gegenüber dem Beklagten zu.

Zwar ist nach Anhörung des Klägers nicht auszuschließen, dass der Hund des Beklagten den Kläger an der rechten Hand verletzt und nicht lediglich ein Hin- und Herbewegen der Hand zu einem Schnitt geführt hat.

Hundehalterhaftung - Haftungsausschluss wegen Handeln des Geschädigten auf eigene Gefahr
(Symbolfoto: Von yarayanastia/Shutterstock.com)

Jedoch ist der Anspruch des Klägers bereits unter Zugrundelegung seines eigenen Vortrags aus Rechtsgründen nicht darstellbar, weswegen es weitergehender Aufklärung des Sachverhaltes über die darüber hinaus streitigen Umstände nicht bedurfte.

Die Tierhalterhaftung kann im Hinblick auf die Person des Geschädigten gänzlich ausgeschlossen sein, nämlich dann, wenn er sich dem Tier bewusst angenähert hat, weil ein sogen. „Handeln auf eigene Gefahr“ vorlag (vgl. näher Staudinger (2018), Rn. 188 zu § 833 BGB). Ein Haftungsausschluss (bzw. -minderung) wird von der Rechtsprechung unter dem Aspekt des Mitverschuldens nach § 254 BGB geprüft (vgl. z.B. BGH VersR 2006, S. 416).

Die Rechtsprechung nimmt demgemäß – in begrenzten Ausnahmefällen – eine vollständige Enthaftung unter dem Gesichtspunkt des Handelns auf eigene Gefahr an, wenn der Geschädigte sich mit der Übernahme eines Tieres oder der Annäherung an ein solches bewusst einer besonderen Gefahr aussetzt, die über die normalerweise auftretenden Gefahren hinausgeht. Das kann etwa der Fall sein, wenn ein Tier erkennbar böser Natur ist oder der Geschädigte sich dem Halter im vorwiegend eigenen Interesse an seinem Ruf aufgedrängt hat (vgl. BGH VersR 1974, S. 356 f.: dort Bitte um Überlassung eines weigerlichen und erregten Pferdes). Dabei ist weiterhin das Bewusstsein der besonderen Gefährdung Voraussetzung, um ein Handeln des Geschädigten auf eigene Gefahr annehmen zu können; ob unter diesem Blickpunkt die Haftung des Tierhalters entfällt, ist aufgrund einer Interessenabwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles zu prüfen (zu allem: BGH, Urteil vom 30.04.2013, AZ: VI ZR 13/12 m.w.N.).

Sowohl nach eigenem Vortrag des Klägers als auch nach seiner darüber hinaus im Termin erfolgten persönlichen Anhörung ist für das Gericht nicht zu bezweifeln, dass der Kläger sich hier im voraufgeführten Sinne „sehenden Auges“ in eine vermeidbare erhebliche Gefahrensituation für die eigene körperliche Unversehrtheit begab. Damit ist ein nicht nur haftungsminderndes, sondern die Haftung gänzlich ausschließendes Handeln auf eigene Gefahr (§ 254 BGB) darstellbar. Auch unter Zugrundelegung des klägerischen Vorbringens stellte der Hund des Beklagten im Zeitpunkt des Eingreifens nämlich – objektiv und subjektiv ohne weiteres erkennbar – eine „tickende Bombe“ dar. Dem daraus resultierenden haftungsausschließenden Mitverschulden hat das Gericht folgende unstreitige Umstände zugrunde gelegt:

  • Es handelte sich um einen großen und aggressiven Hund; schon daraus abzuleiten, dass dieser sich in den Dackel verbissen hatte.
  • Der Hund des Beklagten befand sich in einer „Beutesicherungshaltung“.
  • Um den Hund herum befand sich eine Menschenmenge von ungefähr 20 bis 30 Leuten.
  • Nach Einlassung des Klägers im Verhandlungstermin war die Stimmung zwischen aufgeheiztem bis teils aggressiv-panischem Geschrei geprägt, von ihm auch als nahezu „tumultartig“ geschildert.
  • Auf den Hund des Beklagten wurde eingeschlagen, er wurde des Weiteren mit Wasser überschüttet.
  • Angesichts der aufgeführten Begleitumstände konnte der Hund allein instinktgesteuert reagieren, weswegen abwehrbedingte Verletzungshandlungen im Falle eines solchen Eingreifens nicht nur nahe lagen, sondern zwangsläufig waren.
  • Der Beklagte hat auch in der Verhandlung nochmals betont, als Hundehalter erfahren und kompetent zu sein, weswegen er sich veranlasst sah, helfend in das Geschehen einzugreifen und die Situation zu lösen.

Sämtliche dieser Umstände konnten zusammen genommen bei dem im Umgang mit Hunden erfahrenen Kläger – trotz aller Hilfsbereitschaft – nur den einzig möglichen Schluss zulassen, dass sich die tierspezifische Gefahr im Falle eines solchen Eingreifens realisieren musste, insbesondere weil sich die aggressive und panikartige Stimmung der anwesenden Personen auf das Tier übertragen musste und der Hund des Beklagten des Weiteren seine „Beute“ verteidigen würde. Dies alles war dem Kläger nach dem in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindruck auch bewusst.

Soweit er ausgeführt hat, er hätte nicht damit gerechnet, dass der Hund des Beklagten seine in das Maul eingeführte Hand derart beißen würde, kann dies nach allem nur als Schutzbehauptung gewertet werden. Der Kläger hat vielmehr, zwar in guter Absicht, aber dennoch bewusst und gewollt eine erhebliche und zwangsläufige Gefahr für seine eigene körperliche Unversehrtheit herbeigeführt (welche im Übrigen angesichts aller Umstände noch gravierender hätte beeinträchtigt werden können), weshalb ihm das haftungsausschließende Mitverschulden nach § 254 BGB zur Last gelegt werden muss.

Abschließend und vorsorglich ist im Hinblick auf den eingangs genannten Aufwendungsersatzanspruch aus Geschäftsführung ohne Auftrag (GoA; § 677 i.V.m. §§ 670, 673 BGB) wie folgt auszuführen:

Dieser Anspruch bietet bereits keine Grundlage für Schmerzensgeld; allein die materiellen Schäden wären davon umfasst (BGHZ Bd. 52, S. 115). Im Weiteren wäre auch ein Fremdgeschäftsführungswille gegenüber dem Beklagten tatbestandlich bereits deswegen nicht darstellbar, weil der Wille des Klägers erkennbar darauf gerichtet war, den nicht dem Beklagten gehörenden Dackel zu befreien, weshalb solche Ansprüche allenfalls gegenüber dem Eigentümer des Dackels geltend gemacht werden könnten. Im Übrigen ist nach weit überwiegender Auffassung anerkannt, dass das o.g. haftungsausschließende Mitverschulden im Sinne des § 254 BGB zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen ebenfalls im Hinblick auf einen (unterstellten) Selbstaufopferungs-Anspruch aus GoA eingewandt werden könnte und deshalb auch insoweit dem Kläger entgegen gehalten werden müsste (vgl. z.B. BGHZ Bd. 38, S. 270 ff. sowie jurisPK-BGB, 8. Aufl., 2017, Rn. 9 zu § 670 BGB m.w.N.).

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf § 91 Abs. 1 ZPO (Kosten) und §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO (Vollstreckbarkeit).

Berichtigungsbeschluss vom 5. Februar 2019

Das Urteil des Amtsgerichts Erfurt vom 12.12.2018 wird im Tatbestand wie folgt berichtigt:

Der nachfolgend aufgeführte Satz

„Der ebenfalls anwesende Beklagte schlug währenddessen auf seinen Hund ein und gab Kommandos“ wird gestrichen und wie folgt in den streitigen Tatbestand eingeführt:

„Der Kläger behauptet, der ebenfalls anwesende Beklagte habe währenddessen auf seinen Hund eingeschlagen und Kommandos gegeben“.

Gründe:

Der Beklagte hat voraufgeführten Sachverhalt in dem nachgelassenen Schriftsatz vom 05.12.2018 streitig gestellt.

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