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Kündigung aufgrund eines tätlichen Angriffs auf den Vorgesetzten


Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz

Az: 5 Sa 433/13

Urteil vom 30.01.2014


Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 22. August 2013, Az. 2 Ca 436/13, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

tätlicher angriff auf chefDie Parteien streiten zweitinstanzlich noch über die Wirksamkeit einer hilfsweise erklärten ordentlichen Kündigung wegen tätlichen Angriffs auf einen Vorgesetzten.

Der Kläger (geb. 1974, ledig, kinderlos) war seit dem 06.12.2000 bei der Beklagten als Produktionshelfer im Schichtbetrieb zu einem Bruttomonatsentgelt von ca. € 2.000,00 beschäftigt. Die Beklagte beschäftigt ca. 450 Arbeitnehmer; es besteht ein Betriebsrat.

Der Kläger war im Jahr 2012 an 61 Tagen arbeitsunfähig krankgeschrieben. Am 09.11.2012 fand ein Fehlzeitengespräch statt, an dem auch sein Vorgesetzter, der Abteilungsleiter K., teilgenommen hat. Der Kläger soll seine Fehlzeiten ua. mit einer Schultererkrankung erklärt haben, was er bestreitet. Am 29.01.2013 erteilte die Beklagte dem Kläger eine Abmahnung wegen Unpünktlichkeit, am 11.03.2013 erteilte sie ihm eine weitere Abmahnung wegen verspäteter Anzeige der Arbeitsunfähigkeit. Der Kläger war vom 25.02. bis 08.03.2013 und dann bis 13.03.2013 von seinem Hausarzt arbeitsunfähig krankgeschrieben. Für die Zeit vom 12.03. bis 27.03.2013 erfolgte die Krankschreibung durch einen Neurologen. In einer nervenärztlichen Stellungnahme zur Vorlage bei Gericht vom 19.08.2013 führt der behandelnde Facharzt für Neurologie und Psychiatrie aus, dass sich der Kläger seit 12.03.2013 in seiner regelmäßigen Behandlung befinde. Er leide unter einem depressiven Syndrom, die jetzige Symptomatik resultiere aus einem Arbeitsplatzkonflikt.

Am Samstag, dem 16.03.2013, traf der Vorgesetzte den Kläger gegen 10:00 Uhr an einer Autowaschanlage in Kaiserslautern an. Der Kläger reinigte gemeinsam mit seinem Vater ein Kraftfahrzeug. Der Vorgesetzte beobachtete den Kläger dabei, dass er Fußmatten mit Schwung gegen ein Metallgitter schlug, um diese auszuklopfen. Er war über die körperliche Verfassung des krankgeschriebenen Klägers erstaunt und fertigte mit seiner Handykamera Fotos, um seine Beobachtung zu dokumentieren.

Es kam zu einer – auch körperlichen – Auseinandersetzung zwischen dem Kläger und seinem Vater mit dem Vorgesetzten. Der Hergang wird unterschiedlich dargestellt. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger wegen tätlichen Angriffs auf seinen Vorgesetzten mit Schreiben vom 23.03.2013 fristlos, hilfsweise fristgerecht zum 31.08.2013. Mit Schreiben vom 11.04.2013 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis erneut fristlos, hilfsweise fristgerecht zum 30.09.2013. Der Betriebsrat gab in den Anhörungsverfahren keine Stellungnahme ab.

Gegen diese Kündigungen wendet sich der Kläger mit seiner am 28.03.2013 beim Arbeitsgericht eingegangenen und am 18.04.2013 erweiterten Klage. Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestandes und des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 22.08.2013 Bezug genommen.

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers durch die Kündigung der Beklagten vom 23.03.2013 weder außerordentlich noch ordentlich zum 31.08.2013 aufgelöst worden ist,
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers durch die Kündigung der Beklagten vom 11.04.2013 weder außerordentlich noch ordentlich zum 30.09.2013 aufgelöst worden.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 22.08.2013 der Klage teilweise stattgegeben und festgestellt, dass die fristlosen Kündigungen der Beklagten vom 23.03. und 11.04.2013 unwirksam seien. Das Arbeitsverhältnis sei jedoch durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 23.03. zum 31.08.2013 aufgelöst worden. Die ordentliche Kündigung sei gemäß § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt. Nach seinem eigenen Vorbringen habe der Kläger seinen Vorgesetzten zu Boden gedrückt, so dass dieser letztlich zu Boden gefallen sei. Er könne sein Handeln nicht damit rechtfertigen, dass er seinem Vater zu Hilfe gekommen sei. Der Vorgesetzte sei berechtigt gewesen, den Kläger zu fotografieren. Da der Vater den Vorgesetzten habe daran hindern wollen, das Handy aufzuheben, habe er rechtswidrig gehandelt. Der Kläger könne sich nicht auf Notwehr berufen. Bei einer derartigen Tätlichkeit bedürfe es keiner vorhergehenden Abmahnung. Es sei unerheblich, dass sich das zur Kündigung führende Verhalten an einer öffentlichen Autowaschanlage abgespielt habe. Ein außerdienstliches Verhalten könne eine Kündigung rechtfertigen, wenn das Arbeitsverhältnis – wie hier – konkret berührt werde. Im Rahmen der Interessenabwägung sei der Beklagten die Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist zuzumuten.

Das genannte Urteil ist dem Kläger am 23.09.2013 zugestellt worden. Er hat mit am 16.10.2013 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit am 18.11.2013 eingegangenem Schriftsatz begründet.

Der Kläger macht geltend, die ordentlichen Kündigungen der Beklagten vom 23.03. und vom 11.04.2013 seien nicht gemäß § 1 KSchG sozial gerechtfertigt. Er habe weder rechtswidrig noch schuldhaft gehandelt, obwohl er seinen Vorgesetzten zu Boden gedrückt habe, so dass dieser zu Boden gefallen sei. Ein schuldhaftes Verhalten sei auszuschließen, weil er im Wege der Nothilfe seinem Vater zu Hilfe geeilt sei. Der Vorgesetzte habe seinen Vater körperlich bedrängt, so dass er gemeint habe, der Vater handele in Notwehr. Selbst wenn man mit dem Arbeitsgericht der Ansicht sein sollte, der Vorgesetzte sei berechtigt gewesen, ihn mit der Handykamera beim Ausklopfen der Fußmatten zu fotografieren, so dass der Vorgesetzte von seinem Vater rechtswidrig daran gehindert worden sei, sein Handy wieder aufzuheben, treffe ihn kein Verschulden. Er hätte dann zwar die rechtliche Situation verkannt, jedoch aus seiner Sicht eine tatsächlich nicht vorliegende Notwehr- bzw. Nothilfelage angenommen und danach gehandelt. Dies schließe ein schuldhaftes Verhalten aus. Angesichts der eskalierenden Situation vor Ort und der Notwendigkeit einer schnellen Entscheidung, dem Vater zu Hilfe eilen zu müssen, sei sein Irrtum als unvermeidlich anzusehen.

Die Behauptung der Beklagten, er habe den Vorgesetzten von hinten in den Schwitzkasten genommen, gleichzeitig mit zwei Händen gewürgt und zu Boden gerissen, sei falsch. Richtig sei vielmehr, dass er den Vorgesetzten lediglich um die Schulter gepackt und zu Boden gedrückt habe. Der Vorgesetzte hätte ihn an der Waschanlage nach seiner Erkrankung bzw. dem Grund fragen können, bevor er mit seinem Handy Fotos machte. Dem Vorgesetzten sei bestens bekannt gewesen, dass er an einer psychischen Erkrankung gelitten habe. Es sei unzutreffend, dass sein Vater zum Vorgesetzten gesagt habe: „Du Sau, du Arschloch, pass auf, ich mach dich kaputt!“ Der Vorfall habe sich vielmehr so zugetragen, wie ihn sein Vater am 14.05.2013 schriftlich dargelegt habe.

Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts sei vor Ausspruch der ordentlichen Kündigungen eine Abmahnung erforderlich gewesen. Es sei unzutreffend, dass er in den 13 Jahren seiner Betriebszugehörigkeit im Betrieb aggressiv gewesen sei oder Konflikte verursacht habe. Erst nachdem er einmal zu spät gekommen sei und im Jahr 2013 eine Abmahnung erhalten habe, die er für rechtswidrig halte, sei es zu Spannungen gekommen. Wegen weiterer Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf den Inhalt der Schriftsätze des Klägers vom 13.11.2013 und vom 17.01.2014 Bezug genommen.

Der Kläger beantragt zweitinstanzlich,

das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 22.08.2013, Az. 2 Ca 436/13, teilweise abzuändern und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien auch nicht durch die ordentlichen Kündigungen der Beklagten vom 23.03. zum 31.08.2013 und vom 11.04. zum 30.09.2013 aufgelöst worden ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe ihrer Berufungserwiderung vom 20.12.2013, auf die Bezug genommen wird, als zutreffend. Der Vorgesetzte sei dem krankgeschriebenen Kläger am 16.03.2013 zufällig an der Autowaschanlage begegnet. Er habe vom Kläger beim Ausklopfen der Fußmatten zwei Fotos angefertigt. Der Vater des Klägers habe den Vorgesetzten mit den Worten: „Du Sau, du Arschloch, pass auf, dich mach ich kaputt!“ beschimpft. Als der Vorgesetzte ein drittes Foto angefertigt habe, sei der Vater auf ihn zugestürmt, habe ihm das Handy aus der Hand geschlagen, ihn am Kragen gepackt und geschüttelt. Der Kläger sei hinzugeeilt, habe seinen Vorgesetzten von hinten in den Schwitzkasten genommen, mit beiden Händen gewürgt und zu Boden gerissen. Daraufhin sei ein unbeteiligter Dritter, ein pensionierter Polizist, aufmerksam geworden, habe den Kläger und seinen Vater von dem am Boden liegenden Vorgesetzten getrennt und die Polizei verständigt. Dieser Angriff rechtfertige den Ausspruch der Kündigung, zumal das Arbeitsverhältnis schon im Vorfeld der Tätlichkeit durch Aggressionen des Klägers belastet gewesen sei.

Ergänzend wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den Inhalt der Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Die gemäß § 64 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. c ArbGG statthafte Berufung des Klägers ist zulässig. Sie ist insbesondere form- sowie fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG iVm. §§ 519, 520 ZPO).

II.

In der Sache hat die Berufung des Klägers keinen Erfolg. Da die Beklagte gegen das Urteil des Arbeitsgerichts keine Berufung eingelegt hat, steht fest, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die außerordentlichen Kündigungen der Beklagten vom 23.03.2013 und 11.04.2013 mit sofortiger Wirkung beendet worden ist. Das Arbeitsverhältnis ist jedoch durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung der Beklagten vom 23.03.2013 mit Ablauf der Kündigungsfrist von fünf Monaten zum 31.08.2013 aufgelöst worden. Dies hat das Arbeitsgericht zutreffend erkannt. Auf die Wirksamkeit der vorsorglich erklärten zweiten ordentlichen Kündigung vom 11.04.2013 zum 30.09.2013 kommt es nicht mehr an.

Die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 23.03.2013 ist sozial gerechtfertigt iSv. § 1 Abs. 2 KSchG und damit rechtswirksam (§ 1 Abs. 1 KSchG). Zu Recht hat das Arbeitsgericht einen verhaltensbedingten Kündigungsgrund angenommen.

1. Das Arbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass Tätlichkeiten gegenüber Vorgesetzten einen ausreichenden Grund – zumindest – für eine ordentliche verhaltensbedingte Kündigung darstellen können. Ein tätlicher Angriff auf einen Vorgesetzten oder einen Arbeitskollegen ist eine schwerwiegende Verletzung der arbeitsvertraglichen Nebenpflichten des Arbeitnehmers (st. Rspr., vgl. nur BAG 18.09.2008 – 2 AZR 1039/06 – DB 2009, 964; LAG Rheinland-Pfalz 12.08.2010 – 11 Sa 184/10 – Juris; jeweils mwN).

Der tätliche Angriff auf einen Vorgesetzten oder einen Arbeitskollegen ist ein an sich geeigneter Sachverhalt, um sogar eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Denn es handelt sich hierbei um eine schwerwiegende Verletzung der arbeitsvertraglichen Nebenpflichten. Der Arbeitgeber ist nicht nur allen Arbeitnehmern gegenüber verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass sie keinen Tätlichkeiten ausgesetzt sind, sondern hat auch ein eigenes Interesse daran, dass die betriebliche Zusammenarbeit nicht durch tätliche Auseinandersetzungen beeinträchtigt wird und nicht durch Verletzungen Arbeitskräfte ausfallen. Ein tätlicher Angriff auf einen Vorgesetzten oder Arbeitskollegen hat mithin auch Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis, wenn er – wie vorliegend – außerhalb des dem Arbeitnehmer zugewiesenen örtlichen oder räumlichen Arbeitsplatzes erfolgt; dies ergibt sich aus der Zugehörigkeit beider Arbeitnehmer zu dem Betrieb desselben Arbeitgebers. Ob die Auswirkungen so gravierend sind, dass sie die sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen, ist anhand der Einzelfallumstände zu entscheiden (vgl. statt vieler: ErfK/ Müller-Glöge 14. Aufl. § 626 BGB Rn. 106, 132; LAG Rheinland-Pfalz – 23.08.2006 – 9 Sa 431/06 – Juris).

Bei Tätlichkeiten gegenüber einem Vorgesetzten oder einem Arbeitskollegen bedarf es vor Ausspruch einer Kündigung regelmäßig keiner Abmahnung. Denn der Arbeitnehmer weiß von vornherein, dass der Arbeitgeber ein derartiges Fehlverhalten missbilligt. Dies gilt uneingeschränkt bei schweren Tätlichkeiten. Hier kann schon ein einmaliger Vorfall einen wichtigen Grund zur Kündigung darstellen, ohne dass der Arbeitgeber noch eine Wiederholungsgefahr begründen und den Arbeitnehmer zuvor abmahnen müsste (vgl. BAG 18.09.2008 – 2 AZR 1039/06 – aaO.).

2. Unter Anwendung dieser Grundsätze rechtfertigt bereits der unstreitige Geschehensablauf den Ausspruch der hilfsweise erklärten ordentlichen Kündigung vom 23.03.2013. Entgegen der Ansicht der Berufung bedurfte es keiner Beweisaufnahme über die genauen Einzelheiten der von beiden Parteien beschriebenen Auseinandersetzung vom 16.03.2013 zwischen dem Kläger, seinem Vater und dem Vorgesetzten an der Autowaschanlage.

a) Nach seiner eigenen Einlassung hat der Kläger seinen Vorgesetzten, der ihn beim Ausklopfen der Fußmatten mit der Handykamera fotografierte, mit seinem Körper zu Boden gedrückt, so dass er hingefallen ist. Dieser vorsätzliche tätliche Angriff auf den Vorgesetzten war nicht gerechtfertigt. Er ist geeignet, einen ruhig und verständig urteilenden Arbeitgeber – zumindest – zu einer ordentlichen Kündigung zu bestimmen. Die gebotene Interessenabwägung geht zu Lasten des Klägers aus, da das Auflösungsinteresse der Beklagten deutlich das Bestandsinteresse überwiegt. Der Beklagten ist es nicht zuzumuten, den Kläger über den Ablauf der Kündigungsfrist am 31.08.2013 hinaus weiter zu beschäftigen.

b) Auf einen Rechtfertigungsgrund, insbesondere Notwehr, kann sich der Kläger nicht berufen. Nach § 32 Abs. 2 StGB, § 227 Abs. 2 BGB ist Notwehr die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden. Wie bereits im einstweiligen Verfügungsverfahren ausgeführt, handelte der Vorgesetzte in Anbetracht der konkreten Umstände des vorliegenden Falls nicht rechtswidrig, als er den Kläger am 16.03.2013 an der Autowaschanlage mit seiner Handykamera fotografierte (vgl. ausführlich: LAG Rheinland-Pfalz 11.07.2013 – 10 SaGa 3/13 – Juris).

Der Vorgesetzte traf den arbeitsunfähig krankgeschriebenen Kläger am Samstag, dem 16.03.2013, zufällig an der Autowaschanlage an. Der Kläger war mit dem Ausklopfen von Fußmatten beschäftigt und machte auf seinen Vorgesetzten einen körperlich gesunden Eindruck. Er fertigte mit seiner Handykamera drei Fotos, um seine Beobachtung zu dokumentieren. Aus seiner Sicht bestand der Verdacht, dass der Kläger seine Arbeitsunfähigkeit lediglich vorgetäuscht haben könnte. Da der Beweiswert einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung durch andere Tatsachen mehr oder weniger entwertet werden kann, hatte der Vorgesetzte das Interesse die körperlichen Aktivitäten des Klägers an der Waschanlage zu Beweiszwecken zu fotografieren. Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Klägers durch die Speicherung der Fotos auf der Handykamera war nicht schwerwiegend. Der Vorgesetzte hat die Aktivitäten des Klägers an der öffentlich zugänglichen Autowaschanlage unmittelbar beobachtet, so dass er als Augenzeuge zur Verfügung stand. Die Speicherung der Fotos über seine punktuelle persönliche Beobachtung stellte unter den gegebenen Umständen keinen unverhältnismäßigen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers dar. Es bestand aus Sicht des Vorgesetzten der konkrete Verdacht, dass der Kläger seine Arbeitsunfähigkeit vorgetäuscht und damit einen Entgeltfortzahlungsbetrug begangen haben könnte.

Entgegen der Ansicht der Berufung kann der Kläger den tätlichen Angriff auf seinen Vorgesetzten auch nicht damit entschuldigen, dass er im Wege der Nothilfe seinem Vater zu Hilfe geeilt sei, weil er angenommen habe, dieser werde von seinem Vorgesetzten angegriffen. Bei einer Gesamtbetrachtung des Geschehens haben der Kläger und sein Vater den Vorgesetzten angegriffen, um ihn unter Ausübung körperlicher Gewalt daran zu hindern, den Kläger zu fotografieren. Es bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass es nach der Vorstellung des Klägers zum Zeitpunkt des körperlichen Angriffs auf den Vorgesetzten einen vermeintlichen Angriff auf seinen Vater abzuwehren galt. Es hat objektiv keine Nothilfelage vorgelegen. Der Vorgesetzte hat – nach der Darstellung des Vaters in seiner schriftlichen Einlassung vom 14.05.2013 – versucht, sein durch „hektische Bewegungen“ zu Boden gefallenes Handy zurückzuerlangen, woran ihn der Vater allerdings hinderte. Für einen Irrtum des Klägers über die tatsächlichen Voraussetzungen des Rechtfertigungsgrundes der Nothilfe ist nach den gegebenen Umständen kein Raum. Auch ein Verbotsirrtum unter Hinweis darauf, dass er seinen tätlichen Angriff auf den Vorgesetzten für rechtmäßig gehalten habe, kann dem Kläger nicht zugutekommen. Ein solcher Irrtum wäre leicht vermeidbar gewesen.

c) Die Berufungskammer schließt sich auch der vom Arbeitsgericht vorgenommenen Interessenabwägung an, nach der der Beklagten aufgrund des schwerwiegenden Fehlverhaltens des Klägers eine weitere Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses über den Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist hinaus nicht zugemutet werden kann. Zugunsten des Klägers ist zwar seine langjährige Betriebszugehörigkeit seit Dezember 2000 zu berücksichtigen. Weiterhin ist zugunsten des Klägers zu berücksichtigen, dass sein allgemeines Persönlichkeitsrecht durch das Anfertigen der Fotos mit der Handykamera an der Autowaschanlage beeinträchtigt worden ist. Das Verhalten des Klägers als Reaktion auf das Anfertigen der Fotos war jedoch – wie oben ausgeführt – nicht durch Notwehr oder (Putativ-)Nothilfe entschuldigt. Der Beklagten kann nicht zugemutet werden, auf den Vorfall lediglich mit einer Abmahnung zu reagieren, wie die Berufung meint. Der Kläger hat die Beherrschung verloren und seinen Vorgesetzten körperlich angegriffen. Ihm hätte ohne weiteres klar sein müssen, dass er seinen Arbeitsplatz aufs Spiel setzt, wenn er gegenüber seinem Vorgesetzten körperlich aggressiv reagiert. In Anbetracht dieser Eskalation ist der Beklagten eine weitere Zusammenarbeit mit dem Kläger über den 31.08.2013 hinaus nicht mehr zumutbar.

III.

Der Kläger hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Berufung zu tragen.

Ein Grund, der nach den hierfür maßgeblichen gesetzlichen Kriterien des § 72 Abs. 2 ArbGG die Zulassung der Revision rechtfertigen könnte, besteht nicht.

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