Nach einem Verkehrsunfall erklärte eine Versicherung ihre Regulierungsbereitschaft, doch der Geschädigte zog trotzdem sofort mit seiner Schadensersatzklage vor Gericht. Obwohl die Versicherung den Schaden später vollständig anerkannte, drohte ihr die Übernahme der gesamten Prozesskosten allein wegen dieser einen Formulierung.
Übersicht
- 1 Das Wichtigste in Kürze
- 2 Wer zahlt die Prozesskosten nach einem Verkehrsunfall?
- 3 Wann muss der Kläger die Gerichtskosten tragen?
- 4 Reicht „wir sind regulierungsbereit“ als Haftungsanerkenntnis?
- 5 Müssen Versicherungen die Haftung eindeutig bestätigen?
- 6 Die Urteilslogik
- 7 Benötigen Sie Hilfe?
- 8 Experten Kommentar
- 9 Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- 9.1 Was bedeutet die Aussage „Wir sind regulierungsbereit“ nach einem Verkehrsunfall?
- 9.2 Muss die gegnerische Versicherung meine 100% Haftung eindeutig und schriftlich bestätigen?
- 9.3 Wer trägt die gesamten Prozesskosten, wenn die Versicherung erst nach Klageerhebung einlenkt?
- 9.4 Was gilt als „Veranlassung zur Klage“ und schützt mich vor dem Kostenrisiko nach § 93 ZPO?
- 9.5 Wie lange muss ich warten, bis ich klage, wenn die Versicherung nur ausweichend antwortet?
- 10 Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- 11 Das vorliegende Urteil
Zum vorliegenden Urteil Az.: 2 T 56/23 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Landgericht Stuttgart
- Datum: 14.06.2023
- Aktenzeichen: 2 T 56/23
- Verfahren: Beschwerdeverfahren über die Kostenverteilung nach Klageerledigung
- Rechtsbereiche: Zivilprozessrecht, Verkehrsunfallrecht
- Das Problem: Nach einem Verkehrsunfall forderte die Klägerin die beklagte Versicherung auf, ihre Haftung dem Grunde nach anzuerkennen. Die Versicherung antwortete nur vage mit der Formulierung „Wir sind Regulierungsbereit.“
- Die Rechtsfrage: Verursacht eine Versicherung die Klage unnötig und muss die Prozesskosten tragen, wenn sie vorab nur ihre „Regulierungsbereitschaft“ mitteilt, aber die Haftung nicht eindeutig bestätigt?
- Die Antwort: Ja. Die Versicherung muss die Kosten des gesamten Rechtsstreits tragen. Die einfache Erklärung „Wir sind regulierungsbereit“ ist kein ausreichendes, verbindliches Haftungsanerkenntnis.
- Die Bedeutung: Geschädigte haben einen berechtigten Anlass zur Klage, wenn eine Versicherung eine klare Haftungszusage verweigert. In solchen Fällen muss die Versicherung auch dann die Kosten tragen, wenn sie die Haftung erst nach Klageerhebung anerkennt.
Wer zahlt die Prozesskosten nach einem Verkehrsunfall?
Der Fall beginnt so alltäglich, wie er nur sein kann: Am 31. Oktober 2022 wurde das ordnungsgemäß geparkte Auto der späteren Klägerin beschädigt. Der Unfallgegner war bei der beklagten Versicherung versichert. Was folgte, war jedoch kein Routinevorgang der Schadensregulierung, sondern ein juristisches Tauziehen um Worte, das schließlich vor dem Landgericht Stuttgart landete (Beschluss vom 14.06.2023, Az. 2 T 56/23).

Die geschädigte Fahrzeughalterin wollte Klarheit. Ihr Anwalt forderte die gegnerische Versicherung am 18. November 2022 auf, die Haftung für den Unfall „dem Grunde nach“ anzuerkennen. Das bedeutet juristisch: Die Versicherung sollte bestätigen, dass ihr Kunde den Unfall verursacht hat und sie prinzipiell zahlen muss, unabhängig davon, wie hoch der Schaden am Ende genau beziffert wird. Die Antwort der Versicherung am 23. November 2022 war kurz: „Wir sind regulierungsbereit.“
Der Anwalt der Klägerin hakte am 29. November erneut nach, doch die Versicherung bat lediglich um das Sachverständigengutachten, um die Gebühren zu prüfen, ohne eine klare Haftungserklärung abzugeben. Der Geduldsfaden riss, und am 22. Dezember 2022 reichte die Fahrzeughalterin Klage ein. Erst im Februar 2023 gab die Versicherung klein bei und erkannte die Haftung zu 100 Prozent an. Der eigentliche Streit war damit erledigt, doch nun ging es ums Geld für den Prozess: Wer zahlt die Anwälte und das Gericht? Das Amtsgericht hatte zunächst die Klägerin zur Kasse gebeten, wogegen diese sich wehrte. Der Streitwert im Beschwerdeverfahren lag bei exakt 1.091,46 Euro.
Wann muss der Kläger die Gerichtskosten tragen?
Um die Entscheidung des Landgerichts Stuttgart zu verstehen, muss man einen Blick in die Zivilprozessordnung (ZPO) werfen, wo zwei Prinzipien aufeinanderprallen. Grundsätzlich zahlt im deutschen Zivilrecht der Verlierer alles – das steht in § 91 ZPO. Doch es gibt eine wichtige Ausnahme: das sogenannte sofortige Anerkenntnis gemäß § 93 ZPO.
Diese Regelung soll unnötige Prozesse verhindern. Sie besagt: Wenn der Beklagte (hier die Versicherung) den Anspruch sofort anerkennt und zuvor keinen Anlass zur Klage gegeben hat, muss der Kläger die gesamten Prozesskosten tragen, selbst wenn er „gewinnt“. Der Gesetzgeber bestraft damit Kläger, die voreilig zum Gericht rennen, obwohl der Gegner eigentlich zahlungswillig war.
Wenn sich ein Fall – wie hier durch das späte Einlenken der Versicherung – erledigt, muss das Gericht gemäß § 91a ZPO eine Billigkeitsentscheidung treffen. Der Richter überlegt hypothetisch: Wie wäre der Prozess wohl ausgegangen, wenn er zu Ende geführt worden wäre? Und vor allem: Hat die Versicherung durch ihr schwammiges Verhalten die Klage provoziert („Veranlassung zur Klage gegeben“)? Genau hier lag der Knackpunkt des Stuttgarter Falls.
Reicht „wir sind regulierungsbereit“ als Haftungsanerkenntnis?
Das Landgericht Stuttgart musste prüfen, ob die vage Formulierung der Versicherung ausreichte, um einen Prozess als unnötig erscheinen zu lassen. Es hob die Entscheidung der Vorinstanz auf und entschied, dass die Versicherung sämtliche Kosten tragen muss. Die Begründung ist eine Lektion in präziser juristischer Kommunikation.
Was bedeutet „regulierungsbereit“ juristisch?
Das Gericht zerlegte die Phrase „Wir sind regulierungsbereit“. Nach Ansicht der Richter ist diese Aussage viel zu unbestimmt. Sie könnte bedeuten, dass die Versicherung den Schaden prüft, dass sie vielleicht einen Teil zahlt oder dass sie lediglich gesprächsbereit ist. Sie ist eben nicht gleichbedeutend mit dem klaren Satz: „Wir haften zu 100 Prozent für den Schaden unseres Kunden.“ Eine generelle Regulierungsbereitschaft sagt nichts darüber aus, ob im konkreten Einzelfall die Haftung vollumfänglich akzeptiert wird. Da die Versicherung auf die explizite Aufforderung, die Haftung dem Grunde nach anzuerkennen, nur mit dieser Floskel antwortete, blieb die Klägerin im Unklaren. Sie wusste nicht, ob sie am Ende auf einem Teil des Schadens sitzen bleiben würde.
Gab die Versicherung Anlass zur Klage?
Ein Beklagter gibt dann Anlass zur Klage, wenn sein Verhalten beim Kläger vernünftigerweise den Eindruck erweckt, er komme ohne gerichtliche Hilfe nicht zu seinem Recht. Das Gericht stellte fest, dass genau dies hier der Fall war. Der Anwalt der Klägerin hatte zweimal (am 18. und 29. November 2022) deutlich um eine Haftungserklärung gebeten. Die Versicherung ignorierte die zweite Aufforderung komplett und wich bei der ersten aus. Das Landgericht betonte, dass es gar nicht notwendig ist, dass die Versicherung die Haftung ausdrücklich bestreitet. Es genügt bereits, wenn sie auf eine klare Aufforderung hin schweigt oder ausweicht. Wer sich so verhält, zwingt den Unfallgegner förmlich dazu, Klage einzureichen, um Verjährungsfristen zu hemmen und Rechtssicherheit zu erlangen.
Spielt das fehlende Gutachten eine Rolle?
Die Versicherung versuchte sich mit dem Argument zu verteidigen, die Klägerin habe gegen ihre Obliegenheiten verstoßen, weil sie das Sachverständigengutachten nicht sofort vorgelegt habe (§ 119 Abs. 3 VVG). Die Versicherung argumentierte, sie habe erst prüfen wollen. Das Gericht ließ dieses Argument jedoch ins Leere laufen. Die Frage, ob man für einen Unfall dem Grunde nach haftet (also ob der eigene Kunde schuld ist), hat nichts mit der Höhe der Reparaturkosten zu tun. Man kann problemlos bestätigen: „Ja, wir sind schuld“, und sich trotzdem vorbehalten, die Höhe der Werkstattrechnung später zu prüfen. Die Anforderung des Gutachtens zur Rechnungsprüfung durfte von der Klägerin daher nicht als Haftungsanerkenntnis missverstanden werden.
Müssen Versicherungen die Haftung eindeutig bestätigen?
Die Entscheidung schafft Klarheit für die Korrespondenz nach Verkehrsunfällen. Eine Versicherung kann sich nicht hinter weichen Formulierungen verstecken, um Prozesskostenrisiken auf den Geschädigten abzuwälzen. Wenn ein Unfallopfer oder dessen Anwalt eine Bestätigung der Einstandspflicht verlangt, muss die Versicherung darauf klar antworten. Tut sie das nicht oder nutzt sie mehrdeutige Phrasen wie „regulierungsbereit“, darf der Geschädigte Klage erheben. Lenkt die Versicherung dann erst im Prozess ein, muss sie – wie im vorliegenden Fall geschehen – auch die Kosten für das Gericht und die Anwälte tragen. Das Landgericht Stuttgart korrigierte damit das Amtsgericht und legte die Kostenlast vollständig der Versicherung auf.
Die Urteilslogik
Unklare Kommunikation von Versicherungen provoziert unnötige Prozesse und zwingt die Haftpflichtversicherer, die dadurch entstehenden Prozesskosten vollständig zu tragen.
- Unbestimmte Regulierungsbereitschaft: Versicherer müssen die Einstandspflicht klar und eindeutig bestätigen, da vage Aussagen wie „regulierungsbereit“ die notwendige Rechtssicherheit verfehlen und kein Haftungsanerkenntnis darstellen.
- Klageveranlassung durch Schweigen: Ein Beklagter veranlasst eine Klage, wenn er auf eine eindeutige Aufforderung zur Haftungserklärung hin ausweicht, die Antwort verweigert oder unbestimmte Floskeln verwendet.
- Trennung von Grund und Höhe: Die Pflicht zur Feststellung der Haftung dem Grunde nach ist von der späteren Prüfung der Schadenshöhe unabhängig und darf nicht unter Verweis auf fehlende Sachverständigengutachten verzögert werden.
Die Justiz stellt sicher, dass Geschädigte nicht aufgrund vager Formulierungen des Gegners gezwungen werden, unnötigerweise Prozessrisiken einzugehen.
Benötigen Sie Hilfe?
Verweigert Ihre Versicherung die eindeutige Haftungszusage trotz Regulierungsbereitschaft? Lassen Sie Ihre Situation prüfen und erhalten Sie eine professionelle Ersteinschätzung Ihres Sachverhalts.
Experten Kommentar
Wenn es um die Schuldfrage nach einem Unfall geht, lieben Versicherungen das Vage, um sich alle Optionen offenzuhalten. Dieses Urteil zieht jetzt eine klare rote Linie: Die Floskel „Wir sind regulierungsbereit“ ist nicht das Papier wert, auf dem sie steht. Wer als Geschädigter eine klare Haftungszusage verlangt, muss diese auch bekommen. Nur eine eindeutige Erklärung der Einstandspflicht schützt die Versicherung davor, dem Unfallgegner den Anlass zur Klage zu geben – und damit am Ende alle Prozesskosten tragen zu müssen. Das nimmt den Versicherern eine beliebte Taktik, das Prozessrisiko durch schwammige Kommunikation auf den Geschädigten abzuwälzen.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Was bedeutet die Aussage „Wir sind regulierungsbereit“ nach einem Verkehrsunfall?
Die Aussage „Wir sind regulierungsbereit“ klingt freundlich, ist juristisch jedoch extrem unverbindlich. Sie stellt kein rechtswirksames Haftungsanerkenntnis dar und bedeutet nicht, dass die Versicherung den Schaden zu 100 Prozent übernimmt. Versicherer nutzen diese Formulierung oft, um Zeit zu gewinnen oder lediglich eine Prüfbereitschaft zu signalisieren. Geschädigte bleiben dadurch im Unklaren, ob die Versicherung tatsächlich für ihren vollen Schaden einsteht.
Gerichte bewerten diese Floskel als zu unbestimmt. Das Landgericht Stuttgart stellte klar, dass eine generelle Regulierungsbereitschaft nichts über die konkrete Einstandspflicht im Einzelfall aussagt. Die Versicherung könnte damit meinen, sie prüft den Schaden, zahlt vielleicht einen Teilbetrag oder bietet lediglich ein Gespräch an. Wenn Sie eine explizite Haftungsanfrage stellen, ist eine derart schwammige Antwort juristisch unzureichend.
Diese juristischen Vagheiten verhindern, dass Sie als Geschädigter Planungssicherheit erhalten. Beauftragen Sie keinesfalls teure Leistungen wie Reparaturen oder ein Ersatzfahrzeug, bevor die Versicherung die 100-prozentige Haftung schriftlich bestätigt hat. Eine solche Antwort kann den Eindruck erwecken, die Versicherung versuche, das Prozesskostenrisiko auf Sie abzuwälzen. Dieses Verhalten kann sogar als Veranlassung zur Klage gewertet werden.
Fordern Sie die Versicherung daher schriftlich und unter Fristsetzung (z.B. 10 Tage) auf, die „Haftung dem Grunde nach zu 100 Prozent“ explizit zu bestätigen.
Muss die gegnerische Versicherung meine 100% Haftung eindeutig und schriftlich bestätigen?
Ja, Sie haben das Recht auf eine klare und schriftliche Bestätigung der vollständigen Haftung durch die Gegenseite. Die Versicherung muss auf eine explizite Nachfrage hin eindeutig die Einstandspflicht bestätigen. Nur diese klare Zusage schafft für Geschädigte die notwendige Rechtssicherheit. Bleibt die Antwort ausweichend oder verwendet die Versicherung mehrdeutige Floskeln, gilt dies als Veranlassung zur Klage.
Diese strenge Anforderung dient dem Schutz des Unfallopfers vor unnötigen Prozesskosten. Das Landgericht Stuttgart hat klargestellt, dass Versicherer sich nicht hinter weichen Formulierungen verstecken dürfen, um das Kostenrisiko auf den Geschädigten abzuwälzen. Wenn Sie die Bestätigung der Haftung dem Grunde nach verlangen, muss eine klare Antwort erfolgen. Eine bloße Gesprächsbereitschaft oder ein Schweigen reicht nicht aus, um Ihnen die Gewissheit zu geben, dass Sie am Ende nicht auf einem Teil des Schadens sitzen bleiben.
Wichtig ist, dass Sie die Bestätigung der Haftung strikt von der späteren Prüfung der Schadenhöhe trennen. Die Versicherung kann problemlos bestätigen, dass ihr Kunde den Unfall verursacht hat („Ja, wir sind schuld“), sich aber trotzdem vorbehalten, die Höhe der Reparaturrechnung später zu überprüfen. Das Fehlen des Sachverständigengutachtens darf die Bestätigung der Schuldfrage nicht verzögern.
Fokussieren Sie sich in der Korrespondenz stets nur auf die Bestätigung der „Haftung dem Grunde nach“ und trennen Sie diesen juristischen Punkt konsequent von der Überprüfung der späteren Reparaturkosten.
Wer trägt die gesamten Prozesskosten, wenn die Versicherung erst nach Klageerhebung einlenkt?
Wenn die gegnerische Versicherung erst nach Einreichung der Klage die vollständige Haftung anerkennt, muss sie die gesamten entstandenen Prozesskosten tragen. Das Gericht entscheidet in solchen Fällen über die Kostenlast basierend auf der sogenannten Billigkeitsentscheidung nach § 91a ZPO. Diese Regelung schützt Geschädigte davor, auf Anwalts- und Gerichtskosten sitzen zu bleiben, wenn die Klage durch das zögerliche Verhalten der Versicherung provoziert wurde.
Das Gericht prüft im Rahmen des § 91a ZPO hypothetisch, wie der Rechtsstreit ohne das späte Anerkenntnis ausgegangen wäre. Wird festgestellt, dass die Versicherung „Anlass zur Klage gegeben“ hat, wird ihr die Kostenlast auferlegt. Dies ist der Fall, wenn die Versicherung vor der Klage keine eindeutige Erklärung zur Haftung abgegeben oder ausweichende Formulierungen verwendet hat. Der Geschädigte musste zum Gang vor Gericht gezwungen werden, um seine berechtigten Ansprüche durchzusetzen und Rechtssicherheit zu erhalten.
Dieses Prinzip verhindert effektiv, dass Versicherungen versuchen, das Prozesskostenrisiko durch unnötige Verzögerung auf den Geschädigten abzuwälzen. Hätte die Versicherung die Haftung dem Grunde nach bereits vor Klageerhebung eindeutig bestätigt, wäre der Rechtsstreit vermeidbar gewesen. Da sie dies versäumte, trägt sie die Verantwortung für die dadurch verursachten Mehrkosten. Die Frage, ob die Haftung dem Grunde nach besteht, ist dabei strikt von der späteren Überprüfung der Schadenhöhe zu trennen.
Fordern Sie Ihren Rechtsbeistand unverzüglich auf, einen Kostenantrag gemäß § 91a ZPO zu stellen, um die formelle Übertragung der Kostenlast auf die Versicherung sicherzustellen.
Was gilt als „Veranlassung zur Klage“ und schützt mich vor dem Kostenrisiko nach § 93 ZPO?
Die Veranlassung zur Klage ist ein zentraler Mechanismus im Zivilprozessrecht, der Geschädigte vor der Bestrafung als voreiliger Kläger schützt (§ 93 ZPO). Eine Veranlassung liegt immer dann vor, wenn das Verhalten der beklagten Versicherung dem Geschädigten vernünftigerweise den Eindruck vermittelt, er müsse klagen, um sein Recht durchzusetzen. Entscheidend ist der Nachweis, dass die Versicherung auf explizite Nachfrage hin entweder geschwiegen oder eine klare Haftungsbestätigung verweigert hat.
Gerichte stellen fest, dass bereits das Schweigen oder das Ausweichen der Versicherung auf eine klare Anforderung hin die Klage rechtfertigt. Antworten wie „Wir sind regulierungsbereit“ sind juristisch viel zu unbestimmt und gelten nicht als rechtsverbindliches Anerkenntnis der 100%igen Haftung. Da die Versicherung durch solche mehrdeutigen Floskeln keine Rechtssicherheit bietet, ist der Geschädigte gezwungen, das Gericht einzuschalten. Dieses zögerliche Verhalten wälzt das Prozesskostenrisiko ungerechtfertigt auf den Kläger ab.
Um rechtlich wasserdicht zu dokumentieren, dass die Gegenseite Veranlassung gegeben hat, muss die Haftungsbestätigung mehrmals eingefordert werden. Es genügt nicht, nur einmalig unkonkret nachzufragen. Vielmehr muss der Geschädigte oder dessen Anwalt die Versicherung mindestens zweimal klar, nachdrücklich und unter Fristsetzung zur Bestätigung der Haftung dem Grunde nach auffordern. Nur wenn diese Aufforderungen ignoriert oder unklar beantwortet werden, gilt die Klage als letzte logische Konsequenz der verweigerten Kooperation.
Stellen Sie sicher, dass Ihre Klageschrift lückenlos dokumentiert, wann und wie oft Sie die Gegenseite zur eindeutigen Haftungsbestätigung aufgefordert haben und welche unklare oder fehlende Antwort Sie daraufhin erhalten haben.
Wie lange muss ich warten, bis ich klage, wenn die Versicherung nur ausweichend antwortet?
Wenn die Gegenseite nur ausweichend antwortet, dürfen Sie nicht ewig warten, bis Sie Klage erheben. Nachdem Sie die Versicherung explizit zur Bestätigung der 100%igen Haftung aufgefordert und eine angemessene Frist gesetzt haben, ist eine Klage typischerweise nach vier bis fünf Wochen (Gesamtzeit) akzeptabel. Entscheidend ist die lückenlose Dokumentation, dass die Versicherung Ihnen die notwendige Rechtssicherheit verweigert hat.
Der Zeitrahmen ergibt sich aus der Notwendigkeit, der Versicherung mehrmals Gelegenheit zur Klärung zu geben. Reagiert die Versicherung auf Ihre erste Aufforderung mit einer vagen Floskel wie „regulierungsbereit“, sollten Sie sofort eine kurze, aber eindeutige Nachfrist setzen. Zehn Werktage gelten hier als angemessen. Das Ziel ist es, der Versicherung Anlass zur Klage zu geben und zu beweisen, dass sie Sie vorsätzlich hingehalten hat, bevor Sie den juristischen Weg beschreiten.
Konkret: Im Präzedenzfall, der vor dem Landgericht Stuttgart verhandelt wurde, forderte der Anwalt die Haftungsbestätigung am 18. November. Nachdem die Versicherung auswich, hakte er am 29. November erneut nach. Weil die Versicherung weiterhin keine klare Erklärung abgab, reichte die Klägerin am 22. Dezember Klage ein. Der ‚Geduldsfaden‘ riss nach ziemlich genau fünf Wochen. Haben Sie seit Ihrer letzten klaren Aufforderung zur Haftungsbestätigung mindestens drei Wochen verstreichen lassen, ohne eine eindeutige Antwort zu erhalten, sollten Sie über Ihren Anwalt die Klage einleiten.
Verzögern Sie nicht unnötig, da die Klage die Verjährungsfristen hemmt und Ihnen hilft, Ihr Recht durchzusetzen.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Billigkeitsentscheidung (§ 91a ZPO)
Eine Billigkeitsentscheidung ist die gerichtliche Kostenverteilung nach Erledigung eines Rechtsstreits, bei der der Richter prüft, wer ohne die Erledigung wahrscheinlich gewonnen hätte. Der Richter trifft diese Entscheidung nach „billigem Ermessen“, also fair und gerecht, um eine Kostenlastverteilung zu sichern, die dem mutmaßlichen Prozessausgang entspricht. Das Gesetz will damit verhindern, dass eine Partei nur deshalb auf Kosten sitzen bleibt, weil der Prozess vorzeitig endet.
Beispiel: Da die Versicherung die Haftung erst nach Klageerhebung anerkannte und der Fall sich dadurch erledigte, traf das Gericht eine Billigkeitsentscheidung und legte ihr die gesamten Prozesskosten auf.
Einstandspflicht
Einstandspflicht bezeichnet die rechtliche Verpflichtung einer Versicherung, für einen Schaden aufzukommen, den ihr Versicherungsnehmer verursacht hat. Juristen nutzen diesen Begriff, um die grundsätzliche Zahlungspflicht klar zu benennen. Die Feststellung der Einstandspflicht ist der erste und wichtigste Schritt, bevor über die genaue Schadenshöhe verhandelt wird.
Beispiel: Die Klägerin verlangte von der Versicherung eine klare Bestätigung ihrer Einstandspflicht, um sicherzugehen, dass diese für den Unfallschaden haftet.
Haftung dem Grunde nach
Haftung dem Grunde nach bedeutet die Anerkennung der reinen Schuldfrage an einem Unfall, völlig losgelöst von der späteren Höhe des Schadens. Diese juristische Trennung schafft für den Geschädigten frühzeitig Rechtssicherheit. Er weiß dann, dass der Gegner zahlt, auch wenn noch unklar ist, wie viel genau.
Beispiel: Der Anwalt der Geschädigten forderte die Versicherung auf, die Haftung dem Grunde nach anzuerkennen, doch diese antwortete nur ausweichend.
Regulierungsbereit
Die Formulierung „regulierungsbereit“ ist eine juristisch unverbindliche Aussage einer Versicherung, die lediglich eine Prüf- oder Gesprächsbereitschaft signalisiert. Gerichte werten diese Phrase nicht als Haftungsanerkenntnis, da sie keine klare Zusage zur vollständigen Schadensübernahme enthält. Versicherer nutzen sie oft, um Zeit zu gewinnen, ohne sich rechtlich festzulegen.
Beispiel: Das Landgericht Stuttgart entschied, dass die Floskel „Wir sind regulierungsbereit“ nicht ausreichte, um der Klägerin die notwendige Rechtssicherheit zu geben.
Sofortiges Anerkenntnis (§ 93 ZPO)
Ein sofortiges Anerkenntnis liegt vor, wenn ein Beklagter den Anspruch direkt nach Klageerhebung vollständig zugibt und zuvor keinen Anlass zur Klage gegeben hat. Diese Regelung soll Kläger bestrafen, die unnötigerweise klagen, obwohl der Gegner zahlungswillig war. In so einem Fall muss der Kläger trotz seines „Sieges“ die gesamten Prozesskosten tragen.
Beispiel: Die Versicherung konnte sich hier nicht auf ein sofortiges Anerkenntnis berufen, weil sie durch ihr zögerliches Verhalten vor dem Prozess sehr wohl Anlass zur Klage gegeben hatte.
Veranlassung zur Klage
Veranlassung zur Klage gibt ein Beklagter, wenn sein Verhalten vor dem Prozess dem Kläger vernünftigerweise den Eindruck vermittelt, er könne nur mit gerichtlicher Hilfe zu seinem Recht kommen. Das Gesetz schützt damit Kläger vor den negativen Kostenfolgen eines sofortigen Anerkenntnisses (§ 93 ZPO). Wer zur Klage „provoziert“ wird, soll nicht auch noch die Kosten dafür tragen müssen.
Beispiel: Das Gericht sah eine Veranlassung zur Klage als gegeben an, da die Versicherung auf die wiederholte Bitte um eine Haftungsbestätigung nur ausweichend geantwortet hatte.
Das vorliegende Urteil
Landgericht Stuttgart – Aktenzeichen: 2 T 56/23
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