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Schadenersatz bei Vorschäden am Fahrzeug: Gericht muss Mindestschaden schätzen

Ein Geschädigter forderte Schadenersatz bei Vorschäden am Fahrzeug, doch das Landgericht wies die Klage wegen eines mangelhaften Privatgutachtens vollständig ab. Die vollständige Abweisung war laut Kammergericht unzulässig, denn das Gericht hätte den Mindestschaden durch einen Sachverständigen schätzen müssen.

Zum vorliegenden Urteil Az.: 25 U 40/25 | Schlüsselerkenntnis | FAQ  | Glossar  | Kontakt

Das Wichtigste in Kürze

  • Gericht: Kammergericht Berlin
  • Datum: 03.09.2025
  • Aktenzeichen: 25 U 40/25
  • Verfahren: Berufung (Entscheidung ohne mündliche Verhandlung)
  • Rechtsbereiche: Schadenersatz (Verkehrsunfallrecht), Zivilprozessrecht (Beweislast)

  • Das Problem: Die Klägerin forderte Schadenersatz für einen Unfallschaden. Die Gegenseite lehnte dies ab, da alte Vorschäden die Höhe des neuen Schadens unklar machten. Das Erstgericht wies die Klage komplett ab, da der Schaden angeblich nicht nachweisbar war.
  • Die Rechtsfrage: Muss ein Geschädigter seinen Schaden genau nachweisen, auch wenn das Auto schon Vorschäden hatte? Muss das Gericht einen angebotenen Sachverständigen beauftragen, bevor es die Klage abweist?
  • Die Antwort: Nein. Das Kammergericht hob das Urteil auf und verwies den Fall zurück an das Landgericht. Das Gericht hätte den angebotenen Sachverständigen bestellen müssen, um den Schaden festzustellen oder zu schätzen. Allein die Existenz alter Vorschäden verbietet keine Schadensfeststellung.
  • Die Bedeutung: Geschädigte müssen bei komplexen Vorschäden ihren Schaden nicht lückenlos beweisen. Gerichte dürfen einen Schaden nicht vollständig ablehnen, wenn ein gerichtlicher Sachverständiger helfen könnte, zumindest einen Mindestschaden zu schätzen.

Bekomme ich Schadenersatz trotz Vorschäden am Auto?

Ein Verkehrsunfall ist ärgerlich genug, doch für Besitzer von Gebrauchtwagen lauert im anschließenden Rechtsstreit oft eine tückische Falle: die sogenannten Vorschäden. Genau dieses Szenario lag dem Kammergericht Berlin am 3. September 2025 unter dem Aktenzeichen 25 U 40/25 zur Entscheidung vor. Die Klägerin forderte nach einem Unfall Schadenersatz und legte ein privates Gutachten vor. Die Gegenseite, also die beklagte Versicherung und der Fahrer, spielten jedoch die Karte der „nicht fachgerecht reparierten Vorschäden“.

Ein Kfz-Sachverständiger untersucht kniend eine Karosseriestelle, an der neue Schäden schlecht reparierten Vorschaden offenlegen.
Kammergericht: Vorschäden rechtfertigen nicht die pauschale Ablehnung eines Gerichtsgutachtens. | Symbolbild: KI

Das Argument der Beklagten war simpel aber wirkungsvoll: Das Auto habe bereits vor dem Unfall Schäden gehabt. Da nicht klar sei, was genau davon repariert wurde, könne man den neuen Schaden gar nicht vom alten trennen. Das Landgericht Berlin II folgte dieser Argumentation im Februar 2025 noch und wies die Klage komplett ab. Die Begründung lautete, das private Gutachten sei wegen der ignorierten Vorschäden unbrauchbar und der Schaden somit nicht bewiesen. Doch das Kammergericht sah dies anders und deckte einen gravierenden Verfahrensfehler der ersten Instanz auf.

Wie beweise ich meinen Schaden vor Gericht?

Um die Brisanz dieses Urteils zu verstehen, muss man die Mechanik des Zivilprozesses betrachten, speziell das Zusammenspiel von § 286 ZPO und § 287 ZPO. Normalerweise muss ein Kläger jede Behauptung voll beweisen, also das Gericht zu hundert Prozent überzeugen. Im Schadensrecht gibt es jedoch eine wichtige Erleichterung für den Geschädigten: § 287 der Zivilprozessordnung (ZPO).

Diese Vorschrift erlaubt dem Richter, die Höhe des Schadens zu schätzen, sobald feststeht, dass dem Grunde nach ein Haftungsanspruch besteht. Der Kläger muss nicht mehr jedes letzte Detail lückenlos beweisen, sondern dem Gericht lediglich eine ausreichende Schätzgrundlage liefern – oft „überwiegende Wahrscheinlichkeit“ genannt. Ein zentrales Element hierbei ist der Unterschied zwischen einem Privatgutachten, das eine Partei vor dem Prozess beauftragt, und einem gerichtlichen Sachverständigengutachten, das vom Richter im laufenden Prozess angeordnet wird. Während das Privatgutachten oft als parteiischer Vortrag gewertet wird, ist der vom Gericht bestellte Experte das „Auge des Richters“.

Warum war die Klageabweisung fehlerhaft?

Das Kammergericht Berlin hob das Urteil der Vorinstanz auf und verwies den Fall zurück an das Landgericht. Die Richter des Senats machten deutlich, dass das Landgericht es sich zu einfach gemacht hatte. Die Analyse der Entscheidung zeigt, wie sehr die Instanzgerichte an die korrekte Erhebung von Beweisen gebunden sind.

Reicht ein mangelhaftes Privatgutachten für das Prozess-Aus?

Das Landgericht hatte die Klage abgewiesen, weil das von der Klägerin vorgelegte Privatgutachten die behaupteten Vorschäden nicht berücksichtigte. Für das Erstgericht war das Gutachten damit „nicht überzeugend“ und der Beweis gescheitert. Das Kammergericht widersprach dieser Logik vehement. Selbst wenn ein Privatgutachten Schwächen hat oder Vorschäden ignoriert, darf das Gericht die Klage nicht sofort abweisen. Das private Gutachten ist lediglich ein Qualifizierter Parteivortrag. Wenn dieser Vortrag Lücken aufweist, ist das Prozessende noch nicht erreicht, solange die Partei weitere Beweismittel anbietet.

Muss das Gericht einen Sachverständigen bestellen?

Dies ist der entscheidende Knackpunkt des Urteils. Die Klägerin hatte im Prozess ausdrücklich angeboten, dass ein gerichtlicher Sachverständiger den Schaden begutachten solle. Das Landgericht ignorierte diesen Antrag mit dem Argument, der Schaden sei ja durch das schlechte Privatgutachten nicht dargelegt. Das Kammergericht rügte dies als Verfahrensfehler. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH), insbesondere unter Verweis auf den Beschluss vom 15. Oktober 2019 (VI ZR 377/18), ist der Geschädigte nicht verpflichtet, schon vorab ein perfektes Privatgutachten zu liefern.

Bietet der Kläger den Beweis durch ein Gerichtsgutachten an, muss der Richter diesem Antrag nachgehen. Das Gericht darf nicht einfach behaupten, eine Begutachtung sei wegen der Vorschäden ohnehin nicht mehr möglich, ohne dies tatsächlich durch einen Experten prüfen zu lassen. Die unterlassene Beweiserhebung verletzte den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör.

Führen Altschäden zum Verlust aller Ansprüche?

Ein weiteres Argument der Vorinstanz war, dass wegen der angeblich unklaren Reparatur der Vorschäden gar kein Schaden feststellbar sei. Auch hier grätschte das Kammergericht dazwischen. Nach aktueller BGH-Rechtsprechung (etwa BGH VI ZR 122/23 vom 30. Juli 2024) führen Vorschäden nicht automatisch zur kompletten Klageabweisung („Alles oder Nichts“-Prinzip).

Selbst wenn Vorschäden existieren und vielleicht nicht perfekt repariert wurden, ist es oft möglich, zumindest einen „Mindestschaden“ festzustellen. Ein gerichtlicher Gutachter kann häufig differenzieren, welche Teile durch den neuen Unfall betroffen sind und welche bereits beschädigt waren. Zudem kann er schätzen, was eine Reparatur kosten würde, um zumindest den vor dem neuen Unfall bestehenden Zustand wiederherzustellen. Da die behaupteten Vorschäden hier sogar aus der Zeit vor dem Erwerb des Fahrzeugs durch die Klägerin stammten, gelten zudem erleichterte Darlegungspflichten. Das pauschale „Nein“ des Landgerichts war somit rechtlich nicht haltbar.

Was gilt bei unklaren Vorschäden im Prozess?

Das Urteil des Kammergerichts stellt klar, dass Gerichte sich nicht hinter formalen Hürden verstecken dürfen, um aufwendige Beweisaufnahmen zu vermeiden. Die bloße Existenz von Vorschäden oder ein lückenhaftes Privatgutachten rechtfertigen keine sofortige Klageabweisung.

Wenn ein Unfallopfer die Begutachtung durch einen gerichtlichen Sachverständigen beantragt, muss das Gericht diesem Beweisangebot in aller Regel nachkommen. Ziel muss es sein, unter Anwendung von § 287 ZPO zumindest einen Mindestschaden zu schätzen. Das Verfahren wurde nun an das Landgericht zurückverwiesen, das die versäumte Beweisaufnahme – also die Beauftragung eines Experten und die Prüfung der Eigentumsverhältnisse – nachholen muss. Für Kläger bedeutet dies: Wer einen Beweisantrag auf ein Gerichtsgutachten stellt, hält das Verfahren auch dann offen, wenn das eigene Privatgutachten angegriffen wird.

Die Urteilslogik

Gerichte dürfen die Beweisführung im Schadensrecht nicht an überzogenen formalen Anforderungen scheitern lassen, um aufwendige Sachverhaltsaufklärung zu vermeiden.

  • Gericht muss Beweisanfragen nachkommen: Ein Gericht muss den beantragten Beweis durch einen gerichtlichen Sachverständigen erheben; es darf die Begutachtung nicht mit dem Verweis auf Mängel des vorangegangenen Privatgutachtens ablehnen.
  • Privatgutachten bestimmen das Verfahren nicht: Ein privates Sachverständigengutachten dient lediglich als qualifizierter Parteivortrag; seine mangelnde Überzeugungskraft allein rechtfertigt niemals die vollständige Abweisung der Klage, solange die beweisbelastete Partei weitere Beweismittel anbietet.
  • Die Schätzung des Mindestschadens ist Pflicht: Die bloße Existenz von Vorschäden begründet keine pauschale Klageabweisung, sondern verpflichtet das Gericht, mithilfe der Beweiserleichterung des § 287 ZPO einen feststellbaren Mindestschaden zu ermitteln.

Der Zivilprozess sichert dem Geschädigten Beweiserleichterungen zu, die Gerichte konsequent anwenden müssen, um den grundrechtlichen Anspruch auf rechtliches Gehör zu wahren.


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Haben Sie Schwierigkeiten beim Nachweis eines Unfallschadens wegen alter Vorschäden? Kontaktieren Sie uns für eine unverbindliche rechtliche Ersteinschätzung Ihrer Ansprüche.


Experten Kommentar

Wenn ein Auto schon vorbelastet ist, wetten viele Versicherungen darauf, dass der Geschädigte den neuen Schaden nicht mehr beweisen kann. Dieses Urteil zieht dieser Taktik konsequent den Zahn: Es stellt klar, dass Gerichte sich nicht hinter formalen Mängeln eines Privatgutachtens verstecken dürfen, um eine aufwendige Beweisaufnahme zu umgehen. Das Gericht muss dem Antrag auf einen gerichtlichen Sachverständigen folgen, selbst wenn die Schadenslage durch Vorschäden kompliziert ist. Für Geschädigte bedeutet das: Die Existenz von Altschäden führt nie automatisch zur vollständigen Klageabweisung, sondern erlaubt dem Richter die Schätzung eines Mindestschadens.


Häufig gestellte Fragen (FAQ)

Bekomme ich bei einem Unfall Schadenersatz, wenn mein Gebrauchtwagen Vorschäden hat?

Ja, die Existenz von Vorschäden führt keinesfalls zum automatischen Verlust Ihres gesamten Schadenersatzanspruchs. Versicherungen versuchen oft, die Zahlung mit dem Argument der Vorschäden komplett zu blockieren. Die höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) lehnt dieses „Alles-oder-Nichts“-Prinzip jedoch strikt ab. Sie haben einen Anspruch darauf, dass der Schaden aus dem aktuellen Unfall ermittelt und ersetzt wird.

Sobald die Haftung für den neuen Unfall dem Grunde nach feststeht, müssen die Gerichte den tatsächlichen Schaden ermitteln. Richter sind verpflichtet, die Höhe des Schadens gemäß der Beweiserleichterung des Paragrafen 287 Zivilprozessordnung (ZPO) zu schätzen. Diese Vorschrift erlaubt es, die Kosten auch ohne lückenlosen Nachweis des gesamten Reparaturverlaufs zu bestimmen. Die aktuelle BGH-Rechtsprechung (etwa VI ZR 122/23) verpflichtet Gerichte explizit dazu, zumindest den Mindestschaden festzustellen, der nachweislich durch das neue Ereignis entstanden ist.

Ein gerichtlicher Sachverständiger kann fast immer differenzieren, welche Beschädigungen eindeutig dem aktuellen Unfall zuzurechnen sind. Der Experte grenzt die frischen Unfallspuren technisch von den Altschäden ab. Die Gutachter konzentrieren sich darauf, die Kosten zu ermitteln, die mindestens notwendig sind, um Ihr Fahrzeug in den Zustand direkt vor dem jüngsten Schadensereignis zu versetzen. Diese juristische Verpflichtung zur Schätzung verhindert eine pauschale Ablehnung Ihres Anspruchs.

Wenn die Vorschäden bereits vor Ihrem Erwerb existierten, fordern Sie alle Belege von Ihrem Anwalt an, da hierfür erleichterte Darlegungspflichten gelten.


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Darf die gegnerische Versicherung meine Ansprüche wegen nicht reparierter Vorschäden ablehnen?

Nein, die pauschale Ablehnung Ihrer Schadenersatzansprüche ist rechtlich nicht tragfähig. Die gegnerische Versicherung nutzt die Behauptung „nicht fachgerecht reparierter Vorschäden“ häufig als einfache Strategie, um Zahlungen zu verweigern. Gerichte dürfen diesem reinen Parteivortrag jedoch nicht folgen, ohne den Schaden zuvor gründlich zu prüfen. Wenn die Haftung des Gegners feststeht, muss der Richter versuchen, den entstandenen Schaden zu ermitteln.

Selbst wenn Vorschäden existieren und möglicherweise mangelhaft repariert wurden, führt das nicht automatisch zum kompletten Verlust aller Ansprüche. Das Kammergericht Berlin stellte in einem relevanten Fall klar, dass Gerichte nicht einfach annehmen dürfen, eine Begutachtung sei unmöglich. Stattdessen müssen Richter die Schätzbarkeit des Schadens durch einen Sachverständigen feststellen lassen, den sie selbst beauftragen. Dies ist die zwingende Voraussetzung, um einen Prozessfehler zu vermeiden.

Die Grundlage für diese Pflicht ergibt sich aus § 287 der Zivilprozessordnung. Dieses Gesetz erleichtert die Beweisführung bei der Schadenshöhe, indem es Richtern erlaubt, den Schaden zu schätzen. Ein gerichtlich bestellter Experte kann fast immer feststellen, welche Beschädigungen eindeutig durch den aktuellen Unfall entstanden. Die pauschale Behauptung der Versicherung ersetzt niemals eine fundierte Begutachtung, die den tatsächlichen Mindestschaden ermittelt.

Wenn die Versicherung die Vorschäden thematisiert, fordern Sie Ihren Anwalt auf, unverzüglich klarzustellen, dass der neue Schaden zumindest teilweise nach § 287 ZPO schätzbar ist.


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Was muss ich tun, wenn mein eigenes Gutachten die Vorschäden am Auto nicht beachtet hat?

Ein fehlerhaftes Privatgutachten ist ärgerlich, führt aber nicht automatisch zum Verlust Ihres gesamten Schadenersatzanspruchs. Ihr Gutachten wird vor Gericht lediglich als qualifizierter Parteivortrag gewertet und besitzt keine zwingende Beweiskraft im Sinne der Zivilprozessordnung. Sie müssen umgehend reagieren, indem Sie den Beweis durch die Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens beantragen.

Das Kammergericht Berlin stellte in einem zentralen Urteil klar: Selbst wenn das Privatgutachten Schwächen hat oder Vorschäden ignoriert, entbindet dies das Gericht nicht von seiner Pflicht. Der Richter muss grundsätzlich alle angebotenen, zulässigen Beweismittel erheben, um den tatsächlichen Schaden zu klären. Das Gericht darf die Klage nicht vorschnell abweisen, weil es die Meinung des von Ihnen beauftragten Gutachters als unzureichend ansieht.

Der entscheidende Schritt ist die Schaffung einer ausreichenden Schätzgrundlage für das Gericht. Wenn Ihr Privatgutachten Lücken aufweist, muss dem Richter die Möglichkeit gegeben werden, den Schaden nach § 287 ZPO (Schätzung) festzustellen. Der Antrag auf ein Gerichtsgutachten dient als Ihr juristischer „zweiter Anker“. Sie vermeiden damit den zentralen Verfahrensfehler der ersten Instanz, welche die Klage abwies, weil sie das mangelhafte Gutachten als alleinige Basis akzeptiert hatte.

Sichern Sie Ihre Ansprüche, indem Sie in den Schriftsätzen explizit die Einholung eines unabhängigen Gerichtsgutachtens anbieten, um die offenen Lücken zu schließen.


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Wann muss das Gericht einen eigenen Sachverständigen trotz fehlerhaftem Privatgutachten beauftragen?

Die Pflicht des Gerichts zur Beauftragung eines eigenen Sachverständigen entsteht, sobald der Kläger diesen Beweis im Prozess explizit beantragt. Entscheidend ist hierbei der förmliche Beweisantrag auf Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens. Die Ablehnung dieses Antrags, nur weil das private Gutachten Mängel aufweist, stellt einen gravierenden Verfahrensfehler dar und verletzt den Anspruch auf rechtliches Gehör.

Das Gericht darf die Beweiserhebung nicht mit der pauschalen Begründung ignorieren, der Schaden sei wegen vorhandener Vorschäden ohnehin nicht begutachtbar. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH VI ZR 377/18) muss der Richter dem Beweisangebot in aller Regel nachkommen, um die Schadenshöhe festzustellen. Ihr privates Gutachten gilt lediglich als qualifizierter Parteivortrag; es ist juristisch kein zwingendes Beweismittel, das über den Erfolg der Klage entscheidet.

Ein Gericht macht sich die Beweisaufnahme zu einfach, wenn es die Klage nur aufgrund der Mangelhaftigkeit des Privatgutachtens abweist. War der Beweisantrag auf ein Gerichtsgutachten gestellt und übergangen, kann das Urteil in der Berufungsinstanz aufgehoben werden, wie es im Fall vor dem Kammergericht Berlin geschah. Das Gericht muss die versäumte Beweisaufnahme dann nachholen, um eine fundierte Entscheidungsgrundlage zu schaffen und den Schaden zumindest nach § 287 ZPO schätzen zu können.

Prüfen Sie sofort, ob in Ihrer Klageschrift oder im Hauptverhandlungsprotokoll ausdrücklich die Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens beantragt wurde.


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Wie kann der Mindestschaden festgestellt werden, wenn der Vorschaden nicht klar nachweisbar ist?

Die fehlende Dokumentation alter Reparaturen oder unklare Vorschäden führen nicht automatisch zum Verlust Ihres Anspruchs. Die deutsche Zivilprozessordnung bietet hierbei eine wichtige Erleichterung: die gerichtliche Schätzung des Schadens nach § 287 ZPO. Diesen Paragrafen nutzen Gerichte, um den Betrag festzustellen, der Ihnen mindestens zusteht (Mindestschaden). Der Richter ist hierbei nicht auf einen lückenlosen Beweis angewiesen, sondern auf eine überwiegende Wahrscheinlichkeit.

Der Gesetzgeber erkannte, dass der Geschädigte die genaue Schadenshöhe oft nur schwer beweisen kann, insbesondere bei älteren Gebrauchtwagen. Daher verlangt § 287 ZPO lediglich die „überwiegende Wahrscheinlichkeit“ des Schadenseintritts. Gerichtliche Gutachter konzentrieren sich darauf, welche Beschädigungen eindeutig durch den aktuellen Unfall entstanden. Sie müssen nicht die gesamte, teils unklare Reparaturhistorie des Wagens lückenlos rekonstruieren. Die Schätzung zielt primär darauf ab, den Geschädigten so zu stellen, wie er unmittelbar vor dem aktuellen Schadenereignis stand.

Sachverständige verwenden spezielle technische Methoden, um neue von alten Schäden zu trennen. Sie analysieren beispielsweise die Richtung und Stärke der Krafteinwirkung, um festzustellen, welche Verformungen definitiv auf das aktuelle Ereignis zurückzuführen sind. Oft ist es möglich, zumindest die Kosten für die Wiederherstellung der Teile festzulegen, die nachweislich vor dem neuen Unfall unversehrt waren. Ein Gericht darf die Klage nicht vorschnell abweisen, indem es die Begutachtung wegen überlagerter Schäden für unmöglich erklärt.

Um die gerichtliche Schätzung zu erleichtern, teilen Sie Ihrem Gutachter präzise mit, welche Fahrzeugteile vor dem neuen Unfall nach Ihrer Kenntnis noch unversehrt waren.


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Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.


Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt

Beweiserleichterung (§ 287 ZPO)

Die Beweiserleichterung gemäß § 287 der Zivilprozessordnung (ZPO) ist eine wichtige Vorschrift, die Richtern bei der Feststellung der Schadenshöhe erlaubt, den Betrag zu schätzen, anstatt einen lückenlosen, hundertprozentigen Beweis zu fordern. Das Gesetz räumt dem Geschädigten diesen Vorteil ein, weil der Nachweis der genauen Schadenssumme im Unfallrecht oft nur schwer oder gar nicht möglich ist, und fördert damit eine pragmatische Regulierung.
Beispiel: Wendet das Gericht die Beweiserleichterung an, muss die Klägerin bei ihren Vorschäden nicht die gesamte Reparaturhistorie lückenlos belegen, sondern lediglich eine ausreichende Schätzgrundlage für den Richter liefern.

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Gerichtliches Sachverständigengutachten

Ein Gerichtliches Sachverständigengutachten wird vom Richter im laufenden Prozess angeordnet und dient dazu, dem Gericht fundierte, neutrale Fakten zur Klärung technischer Fragen – etwa zum Umfang eines Schadens – zu liefern. Weil der Richter nicht das Fachwissen für alle technischen Details besitzt, fungiert der bestellte Sachverständige als „Auge des Richters“ und hilft, die objektive Wahrheit festzustellen.
Beispiel: Das Kammergericht rügte das Landgericht, weil es den Antrag der Klägerin auf Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens ignorierte, obwohl dieser Beweisantrag zwingend zu berücksichtigen war.

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Mindestschaden

Juristen sprechen vom Mindestschaden, wenn Gerichte im Rahmen der Schätzung nach § 287 ZPO den Betrag feststellen, der dem Geschädigten unzweifelhaft und nachweislich durch das Schadensereignis zusteht. Dieses Prinzip verhindert, dass Unfallopfer bei unklarer Schadenshistorie oder Vorschäden aufgrund des „Alles-oder-Nichts“-Prinzips komplett ohne Schadenersatz dastehen.
Beispiel: Trotz der behaupteten Vorschäden am Fahrzeug musste das Gericht den Mindestschaden ermitteln, der definitiv durch den jüngsten Auffahrunfall verursacht wurde und feststellbar war.

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Privatgutachten

Ein Privatgutachten ist eine Expertise, die eine der Prozessparteien (Kläger oder Beklagter) vor oder während des Gerichtsverfahrens in Auftrag gibt, um die eigene Darstellung des Sachverhalts technisch zu untermauern. Es dient primär als Hilfsmittel zur Vorbereitung des Rechtsstreits und zur Darstellung der eigenen Position, weshalb es vor Gericht keine zwingende Beweiskraft besitzt.
Beispiel: Obwohl das Landgericht das Privatgutachten der Klägerin wegen der ignorierten Vorschäden als unbrauchbar einstufte, durfte es die Klage deswegen nicht sofort abweisen.

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Qualifizierter Parteivortrag

Als Qualifizierter Parteivortrag wird die juristische Einordnung von schriftlichem Material bezeichnet, das zwar inhaltlich fundiert ist (typischerweise ein Privatgutachten), aber mangels Neutralität rechtlich nur als eine besonders untermauerte Behauptung der Partei gilt. Da ein solches Gutachten von einer Partei bezahlt und beauftragt wurde, muss es formal niedriger eingestuft werden als ein neutrales Sachverständigengutachten, das direkt vom Richter bestellt wurde.
Beispiel: Selbst wenn der Sachverständige im Privatgutachten eine bestimmte Reparaturhöhe feststellt, ist dies nur ein qualifizierter Parteivortrag, der nicht automatisch zum Beweis des vollen Schadens führt.

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Verfahrensfehler

Ein Verfahrensfehler liegt vor, wenn ein Gericht im Laufe des Prozesses gegen wesentliche formelle Regeln der Zivilprozessordnung verstößt, was häufig eine Verletzung der Rechte der Parteien (wie dem rechtlichen Gehör) darstellt und zur Aufhebung des Urteils führen kann. Die Prozessregeln sollen die Fairness und Transparenz gewährleisten; wurde eine solche Regel missachtet, muss die höhere Instanz den Fall oft zur erneuten Verhandlung zurückverweisen.
Beispiel: Ein gravierender Verfahrensfehler des Landgerichts bestand darin, das förmlich gestellte Beweisangebot der Klägerin auf die Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens unzulässigerweise zu ignorieren.

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Das vorliegende Urteil


KG Berlin – Az.: 25 U 40/25 – Urteil vom 03.09.2025


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