Klägerin erhält Schadensersatz nach Verkehrsunfall.
Die Klägerin fordert Schadensersatz aufgrund eines Verkehrsunfalls vom 29.10.2020 in Bückeburg. Die Klägerin hatte ihr geleastes Fahrzeug von der Firma W. abschleppen lassen und ein Schadensgutachten durch den TÜV N. erstellen lassen. Die Beklagte hat die alleinige Eintrittspflicht des Unfalls dem Grunde nach anerkannt. Es gibt keine Streitigkeiten über den Unfallhergang. Die Klägerin fordert von der Beklagten eine Erstattung der Sachverständigenkosten sowie der Standkosten des Fahrzeugs. Die Beklagte hat einen Teil der Sachverständigenkosten bereits ausgeglichen, lehnt jedoch die Erstattung der Standkosten ab.
Das Gericht gab der Klägerin recht und verurteilte die Beklagte zur Zahlung von Sachverständigen- und Standkosten. Die Klägerin hatte das Recht, fahrzeugbezogene Ansprüche im eigenen Namen geltend zu machen. Das Gericht stellte fest, dass die geforderten Sachverständigenkosten im Rahmen einer üblichen Vergütung lägen und die Kosten für die Nebenkostenpositionen auch angemessen seien. Das Gericht war der Ansicht, dass die Klägerin keine gegen ihre Schadensminderungspflicht verstoßen habe und somit auch Anspruch auf Standkosten habe.
Die Beklagte kann gegen das Urteil Berufung einlegen.
AG Bückeburg – Az.: 31 C 3/22 – Urteil vom 20.05.2022
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 734,04 € nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz auf einen Betrag in Höhe von 121,56 € seit dem 01.12.2020 sowie auf einen Betrag in Höhe von 612,48 € seit dem 04.05.2021zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 100,28 € nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 23.01.2022 zu zahlen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt Schadensersatz anlässlich eines Verkehrsunfalls vom 29.10.2020 in 3675 Bückeburg. Die Klägerin war zum Unfallzeitpunkt Halterin eines Pkw Seat MII mit dem amtlichen Kennzeichen SHG. Dieses Fahrzeug wurde von der Klägerin über die S. Leasing Zweigniederlassung der V. Leasing GmbH geleast.
Nach Ziffer. X.4 der Leasingbedingungen ist die Klägerin ermächtigt alle fahrzeugbezogenen Ansprüche aus einem Schadensfall im eigenem Namen geltend zu machen.
Am Unfalltag befuhr Herr Z. mit dem bei der Beklagten versicherten Fahrzeug und Herr P. S. mit dem Fahrzeug der Klägerin in benannter Reihenfolge die Maschstraße in Richtung Pulverstraße in 31675 Bückeburg. Bei einem Abbiegevorgang in die Dammstraße bemerkte Herr Z., dass diese durch das Verkehrszeichen 250 gekennzeichnet war. Er brach den Abbiegevorgang ab und setzte die Fahrt auf der Maschstraße fort. Dabei übersah er das Fahrzeug der Klägerin und es kam zu einem Zusammenstoß.
Der Unfallhergang sowie die alleinige Eintrittspflicht der Beklagten dem Grunde nach stehen außer Streit. Das klägerische Fahrzeug war nach dem Unfall nicht mehr fahrbereit und wurde von der Firma W. zum Betrieb nach Luhden abgeschleppt.
Die Klägerin ließ ein Schadensgutachten durch den TÜV N. erstellen. Mit Rechnung vom 12.11.2020 wurden der Klägerin hierfür Kosten in Höhe von insgesamt 1.089,36 € in Rechnung gestellt. Diese setzten sich wie folgt zusammen:
- Grundhonorar 834,00 €
- Fahrtkosten anteilig 25 km à 0,70 € 17,50 €
- Fotokosten 14 Stück à 2,00 € 28,00 €
- Schreibkosten 14 Seiten à 1,40 € 19,60 €
- Porto- und Telefonkosten 1 à 15,00 € 15,00 €
- Restwertbörse 1 Einst. 25,00 € 25,00 €
- Rechnungsbetrag netto 939,10 €
- Umsatzsteuer 16% 150,26 €
- Rechnungsbetrag brutto 1.089,36 €
Mit Rechnung vom 13.11.2020 wurden gegenüber der Klägerin die Abschleppkosten, Aufräum- und Reinigungsarbeiten sowie eine Standgebühr vom 29.10.2020 bis zum 13.11.2020 geltend gemacht.
Das streitgegenständliche Fahrzeug stand weiter vom 14.11.2020 bis zum 16.12.2020 bei dem Autozentrum W.. Für diesen Zeitraum wurden gegenüber der Klägerin Standkosten in Höhe von 612,48 € in Rechnung gestellt.
Die Beklagte zahlte auf die streitgegenständlichen Sachverständigenkosten einen Betrag in Höhe von 967,80 €. Die Standkosten für den Zeitraum vom 14.11.2020 bis zum 16.12.2020 wurden durch die Beklagte nicht ausgeglichen.
Mit Schreiben vom 11.12.2020 teilte die S. Leasing der Klägerin mit, dass aufgrund des Schadensfalls der Leasingvertrag auf ihren Wunsch vorzeitig zum 12.11.2020 beendet werde.
Mit weiteren Schreiben vom 17.11.2020 teilte S. Leasing der Klägerin mit, dass sie als Eigentümerin des streitgegenständlichen Fahrzeuges die Vermarktung selbst übernehmen werde.
Die Beklagte lehnte mit Schreiben vom 01.12.2022 eine weitergehende Schadensregulierung ab.
Das streitgegenständliche Fahrzeug wurde durch die Leasinggesellschaft am 11.12.2020 veräußert und am 16.12.2020 abgeholt.
Der TÜV N. GmbH trat am 23.08.2021 die noch offene Forderung in Höhe von 121,56 € an die Klägerin ab. Mit Schreiben vom 04.05.2021 lehnte die Beklagte eine Zahlung der noch offenen Forderungen ab.
Die Klage ist der Beklagten am 22.01.2022 zugestellt worden.
Die Klägerin ist der Ansicht, dass sie nicht gegen ihr Schadensminderungspflicht verstoßen habe.
Die Klägerin beantragt,
1. Die Beklagte zu verurteilen, an sie 734,04 € nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz auf einen Betrag in Höhe von 121,56 € seit dem 01.12.2020 sowie auf einen weiteren Betrag i.H.v. 612,48 € seit dem 16.04.2021 zu zahlen.
2. Die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 100,28 € nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Ansicht, dass sie ihre Leistungspflicht bereits erfüllt habe. Die geltend gemachten Sachverständigenkosten seien unangemessen. Nach der Honorartabelle H.C. 2020 ergebe sich bei einem Wiederbeschaffungswert von 7.350,00 €, mithin einem Schadensbetrag in Höhe von 7.500,00 € ein angemessenes Honorar von 947,00 € (netto). Die BVSK-Tabelle sei keine geeignete Schätzgrundlage. Diese basiere nur auf Angaben der an der jeweiligen Umfrage beteiligten Sachverständigen. Selbst bei Heranziehung der BSVK-Tabelle wäre bei einem einfach gelagerten Schadensfall der Mittelwert aus den Spalten HB I und HB III der BSVK-Tabelle heranzuziehen. Dies wäre im vorliegenden Fall 746,00 €.
Nebenkosten seien grundsätzlich nicht zu erstatten. Aber auch bei Anerkennung der Erstattungspflicht von Nebenkosten wäre die vorliegenden unangemessen hoch und nicht zu erstatten. Die berechneten Fotokosten für die Digitalfotos seien unangemessen hoch. Bei Drogeriemärkten könnten im Format 10 x 15 zu einem Stückpreis in Höhe von 0,09 € entwickelt werden. Zudem sei dies Gegenstand der Hauptleistungspflicht des Sachverständigen. Die Position Porto/Telefon, Schreibkosten und Restwertbörse sei nicht zu erstatten, da diese wesentliche Bestandteile des Gutachtens seien.
Auch könne sich die Klägerin nicht auf die Indizwirkung der Rechnung berufen, da nicht der Rechnungsbetrag, sondern der gezahlte Betrag entscheidend sei.
Die Beklagte ist der Ansicht, dass die Klägerin auch keinen Anspruch auf weitere Standkosten habe. Diese habe gegen ihre Schadensminderungspflicht verstoßen, da das Fahrzeug nicht unverzüglich verwertet worden sei und sie nicht rechtzeitig mitgeteilt habe, dass es sich um ein Leasingfahrzeug handle.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlage sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 06.05.2020 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet.
I.
Die Klägerin hat gegen die Beklagten einen Anspruch aus den §§ 115 ABs. 1 VVG i.V.m. § 1 PflVG i.V.m. §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 2 StVG auf Zahlung weiterer Sachverständigenkosten in Höhe von und weitere Standkosten in Höhe von 734,04 €.
Die Klägerin ist hinsichtlich der restlichen Sachverständigenkosten aktivlegitimiert, da die TÜV N. GmbH etwaige Ansprüche am 23.08.2021 gemäß § 398 BGB an die Klägerin abgetreten hat.
Gemäß § 249 Abs. 2 BGB kann der Geschädigte vom Schädiger als erforderlichen Herstellungsaufwand die Kosten erstattet verlangen, die vom Standpunkt eines verständigen, wirtschaftlich, denkenden Menschen in der Lage des Geschädigten zur Behebung des Schadens zweckmäßig und notwendig erscheinen. Der Geschädigte ist nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot gehalten, im Rahmen des ihm Zumutbaren den wirtschaftlicheren Weg der Schadensberechnung zu wählen, sofern er die Höhe der für die Schadensbeseitigung aufzuwendenden Kosten beeinflussen kann. Insbesondere ist der Geschädigte aber nicht zur Erforschung des ihm zugänglichen Markts verpflichtet. Er genügt seiner Darlegungslast regelmäßig durch Vorlage der Rechnung des beauftragten Sachverständigen. Dabei ist allerdings nicht jeder Rechnungsbetrag nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB zu erstatten, sondern nur der erforderliche Geldbetrag.
Es kann dahinstehen, ob der Rechnung des TÜV N. eine Indizwirkung zukommt. Jedenfalls liegen die noch streitgegenständlichen Kosten auch im Rahmen einer üblichen Vergütung, welche Höhe der Tatrichter gemäß § 287 ZPO zu bemessen hat. In Übereinstimmung mit obergerichtlicher Rechtsprechung kann zur Ermittlung der üblichen Vergütung die BVSK 2020 (Bundesverband der freiberuflichen und unabhängigen Sachverständigen für das Kraftfahrzeugwesen e.V.) herangezogen werden (vgl. BGH, Urteil vom 04.04.2006 – X ZR 112/05; OLG München, Endurteil vom 26.02.2016 – 10 U 579/15).
Danach liegt die geltend gemachte Grundvergütung in Höhe von 834,00 € im üblichen Rahmen der Tabelle nach der BVSK-Befragung 2020. Bei einer Schadenshöhe, die sich hier unstreitig auf 7.500,00 € beläuft, liegen 90% der BVSK-Mitglieder oberhalb eines Betrages von 741,00 € (HB II) und 95% der Mitglieder unterhalb eines Betrages in Höhe von 870,00 € (HB III). Das geltend gemachte Grundhonorar in Höhe von 834,00 € befindet sich innerhalb dieser Spanne. An dieser Honorarbefragung haben sich nach Angaben des BVSK 963 Mitglieder bundesweit beteiligt. Sie stellt daher eine ausreichend verlässliche Schätzgrundlage für das Gericht dar. Entgegen der Ansicht der Beklagten mussten vorliegend auch nicht die Werte aus HBI und HB II zugrunde gelegt werden, da diese Tabellen sich nicht auf den Schwierigkeitsgrad der Gutachtenerstellung beziehen.
Zu den erforderlichen Nebenkosten gehören auch Aufwendungen wie Fahrtkosten, Kosten für Schreiben, Drucken und Vervielfältigen des Gutachtens, Fotokosten, Porto-Versand-, und Telefonkosten. Zur Überprüfung der Angemessenheit der einzelnen Nebenkosten im Rahmen des § 287 ZPO stellt zwar die Befragung des BSVK keine taugliche Schätzgrundlage dar (vgl. BGH, Urteil vom 26.04.2016 – VI ZR 50/15). Es kann aber auf das JVEG zurückgegriffen werden, welches die Entschädigung von Sachverständigen vorgibt. Hinsichtlich der Höhe der einzelnen Nebenkostenpositionen hält das Gericht entsprechend des Rahmens des JVEG in Anwendung der weiter in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze folgende Nebenkostenhöhe für üblich und damit auch angemessen:
• Fotokosten 2,00 € je Lichtbild (vgl. § 12 Abs. 1 Nr. 2 JVEG)
• Porto- und Telefonkosten mit 15,00 € pauschal (vgl. § 12 Abs. 1 Nr. 5 JVEG)
• Schreibkosten 1,40 € je Seite (vgl. § 12 Abs. 1 Nr. 5 JVEG).
Die Fahrtkosten in Höhe von 0,70 €/ km sind auch angemessen (vgl. BGH NJW 2016, 3092). Auch die Nebenposition Restwertbörse in Höhe von 25,00 € ist erstattungsfähig, da sie nur in bestimmten Fallkonstellationen anfällt und nicht mit dem Grundhonorar abgegolten wird (MüKoStVR/Almeroth, 1. Aufl. 2017, BGB § 249 Rn. 318).
Die weiteren Standkosten in Höhe von 612,48 € sind der Klägerin nach § 249 Abs. 2 BGB zu ersetzen. Entgegen der Ansicht der Beklagten hat die Klägerin ihre Schadensminderungspflicht gemäß § 254 Abs. 2 BGB nicht verletzt. Nach § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB kann ein Mitverschulden auch darin bestehen, dass der Geschädigte es unterlässt, den Schädiger auf die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens aufmerksam zu machen oder den Schaden abzuwenden oder zu mindern (Palandt/Grüneberg BGB § 254 Rn. 36). Eine mögliche Warnpflicht gegenüber der Beklagten iSd § 254 Abs. 2 BGB bestand hier aber nicht. Sie besteht nur, wenn der Geschädigte die Möglichkeit eines besonders hohen Schadens erkannt hat oder erkennen müssen (Palandt/Grüneberg BGB § 254 Rn. 37). Dies war hier aber nicht der Fall. Insbesondere musste die Klägerin nicht erkennen, dass die Leasinggesellschaft so lange für die Veräußerung des Fahrzeuges benötigte. Anhaltspunkte für eine etwaige Kenntnis der Klägerin hierfür sind nicht ersichtlich.
Zudem widerspräche es dem Sinn und Zweck des § 249 Abs. 1 BGB, wenn der Geschädigte im Verhältnis zu dem ersatzpflichtigen Schädiger mit Mehraufwendungen belastet bliebe, deren Entstehung seinem Einfluss entzogen sind, weil die Schadensabwicklung in einer fremden, weder dem Geschädigten noch vom Schädiger kontrollierbaren Einflusssphäre stattfinden muss (vgl. BGH NJW, 1975, 160; AG Cuxhaven Urteil vom 04.01.2018 – 5 C 538/16).
Die Klägerin hat ferner gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB aufgrund des fortstehenden Unfalls einen Anspruch auf Ersatz der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von noch 100,28 €. Im Fall eines Verkehrsunfalles erstreckt sich die Ersatzpflicht des Schädigers auch auf die für die Geltendmachung und Durchsetzung des Schadensersatzanspruchs verursachten Rechtsverfolgungskosten (Palandt/Grüneberg, § 249 Rn. 56 f.).
Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 291, 288, 286 ZPO. In Bezug auf die Fahrtkosten waren Zinsen erst ab dem 04.05.2021 zu zusprechen, da die Beklagte mit Schreiben von diesem Tage eine weitere Schadensregulierung ablehnte.
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr.11, 709, 711 ZPO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 43, 48 Abs. 1 Satz 1 GKG i.V.m. § 3 ZPO.