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Sittenwidrige Arbeitnehmerbürgschaft

LG Offenburg, Az.: 6 O 163/13, Urteil vom 01.04.2015

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

III. Das Urteil ist gegen Leistung einer Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 150.000,00 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten über Ansprüche aus einer Bürgschaftserklärung.

Sittenwidrige Arbeitnehmerbürgschaft
Symbolfoto: Von PhotographyByMK /Shutterstock.com

Die Beklagten gaben gegenüber der Klägerin am 07.04.2009 eine Erklärung (A 2) ab, wonach sie sich dazu verpflichteten, für ein Darlehen (Anl. A 1) der Klägerin an die A. GmbH, die Arbeitgeberin der Beklagten, in Höhe von 150.000 € als Gesamtschuldner zu bürgen. Bereits zuvor wurden der A. GmbH mehrere Darlehen von der Klägerin gewährt. Zusammen mit der Bürgschaftserklärung gaben die Beklagten gegenüber der Klägerin jeweils eine Selbstauskunft über ihre wirtschaftlichen Verhältnisse ab (A 11 und A 12). Das Darlehen wurde am 24.11.2009 verlängert und die Beklagten erklärten am 17.12.2009 auch für die Verlängerung die Übernahme ihrer Bürgschaft (A 3 und 4). Nachdem über das Vermögen der Darlehensnehmerin zum 30.06.2011 das Insolvenzverfahren vor dem Amtsgericht Offenburg eröffnet wurde, nahm die Klägerin die Beklagten auf Zahlung der Darlehenssumme zuzüglich Zinsen in Anspruch.

Die Klägerin trägt vor, das Darlehen sei in zwei Beträgen zu jeweils 75.000 € am 07.04.2009 und am 05.05.2009 an die A. GmbH ausgezahlt worden. In der Folge sei das ursprünglich bis zum 31.12.2009 laufende Darlehen bis zum 31.12.2010 prolongiert worden, wobei die Bürgschaftserklärungen der Beklagten entsprechend angepasst worden seien. Eine Insolvenzreife der A. GmbH sei zu keinem Zeitpunkt bekannt gewesen.

Sie beantragt, die Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin als Gesamtschuldner 150.000 € sowie Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten aus einem Betrag von 75.000 € seit dem 08.04.2009 und aus einem weiteren Betrag in Höhe von 75.000 € seit dem 05.05.2009 zu zahlen.

Die Beklagten beantragen Klageabweisung

Sie behaupten, es sei schon keine Auszahlung des Darlehens an die A. GmbH erfolgt. Insofern könne auch der Bürgschaftsfall nicht eingetreten sein. Zudem sei die Bürgschaftserklärung zumindest hinsichtlich des Beklagten zu Ziff. 1 infolge einer Anfechtung nichtig. Darüber hinaus sei die Bürgschaft sittenwidrig. Das ergebe sich zum einen daraus, dass die Klägerin die A. GmbH trotz seit Mitte 2008 bestehender Insolvenzreife wissentlich mittels des von ihr gewährten Darlehens nur deshalb weiter finanziell am Leben gehalten habe, damit ihre Sicherungsmittel vor dem Insolvenzfall werthaltiger würden und so eine Besserstellung gegenüber den weiteren Gläubigern erreicht würde. Zum anderen seien die Selbstauskünfte fehlerhaft gewesen, da den Beklagten in Wirklichkeit nur ein sehr viel geringeres Vermögen zu einer etwaigen Tilgung zur Verfügung stehe, weshalb eine krasse Überforderung vorliege. Deshalb liege eine sittenwidrige Arbeitnehmerbürgschaft vor. Dies sei der Klägerin auch alles bekannt gewesen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch die Vernehmung der Zeugen … R., … A. und … G.. Hinsichtlich des weiteren Parteivorbringens und des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, sowie auf die Sitzungsprotokolle vom 13.03.2014 (AS 83) und 23.07.2014 (AS 249) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

I.

Der zwischen der Klägerin und den Beklagten geschlossene Bürgschaftsvertrag ist nichtig.

1. Zwar geht das Gericht von einem Abschluss des Bürgschaftsvertrages gem. § 765 Abs. 1 BGB durch übereinstimmende Willenserklärungen in Form von Angebot und Annahme aus. Der Beklagten Ziff. 1 hat seine Erklärung auch nicht wirksam angefochten, weil es an einem Anfechtungsgrund fehlt. Diesbezüglich ist der Anfechtende im Prozess beweisbelastet und ein entsprechender Vortrag des Beklagten Ziff. 1 fehlt.

2. Ferner hat die Beweisaufnahme eine Auszahlung der streitgegenständlichen Darlehenssumme von 150.000 € an die A. GmbH zweifelsfrei ergeben. Denn alle drei vernommenen Zeugen gaben insoweit glaubhaft im Kern übereinstimmend an, dass ohne diese Darlehensauszahlung die A. GmbH bereits im Mai 2009 zahlungsunfähig gewesen wäre. Dies habe nur durch das Darlehen vorübergehend verhindert werden können. Insbesondere habe man nur mit dieser Darlehenssumme die aufgelaufenen „Regiekosten“ begleichen können, weil andere liquide Mittel nicht zur Verfügung gestanden haben. Insoweit sind die vernommenen Zeugen auch glaubwürdig, weil ihre Angaben den vorgelegten Kontounterlagen zumindest nicht widersprechen und ihrer Aussagen insoweit übereinstimmen, obwohl sie durchaus unterschiedlichen Lagern zuzurechnen sind. Hinsichtlich dieser Frage bestand auch bei keinem der Zeugen ein erkennbarer Anreiz zur Lüge.

3. Der Bürgschaftsvertrag ist jedoch hinsichtlich beider Beklagter sittenwidrig gem. § 138 Abs. 1 BGB und deshalb nichtig. Gem. § 138 Abs. 1 BGB ist ein Rechtsgeschäft nichtig, das gegen die guten Sitten verstößt. Das ist der Fall, wenn das Rechtsgeschäft in Anbetracht des Inhalts oder Gesamtcharakters objektiv gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt und der Handelnde ob der die Sittenwidrigkeit begründenden Tatsachen weiß (Palandt/Ellenberger, 74. Aufl., § 138 Rn. 2 ff.).

a. Dies ergibt sich allerdings nicht bereits aus einer krassen finanziellen Überforderung der Beklagten, weil die Beweisaufnahme eine solche nicht ergeben hat. Eine solche Überforderung liegt nämlich nur vor, wenn der Bürge bei Inanspruchnahme durch den Gläubiger voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, auch nur die aus der Bürgschaftsschuld anfallenden Zinsen zu tragen (Palandt/Ellenberger, § 138, Rn. 38b; BGH NJW 2000, 1182). Darüber hinaus ist eine krasse Überforderung jedenfalls abzulehnen, wenn der Wert des Grundbesitzes des Bürgen höher als der der Bürgschaftsbetrag ist (Palandt/Ellenberger, § 138, Rn. 38b; BGH NJW 2001, 2466). Vorliegend verbürgten sich die Beklagten jeweils für ein Darlehen der Klägerin an die A. GmbH in Höhe von 150.000 €, wobei es sich um eine unbefristete und selbstschuldnerische Bürgschaft handelt, die auch nicht auf einen Höchstbetrag begrenzt ist. Gem. § 769 BGB hätte somit jeder der Beklagten im Bürgschaftsfall in Höhe des gesamten Betrages zuzüglich Zinsen etc. in Anspruch genommen werden können, wobei im Innenverhältnis ein Ausgleichsanspruch gegen den jeweils anderen Bürgen in Höhe der Hälfte des gezahlten Betrages bestanden hätte, § 426 BGB.

aa. Gemäß der Selbstauskunft des Beklagten zu Ziff. 1 gegenüber der Klägerin, verfügte er zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses über ein Vermögen von 390.000 € in Form von Grundbesitz, wobei diese ausweislich der Vermögensaufstellung mit 311.000 € belastet war. Monatlichen Einkünften von 7.361 € standen Ausgaben in Höhe von 5.139 € gegenüber. Der Beklagte zu Ziff. 2 verfügte laut seiner Selbstauskunft zur gleichen Zeit über ein Vermögen von 247.000 € bei monatlichen Einkünften in Höhe von 4.325 € und Belastungen von 3.340 €, wobei einem Grundbesitz von 520.000 € Belastungen in Höhe von 273.000 € gegenüber standen. Bei einem vereinbarten Darlehenszins zwischen der Klägerin und der A. GmbH in Höhe von 8 Prozentpunkten, wäre eine monatliche Zinsbelastung von 1.000 € zu erwarten gewesen. Diese hätte jeweils schon, bzw. im Fall des Beklagten zu Ziff. 2 nahezu, mittels der monatlichen Einkünfte getilgt werden können, ungeachtet des zur Verfügung stehenden Grundbesitzes.

bb. Die Beklagten können zur Begründung der sittenwidrigen finanziellen Überforderung nicht mit Erfolg einwenden, ihr Vermögen sei entgegen der von ihnen getätigten Selbstauskünfte gegenüber der Klägerin bedeutend geringer gewesen. Ungeachtet der tatsächlichen Vermögenslage der Beklagten durfte die Klägerin auf die Richtigkeit der ihr gegenüber gemachten Angaben vertrauen. Gibt eine Partei vor Vertragsschluss eine Erklärung mit falschem Inhalt zu dem Zweck ab, damit einen Vertragsschluss herbeiführen zu wollen, ist ihr die spätere Berufung darauf gem. § 242 BGB nach Treu und Glauben verwehrt (BGH, Urteil vom 22.12.2004 – VIII ZR 91/04). Jedenfalls würde es insoweit an der notwendigen Kenntnis des Gläubigers hinsichtlich der die Sittenwidrigkeit begründenden Umstände fehlen.

b. Eine Sittenwidrigkeit bzw. Nichtigkeit des Bürgschaftsvertrages ist auch nicht auf Grund eines sittenwidrigen Sanierungsdarlehens anzunehmen. Zwar könnten die Beklagten sich im vorliegenden Fall trotz des Umstandes, dass sie zum Zeitpunkt des Darlehens nicht Gläubiger der A. GmbH waren, auf eine derartige Sittenwidrigkeit der Bürgschaft oder des Darlehensvertrages berufen (Vgl. hierzu: Arnold, in: Erman/Westermann, BGB, 14. Aufl. 2014, § 138 Rn. 26). Voraussetzung für die Sittenwidrigkeit eines solchen Darlehens und vom Beklagten zu Beweisen wäre aber, dass durch das Darlehen konkrete andere Gläubiger über die Insolvenzreife getäuscht und durch hierdurch geschädigt werden (OLG Brandenburg, Urteil vom 12.04.2006 – 4 U 203/05). Die Beklagten haben nicht dargelegt, welche konkreten Gläubiger durch einen etwaigen Sanierungskredit getäuscht und gerade hierdurch unangemessen benachteiligt wurden. Es werden zwar als Gläubiger die Volksbank Kinzigtal und verschiedene Einzelpersonen genannt. Es wird aber nicht im Einzelnen vorgetragen, inwiefern diese überhaupt durch den vorliegenden Kredit getäuscht und geschädigt worden sind.

c. Die Bürgschaft ist aber als sittenwidrige Arbeitnehmerbürgschaft einzuordnen und verstößt deshalb gegen § 138 Abs. 1 BGB.

aa. Eine sittenwidrige Arbeitnehmerbürgschaft liegt objektiv vor, wenn einem Arbeitnehmer das Betriebs- oder Wirtschaftsrisiko des Arbeitgebers aufgebürdet wird, ohne dass ein als angemessen zu erachtender Ausgleich dafür erfolgt (so auch: OLG Karlsruhe, Urteil vom 08.03.2007 – 9 U 151/06). Die Aussicht, sich durch die Bürgschaft den alten Arbeitsplatz zu sichern und folglich weiterhin Lohnzahlungen zu erhalten ist keine Gegenleistung, weil das Arbeitsentgelt dem Arbeitnehmer ohnehin zusteht (OLG Celle, Urteil vom 23.09.1998 – 3 U 8/98). Eine nach § 138 BGB erforderliche Zwangslage kann auch schon durch Kenntnis des Arbeitnehmers von der finanziellen Notlage des Arbeitgebers bestehen. (Vgl. hierzu: BGH, NJW 2004, S. 161 ff.; Staudinger/ Horn, BGB 2012, § 765, Rn. 208) Der Darlehensgeber hat grundsätzlich auch kein berechtigtes Interesse an der Verbürgung von Arbeitnehmern des Hauptschuldners (OLG Celle, Urteil v. 23.09.1998, 3 U 8/98; OLG Karlsruhe, Urteil vom 08.03.2007 – 9 U 151/06). Der Bundesgerichtshof hat bisher nicht entschieden, ob eine Arbeitnehmerbürgschaft nur dann sittenwidrig sein kann, wenn der Bürge auch finanziell mit der Bürgschaft überfordert ist. In seiner Entscheidung vom 14.10.2003 (BGH, NJW 2004, S. 161 ff.) konnte er dies offen lassen, weil dort eine finanzielle Überforderung gegeben war. Neben der bereits zitierten Entscheidung des Oberlandesgerichts Karlsruhe wird in der Literatur zum Teil vertreten, dass die im Wege einer Arbeitnehmerbürgschaft erzielte wirtschaftliche Verlagerung des unternehmerischen Risikos diese bereits für sich genommen sittenwidrig macht. Denn hierdurch werde die Bürgschaft mit dem zwischen dem Bürgen und dem Hauptschuldner bestehenden Arbeitsverhältnis in unzulässiger Weise verknüpft. (Vgl. Seifert, NJW 2004, S. 1709)

bb. Nach Auffassung des Gerichts kann eine Arbeitnehmerbürgschaft auch dann sittenwidrig sein, wenn keine finanzielle Überforderung vorliegt aber dem Arbeitnehmer ohne irgendeine materielle oder ideelle Gegenleistung das Wirtschaftsrisiko des Arbeitgebers in nicht unerheblicher Weise aufgebürdet wird. Zwar ist im Grundsatz davon auszugehen, dass auch ein Arbeitnehmer wie jede andere unbeschränkt geschäftsfähige Person das mit der Bürgschaftserklärung verbundene Risiko erkennen und die Tragweite seines Handelns abschätzen kann. (Vgl. hierzu m.w.N.: OLG Celle, m.w.N.) Es gilt insoweit der Grundsatz der Vertragsfreiheit, so dass eine Sittenwidrigkeit gemäß § 138 BGB strenge Anforderungen zu stellen sind. § 138 BGB ist aber hierbei auch vor dem Hintergrund des Sinns und zwecks der Vertragsfreiheit auszulegen. Der historische Gesetzgeber hat sich für den Grundsatz der Vertragsfreiheit entschieden, weil dem übereinstimmenden Parteiwillen zur Gestaltung vertragliche Austauschverhältnisse eine Richtigkeitschance zugebilligt wird. Denn durch die Verfolgung der gegensätzlichen Interessen einigen sich die Parteien entweder auf einen Vertragsinhalt, der für beide Parteien zumutbar ist, oder zumindest eine Seite lehnt den Vertragsschluss ab, weil sie die für sie nachteiligen Rechtsfolgen als zu gravierend empfindet. Dies setzt aber auf beiden Seiten im Grundsatz voraus, dass diese ihren Willen frei bilden und die Vor- und Nachteile des Vertrages frei abwägen können, um ihre Interessen in den Vertragsverhandlungen unbeschränkt ausüben zu können. (Vgl. zum ganzen m.w.N.: Schmidt-Rimpler, AcP 1941 (147), S. 149 ff.; Ders. Festschrift f. L. Raiser, S. 5 ff.; Kriterium auch erwähnt in: BGH, WM 1987, S. 1368; BGHZ 101, 350; Larenz, Schuldrecht I, S. 78; Larenz/Wolf, § 42, Rn. 1). Die Norm des § 138 BGB schützt also in diesem Zusammenhang in erster Linie beide Vertragsparteien vor einer gegen die guten Sitten verstoßende Einwirkung auf die Entscheidungsfreiheit. Für die Prüfung eines Bürgschaftsvertrages anhand des § 138 BGB ist dabei zu beachten, dass es sich bei diesem nicht um einen klassischen Austauschvertrag sondern um ein Sicherungsmittel handelt, das oftmals ohne konkrete Gegenleistung gewährt wird. Dies hat der Gesetzgeber ausweislich der entsprechenden Normen auch so hingenommen. Deshalb ergibt sich die Sittenwidrigkeit einer Bürgschaft nicht allein aus einem Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung.

Gleichwohl kann nach Auffassung des erkennenden Gerichts je nach den Umständen des Einzelfalles auf Seiten eines Arbeitnehmers bei Abschluss einer Arbeitnehmerbürgschaft bereits dann eine sittenwidrige Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit für die Abgabe einer solchen Bürgschaftserklärung vorliegen, wenn er diese allein zur Sicherung seines Arbeitsplatzes abgibt und ansonsten keine materiellen oder immateriellen Vorteile mit ihr für ihn verbunden sind. Der Gläubiger nutzt nämlich in dieser Konstellation in sittenwidriger Weise die wirtschaftliche Abhängigkeit des Bürgen als Arbeitnehmer vom Hauptschuldner als Arbeitgeber aus und verstärkt diese sogar noch, indem sich dieser durch die Bürgschaft einseitig an möglichen zukünftigen Verlusten des Arbeitgebers beteiligt, ohne dass der Arbeitnehmer an zukünftigen Gewinnen partizipieren könnte oder sonst einen gegenwärtigen oder zukünftigen Vorteil erzielt. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Bürgschaft nicht auf einen Höchstbetrag beschränkt und vom Fortbestand des Arbeitsverhältnisses unabhängig ist, weil der Arbeitnehmer in einem solchen Fall eine sehr weitgehende und in ihrer Höhe und auch zeitlich kaum abschätzbare Verpflichtung allein aufgrund des zu seinem Arbeitgeber bestehenden Abhängigkeitverhältnis eingeht, die dann ihn dann auch nach Ende dieses Arbeitsverhältnisses in wirtschaftlich erheblicher Weise belasten kann. Denn anders als z.B. bei Ehegattenbürgschaften partizipieren Arbeitnehmer nicht wie ein Ehegatte im Rahmen der ehelichen Lebensgemeinschaft an den aufgrund des Darlehens verbesserten finanziellen Verhältnissen des Hauptschuldners. Denkbare und eine Sittenwidrigkeit der Arbeitnehmerbürgschaft ausschließenden Vorteile für einen Arbeitnehmer wären aber z.B. eine finanzielle Beteiligung am zukünftigen Erfolg des Hauptschuldners.

cc. Vorliegend ist das Gericht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme aufgrund der Umstände des Einzelfalles davon überzeugt, dass die Beklagten die Bürgschaftserklärungen nur zum Erhalt ihrer Arbeitsplätze abgaben und hierbei einseitig und unabhängig vom Fortbestand des Arbeitsverhältnisses in erheblicher Weise mit dem wirtschaftlichen Risiko der Arbeitgeberin belastet wurden, ohne irgend eine Gegenleistung dafür erhalten zu haben. Nach den Umständen des Einzelfalls ist die Bürgschaft hinsichtlich beider Beklagter im vorliegenden Fall sittenwidrig.

Schon die konkrete Ausgestaltung der Bürgschaft ist – wenngleich für sich genommen zulässig – ein gewichtiges Indiz für eine sittenwidrige Einwirkung auf die Entscheidungsfreiheit der Beklagten bei Abschluss des Bürgschaftvertrages. Denn sie verbürgen sich unbedingt, unbefristet und selbstschuldnerisch und verzichten auf die Einrede des § 771 BGB. Insbesondere handelt es sich nicht um eine Höchstbetragsbürgschaft, so dass wegen § 767 Abs. 1 BGB und eines jährlichen Darlehenszinses von 8 % der tatsächlich geschuldete Betrag weit über 150.000 € hinausginge und sie daher bei Eintritt des Sicherungsfalles jedenfalls wesentliche Teile ihres Vermögens verloren hätten.

Zudem war sowohl nach der eigenen Aussage der Beklagten in der informatorischen Anhörung als auch nach den Aussagen der Zeugen R. und A. den Beklagten bei Abgabe der Bürgschaftserklärung die äußerst bedrohliche finanzielle Lage ihrer Arbeitgeberin bewusst. Die Zeugin R. sagte dazu aus, dass auch jene Mitarbeiter, die nicht dem engeren Kreis um die Geschäftsführung zugerechnet werden konnten, von den finanziellen Schwierigkeiten der Hauptschuldnerin Bescheid wussten. Im Unternehmen sei damals alles getan worden, damit noch einmal Geld fließe, weil ansonsten die sofortige Zahlungsunfähigkeit drohte. Bezüglich dem Beklagten zu Ziff. 1 gab der Zeuge A. zudem an, er habe ihn „wirklich darum gebeten“, sich zu verbürgen. Denn es sei klar gewesen, dass ohne das zu sichernde Darlehen in Höhe von 150.000 € keine Gehälter mehr hätten gezahlt werden können, folglich Insolvenz eingetreten und der Fortbestand der Firma in Gefahr gewesen wäre. Er habe dem Beklagten zu Ziff. 1 zudem noch nahegebracht, es sei ein wichtiges Zeichen an die restliche Belegschaft, wenn er als leitender Angestellter mit der Bürgschaft den Glauben an die Zukunft der Firma zum Ausdruck bringe. Dies deckt sich auch mit der Aussage des damals für die Klägerin tätigen Zeugen G., weshalb die Aussage des Zeugen A. insoweit auch glaubhaft ist. Der Zeuge G. hat nämlich angegeben, dass insbesondere die Bürgschaftserklärung des Beklagten Ziff. 1 bei der Klägerin die Hoffnung auf eine finanzielle Gesundung der Hauptschuldnerin gestärkt habe. Nach übereinstimmender Aussage aller Zeugen wurde den Beklagten weder von der Hauptschuldnerin noch von der Klägerin eine Gegenleistung für die Bürgschaft versprochen. Unter diesen Umständen steht für das Gericht fest, dass beide Beklagten bei der Unterzeichnung der Bürgschaftserklärung ihre eigenen Interessen aufgrund der bestehenden Drucksituation völlig aus den Augen verloren haben. Insbesondere haben sie erkennbar aufgrund der Drucksituation nicht in Frage gestellt oder darüber mit der Klägerin verhandelt, dass die Verpflichtungen aus der Bürgschaftserklärung unabhängig vom Bestand des Arbeitsverhältnisses mit der Hauptschuldnerin weiter bestehen würden und durch die fehlende Begrenzung auf einen Höchstbetrag weit über die Darlehenssumme hinausgehen. Unter den gegebenen Umständen konnte von ihnen aufgrund dieser Situation nicht erwartet werden, dass sie dem auf sie aufgebauten Druck in besonnener Selbstbehauptung standhalten.

dd. Nach Überzeugung des Gerichts wusste die Klägerin auch von sämtlichen die Sittenwidrigkeit begründenden Umständen und hat gleichwohl den Bürgschaftsvertrag mit den beiden Beklagten abgeschlossen. Sie hat daher erkennbar die Zwangslage der beiden Beklagten in sittlich anstößiger Weise zum Abschluss einer sehr weitgehenden Bürgschaftsverpflichtung ausgenutzt. Von der gravierenden finanziellen Schieflage der A. GmbH wusste sie schon deshalb, weil sie dieser mehrfach Darlehen mit einem erheblichen Gesamtvolumen gewährte und diese mangels Tilgung mehrfach prolongieren musste. Zudem hatte sie durch den von ihr beauftragten Rechtsanwalt G. Einsicht auf die interne Einschätzung der finanziellen Lage der A. GmbH, da dieser, wie die entsprechende Protokolle der A. GmbH zum Ausdruck bringen, die Verwendung der durch die Klägerin bereitgestellten Gelder beaufsichtigte. Auch die Zwangslage der Beklagten im Einzelnen war ihr bekannt bzw. ihr wird gemäß § 166 BGB das entsprechende Wissen des Zeugen G. zugerechnet, weil dieser insoweit für die Klägerin tätig war. Denn auch der Zeuge G. hat angegeben, dass die Beklagten für ihre Bürgschaftserklärung keine Gegenleistung bekommen haben. Zudem war ihm nach Überzeugung des Gerichtes auch bewusst, dass die beiden Beklagten um die finanzielle Notlage der Hauptschuldnerin wussten und die Bürgschaftserklärungen nur zur Abwendung der Zahlungsunfähigkeit und zur Sicherung ihres Arbeitsplatzes abgaben. Dies ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus seiner Aussage in der mündlichen Verhandlung. Insoweit ist das Gericht aber aufgrund der Aussagen der Zeugen A. und R. davon überzeugt, dass die finanzielle Notlage jedenfalls diesen beiden Mitarbeitern bewusst war und auch der Zeuge G. dies wusste. Denn aus dem Besprechungsprotokoll (Anl. B 3) vom 20.03.2009 ergibt sich, dass der Zeuge G. in Anwesenheit des Beklagten Ziff. 1 die Auszahlung weiterer Darlehen nur bei Vorlage belastbarer Bürgschaftserklärungen veranlassen wird und bezifferte das Insolvenzrisiko zum damaligen Zeitpunkt mit mehr als 50 %, wenn ein anderer Gläubiger der Hauptschuldnerin einen Insolvenzantrag stellt. Zumindest hieraus wird offensichtlich, dass auch dem Zeugen G. die Zwangslage der Beklagten bewusst war und er die Selbstauskunft und die sehr weitgehenden Bürgschaftserklärungen in Kenntnis dieser Zwangslage akzeptierte.

ee. Die Wirksamkeit der Bürgschaft ergibt sich auch nicht aus den Erklärungen der Beklagten vom 17.12.2009 über die Verlängerung der Bürgschaften. Denn § 141 BGB findet nur Anwendung, wenn die Gründe für die Sittenwidrigkeit nicht mehr bestehen (Vgl. m.w.N. Palandt/Ellenberger, 74. Aufl., § 141, Rn. 5). Zudem muss die Erklärung zumindest in dem Bewusstsein abgegeben werden, dass Zweifel an der Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts bestehen (Vgl. m.w.N.: MüKoBGB/Busche BGB, 6. Auflage, § 141 Rn. 14).

An der Sachlage, welche die Sittenwidrigkeit der Bürgschaft begründet hatte sich aber nichts geändert und es ist darüber hinaus nicht erkennbar, dass die Beklagten damals an der Wirksamkeit der Bürgschaftserklärung zweifelten.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.

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