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Verkehrsunfall – Aufsicht der Eltern über minderjährige schulpflichtige Kinder

AG Pfaffenhofen – Az.: 1 C 638/20 – Urteil vom 23.07.2021

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung des Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 4.915,84 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall.

Am 24.05.2020 kollidierten der vom Kläger geführte PKW Toyota Yaris (amtlichen Kennzeichen XYZ) und der auf seinem Fahrrad fahrende 8 Jahre alte Sohn des Beklagten (geb. Am 30.12.2011) in IM an der Kreuzung ST/AU. Der Kläger befuhr die ST Richtung Westen, um später in den Sonnenhang abzubiegen. Der Sohn des Beklagten befuhr die AU Richtung ST und bog in diese nach rechts ein. Der nähere Unfallhergang war zwischen den Parteien streitig.

Durch den Unfall war der PKW des Klägers beschädigt worden. Aufgrund des vom Kläger in Auftrag gegebenen Sachverständigengutachten waren Reparaturkosten in Höhe von 4.020,95 EUR netto ermittelt worden.

Für die Erstellung des Gutachtens wurden dem Kläger Kosten in Höhe von 869,89 EUR netto berechnet.

Die Klägerseite hatte die von dem Beklagten unterhaltene Haftpflichtversicherung bei der Deutschen Beamtenversicherung mit Schreiben vom 27.05.2020 zur Bestätigung der Haftung dem Grunde nach bis spätestens 10.06.2020 aufgefordert. Diese hat daraufhin angezeigt, als Haftpflichtversicherer tätig zu sein, und hat in ihrem Schreiben vom 28.05.2020 eine genaue Schilderung des Unfallhergangs gefordert. Mit Schreiben vom 03.06.2020 war der Schaden beziffert und mit Schreiben vom 08.06.2020 der Unfallhergang geschildert worden. Die DBV hatte dann jedoch eine Haftung grundsätzlich abgelehnt.

Mit Schreiben vom 25.06.2020 wurde die Versicherung zur Zahlung bis zum 10.07.2020 aufgefordert worden. Eine Zahlung durch diese erfolgte allerdings nicht.

Der Kläger behauptet, dass der Sohn des Beklagten mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit auf das klägerische Fahrzeug zugefahren sei. Der Kläger sei die stark ansteigende ST hinaufgefahren und habe sofort eine Vollbremsung eingeleitet, so dass das Fahrzeug vor dem Zusammenstoß vollkommen zum Stehen gekommen sei. Der Sohn des Beklagten sei daraufhin mit seinem Fahrrad am klägerischen Fahrzeug entlang geschrammt und habe dies somit beschädigt. Der Kläger ist der Ansicht, der Beklagte würde zu 100 % für den Unfall und seine Folgen haften. Der Unfall sei allein durch den Sohn des Beklagten verursacht worden. Er ist der Auffassung, dass es nicht zur Kollision gekommen wäre, wenn der Sohn des Beklagten sich an die geeignete Geschwindigkeit für eine Kurvenfahrt gehalten hätte. Der Kläger sei aufmerksam und bremsbereit gefahren, insbesondere sei er mit angemessener Geschwindigkeit gefahren. Der Unfall sei für den Kläger zeitlich und räumlich unvermeidbar gewesen. Der Kläger führt weiter aus, dass er die Straße häufig befahre und ihm bekannt sei, dass an dieser Stelle häufig Kinder spielen würden. Er sei daher annähernd mit Schrittgeschwindigkeit gefahren. Außerdem sei die Sicht durch blühendes Gebüsch erschwert gewesen. Weiterhin meint die Kläger, der Beklagte sei gegenüber seinem Sohn zu Aufsicht verpflichtet gewesen und habe diese Pflicht verletzt. Eine gesetzliche Vermutung hierzu und deren Kausalität ergebe sich aus § 832 BGB. Der Beklagte sei verpflichtet gewesen, seinen Sohn im Führen eines Fahrrades und zur Beachtung der Verkehrsregeln im Straßenverkehr zu schulen. Der Sohn des Beklagten sei allein unterwegs gewesen und habe mit dem Fahrrad eine Hauptverkehrsstraße gekreuzt. Es sei weiterhin davon auszugehen, dass die Eltern des Sohnes erst vom Unfall verständigt hätte werden müssen und zum Unfallzeitpunkt keinen Kontakt zu ihrem Sohn gehabt hätten, da sie erst nach etwa drei Minuten zur Unfallstelle gekommen seien. Darüber hinaus behauptet er, dass sich am Unfallort ein Mädchen dahingehend geäußert habe, dass die Bremsen am Fahrrad des Sohnes des Beklagten nicht funktioniert hätten.

Der Klägervertreter beantragt zuletzt:

I. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 4.915,84 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 %- Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

I. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger außergerichtliche, nicht festsetzbare Rechtsanwaltskosten in Höhe von 492,54 EUR freizustellen.

Der Beklagtenvertreter beantragt, Klageabweisung.

Die Beklagtenseite behauptet, dass die Familie des Beklagten am Unfalltag einen Spaziergang zum nahegelegenen Spielplatz machen wollten. Die Strecke dorthin sei allen Familienmitgliedern bekannt gewesen und werde regelmäßig von der Familie des Beklagten benutzt. Hierbei habe die Regel gegolten, dass die Kinder – sofern sie vorausgehen oder -fahren – immer nur bis zur nächsten Straße/Kreuzung gehen oder fahren dürfen und dann dort anhalten und auf die Eltern warten müssten, bevor die Straße überquert werde. In der Vergangenheit hätten sich die Kinder auch immer an diese Regel gehalten. Eine Tochter des Beklagten sei zu Fuß vorausgegangen und vom unfallbeteiligten Sohn auf dem Fahrrad begleitet worden. Der Sohn sei äußerst rechts auf der Fahrbahn gefahren. Der Beklagte habe die beiden Kinder, die schon vorausgehen/-fahren gewollt hätten, angewiesen, entsprechend der vereinbarten Regelung an der nächsten einmündenden Straße stehen zu bleiben. Die Entfernung dorthin habe lediglich rund 40 Meter vom Haus des Beklagten betragen. Das Haus an der Ecke der Einmündung sei das Anwesen der direkten Nachbarn des Beklagten. Während der Sohn und die Tochter des Beklagten bereits langsam vorausgegangen/-gefahren seien, sei der Beklagte noch damit beschäftigt gewesen, die anderen Kleinkinder der Familie in den Kinderwagen zu setzen. Es sei allenfalls eine Minute vergangen, bevor die Tochter zum Eingangsbereich der Familie zurückgelaufen sei und gesagt habe, dass der Sohn „am roten Auto umgefallen“ sei. Der Beklagte und seine Frau hätten sich daraufhin sofort dorthin begeben, wo der Beklagte lediglich noch feststellen habe können, dass der Sohn am Boden auf dem Bürgersteig gesessen und ein rotes Auto ziemlich mittig auf der Fahrbahn gestanden sei. Nach Ansicht des Beklagten ist der am 30.12.2011 geborene Sohn des Beklagten gemäß § 828 II BGB nicht für einen möglichen Schaden verantwortlich, den er bei einem Unfall mit einem Kraftfahrzeug einem anderen zufügt, weshalb die hinter dem Beklagten stehende Haftpflicht am 15.06.2020 die klägerseits geltend gemachten Ansprüche aus Rechtsgründen zurückgewiesen habe. Weiterhin ist er der Auffassung, dass keine Aufsichtspflichtverletzung des Beklagten vorgelegen habe, jedenfalls könne der Beklagte sich gemäß § 832 I S. 2 BGB exkulpieren. Der achtjährige Sohn des Beklagten habe bereits mit 4 Jahren das Fahrradfahren gelernt und die Familie des Beklagten würde regelmäßig Fahrradausflüge unternehmen, wobei festzustellen sei, dass der Sohn sehr sicher mit dem Fahrrad fahren könne und auch die gängigen Verkehrsregeln beherrsche. Die Anweisungen des Vaters seien in der Vergangenheit stets beachtet worden. Der Beklagte habe sich angesichts dessen darauf verlassen dürfen, dass dies auch am Unfalltag der Fall sei. Der Beklagte ist der Ansicht, dass ein wirtschaftlicher Totalschaden vorliegt, sodass der Kläger lediglich auf der Basis Wiederbeschaffungswert abzüglich Restwertes abrechnen könne. Ferner hätten die Bremsen funktioniert.

Im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien, auf deren dortigen Vortrag und auf die mit den Schriftsätzen übersandten Anlagen, als auch auf das Protokoll vom 14.04.2021und 30.06.2021 und hier auf die informatorischen Anhörungen des Klägers und des Beklagten, sowie auf die Vernehmung der Zeugen AK, WM und vollinhaltlich Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage war zulässig, aber unbegründet.

I.

Eine Haftung des Beklagten wegen Aufsichtspflichtverletzung nach § 832 I BGB bestand nicht.

Zwar war der Beklagte gemäß §§ 1626 I, 1631 I BGB verpflichtet seinen minderjährigen Sohn zu beaufsichtigen, jedoch lag eine Verletzung dieser Aufsichtspflicht gegenständlich nicht vor.

Maßgeblich war hier zunächst erst einmal, ob eine Aufsichtspflichtverletzung vorlag und erst danach im zweiten Schritt die Frage, wer für den vorliegenden Verkehrsunfall in welcher Weise verantwortlich war.

Diese Aufsichtspflichtverletzung kam letztlich in zwei Varianten in Betracht. Zum einen in der Weise, dass der Beklagte seinen Sohn allein und unbeaufsichtigt mit seinem Fahrrad fahren ließ, zum anderen dergestalt, dass der Beklagte seinen Sohn mit einem nicht verkehrstüchtigen Fahrrad fahren ließ.

1.

Der Beklagte musste seinen Sohn überwachen, aufklären und sein Verhalten falls nötig leiten sowie beeinflussen (vgl. Palandt, § 832 Rn. 9; Mü FamRZ 97, 740; Ffm NJW-RR 02, 236).

Das hat der BGH in seiner Entscheidung vom 10.07.1984, Az. VI ZR 273/82 wie folgt formuliert: „Das Maß der gebotenen Aufsicht über Minderjährige bestimmt sich nach Alter, Eigenart und Charakter, wobei sich die Grenze der erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen danach richtet, was verständige Eltern nach vernünftigen Anforderungen in der konkreten Situation tun müssen, um derartige Schädigungen Dritter, wie sie infrage stehen, durch ihr Kind zu verhindern (Senat, NJW 1980, 1044 = LM § 832 BGB Nr. 12 = VersR 1980, 278 (279) m. w. Nachw.; st. Rspr.). Insbesondere hängt es von den Eigenheiten des Kindes und seinem Erziehungsstand ab, in welchem Umfang allgemeine Belehrungen und Verbote ausreichen oder deren Beachtung auch überwacht werden muß (Senat, VersR 1964, 313 (314)). Dabei ist zu berücksichtigen, daß der Erziehungserfolg und das Maß der anzuwendenden Aufsicht in einer Wechselbeziehung stehen: Je geringer der Erziehungserfolg, umso intensiver muß die Aufsicht und Überwachung sein (für viele Dahlgrün, Aufsichtspflicht der Eltern nach § 832 BGB, Diss., 1979, S. 56 m. w. Nachw.). Nach dem … Vortrag der Bekl. war M bis zu diesem Vorfall normal entwickelt und nicht durch besondere Unarten … aufgefallen.

Deshalb ist auf die Anforderungen an die Aufsicht über einen normal entwickelten 8 1/2jährigen Jungen in ländlicher Gegend abzustellen. In diesem Alter verbietet sich aber nicht nur, wie das BerGer. meint, eine Überwachung “auf Schritt und Tritt”, sondern auch eine regelmäßige Kontrolle in kurzen, etwa halbstündigen Zeitabständen, wie sie beispielsweise bei einem Kleinkind erforderlich ist (s. Senat, VersR 1964, 313 (314)). Grundsätzlich muß Kindern im Alter von 8 bis 9 Jahren, wenn sie normal entwickelt sind, das Spielen im Freien ohne Aufsicht auch in einem räumlichen Bereich gestattet sein, der den Eltern ein sofortiges Eingreifen nicht ermöglicht (Senat, NJW 1957, 869 = LM § 683 BGB Nr. 5 = VersR 1957, 340 (341); VersR 1964, 313 (314)).

Zum Spiel der Kinder gehört auch, Neuland zu entdecken und zu “erobern”. Dies braucht ihnen, wenn damit nicht besondere Gefahren für das Kind oder für andere verbunden sind, nicht allgemein untersagt zu werden. Vielmehr muß bei Kindern dieser Altersstufe, die in der Regel auch den Schulweg allein zurücklegen, im allgemeinen genügen, daß die Eltern sich über das Tun und Treiben in großen Zügen einen Überblick verschaffen, sofern nicht konkreter Anlaß zu besonderer Vorsorge besteht. Anderenfalls würde jede vernünftige Entwicklung des Kindes, insbesondere der Lernprozeß im Umgang mit der Gefahr, gehemmt. Hier haben die Bekl. … vorgetragen, daß sich … bei seiner Mutter zunächst zum Radfahren und alsdann zum Spielen im Garten abgemeldet hat. Damit war der Orientierungspflicht der Eltern genügt; eine Nachschaupflicht hatten sie unter den gegebenen Umständen nicht“ (NJW 1984, 2574, beck-online)

Das OLG Hamm hat in seiner Entscheidung vom 26.09.1994, Az. 13 U 76/94 hier ausgeführt: „Gerade im Straßenverkehr gilt: Das gebotene Maß elterlicher Aufsicht bestimmt sich nach der konkreten Gefahrensituation, falls Eltern ihr Kind im Straßenverkehr begleiten; maßgebend für die Erfüllung der Aufsichtspflicht im Interesse anderer Verkehrsteilnehmer ist, daß der Aufsichtspflichtige in der konkreten Gefahrensituation das tut, was ihm nach der Lebensanschauung zuzumuten und nach der Lebenserfahrung geeignet ist, einen Schaden Dritter zu verhindern (OLG Celle, FamRZ 1966, 107 ff.).“(NZV 1995, 112, beck-online)

Das OLG Hamm hat in seiner Entscheidung vom 08.02.2013, Az. 9 U 202/12 hierzu erklärt: „Die Aufsichtspflicht wird mithin zum einen durch Eigenschaften des aufsichtsbedürftigen Kindes und zum anderen durch die Schadensgeneigtheit des Unfallbereichs und der danach gegebenen und zu erwartenden konkreten Gefahrensituation bestimmt. Dabei hat der Aufsichtspflichtige in seine Überlegungen einzubeziehen, dass beides in einer inhaltlichen Wechselbeziehung steht. Je gefahrenträchtiger die objektiven Umstände sind, um so größere Anforderungen sind an die Eigenschaften und Fähigkeiten des Kindes zu stellen, um es unbeaufsichtigt lassen zu können. Umgekehrt müssen Defizite im Bereich der subjektiven Elemente zu größeren Anforderungen an die Aufsichtspflicht führen, und zwar auch dann, wenn sich das Kind in einem objektiv überschaubaren und vertrauten Bereich ohne besondere Gefahrenlage bewegt.“ (OLG Hamm, MDR 2013, 655)

Mangels anderweitiger Feststellungen war für die Prüfung des Maßes der Aufsichtspflicht von einem normal entwickelten Kind im Alter von 8 Jahren auszugehen. Zum Unfallzeitpunkt war er etwa 50 Meter vom elterlichen Anwesen mit dem Fahrrad unterwegs. Diese befindet sich zudem in einer verkehrsberuhigten Einbahnstraße. Die Unfallkreuzung grenzt an das Grundstück des direkten Nachbarn an. Der Sohn des Beklagten besucht laut der unbestrittenen Aussage des Beklagten zum Unfallzeitpunkt die zweite Klasse. So erklärte dieser: „Der ist in die 2. Klasse gegangen. So Übungen wie überquert man einen Zebrastreifen, usw., das hat stattgefunden, aber vom Fahrradführerschein war noch nicht, das ist erst in der 4. Klasse. (…) Zum Bäcker fährt er allein mit Zebrastreifen, Bürgersteig. Das hat man schon öfter gemacht. Er ist mit uns zusammen auch schon Fahrrad gefahren. Wir fahren eigentlich regelmäßig Fahrrad.“

Bei schulpflichtigen Kindern ist in der Regel nach Belehrung über Regeln und Gefahren sowie einer gewissen Erprobung eine ständige Aufsicht nicht mehr erforderlich (vgl. Palandt § 832 Rn. 11; LG Saarbrücken NJW-RR 15, 720).

Der Kläger hatte hierzu glaubhaft dargelegt, dass die Familie regelmäßig Fahrradausflüge unternimmt und dem Sohn beigebracht worden sei, wie er sich im Straßenverkehr angemessen verhalten müsse.

Dies wurde auch bestätigt durch die Angaben der Ehefrau des Beklagten HH. Diese führte bei ihrer Zeugenvernehmung aus: „1. Wir wollten zu dem Spielplatz, der ist ungefähr 800 / 600 m von uns entfernt. Wir haben fünf Kinder, das kleinste ist noch ein Stillkind. Den haben wir fertig gemacht. Der große Bruder, der Louis und die Nele sind schon voraus. Dann kam meine Tochter, Zeitangabe kann ich nicht machen, zurück und hat gesagt, der Louis sei gestürzt. Dann haben wir uns mit dem Kleinsten auf dem Arm auf den Weg gemacht, ein Fahrrad liegen sehen und mein Sohn sitzen sehen. Wir sind da mehrfach die Woche, das ist der Spielplatz um die Ecke, das ist unser Haus-Spielplatz. Zu Fuß oder mit dem Fahrrad. Die Regel ist bei uns, dass er vorgehen darf, er kennt die Regel, dass er stehen bleiben muss. Ich bin nicht immer dabei. Der Louis darf auch durchaus allein dort hin. An diesem Tag war vereinbart, dass wir zusammen gehen, weil auch die kleine Schwester dabei war. Seit er geboren ist, gehen wir auf diesen Spielplatz.

2. Ja, so ist es. In dem Fall hatte er die kleine Schwester dabei und wir haben gesagt, er soll warten. Wenn wir das ausgemacht haben, ja, wenn er allein ist, darf er auch allein zum Spielplatz. Wir haben gesagt, er soll warten, weil die kleine Schwester dabei war. Die durfte zu dem Zeitpunkt noch nicht alleine zum Spielplatz gehen.

3. Es stimmt. Mehrfach die Woche machen wir Fahrradausflüge. Die Großeltern wohnen in RH. Da laufe ich mit dem Kinderwagen, die Kinder fahren mit dem Fahrrad voraus. Da hält er sich immer dran. Er ist nicht immer in Sichtweite, aber er hält an den Straßen, die überquert werden müssen, da bleibt er stehen. Auch dann, wenn er länger warten muss, dann fährt er eher zurück.

4. (…)

5. Als meine Tochter zu uns nach Hause kam, bin ich mit dem kleinen Sohn auf dem Arm unmittelbar zum Unfall gegangen. Mein Mann, der hat zu Hause gewartet, ich bin vor gegangen. Als ich den Louis sitzen gesehen habe, habe ich zu der Tochter gesagt, sie soll auch den Papa holen. Erst war ich an der Unfallstelle und dann kam mein Mann dazu. (…) Weil die kleine Schwester dabei war, habe ich gesagt, er soll vorne halten. Nachdem ich nicht dabei war, weiß ich nicht, warum er sich zu dem Zeitpunkt nicht daran gehalten hat. (…) Die Nele war sechs Jahre. Ich war nicht dabei, als es passiert ist. (…) Wir waren draußen vor der Haustür, wir haben gesagt wir machen uns fertig, sie können vor bis zur Straße, aber Zeitangaben, wie lange das bis zur Mitteilung, dass ein Unfall war, gedauert hat, kann ich nicht sagen.“

Die Zeugin machte nachvollziehbare und in sich schlüssige Angaben, die glaubhaft waren. Die Zeugin war auch glaubwürdig. Gegenteiliges war nicht erkennbar und wurde auch von keiner Seite vorgebracht. Allein die Tatsache, dass es sich um die Ehefrau des Beklagten handelt, reicht dabei nicht aus, daran begründet zu zweifeln.

So war der Beklagte insbesondere nicht verpflichtet den achtjährigen Sohn ständig im Blick zu haben, auch wenn ein sofortiges Eingreifen dann nicht (mehr) möglich war (vgl. BGH NJW 84, 2574; Palandt § 832 Rn. 12).

Der Beklagte führte insoweit informatorisch aus: „Wir wollten spazieren gehen die ganze Familie. Wir haben uns fertig gemacht. Ich habe noch einen kleinen Sohn. Mit dem stand ich in der Einfahrt und habe ihn gerade in den Kinderwagen verbracht. Der Luis, der den Unfall hatte, ist schon vorgefahren. Das war abgesprochen. Wir haben auch gesagt, dass er unten an der Ecke warten soll während ich meinen kleineren Sohn in den Kinderwagen gesetzt habe und meine Frau die Schuhe angezogen hat, kam meine Tochter zurück, hat gemeint, der Luis ist gegen ein Auto gefahren und hat ein Problem gehabt. Ich hab gedacht, der ist der Nachbarin an das stehende Auto mit dem Fahrrad vorbeigeschrammt. Erst im zweiten Moment hat sie gesagt, das Auto steht auf der Straße und dann bin ich hingegangen. Meine Frau und ich haben es, glaube ich gleichzeitig gehört. Wir sind fast gleichzeitig an die Unfallstelle angekommen. Wir sind fast gleichzeitig losgegangen. Ich hab dann erst nach dem Sohn geschaut. Der saß dann schon am Bürgersteig. Das Fahrrad lag da an der Ecke. Da hab ich gefragt, wie es ihm geht. Da haben wir gesehen, dass er einen Schock hatte, Abschürfungen hauptsächlich am Arm. Hab geschaut, ob noch was schwereres ist. Das war das Wesentliche. Wir haben festgestellt, das sind wohl nur Schürfwunden tatsächlich. Dann haben wir die Versicherungsdaten ausgetauscht und die Kontaktdaten ausgetauscht.“

Es war für den Beklagten nicht damit zu rechnen, dass der Sohn sich am Tag des Unfalls nicht an die Absprache halten würde. Gerade im Hinblick darauf, dass der Beklagte sich mit seiner Ehefrau auch noch um drei weitere Kinder kümmern musste, der bereits Achtjährige in dieser ruhigen, ihm gut bekannten Umgebung unweit vom Elternhaus entfernt war und die ganze Familie zeitnahe nachkommen wollte, konnte gegenständlich nicht von einer Aufsichtspflichtverletzung des Beklagten gesprochen werden.

Es war insbesondere für die Beurteilung, ob eine Aufsichtspflichtverletzung vorliegt, weniger relevant, ob der Beklagte nach einer oder nach drei Minuten zum Unfallgeschehen dazu kam. Hinzu kommt, dass dies im Nachhinein nicht mehr feststellbar. Vielmehr konnte von dem Beklagten nach den oben genannten Grundsätzen auch nicht verlangt werden, jegliche Gefahr durch den Sohn für die Allgemeinheit zu unterbinden. Vielmehr konnte der Beklagte zulässigerweise seinem Sohn unter kontrollierten Bedingungen altersgerechte Freiräume eingeräumt.

2.

Eine Aufsichtspflichtverletzung bestand entgegen der Auffassung der Klagepartei aber auch nicht im Hinblick auf die mangelnde Verkehrstüchtigkeit des Fahrrades, insbesondere die Mangelhaftigkeit der Bremsen, in Betracht (vgl. BGH VerR 61, 838; LG Wuppertal NJW-RR 18, 84).

Diese konnte durch die Klagepartei nicht nachgewiesen werden.

Der Beklagte müsste verantwortlich für die Verwendung eines vermeintlich verkehrsuntüchtigen Fahrrads sein.

Die Beweislast hierfür lag beim Kläger.

Der Vortrag des Klägers und der Zeugen KN und WM, dass die sechsjährige Tochter des Klägers die Funktionsfähigkeit der Bremsen anzweifelte, ist unzureichend.

So erklärt der Kläger zwar: „Die Kinder, die gekommen sind, haben deutlich gesagt zu dem Verletzten, du hast doch gewusst, dass die Bremsen kaputt sind.“ Es heißt jedoch weiter: „ Ich kann nicht beurteile. Das Rad hat dagelegen. Mich hat in der Situation das Rad nicht interessiert. Mich hat der Junge interessiert.“

Der Zeuge KN sagt aus: „Dann hat er gesagt, tut mir leid, aber die Bremsen sind nicht gegangen:“ Weiterhin sagt sie: „Ob der Vater das mitbekommen hat mit den defekten Bremsen, weiß ich nicht.“

Der Zeuge machte nachvollziehbare und in sich schlüssige Angaben, die glaubhaft waren. Der Zeuge war auch glaubwürdig. Gegenteiliges war nicht erkennbar und wurde auch von keiner Seite vorgebracht.

Die Zeugin WM sagt aus: „Dann habe ich mitbekommen, wie die Schwester nehme ich an, das Mädchen hat zu dem Jungen gesagt, er hat doch gewusst, dass er das Rad nicht nehmen darf, weil die Bremsen kaputt sind.“

Die Zeugin machte nachvollziehbare und in sich schlüssige Angaben, die glaubhaft waren. Die Zeugin war auch glaubwürdig. Gegenteiliges war nicht erkennbar und wurde auch von keiner Seite vorgebracht.

Die Erklärungen sind bloßes Hörensagen. Sie belegen die Aussage eines zu diesem Zeitpunkt sechsjährigen Mädchens, beziehungsweise des unter Schock stehen achtjährigen Sohnes des Beklagten. Die mangelnde Bremsfunktion ist weder von den Anwesenden positiv am Fahrrad festgestellt worden, noch wurde die mangelnde Verkehrstüchtigkeit des Fahrrades anderweitig festgehalten.

Auch erklärt der Beklagte dagegen: „Das Rad ist immer noch in Benutzung. Die Bremse war nicht defekt. Ich lasse meinen Sohn nicht mit einem Fahrrad mit einer kaputten Bremse rumfahren.“

Dies bestätigte auch die Ehefrau des Beklagten bei ihrer Zeugenaussage. Dabei gab sie an: „4. Ja, das stimmt. Ich würde meine Kinder nicht mit einem nicht verkehrssicheren Fahrrad fahren lassen. Wenn er gesagt hätte, die Bremsen würden nicht bremsen, dann hätten wir ihn nicht fahren lassen. Als ich zum Unfall kam, haben mehrere Menschen, die da gewesen sind, gesagt, dass der Louis gesagt hätte, er konnte nicht bremsen. Ich war nicht beim Unfall dabei. Das ist die Aussage, die zu mir gekommen ist, dass der Louis gesagt habe, er habe nicht bremsen können. Meiner Meinung nach ist es verkehrssicher das Fahrrad. Wenn wir in die Fahrradsaison starten, schauen wir die Fahrräder an, aber nicht jeden Tag bevor wir losfahren. Nachdem das gesagt wurde, wurde das Fahrrad überprüft. Ich habe festgestellt, dass die Bremsen funktionierten.“ Und weiter: „Wir haben es davor nicht getestet, als wir zu Hause waren. Nach dem Unfall haben wir das Fahrrad angeschaut und das Fahrrad war definitiv verkehrstüchtig. (…) Wir haben es danach getestet und die Bremsen gingen.“

Die Zeugin machte nachvollziehbare und in sich schlüssige Angaben, die glaubhaft waren. Die Zeugin war auch glaubwürdig. Gegenteiliges war nicht erkennbar und wurde auch von keiner Seite vorgebracht.

Eine mangelnde Verkehrstüchtigkeit des Fahrrades ist vor allem auch nicht schon nach den bloßen Umständen des Unfalls anzunehmen. Die mangelnde Verkehrstüchtigkeit des Fahrrades kann hier also nicht festgestellt werden.

3.

Letztlich verwirklicht sich mit dem durch ein Kind verursachten Schaden nur das allgemeine Lebensrisiko eines jeden Verkehrsteilnehmers. Dabei ist es nicht Aufgabe der Eltern, dem geschädigten Dritten durch eine verschärfte Haftung sein allgemeines Lebensrisiko abzunehmen, zumal sich dieser dagegen selbst versichern kann.

Deshalb findet sich in § 832 Abs. 1 BGB auch nicht die fehlende Eigenhaftung des Kindes als Tatbestandsvoraussetzung.

Insofern kommt es für die Erfüllung der Aufsichtspflicht durch die Eltern nicht darauf an, ob sie generell ihrer Aufsichtspflicht nachgekommen sind. Vielmehr ist es entscheidend, ob die Eltern die ihnen obliegende Aufsicht im konkreten Einzelfall und in Bezug auf die zur widerrechtlichen Schadenszufügung führenden Umständen erfüllt haben. Entscheidend ist somit, was verständige Aufsichtspflichtige nach vernünftigen Anforderungen unternehmen müssen, um die Schädigung Dritter durch ein Kind zu verhindern, wobei es hier stets darauf ankommt, ob der Aufsichtspflicht nach den besonderen Gegebenheiten des konkreten Falls genügt worden ist.

Dies war streitgegenständlich der Fall, so dass es auf die Verantwortlichkeit für den gegenständlichen Verkehrsunfall überhaupt nicht mehr ankam.

4.

Die Klage war daher – unabhängig letztlich von der Frage, wer den Verkehrsunfall zu vertreten hat – wegen fehlender Aufsichtspflichtverletzung als unbegründet abzuweisen.

II.

Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten waren dementsprechend ebenso nicht zu ersetzen, da es schon an dem Schadensersatzanspruch fehlt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 I ZPO. Die Vorläufige Vollstreckbarkeit war §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO entnommen worden.

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