LG Hamburg – Az.: 306 S 3/12 – Urteil vom 06.07.2012
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts Hamburg-Wandsbek vom 09.12.2011, Az. 716a C 241/11, unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 3.525,95 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus einem Betrag von 3.037,47 € vom 12. Mai 2011 bis zum 10. Juni 2011, aus einem Betrag von 2885,55 € vom 11. Juni 2011 bis zum 10 August 2011, aus einem Betrag von 3.525,95 € vom 11. August 2011 bis zum 09. Januar 2012 sowie aus einem Betrag von 2.244,90 € seit dem 10. Januar 2012 abzüglich bereits gezahlter Zinsen in Höhe von 43,71 € zu zahlen sowie den Kläger von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 402,82 € freizuhalten.
2. Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
I.
Wegen der tatsächlichen Feststellungen wird auf das angegriffene Urteil verwiesen.
Entscheidungsgründe
II.
Kurze Begründung für die Abänderung der angefochtenen Entscheidung gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Ziff. 2 ZPO:
Die Beklagte haftet dem Kläger aus dem streitgegenständlichen Unfall vom 22. Februar 2011 zu 100%. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Amtsgericht einen Verstoß des Fahrers der Beklagten gegen § 7 Abs. 5 StVO festgestellt. Nach dieser besonders strengen Vorschrift hätte der Fahrer der Beklagten sich beim Fahrstreifenwechsel so verhalten müssen, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer hätte a u s g e s c h l o s s e n sein sollen. Wer sich so verhalten muss, hat die Pflicht, erheblich gesteigerte Vorsicht und Sorgfalt walten zu lassen, und trägt nahezu die alleinige Verantwortung dafür, dass es bei seinem – vom Gesetzgeber zu Recht als besonders gefährlich eingestuften – Fahrmanöver nicht zu einem Unfall kommt. Nachdem sich hier gleichwohl der Unfall ereignet hat, spricht bereits der erste Anschein dafür, dass der Fahrer der Beklagten diesen Anforderungen nicht gerecht geworden ist und damit schuldhaft die entscheidende Unfallursache gesetzt hat.
Ein unfallkausales Fehlverhalten des Klägers kann jedoch nicht festgestellt werden. Ein möglicher Verstoß des Klägers gegen § 38 Abs. 1 S. 2 StVO wäre im Verhältnis zur Beklagten nicht zu berücksichtigen, da diese Vorschrift schon ihrem Wortlaut nach nur dem Schutz von Fahrzeugen mit Sonderrechten dient. Insbesondere ergibt sich aus dem Gesetz nicht die Pflicht eines im rechten Fahrstreifen Stehenden, dort bei Ertönen eines Martinshorns stehen zu bleiben. Diese Pflicht hat lediglich das Kammergericht in einem speziellen Fall, der mit diesem nicht vergleichbar ist, angenommen. Aber auch dort ging es nur um den Schutz der mit Sonderrechten fahrenden Fahrzeuge.
Soweit sich die Beklagte auf die Kommentierung bei Hentschel/König/Dauer, 41. Aufl., Rn. 11 zu § 38 StVO bezieht, wonach ein Fahrverhalten, welches andere schädigen könnte, zu vermeiden sei, ist dies lediglich eine Bezugnahme auf § 1 StVO, der ohnehin immer gilt, und betrifft erkennbar Fahrmanöver wie plötzliches starkes Bremsen o.ä..
Auch der Hinweis der Beklagten, dass bei Annäherung eines Fahrzeuges mit Sonderrechten ungewöhnlichen Fahrweisen anderer durch erhöhte Bremsbereitschaft und Vorsicht zu begegnen sei, greift hier im Ergebnis nicht durch. Da hierein Verstoß ihres Fahrers gegen § 7 Abs. 5 StVO vorliegt, ist die Beklagte beweisbelastet für ein ein Mitverschulden begründendes Verhalten des Klägers. Diesen Beweis hat die Beklagte allerdings nicht erbringen können. Zwar hat der Fahrer der Beklagten, S, angegeben, der Kläger sei erst losgefahren, als sein – S – Fahrstreifenwechsel nahezu abgeschlossen gewesen sei. Dem steht jedoch die Angabe des Klägers gegenüber, wonach er sein Fahrzeug bereits angehalten hatte, als es zur Kollision kam. Nur nach der Version der Beklagten käme daher ein Mitverschulden des Klägers in Betracht. Aufgrund der Angaben S kann sich die Kammer aber nicht die Überzeugung bilden, dass der Unfall sich auch tatsächlich so ereignet hat. Die Angaben des Klägers stehen denen des Zeugen gleichwertig gegenüber. Die prozessuale Rolle eines Unfallbeteiligten hat auf die Glaubhaftigkeit seiner Aussage keinen Einfluss.
Die Schadenshöhe ist unstreitig. Der Kläger macht zu Recht für den Differenzbetrag zwischen im Gutachten veranschlagten und tatsächlichen Reparaturkosten nur Rechtshängigkeitszinsen geltend.
Allerdings begehrt der Kläger zu Unrecht für den von der Beklagten außergerichtliche gezahlten Betrag von 151,92 € auch Verzugszinsen für den Zeitraum zwischen Zahlung des Betrages und Rechtshängigkeit der Klage. Insoweit ist die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO in Verbindung mit § 26 Nr. 8 EGZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.