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Absehen von Regelfahrverbot bei „Augenblicksversagen“

OLG Schleswig-Holstein, Az.: 1 SsOWi 30/02 (29/02), Beschluss vom 22.04.2002

Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den dazugehörigen Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts Lübeck zurückverwiesen.

Gründe

Die Staatsanwaltschaft bei dem Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgericht hat in ihrer Zuschrift vom 20. März 2002 ausgeführt:

„Die gem. § 79 Abs. 1 Nr. 2 statthafte, form- und fristgerecht mit der Rüge der Verletzung sachlichen Rechts angebrachte Rechtsbeschwerde ist zulässig. Das Fehlen eines ausdrücklichen Antrages schadet nicht, da sich das Ziel des Rechtsmittels, nämlich Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, um nach erfolgter Zurückverweisung in einer erneuten Hauptverhandlung ein Absehen von der Verhängung eines Fahrverbotes zu erreichen, zweifelsfrei aus dem bisherigen Verfahrensgang ergibt. Soweit das Rechtsmittel dem Inhalt der Beschwerdebegründung nach auf die Verhängung des Fahrverbotes beschränkt sein soll, ist diese Beschränkung unwirksam (vgl. Göhler, OWiG, 12. Aufl. 1998, § 79 Rdnr. 9), so dass der Rechtsfolgenausspruch insgesamt als angefochten gilt.

Absehen von Regelfahrverbot bei „Augenblicksversagen“
Symbolfoto: Kalinovskiy/Bigstock

Insoweit hat das Rechtsmittel in der Sache auch vorläufig Erfolg.

Das Amtsgericht hat die Anordnung des Fahrverbotes darauf gestützt, dass die festgestellte Geschwindigkeitsüberschreitung um 33 km/h angesichts der seit dem 02. Oktober 2000 rechtskräftigen Voreintragung wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung um 38 km/h das Vorliegen einer beharrlichen Pflichtverletzung im Sinne des § 25 Abs. 1 StVG indiziere. Das hält einer sachlichrechtlichen Nachprüfung nicht stand. Zwar sind die äußeren Merkmale eines Regelfalles nach § 2 Abs. 2 Satz 2 BKatV [ in der zur Tatzeit geltenden Fassung ] erfüllt, so dass nach der auch die Gerichte bindenden Vorbewertung des Verordnungsgebers grundsätzlich von dem Vorliegen eines beharrlichen Verstoßes auszugehen ist. Eine Ausnahme kommt jedoch – wie bei der groben Pflichtverletzung (vgl. Beschl. des II. Senats vom 12. April 1999 – 2 Ss Owi 89/99 in SchlHA 2000 S. 150 f.) – bei der beharrlichen Pflichtverletzung dann in Betracht, wenn der gegen den Betroffenen zu erhebende Fahrlässigkeitsvorwurf wegen eines bloßen „Augenblicksversagens“ in der konkreten Situation besonders gering war (vgl. OLG Braunschweig NZV 1999 S. 303). Auch der subjektive Tatbestand der beharrlichen Pflichtwidrigkeit erfordert nämlich ein Handeln des Täters, das auf einem Mangel an rechtstreuer Gesinnung und notwendiger Einsicht in zuvor begangenes Unrecht beruht (vgl. BGHSt 38, S. 231 ff. 234). Dies kann aber in Anlehnung an die Rechtsprechung des BGH zur groben Pflichtwidrigkeit nicht angenommen werden, wenn der Verkehrsverstoß auf ein Augenblicksversagen zurückgeht, das auch ein sorgfältiger und pflichtbewusster Kraftfahrer nicht immer vermeiden kann (OLG Braunschweig a. a. O. S. 304). Etwas anderes gilt nur dann, wenn Begleitumstände vorliegen, welche die besondere Aufmerksamkeit des Fahrers hervorrufen müssen, wie z. B. ein Geschwindigkeitstrichter, eine Baustelle oder eine geschlossene Ortslage (OLG Braunschweig a. a. O.) oder das Übersehen des Verkehrsschildes schon deshalb als auf grober Nachlässigkeit beruhend anzusehen ist, weil die ohnedies geltende zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritten worden ist (vgl. Beschl. des Senats vom 29. April 1998 – 1 SsOWi 35/98 – in SchlHA 1999 S. 199).

Danach tragen die tatrichterlichen Feststellungen hier die Annahme eines beharrlichen Pflichtverstoßes noch nicht. Ausweislich der Urteilsgründe hat der Betroffene die beidseitig an der BAB 1 aufgestellten Verkehrszeichen, mit denen die Geschwindigkeit auf 100 km/h beschränkt wurde, übersehen. Ferner erschließt sich, dass angesichts der Tatzeit im Juni gegen 8.30 Uhr eine Einschränkung der Sichtbarkeit durch Dunkelheit ausscheidet. Demgegenüber fehlt es an ergänzenden Feststellungen dazu, ob aufgrund der konkreten örtlichen Gegebenheiten, beispielsweise einer Wiederholung der die Geschwindigkeit begrenzenden Zeichen, eines sog. Geschwindigkeitstrichters oder anderer äußerer Umstände sich eine Geschwindigkeitsbegrenzung hätte aufdrängen bzw. dem Betroffenen ohnehin hätte bekannt sein müssen (vgl. BGHSt 43 S. 241 ff, 251 f) und deshalb nicht ein Augenblicksversagen sondern grobe Nachlässigkeit oder Gleichgültigkeit anzunehmen ist. Es kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass dahingehende Feststellungen in einer erneuten Hauptverhandlung getroffen werden können.

Wegen der Wechselwirkung zwischen Fahrverbot und Geldbuße kann der gesamte Rechtsfolgenausspruch keinen Bestand haben.“

Dem tritt der Senat bei und merkt an: Die von der Rechtsprechung in den Fällen der groben Verletzung der Pflicht eines Kraftfahrzeugführers entwickelten Grundsätze zum „Augenblicksversagen“ (vgl. BGHSt 43, 241 m. w. N.) finden ebenso Anwendung, wenn dem Betroffenen eine beharrliche Pflichtverletzung gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 2 Abs. 2 BKatVO a. F. zur Last gelegt wird (OLG Köln VRS 97, 375; OLG Hamm VRS 97, 449; OLG Köln NZV 2001, 442; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 36. Aufl., Rz. 15 zu § 25 StVG; Deutscher, NZV 2002, 105). Denn von einem Mangel an rechtstreuem Bewußtsein ist nicht ohne weiteres auszugehen, wenn der wiederholte Verkehrsverstoß auf einem Versagen beruht, dass auch ein sorgfältiger und pflichtbewußter Kraftfahrer nicht immer vermeiden kann.

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